Freilinger / Hoffmann | Kopfschmerzen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 318 Seiten

Freilinger / Hoffmann Kopfschmerzen

Interdisziplinäre Fallbeispiele aus der Klinik
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-033457-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Interdisziplinäre Fallbeispiele aus der Klinik

E-Book, Deutsch, 318 Seiten

ISBN: 978-3-17-033457-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kopfschmerzen zählen zu den führenden Leitsymptomen in der Medizin und spielen folglich nicht nur in der Neurologie, sondern auch in zahlreichen anderen klinischen Fächern wie etwa der Allgemeinmedizin, der HNO- und Augenheilkunde sowie der Zahnmedizin eine wichtige Rolle. Bei der Diagnosestellung wie auch bei der erfolgreichen Behandlung von Kopfschmerz-Syndromen ist regelhaft ein interdisziplinärer bzw. interprofessioneller Ansatz geboten. Der vorliegende Band stellt den aktuellen Wissensstand der modernen Kopfschmerzmedizin aus dieser fachübergreifenden Perspektive heraus dar. Thematisch ist das gesamte Spektrum der Kopf- und Gesichtsschmerzen abgebildet, beginnend bei den klassischen primären Kopfschmerzerkrankungen wie der Migräne über Gesichtsschmerzen bis hin zu den symptomatischen Kopfschmerzen. Daneben werden auch übergeordnete Themen wie z.B. nicht-medikamentöse Behandlungsansätze, neurostimulative Techniken oder auch die Rolle der Genetik behandelt. Zahlreiche Fallbeispiele veranschaulichen jeweils den Praxisbezug.

Prof. Dr. med. Tobias Freilinger ist Chefarzt für Neurologie am Klinikum Passau. Prof. Dr. med. Jan Hoffmann ist Honorarprofessor am Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience, King's College London, Vereinigtes Königreich, und Senior Director, Migraine and Pain, Research and Development bei H. Lundbeck in Kopenhagen, Dänemark. Mit Beiträgen von: Tobias Freilinger, Jan Hoffmann, Calvin Chan, Hans Christoph Diener, Jens Dreier, Thomas Dresler, Stefan Evers, Charly Gaul, Peter J. Goadsby, Anna-Lena Guth, Lucia Hämmerl, Fabian Hüttig, Tim Jürgens, Theresa Klonowski, Torsten Kraya, Tara Renton, Florian Rimmele, Ruth Ruscheweyh, Victoria Ruschil, Benjamin Schäfer, Christoph J. Schankin, Andreas Straube, Fréderic Van de Cruyssen und Andreas Zwergal.
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Weitere Infos & Material


1 Therapie der akuten Migräneattacke


Hans Christoph Diener

Fallbeispiel

Die 30-jährige Patientin sucht wegen ihrer Migräne die Praxis einer Neurologin auf. Sie berichtet, dass sie seit der Pubertät unter Migräneattacken leidet. Diese gehen üblicherweise mit halbseitigen pulsierenden und pochenden Kopfschmerzen einher, die sich bei körperlicher Betätigung verstärken. Während der Attacken bestehen Übelkeit, Licht-, Lärm- und Geruchsüberempfindlichkeit. In seltenen Fällen kommt es zu Beginn der Attacke auch zum Erbrechen. Die Attacken dauern zwischen einem Tag und in seltenen Fällen drei Tage an.

Die Patientin berichtet, dass sie von Beruf Busfahrerin im öffentlichen Nahverkehr ist. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familienanamnese ist bzgl. einer Migräne positiv, die Mutter und die Großmutter litten ebenfalls unter Migräne. Die Patientin hat seit der Pubertät die Migräneattacken meist erfolgreich mit Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen behandelt, in letzter Zeit sind diese Analgetika aber nicht mehr ausreichend wirksam. Sie wünscht daher eine Beratung bzgl. einer wirksameren medikamentösen Therapie der akuten Migräneattacken.

Die Neurologin empfiehlt zur Behandlung der Migräneattacken ein Triptan, in diesem Fall 100 mg Sumatriptan. Die Einnahme sollte möglichst früh zu Beginn einer Attacke erfolgen und nicht erst, wenn die Kopfschmerzen ihren Höhepunkt erreicht haben. Sollte es bei einer längerdauernden Migräneattacke zum Wiederauftreten der Migränesymptomatik nach 12 bis 24 Stunden kommen, kann eine weitere Dosis von Sumatriptan eingenommen werden.

Die Patientin kommt nach sechs Monaten erneut in die neurologische Praxis. Sie berichtet, dass sie bei den meisten Attacken mit 100 mg Sumatriptan gut zurechtkommt. Gelegentlich treten aber schwere Attacken auf, während Sie beim Busfahren ist. In diesem Fall ist ein Wirkungseintritt nach 45 bis 60 Minuten, wie bei oralem Sumatriptan üblich, nicht ausreichend. Die Neurologin empfiehlt ihr für diese Attacken die subkutane Gabe von 6 mg Sumatriptan mit dem Autoinjektor.

Die Patientin kommt nach weiteren drei Monaten erneut in die Praxis. Sie hat zwei schwere Attacken erfolgreich mit Sumatriptan subkutan behandelt. Die Migränesymptomatik war innerhalb von 10 Minuten deutlich rückläufig. Sie hat jetzt im Internet über ein neues Medikament namens Lasmiditan erfahren und möchte gerne mehr darüber wissen. Die Neurologin erklärt ihr, dass es sich hier um einen neuen Therapieansatz handelt. Lasmiditan kommt aber für sie in ihrem Beruf als Busfahrerin nicht in Betracht, da man 8 Stunden nach der Einnahme von Lasmiditan kein Kraftfahrzeug führen darf.

1.1 Diagnostik


IHSDie Diagnose der Migräne stützt sich auf die Anamneseerhebung und den unauffälligen neurologischen und internistischen Befund (IHS – Headache Classification Committee of the International Headache Society 2018).

Hilfreich ist, wenn in der Familie bereits eine Migräne bekannt ist. BildgebungEine zerebrale Bildgebung ist nur dann notwendig, wenn die klinischen Symptome sehr ungewöhnlich sind oder wenn sich der Charakter der Kopfschmerzen während der Migräneattacken im Lauf der Zeit verändert hat. Eine Bildgebung ist auch dann erforderlich, wenn eine Begleiterkrankung vorliegt mit der Möglichkeit eines sekundären Kopfschmerzes wie beispielsweise einer Suppression des Immunsystems oder einer malignen Erkrankung in der Vorgeschichte.

DifferenzialdiagnoseManchmal ist es schwierig einen Kopfschmerz vom Spannungstyp von einer Migräne zu unterscheiden. Das am besten differenzierende Symptom ist die Tatsache, dass bei der Migräne die Kopfschmerzen bei körperlicher Belastung zunehmen.

1.2 Therapie


1.2.1 Gespräch mit den Patienten


PatientenaufklärungPatienten müssen zunächst darüber aufgeklärt werden, dass die Migräne eine zwar sehr unangenehme und belastende Erkrankung ist, in den meisten Fällen aber keine Gefahr ernsthafter Folgen besteht. Patienten sollten zumindest in groben Zügen die Pathophysiologie der Migräne verstanden haben. Es ist wichtig, auf den Einfluss der Lebensführung auf die Häufigkeit und Schwere von Migräneattacken aufmerksam zu machen. Patienten müssen darüber hinaus wissen, dass eine ganze Reihe von Komorbiditäten wie beispielsweise Depressionen und Angsterkrankungen oder chronische Rückenschmerzen die Migräne verschlechtern können. In den meisten Fällen ist keine apparative Diagnostik notwendig. Dies müssen Patienten verstehen können. Dann erfolgt eine Aufklärung über die Möglichkeiten einer medikamentösen Therapie der akuten Migräneattacke. Die Auswahl des Medikaments richtet sich nach der Intensität der Migränesymptome, den Begleitsymptomen (z.?B. frühes Erbrechen) sowie der Dauer der Migräneattacken. Bei häufigen Migräneattacken oder einer zunehmenden Attackenfrequenz müssen die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass hier die Indikation für eine nichtmedikamentöse und medikamentöse Migränetherapie besteht.

1.2.2 Auswahl des ersten Medikaments


Leichte oder mittelschwere Migräneattacken werden mit Analgetika, Acetylsalicylsäure oder nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt. Bei mittelschweren und schweren Attacken und wenn Analgetika nicht wirksam sind, kommen Triptane zum Einsatz. Wenn Triptane nicht ausreichend wirksam sind, können sie mit lysinierten löslichen nichtsteroidalen Antirheumatika kombiniert werden.

  • Analgetika oder nichtsteroidale AntirheumatikaDie folgenden Medikamente sind bei der Behandlung akuter Migräneattacken wirksam: Acetylsalicylsäure, Naproxen, Diclofenac, Ibuprofen, Paracetamol und Metamizol.

  • Paracetamol hat die geringste Wirksamkeit.

  • Schnell lösliche Formen von Analgetika wie lysinierte Präparate werden rascher resorbiert.

  • Die Kombination von Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Koffein ist etwas wirksamer als die Einzelsubstanzen oder die Zweierkombination (Diener et al. 2005).

  • Die intravenöse Gabe von Paracetamol in der Notaufnahme ist nicht besser wirksam als die Gabe von Placebo (Leinisch et al. 2005).

  • Die intravenöse Gabe von 1.000 mg Acetylsalicylsäure ist gut wirksam und in ihrer Wirksamkeit vergleichbar mit subkutanem Sumatriptan (Diener 1999). Allerdings bestehen Einschränkungen in der Verfügbarkeit von intravenöser Acetylsalicylsäure (Bayer 2023).

? Tab. 1.1 zeigt die Analgetika und nichtsteroidale Antirheumatika zur Therapie akuter Migräneattacken.

Tab. 1.1:Analgetika zur Therapie akuter Migräneattacken (nach Diener 2023, S. 24)

Substanzen

Dosis

Nebenwirkungen

Kontraindikationen

Acetylsalicylsäure (ASS)

1.000 mg

Magenschmerzen, Übelkeit, Gerinnungsstörungen, Tinnitus, Analgetika-Asthma, Hautallergie

Magen-Darm-Ulzera, hämorrhagische Diathese, Schwangerschaft Monat 6?–?9, Asthma, Kinder mit Fieber

ASS-Lysinat
(Aspirin i.?v.)

1.000 mg i.?v.

Ibuprofen

400?–?600 mg

wie ASS, Ödeme

wie ASS (Blutungsneigung geringer), Niereninsuffizienz, Lupus erythematodes

Naproxen

500?–?1.000 mg

wie Ibuprofen

wie Ibuprofen, Porphyrie

Diclofenac-K

50?–?10 mg

wie Ibuprofen

wie Ibuprofen, Jugendliche unter 15 Jahren

Metamizol

1.000 mg

allergische Reaktion, Blutbildveränderungen, Nierenfunktionsstörungen

Erkrankungen des hämatopoetischen Systems

Paracetamol

1.000 mg

Leberschäden, allergische Reaktionen

Leberschäden, Niereninsuffizienz, Schwangerschaft

ASS + Paracetamol + Koffein

2?×?250?+?200?+ 50 mg

siehe ASS und Paracetamol

siehe ASS und Paracetamol

  • TriptaneTriptane sind spezifische Migränemittel, die beim...


Prof. Dr. med. Tobias Freilinger ist Chefarzt für Neurologie am Klinikum Passau.
Prof. Dr. med. Jan Hoffmann ist Honorarprofessor am Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience, King's College London, Vereinigtes Königreich, und Senior Director, Migraine and Pain, Research and Development bei H. Lundbeck in Kopenhagen, Dänemark.

Mit Beiträgen von:
Tobias Freilinger, Jan Hoffmann, Calvin Chan, Hans Christoph Diener, Jens Dreier, Thomas Dresler, Stefan Evers, Charly Gaul, Peter J. Goadsby, Anna-Lena Guth, Lucia Hämmerl, Fabian Hüttig, Tim Jürgens, Theresa Klonowski, Torsten Kraya, Tara Renton, Florian Rimmele, Ruth Ruscheweyh, Victoria Ruschil, Benjamin Schäfer, Christoph J. Schankin, Andreas Straube, Fréderic Van de Cruyssen und Andreas Zwergal.



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