Gelbrich / Müller | Interreligiöses Marketing | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 380 Seiten

Reihe: De Gruyter Studium

Gelbrich / Müller Interreligiöses Marketing

E-Book, Deutsch, 380 Seiten

Reihe: De Gruyter Studium

ISBN: 978-3-11-039826-7
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Religionen durchdringen alle Lebensbereiche, auch den Konsum. Die religionsvergleichende Konsumentenforschung zeigt, wie Konfession und Religiosität von Verbrauchern deren Konsumverhalten systematisch beeinflusst. So ist Buddhisten der Ruf einer Einkaufsstätte noch wichtiger als deren Preiswürdigkeit. Und in religiösen Familien treffen hauptsächlich Männer wichtige Kaufentscheidungen. Interreligiöses Marketing trägt derartigen Besonderheiten Rechnung.
Die Autoren schildern erstmalig, umfassend und verständlich den aktuellen Erkenntnisstand. Zunächst stellen sie die grundlegenden Begriffe und Denkansätze dieser fächerübergreifenden Disziplin vor und beschreiben sodann zentrale religionswissenschaftliche Konzepte (z.B. intrinsische Religiosität) und die Besonderheiten der Weltreligionen.
Es folgen sieben weitere Kapitel zum aktuellen Erkenntnisstand dieser im deutschsprachigen Raum noch weitgehend unbekannten Disziplin: Verhaltensgrundlagen, Strategisches Marketing sowie Produkt-, Dienstleistungs-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik.
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Teil A: Grundlagen des Interreligiösen Marketings
1 Einführung
Religionen beeinflussen nahezu alle Lebensbereiche einer Gesellschaft, auch den Konsum. Denn sie bestimmen das übergeordnete Wertesystem in vielerlei Hinsicht, aus welchem sich Tabus, soziale Normen, Kulturstandards und letztlich auch ökonomisch relevante Verhaltensweisen ableiten lassen (vgl. Fam et al. 2004, S. 552). For many people religion is about far more than a mere belief or opinion about God; it serves as the source of their morals and functions as a guide for the right course of action, including in the sphere of business and management (Richardson/Ariffin 2019, S. 279). Im Gegensatz zur Konfession, der formalen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, beschreibt Religiosität die individuelle Einstellung einer Person zu „ihrer“ Religion und ist damit konkreter und zumeist verhaltensrelevanter als die Konfession (vgl. Essoo/Dibb 2004; Delener 1990). Die Mehrzahl der empirischen Studien, über die wir im Folgenden berichten, nutzt deshalb das interindividuell unterschiedliche Ausmaß an Religiosität als unabhängige Variable, um die Varianz der abhängigen Variablen zu erklären – bspw. die Bereitschaft von Verbrauchern, religionsspezifische Speisegesetze zu befolgen oder die Akzeptanz sexualisierter Werbebotschaften. Interreligiöses Marketing (IRM) gibt Antwort auf die Frage, ob und in welcher Weise Unternehmen in den verschiedenen Ländermärkten ihre Marketingstrategie und Marketinginstrumente dem jeweiligen religiösen Umfeld anpassen sollten. 1.1 Ein vernachlässigtes Forschungsgebiet
Mehr als 80 % der Weltbevölkerung bekennen sich zu einem der zahlreichen Glaubensbekenntnisse bzw. religiösen Überzeugungen (vgl. Pew Research Forum 2017). Dennoch sucht man auch in neueren Marketing-Lehrbüchern die Stichworte „Religion“ und „Religiosität“ vergebens (z. B. Meffert et al. 2019; Esch et al. 2017). Erstaunlicherweise gehen selbst Vertreter des Internationalen Marketings lediglich am Rande darauf ein, dass sich im Verlauf von Internationalisierung und Globalisierung nicht nur die Interaktionen mit Angehörigen anderer Nationen und Kulturen vervielfachen, sondern es auch vermehrt zu Begegnungen mit Andersgläubigen kommt (z. B. Zentes et al. 2021; Berndt 2020). Am entschiedensten meldeten sich bislang Protagonisten eines Islamic Marketing zu Wort (z. B. Mamun et al. 2021; Floren et al. 2019; El-Bassiouny 2016). Allerdings sind viele dieser Publikationen mehr von religiös motiviertem Sendungsbewusstsein geprägt als von Theorie- und Methodenkenntnissen.1 Die Gründe, warum die nichtislamische Marketingwissenschaft dieses Thema bislang so sehr vernachlässigt hat, sind vielfältig. Religion wird häufig dem weiter gefassten Konstrukt Kultur subsumiert (vgl. Müller/Gelbrich 2021, S. 66). Religion spielt im öffentlichen Leben vieler Gesellschaften nur noch eine periphere Rolle (vgl. Richardson/Ariffin 2019, S. 278). Daraus erwächst bisweilen eine gewisse Ignoranz: Unkenntnis gepaart mit Überheblichkeit. Auch die Überzeugung, dass wenn, dann dafür eigentlich andere Wissenschaftsdisziplinen zuständig sind (z. B. Anthropologen, Soziologen), ist eine mögliche Erklärung. Hirschman (1983, S. 132) mutmaßte, der tiefer liegende Grund könne Tabuisierung sein: „Religion may be viewed as a taboo subject, being too sensitive to submit to investigation.“ Andere argumentierten mit der besonderen Sensibilität dieses Themas (vgl. Bailey/Sood 1993). Möglicherweise aber ist paradoxerweise die Ubiquität von Religion das Problem, d. h. deren Allgegenwart. Denn das im Marketing vorherrschende analytische Wissenschaftsverständnis setzt eindeutig abgrenzbare und identifizierbare Variablen voraus. Wenn aber Religion alle Ebenen unseres Lebens durchdringt, gleichgültig, ob wir gläubig sind oder nicht, fällt es schwer, Ursache und Wirkung eindeutig auszumachen (vgl. Delener 1994). Eine Rolle mag auch der innere Widerspruch zwischen dem vorherrschenden, zumeist materialistischen Wissenschaftsverständnis und der Transzendenz des Phänomens Religion spielen. Offenbar ist Mahnung des Autors eines grundlegenden Werkes über den islamischen Humanismus im 10. Jahrhundert nach wie vor aktuell. Er hielt es für „gefährliches kulturelles Analphabetentum, wenn wir die Bedeutung eines Raumes nur noch an seiner wirtschaftlichen Stärke und nicht mehr an seinem geistig-kulturellen Reichtum messen“ (Arkou?n 1982). Denn tatsächlich habe kaum etwas so sehr zur Differenzierung der einzelnen Kulturräume beigetragen wie die verschiedenen Religionen und Morallehren, die weltweit im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden sind (vgl. Lavoie/Chamlee-Wright 2001). Um mit den Worten von Harrison (2011, S. 26) zu sprechen: „Religion may not be the only fount of cultural values, beliefs, and attitudes ... [but] it is surely one of the most influential.“ Zu ergänzen ist allerdings, dass in nicht geringerem Maße unterschiedliche Sprachstrukturen (vgl. Huntington 1996, S. 99) und klimatische Bedingungen2 (vgl. Landes 1998) jene landeskulturelle Vielfalt haben entstehen lassen, wie wir sie heute kennen. Zusammen haben sie eine jeweils einzigartige Kombination von sozialen Normen und Werten einerseits sowie Einstellungen und Lebensstilen andererseits geschaffen, die auf eine im Folgenden darzustellende Weise das Konsumentenverhalten und dieses wiederum das Marketing beeinflussen (vgl. Abb. 1). Aus diesem Grund wird in manchen Untersuchungen Landeskultur nicht direkt gemessen, sondern indirekt, mit Religion und Sprache als Proxy-Variablen (z. B. Stulz/Willimas 2003; Baldauf et al. 2000). Abb. 1 Strukturmodell des Interreligiösen Marketings (Quelle: eigene Darstellung). Das Alltagsleben bietet zahlreiche Beispiele für die Relevanz des religiösen und konfessionellen Umfeldes für das IRM. Man denke nur an Produktion und Vertrieb von Alkoholika oder von freizügiger Kleidung. Häufig unterschätzt wird auch die Sensibilität, die beim Einsatz von Farben geboten ist, da diese in vielen Gesellschaften eine liturgische Funktion erfüllen und deshalb religionsspezifisch konditioniert sind (vgl. E-3.5). Wie aber verhält es sich mit dem Kauf bzw. dem Ver- oder Gebrauch scheinbar wertfreier Dienstleistungen oder Produkte? Dass religiöse Überzeugungen dabei gleichfalls eine wesentliche Rolle spielen, ist auf den ersten Blick nicht zu vermuten und wurde doch vielfach empirisch nachgewiesen. Anfänglich noch zögerlich (vgl. u. a. Bailey/Sood 1993; Hirschman 1983), hat sich nach und nach ein eigenständiges, hochgradig differenziertes Forschungsfeld „Religion & Konsum“ entwickelt, dokumentiert u. a. in dem Sonderheft „Spirituality, Religion and Consumption“ des International Journal of Consumer Studies (vgl. Casidy/Arli 2018). Ökonomen haben begonnen, unter der Überschrift „New Economics of Religion“ den Einfluss des Religiösen auf die Struktur von Märkten und Institutionen sowie auf das individuelle Entscheidungsverhalten zu analysieren (vgl. Iyer 2016). 1.2 Religion, Kultur, Nation und Staat
Wie wir an dieser Stelle nur in aller Kürze ausführen können, lassen sich Religion, Kultur, Nation und Staat nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Denn es sind auf vielfältige Weise miteinander verbundene soziopolitische Konzepte bzw. Organisationsformen. 1.2.1 Theoretische Überlegungen und Abgrenzungen Der Begriff der Nation entstammt dem Lateinischen (‚natio‘) und bedeutet „das Geborenwerden, Geschlecht, Volk, Volksstamm“. Heute verstehen wir unter einer Nation eine Lebensgemeinschaft von Menschen, die eine gemeinsame nationale Identität besitzen. Angehörige einer Nation sind sich ihrer gemeinsamen politisch-kulturellen Vergangenheit bewusst und sind gewillt, innerhalb der Grenzen eines Staatsgebietes zusammenzuleben. Staaten sind politische Organisationen, welche das Zusammenleben von Menschen innerhalb bestimmter territorialer Grenzen regeln (u. a. durch Gesetze und Verordnungen) und hoheitliche Gewalt zur Wahrung gemeinsamer Güter und Werte ausüben (können). Während die großen westlichen traditionellen Nationalstaaten (insb. Frankreich und England) seit langem über vergleichsweise unstrittige Territorien verfügten, glich das Gebiet des heutigen Deutschlands einem...


Katja Gelbrich ist Professorin für Internationales Management an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zuvor war sie Marketing-Professorin an der TU Ilmenau. Sie forscht zu Interkulturellem Management und (Digital) Service Management. Stefan Müller war Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der TU Dresden. Er forschte zu Interkulturellem Marketing und Konsumentenverhalten.

Katja Gelbrich
, Catholic University of Eichstätt-Ingolstadt, Germany;
Stefan Müller
, TU Dresden


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