E-Book, Deutsch, Band 2, 290 Seiten
Reihe: Frankfurt-Thriller
Fischer Blaulicht Frankfurt
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-911008-00-6
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 2, 290 Seiten
Reihe: Frankfurt-Thriller
ISBN: 978-3-911008-00-6
Verlag: mainbook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gerd Fischer wurde 1970 in Hanau geboren, ist in Altenstadt-Höchst in der Wetterau aufgewachsen, studierte Germanistik, Politologie und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main, wo er seit 1991 lebt. Fischer hat sich einen Namen gemacht mit seiner Frankfurter Krimi-Serie um Kommissar Andreas Rauscher. Bisher bei mainbook erschienen: 'Mord auf Bali' 2006 (Neuauflage 2011), 'Lauf in den Tod' 2010, 'Der Mann mit den zarten Händen' 2010, 'Robin Tod' 2011, 'Paukersterben' 2012, 'Fliegeralarm' 2013, 'Abgerippt' 2014, 'Einzige Liebe - Eintracht-Frankfurt-Krimi' Februar 2017, 'Ebbelwoijunkie' Dezember 2017, 'Frau Rauschers Erbe' 2018 und 'Der Apfelwein-Botschafter' 2021. Zudem die Thriller 'Rotlicht Frankfurt' (LONGLIST Crime Cologne Award 2019) und 'Seitenwende' (gemeinsam mit Stefan Schweizer, 2023).
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KAPITEL 1
1
Der Frankfurter Märzhimmel hatte die Farbe von Blut angenommen. Der Sonnenuntergang über der Skyline war überwältigend. Benjamin Brick wandte sich vom Fenster ab, sonst hätte er seine Gefühle nicht mehr in den Griff bekommen. Er setzte sich zurück auf den Bürostuhl und sah Anna Frieder an.
„Wo waren wir stehengeblieben?“
„Sie waren dabei, ein persönliches Fazit zu ziehen. Nachdem Ihre Reportage die Zerschlagung des Escort-Netzwerks Starlight ausgelöst hat.“
Brick hatte ein letztes Interview zugesagt. Erstens war es von der bedeutendsten Frankfurter Zeitung gekommen, der Allgemeinen. Zweitens führte es die Chefredakteurin persönlich, der er gerade in ihrem Büro gegenübersaß. Sie hatten zwei Stunden lang gesprochen. Zwei Stunden, die ihm schwergefallen waren. Zu lebendig schien der Albtraum, zu wenig hatte er ihn abgeschüttelt, obwohl das Ganze nun über ein halbes Jahr zurücklag. Das Interview wühlte alles neu auf.
„Ja. Da ist diese Unsicherheit, die bleiben wird. Tomovic ist tot, aber wir wissen immer noch nicht, ob und wie seine Mitstreiter strafrechtlich belangt werden. Ob die Leute auf der Freierliste im Bau landen, ob ihnen überhaupt strafbares Handeln nachgewiesen werden kann. Die Justiz hat das Wort, uns sind die Hände gebunden. Denkbar schlecht. Es wird sich hinziehen. Wir sind zum Warten verdammt. Und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie ich das hasse.“
„Danke, Herr Brick. Ich denke, das reicht für das Interview.“ Sie legte eine Pause ein. „Ende des offiziellen Teils.“
Anna Frieder fasste sich an ihre kurzen blondierten Haare, die ihr etwas Pfiffiges und Forsches verliehen, als wolle sie sie zurechtzupfen. Mit 51 zählte sie sich garantiert nicht zum alten Eisen, schätzte Brick. Sie war ein Blickfang, trotz oder wegen ihres Alters. Sie achtete auf ihr Äußeres, das schien klar. Zweimal wöchentlich Workout in einem First-Class-Fitnessstudio an der Alten Oper, am Wochenende auf einer Laufstrecke in den Wetterauer Feldern. Karrierestreben inklusive. Ihr Businesskostüm war modern geschnitten und betonte ihre Figur. Einzig ihre Augen … Da stimmte was nicht. Er kam nicht gleich drauf. Sie waren dunkel, gaben wenig preis, erzählten nichts von ihrem Inneren. Er meinte, beim zweiten Hinsehen zu erkennen, dass das rechte Auge einen Tick nach unten hing. Ja, das war es. Nachlassende Elastizität oder angeboren? Es schmälerte indes ihre Attraktivität nicht, im Gegenteil. Es verlieh dem Gesicht das gewisse Etwas und verwandelte die ansonsten perfekt erscheinende Frau in einen normalen Menschen.
„Darf ich Ihnen noch einige persönliche Fragen stellen, off the record?“, fragte Anna Frieder und lächelte ihn an. „Ich verspreche, Ihre Antworten nicht für meinen Text zu verwenden.“
Brick hob die Augenbrauen. „Sie interessieren sich für mich?“
„Sagen wir es so: Ich würde gerne mehr darüber erfahren, wie es dem berühmten Benjamin Brick geht, der ein Topjournalist sein könnte, es aber vergeigt hat, weil er leider nur alle Schaltjahre eine Weltklassereportage abliefert. Im Umgang mit anderen jedoch für zahlreiche Aussetzer bekannt ist.“
Brick staunte. „Aha! Sie machen nicht nur Ihre Hausaufgaben, Sie machen sich auch Sorgen. Um mich!“
„Seit dem Buch über die Starlight-Recherche habe ich leider keine Zeile von Ihnen gelesen.“
„Brauchen Sie nicht. Oder sehe ich so schlimm aus?“
„Aber auch nicht gut.“ Sie zwinkerte ihm zu.
„Danke für das Kompliment.“ Er strich sich übers Gesicht und die kurzen Haare, die inzwischen auf knapp einen Zentimeter nachgewachsen waren. Er hatte sich während der Flucht vor Tomovics Leuten eine Glatze geschoren, damit ihn niemand mehr erkennen konnte. Seine Haare waren nun dünner als vor der Totalrasur und abgenommen hatte er auch. Kein Tropfen Alkohol seit Monaten.
„War nicht so gemeint.“
„In den letzten Jahren habe ich nicht sonderlich auf mich und meinen Körper geachtet. Da haben Sie recht.“
„Ich würde es Raubbau nennen.“
Er schaute sie eine Weile an, als überlege er, ob er ihr mehr anvertrauen konnte. „Wissen Sie, ich habe so ein Echo in mir. Es klopft an meine inneren Gehirnwände und fängt an zu erzählen. Von den üblen Zeiten, als ein Absturz dem nächsten folgte. Es ist wie ein Stoppschild und sagt mir: bis hierhin und nicht weiter!“
Anna schien verblüfft. „Ihr Echo?“
„Die Schatten meiner Vergangenheit, die Sünden, die Gefühle, so oft den Abgrund gesehen zu haben.“
„Hmmm, verstehe. Ich würde es Ihre innere Stimme nennen, die Sie ermahnt.“
„Ich habe jahrelang nicht am Leben gehangen. Seit ich weiß, dass ich eine Tochter habe, hat sich meine Perspektive geändert. Auch wenn sie in Hamburg lebt, ist sie immer bei mir.“ Er klopfte sich aufs Herz.
„Ich kann Sie beruhigen. Sie machen einen passablen Eindruck für Ihre 52 Jahre.“
„Passabel, soso. Rote Nase, unterlaufene Augen, wenig Schlaf, viele Falten, mein Puls holpert. Hab ich was vergessen?“
„Sind Sie eigentlich immer so negativ?“
„Hängt womöglich mit meiner Grundstimmung zusammen. Ich war vor dem Starlight-Fall schon kaputt, aber die Sache hat mich weiter zerstört.“
Sie beugte sich vor, legte ihre Hand sanft auf seine. „Erzählen Sie! Erzählen Sie mir bitte mehr! Es interessiert mich brennend.“ Da nichts kam, versuchte sie, ihm auf die Sprünge zu helfen. „Kein bisschen stolz? Könnten Sie aber sein. Sie haben ein skrupelloses Netzwerk ausgehoben.“ Sie streifte ihn mit einem Blick, der eher nicht zwischen Interviewerin und Interviewtem ausgetauscht wurde. Er erkannte Anteilnahme darin. Es lag etwas in der Luft. Sympathie.
Er erwiderte ihren Blick, zog gleichzeitig seine Hand zurück. Sie waren sich einen Moment lang nähergekommen, zu nah für Brick. Da kam eine Art Verständnis auf, da war ein Gefühl, das behagte ihm nicht. Es irritierte ihn. Flirtete sie? Nein. Das konnte nicht sein. Anna Frieder war eine andere Liga. Er irrte sich.
„Wann fangen Sie wieder mit dem Schreiben an?“ Das hörte sich pragmatisch an. Der Zauber war weg. Er hatte sich alles nur eingebildet.
„Ich? Keine Ahnung. Vielleicht nie mehr. Aber ich laufe jetzt regelmäßig, unten am Main.“
Frau Frieder schaute auf. „Ein Anfang. Freut mich. Ich könnte … Ich möchte etwas zu Ihrem Wohlbefinden beitragen, indem ich Ihnen ein … ein Angebot mache.“ Wieso stotterte sie plötzlich? Sah ihr nicht ähnlich.
„Ein Angebot?“ Brick hob eine Augenbraue.
„Steigen Sie bei uns als Redakteur ein.“
„Bei der Allgemeinen?“, platzte er heraus und musste grinsen. „Oh nein, bitte nicht! Ich nehme keinen Job mehr an. Diese Zeiten sind vorbei. Hab was auf der hohen Kante. Der Vorschuss und die Tantiemen für das Buch sind recht üppig ausgefallen. Sie werden mich über die nächsten Jahre bringen.“
„Es steht seit zehn Wochen auf der Bestsellerliste.“
„Hätte ich nicht erwartet.“
„Sagen Sie, warum hat Katharina Neubert nicht mitgeschrieben am Buch? Immerhin war sie stark involviert in die Aufdeckung des Starlight-Netzwerks. Die Zeitungsreportage haben sie ja auch als Team verfasst.“
„Ich hätte das Buch liebend gern mit ihr zusammen geschrieben, glauben Sie mir.“ Er schwieg einen Moment und schaute die Chefredakteurin eindringlich an. „Aber sie hat mir einen Korb gegeben. Wollte ums Verplatzen nicht mitschreiben. Ruhm und Rampenlicht, hat sie gesagt, seien nicht ihr Ding. Außerdem sei sie ständig auf der Suche nach Neuem, da müsse sie sehr viel investieren und jede Sekunde reinhängen. Sie hätte keine Lust, sich abgeschlossenen Sachen zu widmen.“
„Wie selbstlos.“
„Meinen Sie das ironisch?“
„Niemals.“
Er war skeptisch. Ihrer Miene ließ sich nichts entnehmen. „Wenn Sie Kati kennen würden“, hängte er an, „wüssten Sie, dass ihr so was tatsächlich egal ist. Sie ist Idealistin. Sie schreibt investigative Reportagen und kaut nicht Altes neu durch.“
„Und warum haben SIE das Buch geschrieben? Vom Geld mal abgesehen.“
„Gute Frage. Darüber habe ich lange nachgedacht. Die Kohle hat eine gewisse Rolle gespielt, das gebe ich zu. Wenn du jahrelang von Artikel zu Artikel lebst, macht das auf Dauer keinen Spaß. Aber, was rede ich! Sie kennen die Situation im Journalismus. Wie soll ich es ausdrücken? Es war etwas anderes, etwas … Magisches.“
„Oh! Das hatte ich am wenigsten erwartet. Wie meinen Sie das?“
„Der Laptop hat mich angezogen, hat mich nicht mehr losgelassen....