E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Fitzgerald Schenk mir den Walzer
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-311-70318-1
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-311-70318-1
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zelda Fitzgerald, geboren 1900 in Montgomery, Alabama, heiratete 1920 F. Scott Fitzgerald und zog mit ihm nach New York. 1921 bekam das Paar eine Tochter. Die Familie machte viele Reisen, u.a. nach Paris, London und an die Riviera. Zelda inspirierte F. Scott zu vielen seiner Figuren. Wegen der Prohibition und der niedrigeren Lebenshaltungskosten wohnten die Fitzgeralds in den zwanziger Jahren für längere Zeit in Frankreich. Nahezu sämtliche Einnahmen, die F. Scott durch sein Schreiben verdiente, fielen ihrem ausschweifenden Lebenswandel zum Opfer. Die Ehe geriet endgültig aus dem Gleichgewicht, als F. Scott versuchte, Zeldas Karriere als Tänzerin, Schriftstellerin und Malerin zu verhindern - aus Sorge, sie könne ihn verlassen, wenn sie finanziell nicht mehr von ihm abhängig sei. Mit dreißig erlitt sie einen ersten Zusammenbruch und wurde in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Den Rest ihres Lebens verbrachte Zelda in psychiatrischen Kliniken. 1948, acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes, starb sie bei einem Brand im Highland Mental Hospital in Asheville, North Carolina.
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Tumult im Inneren
Vorwort von Sheila Heti
Nachdem ich das Vorwort zu [1] geschrieben hatte, schlug ich das Buch noch einmal auf, um mir die Sätze zu notieren, die ich unterstrichen hatte, und dabei wurde mir plötzlich klar, dass die Handlung von nahezu identisch ist mit der Handlung meines soeben abgeschlossenen Romans. Erst an diesem Vormittag hatte ich die letzten Korrekturen abgeschickt.
Nun … die Handlung ist nicht identisch mit der letzten Fassung meines Buchs, sondern mit dem ersten Entwurf, den ich schon mehrere Jahre zuvor geschrieben hatte.
Ich glaube nicht, dass ich an dieser narzisstischen Störung leide, die einen beim Schreiben eines Romans befallen kann: Plötzlich sieht jedes Buch wie das eigene aus, alles Mögliche in der Welt sieht wie das eigene Buch aus. Die zwei Handlungsverläufe waren tatsächlich gleich, und ich begann mich zu fragen, wie viele Menschen – außer Zelda Fitzgerald und mir – diese Geschichte noch niedergeschrieben oder erlebt haben?
Besagte Geschichte dreht sich um eine junge Frau, die auf der Suche nach Abenteuern in die Welt hinauszieht. Sie weiß noch nicht, worin diese Abenteuer bestehen werden, aber sie ist sicher, dass sie ihr das liefern werden, was sie sich vom Leben erwartet – was auch immer das sein wird. Die Abenteuer entpuppen sich in erster Linie als romantische Verstrickungen. Dann liegt der Vater der Frau im Sterben, und sie kehrt heim, um während seiner letzten Tage bei ihm zu sein. Hier erkennt sie, dass die ersehnten Abenteuer fadenscheinig und unbedeutend sind, vor allem angesichts der erhabenen Erfahrung, ihren Vater beim Sterben zu begleiten.
Diese letzten Tage an seiner Seite bringen ihr die Weisheit, die sie bei ihren Abenteuern nicht gefunden hat. Vielleicht war es ja tatsächlich »Weisheit«, nach der sie gesucht hat, draußen in der Welt. »Draußen in der Welt« fand sie lediglich unzuverlässige Männer, die sie nicht so sehr lieben konnten wie ihr Vater und die auch sie nicht so uneingeschränkt zu lieben vermochte; Männer, bei denen sie doch nie ihr wahres Ich zeigte.
In sagt die Hauptfigur Alabama zu einem jungen Engländer, mit dem sie flirtet: »Ich bin nur dann wirklich ich selbst, wenn ich eine andere bin, die ich mit den wunderbarsten Eigenschaften meiner Phantasie ausgestattet habe.« Das soll fröhlich und kokett klingen, ist in Wahrheit aber unglaublich deprimierend. »Wirklich sie selbst« ist sie erst, als sie zu ihrem Vater nach Hause zurückkehrt.
Ich weiß nicht, was die Moral dieser Geschichte ist: Natürlich muss man auf Abenteuerreise gehen. Man kann sich nicht auf ewig in der Liebe seines Vaters suhlen. Aber diese Geschichte enthält eine Art emotionale Wahrheit – oder hatte sie zumindest während des Schreibens. Vielleicht führt bei vielen jungen, abenteuerlustigen Frauen der Tod des Vaters – wenn sie denn einen guten Vater hatten – zu der Erkenntnis, dass das, was man draußen in der Welt sucht, nur ein Trugbild dessen ist, was man unbewusst begehrt: die echte Liebe, die man zurückgelassen hat.
Ich behaupte nicht, dies sei eine edle Geschichte – und sicherlich keine feministische. Ich glaube nicht, dass man aus jeder Geschichte etwas lernen kann. Letzten Endes ist es aber das, was Zelda Fitzgerald geschrieben hat – und auch ich.
besteht aus vier Teilen, wodurch es sich nicht nur formal von einem Buch mit drei oder fünf Teilen unterscheidet. Drei Teile legen nahe, dass es einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende gibt. Hat ein Buch mit vier Teilen demnach zwei Mittelteile? Oder zwei Anfänge? Zwei Enden? Ich glaube, hat zwei Mittelteile.
Wenn ein Buch mit fünf Teilen das Theater und die Form der Tragödie nahelegt, dann ist ein Buch mit vier Teilen eine Tragödie, bei der ein Akt fehlt – vielleicht der Aspekt, dass die Hauptfigur die Tragödie nie wirklich überwindet, denn die Tragödie ist ein Teil ihrer Persönlichkeit, die nicht überwunden werden kann. jedoch ist hoffnungsvoller. Am Ende des Buches scheint es, als hätte Alabama die beiden tragischen Mittelteile wirklich hinter sich gelassen. Was zu ihrer Tragödie hätte werden können – der fatale Mangel an Persönlichkeit, weil sie sich für Struktur und Bedeutung in jungen Jahren immer auf den Charakter des Vaters verlassen hatte – verwandelt sich in etwas anderes; ein Teil des väterlichen Wesens scheint in seinen letzten Tagen auf seine Tochter übergegangen zu sein.
Vier ist eine Zahl der Stabilität: Ein Tisch hat vier Beine. Und trotz der ungewöhnlichen Stimmung und der oft zersetzenden Grammatik schließt man das Buch seltsamerweise mit dem Gefühl von vier Stützen in der Brust: Als hätte man gerade etwas Solides, Wohlgeordnetes, Logisches miterlebt.
Wenn der Geist der Tochter Alabama – wild, leidenschaftlich und frei – jeden einzelnen kunstvollen Satz prägt, dann ist es der Geist von Alabamas Vater, Richter Beggs, der die Gesamtstruktur und Form des Buches definiert. Anhand der Struktur versucht man das moralische Ziel des Autors zu verstehen, wogegen die einzelnen Sätze die animalische Essenz erfahrbar machen. Fügt man diese Beobachtungen zusammen, bekommt man einen Eindruck von der Seele des Künstlers.
Das ist kein Buch, bei dem das »Jazz Age« oder die »Flapper« idealisiert werden. Es verurteilt diese ganze Welt und jeden ihrer Protagonisten. Zelda Fitzgerald schreibt über diese Jahre: »Die Nachkriegs-Verschwendungssucht, die David und Alabama und weitere sechzigtausend Amerikaner in einer Art Hasenjagd ohne Hunde quer durch Europas Lande hetzte, erreichte ihren Höhepunkt« und fiel zusammen mit der »demoralisierenden Ungewissheit, für sein Geld bald nichts mehr zu bekommen«.
In Teil I erleben wir Alabama zu Hause während ihrer Kindheit. In Teil II führt sie ein dekadentes Leben im Ausland, und am Ende ist sie dieses verschwenderischen Lebens und all der Menschen darin müde. Noch während der Überfahrt auf dem Atlantik sagt sie zu ihrem Mann David: »Ich habe auf dem ganzen Schiff keinen Menschen getroffen, von dem ich hätte sagen können, um den wär’s schade gewesen.«
In Teil III wendet sich Alabama dem Ballett zu, in dem Versuch, sich der Oberflächlichkeit und Nutzlosigkeit des Lebens, das sie und David gewählt haben, zu entziehen.
Was bringt einen Menschen zur Kunst? Oft ist es das Bedürfnis, die eigene überwältigende, chaotische und kaleidoskopische Energie zu bündeln; den Tumult im Inneren nach außen zu tragen und zu ordnen; daraus objektive Schönheit zu erschaffen. Alabama versucht dies durch den Tanz – obwohl sie zu »alt« ist, um noch eine richtige Balletttänzerin zu werden. Dennoch muss sie etwas tun. In der Welt, zu der sie durch Davids Talent als Maler Zugang hat, »fühlte [sie] sich durch ihren Mangel an gesellschaftlicher Gewandtheit ausgeschlossen«. Doch obwohl das körperliche Training zur Obsession wird, kann sie keine tiefere Überzeugung aufbauen. Als David sie fragt, ob er ihr beim Üben zusehen darf, sagt sie Nein. »Du würdest nur feststellen, dass ich immer Sachen machen muss, die ich nicht kann, und du würdest mich entmutigen.« Sie glaubt nicht stark genug an ihr Ziel, um Davids kritischem Blick standzuhalten, und tatsächlich warnt er sie: »Du weißt doch hoffentlich, dass es in der Kunst einen himmelweiten Unterschied gibt zwischen einem Dilettanten und einem Profi?«
Vielleicht liegt der Grund für ihr Scheitern als Künstlerin in dem, was sie ursprünglich angetrieben hat. Als Alabama David zum ersten Mal davon erzählt, tanzen zu wollen, tut sie es folgendermaßen (und führt dabei den Namen seiner Geliebten an, auf die sie zu Recht eifersüchtig ist): »Ich werde eine so berühmte Tänzerin, wie es blaue Adern auf dem weißen Marmorbusen von Miss Gibbs gibt.«
Auf einem Sockel aus Tücke und dem Wunsch, im Rampenlicht zu stehen, kann man keine Kunst erschaffen. Künstlerin will sie unter anderem auch werden, weil sie das Gefühl hat, »dass sie der Welt nichts zu geben habe«. Aber für gewöhnlich wendet man sich der Kunst unter der ehrgeizigen Prämisse zu, dass das Gegenteil der Fall ist!
Würde sie sich allerdings nicht mit dem Tanz ablenken, müsste sie sich den Pflichten eines Daseins als Mutter und Ehefrau stellen – was sie langweilt. Vielleicht findet sich die eindrücklichste Beschreibung dessen, was sie in den beiden Mittelteilen vorhat, in diesem Absatz:
»Die makabren Leute, die den Krieg mitgemacht hatten, erzählten mit Vorliebe eine Anekdote über die Soldaten der Fremdenlegion, die in der Umgebung von Verdun einen Ball veranstalteten, auf dem sie mit Leichen tanzten. Nicht minder makaber war Alabamas ständiges Zusammenbrauen eines Gifttrunks für ihr Unbewusstes und ihr Beharren auf Magie und Glimmer des Lebens, dessen Puls sie nur mehr als Pochen eines amputierten Beines spürte.«
Weil ihre Motivation für das Tanzen von Anfang an die falsche war, verliert die ganze Welt des Balletts unweigerlich schon bald ihren Glanz. Sie sieht darin ihr eigenes Leben gespiegelt: »Stella mit ihren Fehlern und Arienne mit ihren Finten, das Buhlen um Gunst, das Gezänk um die vorderste Reihe, all das erschien ihr im trüben, durch das Glasdach fallende Sonnenlicht wie das Kriechen und Drängeln wimmelnder Insekten, die man durch eine Glasglocke betrachtet. ›Larvae!‹, sagte die...