E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Ferguson Lady Rose
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70563-5
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-311-70563-5
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schottland in den dreißiger Jahren: Dacre, ein Anwalt aus England, und sein Freund Van Elsen aus New York sind zum Golfen hergekommen. Aber bald schon ist die Erkundung der Highlands faszinierender als das Spiel. Von Edinburgh aus fahren sie die Küste hinauf, folgen dem windumtosten Blau und stehen plötzlich vor den Toren von Keepsfield. Das klassizistische Anwesen verschlägt ihnen den Atem. Seit Jahrzehnten verlassen, versucht nur noch die Hausdame Mrs Memmary, die Erinnerungen zu bewahren. Sie führt die Besucher durch das prachtvolle Herrenhaus und erzählt ihnen von Lady Rose, der sie hier einst zu Diensten war. Von der unbeschwerten Kindheit der aufgeweckten Rose in den 1860ern – ein Leben wie ein endloser Sommer – über ihre Jugend in einem englischen Internat bis hin zu ihrer standesgemäßen Hochzeit mit Sir Hector, dem adeligen Besitzer des benachbarten Anwesens. Die Idylle begann zu bröckeln, als Lady Rose auf einer Parkbank in Edinburgh ihrer großen Liebe begegnete.
Weitere Infos & Material
Weisen verlassen nun umwölkte Grüfte;
Ältere seufzen über ihren Ahnen;
…
Und aus dem Gras durchzieht ein Wiegenlied
Die Plätze, wo der Knabe Orpheus schlief.
Fühlen wir dies? – in dem Moment durchlief
Man eine Art von Einssein, unser Zustand
Ist der schwebenden Geists. Es gibt jedoch
Reichres Umgarnen, Fesselungen noch
Ich-auslöschender, führnd, nach Rang bemessen
Zum höchsten Stärkegrad: die Krone dessen
Besteht aus Liebe, Freundschaft und sitzt breit
Hoch oben auf der Stirn der Menschlichkeit.
KEATS: Endymion
1. Kapitel
»Könnten wir hereinkommen und uns das Haus ansehen?«
Der Pförtner des Herrenhauses in den Highlands musterte die Fremden von oben bis unten, und sie fanden Gnade.
»Jawohl, die Verwalterin, Mistress Memmary, wird Sie führen.«
Die beiden Männer – Dacre, ein Anwalt aus England, und sein amerikanischer Freund Van Elsen, der in New York eine Gartenzeitschrift herausgab – waren zu einem Golfurlaub nach Schottland gekommen, aber längst fanden sie die Erkundung der Gegend faszinierender als das Spiel. Dazu ermuntert hatte sie Mrs Dacre, die in Edinburgh hinzugestoßen war und ihnen ins Gedächtnis gerufen hatte, dass sie ja nun in nächster Nähe genau der Gegenden seien, die Walter Scott in seinen Romanen unsterblich gemacht hatte, ja der noch älteren Gefilde der Ritter- und Romanzenzeit.
»Es gibt zwei Dinge, die den Bewohnern dieser Gegend Schottlands heilig sind«, hatte Helen Dacre lachend gesagt, »das Golfspiel und die Vergangenheit.« Und das stimmte. Der kleinste Dorfjunge konnte mit einem Eisen umgehen, und er konnte die schottischen Könige aufzählen. Mit zehn schlug er jeden Ball ins Loch und behielt die Oberhand in jedem Streitgespräch über die Kassettenbriefe oder die Frage, ob James VI. denn nun der Sohn von Mary Stuart gewesen sei oder doch eher der Gräfin von Mar.
An diesem Augustnachmittag waren sie von Edinburgh hinauf an die Küste von Fife gefahren, über Meilen den windumtosten, blau umspülten Gestaden fasziniert gefolgt. Schließlich hatten sie eine Dünenlandschaft erreicht, heiter vom Rosa der Grasnelken unter dem blassblauen Himmel. In der Luft lag das Aroma von Salz und Honig, wunderbar erfrischend. Es war ihnen aufgefallen, dass die Küstenstraße schon eine ganze Weile von der Mauer eines Parks begleitet wurde, und nun waren sie an große steinerne Torpfosten gekommen, ein zwanzig Fuß hohes schmiedeeisernes Tor mit Wappen in verblasstem Scharlach und mattem Gold. Beiderseits gab es ein Pförtnerhaus. Eines war leer und verfallen; an der Tür des anderen stand ein grauhaariger Bursche und schaute dem Treiben einer angebundenen Ziege zu.
Ein riesiges, frisch gemaltes Schild, welches noch über das Tor hinausragte, erregte Dacres Aufmerksamkeit:
KEEPSFIELD
Prachtvolles Herrenhaus ZU VERMIETEN möbliert
mit Jagdrevier und Weideland
Wenden Sie sich an
CRAWFORD, CRAWFORD & NICHOLSON
GEORGE STREET, EDINBURGH
»Das möchte ich mir ansehen«, sagte Van Elsen. »Wie wäre es, wenn wir den finsteren Zerberus um Einlass bäten?«
»Könnten wir hereinkommen und uns das Haus ansehen?«, fragte Helen Dacre. Ihnen allen war bewusst, wie ausgiebig der Türhüter sie musterte, und so schmeichelte ihnen die Anerkennung, als er antwortete: »Jawohl, Mistress Memmary wird Sie führen.«
Er öffnete ihnen eine Seitenpforte, und sie fuhren mit dem Wagen eine Meile die Auffahrt hinauf, durch ein Wäldchen, wo Kaninchen ohne alle Furcht auf dem Weg saßen, beiseite hoppelten, um sie durchzulassen, und die Amseln sangen aus dem Gebüsch ihr klares, reines Lied dazu. Dann ging es durch einen riesigen Park, in dem Kühe weideten, vorbei an langen Reihen von Fasanengehegen. Jetzt kam das Haus in Sicht, und es verschlug ihnen den Atem.
Es war ein klassisches Herrenhaus aus dem späten achtzehnten Jahrhundert, strahlend weiß, mit Säulenfassaden und weitläufigen Terrassen, inmitten eines französischen Gartens, zu dem lange Marmortreppen hinabführten.
»Oh!«, rief Van Elsen. »Hätte man denn so etwas hier erwartet? Wie unglaublich schön!«
»Ganz wie auf den Aquarellen, die wir in Versailles gesehen haben«, schwärmte Mrs Dacre. »Seht euch das an! Kann es überhaupt echt sein? So still und schimmernd vor dem Helloliv des Parks als Hintergrund, und das helle Blau des dunstigen Himmels, wie gemalt. Über allem liegt ein Schleier. Es ist wie ein Haus in einem Traum – wenn wir näher kommen, wird es sich in Luft auflösen.«
»Das will ich nicht hoffen«, sagte Dacre und drückte aufs Gas. »Wie unglaublich groß dieses Anwesen ist. Viel mehr als ein Herrenhaus – es ist der Buckingham-Palast in Weiß, und in schönerer Landschaft. Seht euch die ionischen Säulen an, und wie hoch die Fenster sind! Terrassen, Balustraden, Marmortreppen. Irgendeinen Krösus muss das ein Vermögen gekostet haben.«
»Aber damals war ein Krösus noch ein Krösus«, sagte seine Frau, »die Arbeiter waren Sklaven, Marmor war genauso billig wie ein Menschenleben, und es gab noch keine Grundsteuer. Und hier hätten wir also den Eingang!« Es war ein prächtiger geschwungener Kiesweg, berittene Krieger in Marmor und Bronze, und im Mittelpunkt stand ein Brunnen, in dem die Figur eines griechischen Mädchens elegant und bittend die Hände ausstreckte nach den kristallklaren Tropfen, die aber nicht mehr fielen. Eine Treppe führte empor zu einem Säulenportal, das eine zweiflügelige Tür schützte, Eichenholz, welches schon lange der Witterung trotzte, wunderbar kunstvoll geschnitzt von der Hand eines Schnitzers, der schon lang nicht mehr lebte.
»Sieht nicht aus, als ob da jemand wohnte«, sagte Van Elsen, »aber der Pförtner hat ja von einer Verwalterin gesprochen. Ich werde mal klopfen. Seht euch die Größe des Türklopfers an! Da fühlt man sich wie der arme Sünder, der ans Himmelstor pocht.«
Fast noch bevor die Schläge des Klopfers verhallt waren, öffnete sich einer der beiden großen Türflügel lautlos, und eine kleine, adrette alte Frau in Schwarz stand dort.
»Dürfen wir uns das Haus ansehen?«, fragte Helen Dacre.
Die alte Frau nickte. »Bitte treten Sie ein.«
Die Eingangshalle machte sie Staunen, so prachtvoll und riesengroß. Alles war aus vornehm gealtertem Marmor, Fußboden und Wände und die imposante hufeisenförmige Treppe schimmerten in einem Farbton wie eine sich eben erst öffnende Magnolienblüte. Es gab einen gewaltigen, wunderbar gestalteten Kamin aus dem gleichen cremefarbenen Marmor, ein paar klassische Statuen, die eine oder andere Rüstung und einen lebensgroßen Knabenkopf aus Alabaster, der auf einem vierfüßigen Elfenbeinsockel ruhte.
»Die Hauptgalerie ist im ersten Stock«, sagte die Verwalterin. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
»Warten Sie!«, rief Dacre. »Wem gehört das alles?«
Die alte Frau hielt inne, einen Fuß schon auf die unterste Marmorstufe gesetzt. Sie sah winzig aus, mit ihrem weißen Haar und dem schmucklosen schwarzen Kleid.
»Es gehört der Gräfin von Lochlule, Sir.«
»Oh! Und wo finden wir die?«
»Nun, Sir, sie hat lange Zeit auf dem Kontinent gelebt.«
»Kann sich den Unterhalt von so einem Anwesen nicht leisten, nehme ich an? Steuern und Reparaturen und so weiter.«
»Ja, Sir.«
»Das ist ja schade!«, sagte Helen Dacre. »Auf dem Schild stand, dass es zu vermieten ist. Wie viel würde es kosten?«
»Einhundert Guineen pro Woche im Sommer, Madam, und fünfzig im Winter. Es ist teilmöbliert. Man hofft auf einen reichen Amerikaner.«
»Ich bin Amerikaner«, sagte Van Elsen lachend, »aber ich fürchte, das übersteigt mein Budget.«
»Ist euch klar«, rief Helen Dacre, ganz Hausfrau, »dass all dieser Marmor täglich geputzt werden muss?«
Die alte Frau lächelte matt. »So ist es, Madam; ich mache es selbst.«
»Sind Sie allein hier?«
»Ja, Madam, ganz allein.«
Die zweiflügelige Treppe führte hinauf zu einer Galerie mit Parkettboden, indischen Teppichen, kostbaren Sesseln aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, ein paar üppigen Sofas mit Brokatüberwürfen und erlesenen Ölgemälden dicht an dicht an den Wänden. An beiden Enden der Galerie führten Glastüren hinaus auf besonnte Terrassen über die ganze Breite der Ost- und Westfassade des Hauses.
Mrs Dacre war entzückt von dem schönen Mobiliar. Die Verwalterin lüftete eine nach der anderen die schützenden Abdeckungen aus Chintz und enthüllte die darunter verborgenen handgearbeiteten Gobelins von außerordentlicher Schönheit und in wunderbaren Farben, violette Samtpolster, bestickt mit Goldfäden und winzigen Perlen, strahlend weißem Seidenbrokat.
»Aber all das ist ein Vermögen wert!«, rief Dacre. »Wie kann die Besitzerin solcher Kostbarkeiten arm sein? Oder weigert sie sich, etwas davon zu verkaufen?«
»Sie kann nichts davon verkaufen«, erklärte die alte Frau mit einem geduldigen Lächeln. »Nach schottischem Recht verwaltet sie den Besitz lediglich für ihren Erben.«
»Es gibt also einen Erben?«
»Ja, den Sohn der Gräfin.«
»Ich bin nicht so bewandert in der...




