E-Book, Deutsch, 350 Seiten
Fuhrer Erziehungskompetenz
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-456-94370-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Was Eltern und Familien stark macht
E-Book, Deutsch, 350 Seiten
ISBN: 978-3-456-94370-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Wie kann gute Erziehung heute aussehen? Was brauchen Kinder wirklich? Die wichtigste Botschaft dieses Buches ist: Bedingungslose Liebe schenken, Grenzen setzen und Selbstvertrauen fördern – das sind die Eckpfeiler einer entwicklungsförderlichen Erziehung. Müttern und Vätern wird erläutert, was es bedeutet, in Familien, speziell auch in Scheidungs-, Stief- und Patchworkfamilien zu leben, und was dabei in der Erziehung wichtig ist. Ebenso wird deutlich, dass Kinder andere Kinder brauchen und dass die Erfahrungen mit der Schule, die neuen Medien (Fernseher, Video, Computer, Handy) sowie Werbung und Konsum das Kinderleben stark beeinflussen. Dabei kann Erziehung auch schief gehen, wenn Kinder verwöhnt, misshandelt, mit Gewalt gezüchtigt oder gar vernachlässigt werden. Deswegen sollten Eltern wissen, wie sie an sich selbst Erziehungsfehler erkennen und was sie dagegen tun können. Urs Fuhrer ist seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie I der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften. Er hat 2005 beim Verlag Hans Huber das 'Lehrbuch Erziehungspsychologie' publiziert. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte bewegen sich im Schnittfeld von Entwicklungs-, Erziehungs- und Familienpsychologie.
Zielgruppe
Eltern, Lehrer, Erzieher, Psychologen, Soziologen, Pädagogen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;10
3;Die Kunst guter Erziehung: eine Einfu?hrung;12
4;1. Kapitel: Eltern mit Kindern in unserer Leistungsgesellschaft;20
4.1;Gesellschaftliche Widerspru?che und verunsicherte Eltern;21
4.2;Was Kindern heute Stress bereitet;26
4.3;Was Kinder glu?cklich macht, was sie schu?tzt und stärkt;32
4.4;Kinder fordern ihre Eltern heraus;37
4.5;Elterliche Erziehung ist wichtig – nicht nur die Gene;41
4.6;Zusammenfassung;44
4.7;Buchtipps;45
5;2. Kapitel: Familienbeziehungen;46
5.1;Familie als intimes Beziehungssystem u?ber Generationen;47
5.2;Die Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern;50
5.3;Eltern mit Geschwister- und Stiefgeschwisterkindern;54
5.4;Die Elternbeziehung;60
5.5;Großeltern, Eltern und Enkelkinder;62
5.6;Zusammenfassung;66
5.7;Buchtipps;67
6;3. Kapitel: Familie im Wandel;68
6.1;Prekäre Bedingungen in heutigen Familien;69
6.2;Scheidung und Elternverantwortung fu?r das Kindeswohl;74
6.3;Alleinerziehende Eltern, Stief- und Patchworkfamilien;85
6.4;Mu?tterliche Erwerbstätigkeit als Gewinnfu?r Kinder und Mu?tter;93
6.5;Vorschulkinder in Kinderkrippen;100
6.6;Zusammenfassung;103
6.7;Buchtipps;104
7;4. Kapitel: Was Kinder von ihren Eltern wirklich brauchen;106
7.1;Geborgenheit und beständige Liebe;107
7.2;Körperliche Unversehrtheit und Sicherheit;111
7.3;Individuelle und entwicklungsgerechte Erfahrungen;114
7.4;Grenzen und Strukturen;117
7.5;Bindungssicherheit;119
7.6;Zusammenfassung;130
7.7;Buchtipps;130
8;5. Kapitel: Was gute Erziehung ausmacht;132
8.1;Autoritative Erziehung;133
8.2;Kindern Liebe und Wertschätzung geben;140
8.3;Kindern Grenzen setzen;145
8.4;Kinder nicht u?berwachen, aber informiert sein;149
8.5;Kinder im Streben nach Autonomie unterstu?tzen;150
8.6;Zusammenfassung;158
8.7;Buchtipps;159
9;6. Kapitel: Erziehungsfehler: Ursachen, Folgen und Auswege;160
9.1;Überbehu?tung und Verwöhnung;160
9.2;Vernachlässigung;164
9.3;Körperliche und psychische Misshandlung;167
9.4;Bestrafung und gerechte Strafen;174
9.5;Gewaltfreie Erziehung;177
9.6;Zusammenfassung;183
9.7;Buchtipps;185
10;7. Kapitel: Kinder brauchen Kinder;186
10.1;Gleichaltrige und Freunde in der Kindheit;187
10.2;Das Verhältnis der Eltern zu den Freunden ihrer Kinder;193
10.3;Eltern mit jugendlichen Kindern: Loslassen und Haltgeben;196
10.4;Wie Gleichaltrige die Entwicklung Jugendlicher fördern;201
10.5;Stören oder fördern sich die Beziehungen zu Eltern und Freunden?;207
10.6;Zusammenfassung;211
10.7;Buchtipps;212
11;8. Kapitel: Medien in Kinderhand und Kinder als Konsumenten;214
11.1;Fernsehen: Der (un)heimliche Erzieher in der Familie;214
11.2;Fernsehen und Computerspiele – der Weg zur Gewalt?;219
11.3;Kinder und Jugendliche surfen im Internet;226
11.4;Handys in Kinderhand;232
11.5;Kinder sollen Taschengeld bekommen – denn Sparen will gelernt sein;239
11.6;Zusammenfassung;245
11.7;Buchtipps;246
12;9. Kapitel: Eltern und Lehrer: Kooperation statt Konfrontation;248
12.1;Familie und Schule im Zusammenhang;248
12.2;Schule belastet Eltern und Kinder;254
12.3;Wie Eltern die Schulleistung ihrer Kinder beeinflussen;259
12.4;Wie Schule und Elternhaus kooperieren können;262
12.5;Zusammenfassung;269
12.6;Buchtipps;270
13;10. Kapitel: Integrative Elternbildung;272
13.1;Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung stärken;273
13.2;Wissen, was Kinder brauchen;277
13.3;Eltern und Familien stärken;279
13.4;Elternkurse und Online-Elterntraining;287
13.5;Familienzentren und lokale Präventionsnetzwerke;295
13.6;Zusammenfassung;299
13.7;Buchtipps;300
14;Adressen im Internet: Wo Eltern Rat und Unterstu?tzung finden;302
15;Literatur;322
16;Autoren;340
17;Sachwortregister;346
1. Kapitel Eltern mit Kindern in unserer Leistungsgesellschaft
Eltern sind in Erziehungsfragen tief greifend verunsichert und mit ihren Kindern häufig überfordert. In der Folge nehmen die Probleme der Kinder zu: Kinder können kaum zuhören, vermögen es nicht mehr, fehlerfrei zu lesen und zu schreiben, wissen sich nicht mehr zu benehmen. Moderne Eltern wollen nicht autoritär sein, sie wollen auch nicht erziehen, wie sie von ihren eigenen Eltern erzogen worden sind. Elterliche Konflikte, Trennungen und Familienarmut tragen mit dazu bei, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr positiv zu erziehen vermögen. Solche Pressemeldungen sind kein Einzelfall. Fast tagtäglich ist zu lesen, dass Kinder aufgrund von Erziehungsunsicherheit und -resignation der Eltern kaum noch Grenzen kennen. Es wird von seelisch verwahrlosten Kleinkindern, verhaltensauffälligen und an Gesundheitsproblemen leidenden Grundschülern oder von gewaltbereiten Jugendlichen berichtet. Wer solche Nachrichten liest, gleichzeitig als Mutter oder Vater die Erfahrung macht, dass Klassenkameraden und Schulfreunde der eigenen Kinder kaum noch Grenzen kennen, wird sich früher oder später fragen: Warum läuft in der Erziehung so manches falsch? Was macht Eltern im Umgang mit den Kindern so unsicher? Warum fühlen sich viele Eltern in der Erziehung überfordert? Der Beantwortung dieser Fragen widmet sich das erste Kapitel.
Gesellschaftliche Widersprüche und verunsicherte Eltern
Wären alle Kinder gleich, wäre Erziehung nicht gerade ein Kinderspiel, aber doch sehr viel einfacher. Kinder sind jedoch sehr unterschiedlich – und ihre Eltern sind es auch. Eltern haben oft sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was Kinder brauchen. In der Folge fühlen sich viele Mütter und Väter im Spagat zwischen überholten Modellen von autoritärer und antiautoritärer Erziehung verunsichert. Überall grassiert die Angst vor falscher Erziehung. Allein schon wegen der negativen sprachlichen Assoziationen im Sinne von «ziehen» und «Zucht» wird Erziehung von vielen Eltern abgelehnt. So hat sich bei zahlreichen Konflikten des Alltags ein nervendes Herumverhandeln mit Kindern entwickelt: Fernsehen, Konsum von Süßigkeiten, Kleidungsfragen, Hausaufgaben, Ausgehund Schlafenszeiten unterliegen permanenter Verhandlungen. Dabei haben viele Eltern den Mut zur Erziehung verloren. In der Konsequenz wird Kindern kein verbindlicher Vergleichsmaßstab zur Orientierung mehr verfügbar gemacht. Eltern und Kinder machen auf kumpelhaft cool und Kinder lernen kaum noch Grenzen kennen. Bei einem Anteil von durchschnittlich bis zu 20 Prozent psychisch gestörter Kinder (Ihle & Esser, 2002) ist es verständlich, dass Eltern den vermeintlichen Experten mit der einfachen Lösung herbeisehnen.
Erziehung in der Vergangenheit. In früheren Zeiten war noch alles klar. Kinder hatten zu gehorchen, und zwar nach Regeln, wie sie Brauch und Recht waren. In den meisten Haushalten gab es den Struwelpeter und, als Mahnmal elterlicher Autorität, einen Klopfer aus Weidenruten. Die sprichwörtlichen «paar auf den Hintern» wurden kaum in Frage gestellt. Frühere Generationen verbrachten keine Zeit damit, sich über Sinn oder Unsinn des handfesten Strafens den Kopf zu zerbrechen. Vielmehr handelten sie aus einer gesellschaftlich akzeptierten Überzeugung, dass die gängigen Normen und Regeln ihre Richtigkeit haben. Zudem übten Lehrer in der Schule dieselben Erziehungspraktiken aus (auch wenn das nicht unbedingt die sinnvollsten waren) wie die Eltern zu Hause. Gleichzeitig hatte noch die Oma ein wichtiges Wörtchen bei der Erziehung der Enkel mitzureden. Ebenso gab die Cousine vielleicht mit ihren Kindern ein brauchbares Vorbild ab und die Schwiegermutter stand zur Verfügung, wenn Not am Mann war. Heute ist die Situation völlig anders.
Erziehung heute. Nichts ist in der Erziehung mehr selbstverständlich, und Eltern sind sich in ihrer Rolle nicht mehr sicher. Vom Teppichklopfer haben sie sich zwar weitgehend befreit, aber wie sie ihre Kinder «richtig» erziehen sollten, darüber herrscht Uneinigkeit. Streng? Liberal? Partnerschaftlich? Autoritär? Alles geht irgendwie, aber nichts funktioniert so richtig gut. Auch ziehen Elternhaus und Schule häufig nicht mehr an demselben Strang. Gleichzeitig sind auch zwischen Familien sehr unterschiedliche Erziehungshaltungen zu beobachten. So dürfen die Kinder bei Familie Meier bis spätabends noch fernsehen, wohingegen die von Familie Müller täglich nur eine halbe Stunde fernsehen dürfen. Gemeinsame Mahlzeiten sind bei Müllers Pflicht, die Kinder der Meiers dagegen bedienen sich selbst aus dem Kühlschrank, wenn sie Hunger haben. Auch verfügt bei Meiers die zehnjährige Tochter bereits über ihr eigenes Handy, während Müllers ihrem 16-jährigen Sohn den Handy-Besitz noch nicht erlauben. Derart müssen heutige Mütter und Väter vieles nach eigenem Gutdünken entscheiden. Jeder scheint seine eigenen Regeln zu machen, und es fehlt an gemeinschaftlich akzeptierten Orientierungshilfen. Deshalb scheint es für Eltern anstrengend, mit Kindern gut über die Runden zu kommen. Sie sollen als Erzieher zwar den Kurs angeben, haben aber keinen Kompass dazu. Das ist deshalb so, weil jeder versucht, sein eigenes Wertesystem zu definieren und seine persönlichen Erziehungspraktiken zu suchen – und das nutzen die Kinder sehr geschickt aus.
Kindheit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Eltern und Familien sehen sich heutzutage Lebensbedingungen gegenüber, die so komplex, widersprüchlich und in ihrer zukünftigen Entwicklung so schwer einschätzbar sind, dass sie kaum noch allein zu bewältigen sind. Diese Herausforderungen stehen in einem engen Zusammenhang mit vier Konzepten, die für Familien in der heutigen Gesellschaft typisch sind (vgl. Abb. 1.1 auf Seite 22):
?? Rascher gesellschaftlicher Wandel
?? Individualisierung
?? Pluralisierung
?? Enttraditionalisierung.




