Gerstenberg Spiel mit ihr
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-89561-967-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
ISBN: 978-3-89561-967-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Franziska Gerstenberg, 1979 geboren, lebt mit ihrer Familie im Wendland. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Literaturpreise. Ihr erster Roman Spiel mit ihr wurde mit dem Fo?rderpreis zum Lessingpreis des Freistaates Sachsen ausgezeichnet, ihre Erza?hlungen So lange her, schon gar nicht mehr wahr mit dem Sa?chsischen Literaturpreis 2016. Obwohl alles vorbei ist (2023) entstand in Teilen wa?hrend eines Aufenthalts in der Villa Massimo.
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Lass mich dein Bauer sein.« Er flüstert. »Dein Tiroler Speck.«
Sie befinden sich in seinem Wohnzimmer mit der verglasten Wand, im vierzehnten Stock, zu ihren Füßen die halbe Stadt. Von diesem Berg hat man wirklich eine gute Aussicht. Das Stroh hat Reinhard im Zoogeschäft gekauft, er hat das Zimmer präpariert, bevor Kristine klingelte. Sie stellte ihre Handtasche auf einen Stuhl und fragte: »Wieso liegt hier überhaupt Stroh rum?« Sie mussten lachen. Er hat die Mistgabel im Baumarkt besorgt, die Kleidung im Internet, das Einkaufen fällt ihm dort leichter, die Erfüllung eines Wunsches ist nie mehr als drei, vier Bewegungen auf der Tastatur entfernt. Eine blonde Perücke, nur die Lederhose war teuer.
Sie haben verabredet, dass eine Kuh vorhanden ist, auf einem Hocker liegt ein schwarzweiß geflecktes Kissen. Der CD-Player ist programmiert. Sie haben den Berg verabredet, einen Alpengipfel, von dem man eine gute Aussicht hat, schroffes Gestein, oben Schnee, aber auf halber Höhe, um ihren Stall herum, sattes grünes Gras. Sie haben den Stall verabredet, in dem die Kuh im Stroh steht, sie haben die Magd verabredet. Die Magd hat ihre Brüste hochgebunden, trägt Holzschuhe und ein ungewöhnlich kurzes Dirndl mit Schürze. Und den Bauern haben sie auch verabredet, mit seiner Lederhose, die einen Hosenlatz zum Knöpfen hat und Hosenträger mit einem Querriegel. Für später haben sie ausgemacht: Gewitter. Der Rest ergibt sich von selbst, Sonne, Himmel, Edelweiß.
Dass er von so viel fremdem Leben Besitz ergreifen könnte, hätte Reinhard früher nie gedacht. »Unser neues Lieblingswort«, flüstert er Kristine ins Ohr, »ist wahrhaftig.« Da kommt der Anwalt in ihm durch: dass man so viel Wahres erleben darf und nicht dafür haften muss.
Die Kuh schlägt mit dem Schwanz nach Fliegen. Sie ist prächtig, sehr sauber, das Euter sieht aus, als hätte es gerade jemand gewaschen. Ein schwindelerregender Blick vom Berg ins Tal hinunter. Die Magd hat blonde Locken, ihre Wangen sind gerötet, sie ist den ganzen Weg vom Dorf hinauf zum Stall gelaufen, um die Kuh zu melken. Sie trägt den Melkeimer in der Hand. Aber hier oben findet sie nicht nur die Kuh, hier oben wartet auch der Bauer.
Der Bauer arbeitet im Stall, brummt nur kurz, als die Magd hereinkommt, in seinen Händen die Mistgabel, er beugt sich vor, richtet sich auf, wirft das alte Stroh quer durch den Stall, er gerät kaum ins Schwitzen. Die Magd hockt sich auf ihren Schemel, im kurzen Dirndl, schiebt den Eimer unter die Kuh und beginnt sie zu melken. Dabei beobachtet sie den Bauern; der aber tut so, als interessierte ihn nichts als das Stroh. Und als die Magd ihren Mut zusammennimmt und etwas sagt, über das Gefühl in den Fingern, wenn die Milch in den Eimer strullt, da knurrt der Bauer, sie solle nicht trödeln und die Kuh nicht durcheinanderbringen.
Die Kuh ist fertig gemolken, der Bauer schielt über die Schulter nach der Magd, die den Melkeimer vorsichtig am Henkel hochhebt. Sie wechseln einen Blick. Von einer Sekunde auf die andere schlägt das Wetter um, erster Donner, aber kein Regen, noch kein Regen, die Magd schnappt nach Luft. Es ist so schwül, dass sie kaum atmen kann. Die Angst vor dem Gewitter steigt ihr in den Hals, was tun, wenn hier oben, hier auf dem Berg, ein Blitz einschlägt? Die Kuh reckt den Kopf und muht, die Magd schwankt.
Da steht der Bauer neben ihr. Zwar tut er nichts, um sie zu beruhigen, aber sie kann sich an seiner Seite sicher fühlen, oder nicht? Doch dann weist er sie an: »Die Milch, bring schnell die Milch ins Dorf.« Erschrocken schüttelt die Magd den Kopf. Sie bemüht sich, den Eimer gerade zu halten, die Milch darf nicht über den Rand schwappen, die Magd weicht zurück. Knarren, Ächzen, das Gewitter ist über ihnen, die Magd kurz davor, in Tränen auszubrechen. Der Bauer ragt wie ein Riese vor ihr auf.
Als es erneut donnert, kann die Magd einen Schrei nicht unterdrücken. Vor Angst wird ihr schwindlig, schnell stellt sie den Eimer ab. Der Bauer hat oft genug gesagt, was ihr droht, wenn sie die Milch verschüttet. Abwehrend streckt sie die Arme aus, aber plötzlich greift er nach ihr, drückt die starken Hände auf ihre Schulterblätter und zieht sie an sich. Sie kann ihm nicht ausweichen, er presst ihren Kopf an seine Brust wie den einer Kuh, die gerade ihr Kalb bekommt. »Schhhhh. Ruhig.«
Einen Moment bleiben sie so stehen, draußen hält der Wind die Luft an. Dann verlagert der Bauer sein Gewicht, grunzt und greift mit der rechten Hand nach unten. Er schiebt die Schürze der Magd hoch, ihren Dirndlrock, unter dem sie einen derben ausgeleierten Baumwollschlüpfer trägt.
Sie gehen in die Knie, mit einer kräftigen Bewegung dreht der Bauer die Magd herum, behält die Hand unter ihrem Rock. »Aber…«, flüstert die Magd. »Aber ich habe doch Angst vor dem Gewitter, und die Kuh…«
Der Bauer knurrt: »Was hat die Kuh damit zu tun?« Seine Hand tastet, die Magd rutscht ins Stroh. Sie zuckt und ihr Gesicht wird, als sie gerade den Kopf in den Nacken wirft, von einem Blitz erhellt. Der Bauer zerrt an seiner Lederhose, die Natur tobt, die Kuh schreit auf, der Bauer hält die Hand in den Eimer, in die noch warme Milch, schöpft etwas davon ab und gibt der Magd zu trinken. Eine Spur läuft an ihrem Hals entlang. Der Bauer leckt seine Finger ab, die Magd leckt die Finger des Bauern ab, der Bauer tunkt die Hand wieder ein und verreibt die Tropfen zwischen den Beinen der Magd. Er schöpft ihr Milch in den Schoß, jetzt mit beiden Händen, die Milch durchweicht den Rock, der Stoff legt sich um die Schenkel. Nach einem letzten Donnerschlag beginnt es draußen zu regnen und die Magd stöhnt und zittert…
Er schlägt das Buch zu. Er hat einen Knall erwartet, aber das Zuschlagen ruft nur ein mattes Geräusch hervor, weil es sich um ein Taschenbuch handelt, ein zerlesenes Taschenbuch mit einer bäuerlichen Szene auf dem Einband. Eine Kuh, ein Stall, Gras und im Hintergrund, auf dem Gipfel des Berges, Schnee.
Ein mattes Geräusch nur. Die junge Frau fährt trotzdem zusammen, entschuldigend lächelt er sie an, wundert sich, dass sie ihn gehört hat, mit diesem riesigen Kopfhörer über den Ohren. Manchmal erreicht ihn ein unmelodisches Klirren, von dem er kaum glauben kann, dass es Musik ist.
Die junge Frau sitzt ihm gegenüber, sonst ist das Zugabteil leer. Als er gerade Luft holt, vielleicht, um die junge Frau anzusprechen, beugt sie sich vor und beginnt, ihre locker sitzende Strumpfhose hochzuziehen. Mit routinierten Bewegungen, mit spitzen Fingern strafft sie den Stoff, erst unten am rechten Knöchel, dann an der Wade, am Knie, am Oberschenkel, endlich muss sie einen Moment die Pobacke anheben, der Rock ist sehr kurz. Danach nimmt sich die junge Frau das linke Bein vor, bis die Strumpfhose auch hier keine Falten mehr schlägt und sich glänzend an die Haut schmiegt. Die junge Frau trägt rote Schuhe mit Schnallen an den Seiten und Absätzen. Der Rock ist ein nachgemachter Schottenrock, kein Schotte würde so etwas tragen.
Er spürt, dass er rot wird. Schnell greift er sich an den Hals. Der Kragen sitzt noch sicher, steif, eine schwarzweiße Barriere zwischen ihm und der Welt. Er wird den Teufel tun, diesen Kragen zu weiten. Aber der Teufel wartet schon.
Er fragt sich, wie lange die junge Frau keinen Pfarrer gesehen hat. Vielleicht ist sie nicht einmal getauft? Er schwitzt, die junge Frau schlägt das rechte Bein über das linke. Die Abteiltür könnte sich jederzeit öffnen. Die junge Frau stellt die Füße auf den Boden, reckt sich, schiebt sich auf dem Sitz nach hinten, bis sie mit dem ganzen Rücken die Lehne berührt. Dann sinkt sie wieder in sich zusammen, und diesmal schlägt sie das linke Bein über das rechte.
Er räuspert sich, aber die junge Frau ignoriert ihn. Das zweite Räuspern gerät ihm so laut, dass er einen scharfen Schmerz im Rachen spürt. Erst als er nun doch seinen Kragen lockert, zwei Finger zwischen den Stoff und seinen Hals schiebt, erst als er seine eigene feuchte Haut spürt, fragt ihn die junge Frau plötzlich: »Ist Ihnen heiß?«
Er weiß nicht, was er sagen soll.
»Praktisch, so eine Soutane, auf Schwarz sieht man keine Schweißflecken.«
»Was…« Er macht eine unbestimmte Handbewegung. »Wie…«
»Was ich höre und wie ich heiße? Valerie.« Die junge Frau betont den Namen auf der letzten Silbe, sie lächelt unschuldig, ihre Lippen sind schmal und rot angemalt, genau im Farbton der Schnallenschuhe, des Schottenrocks, als gehörte das Lippenrot zu einer Uniform. Jetzt nimmt die junge Frau– Valerie, sie heißt Valerie– doch den Kopfhörer ab und legt ihn sich in den Schoß, schnippt einen unsichtbaren Fussel vom Knie. »Kennen Sie das Hohelied?«
Er ist verwirrt. »Von welcher Gruppe?«
Die junge Frau lacht. »Wie süß«, sagt sie, »schmeckt seine Frucht meinem Gaumen! Dein Schoß ist ein rundes Becken, Würzwein mangle ihm nicht.«
Der Pfarrer stöhnt leise, streicht über die Falten der Soutane, unter der seine Beine zucken, die junge Frau beobachtet...




