E-Book, Deutsch, Band 4, 351 Seiten
Reihe: Sonora Blair ermittelt
Hightower Detective Blair - Jagd nach der Schuld
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96655-933-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller | Sonora Blair ermittelt - Band 4 | Toughe Polizistin vs. Kredithai
E-Book, Deutsch, Band 4, 351 Seiten
Reihe: Sonora Blair ermittelt
ISBN: 978-3-96655-933-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lynn S. Hightower wurde in Tennessee geboren und lebt heute in Kentucky. Sie studierte Journalismus sowie Kreatives Schreiben. Um ihren Romanen authentischen Charakter zu geben, recherchierte sie hautnah: sie begleitete Streifenbeamte, die lokale Mordkommission und war Zeugin von Autopsien. 1994 gewann sie den renommierten Shamus Award. Die Website der Autorin: lynnhightower.com Von Lynn S. Hightower erscheinen bei dotbooks: »Detective Blair - Spiel mit dem Feuer« »Detective Blair - Kampf mit dem Gesetz« »Detective Blair - Wettlauf mit der Zeit« »Detective Blair - Jagd nach der Schuld«
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Kapitel 5
Sie hatten den Hund der Familie umgebracht. Er war tapfer gestorben, hatte eine breite Blutspur hüfthoch an der Wand hinterlassen, ein Knurren verzerrte noch sein Gesicht, eine Kugel saß in seinem Bauch, eine weitere steckte in seinem linken Schulterblatt. Der Vater war ungefähr sieben Meter von dem Hund entfernt gestorben, man hatte ihn an einen Ahornstuhl gefesselt zurückgelassen. Der Stuhl war unter seinem Gewicht zur Seite gestürzt und von der Sofaecke auf halbem Weg aufgehalten worden. Es war ein höllischer Kampf gewesen.
Der Stuhl, auf dessen Sitzfläche ein rot kariertes fleckiges Sitzkissen festgebunden war, sah aus, als ob er nicht hierhergehörte, als ob er aus der Küche hereingeschleift worden wäre. Eines der Beine war durchgebrochen, eine Kugel, vermutete Sonora. Die Handgelenke des Mannes waren mit Kordeln gefesselt worden, deren blutdurchtränkte Enden zwischen den Stäben der Rückenlehne hinunterhingen.
Sonora musterte den Hund. Sie nahm an, dass die Wunde in der Schulter die erste gewesen war. Vom Anblick der Blutspuren her zu schließen, war der Hund noch eine Weile umhergelaufen. Sie kannte sich mit Blutspuren aus, und sie fragte sich, ob all das Blut wirklich nur von dem Hund stammte. Sie glaubte es nicht.
Einen Moment lang dachte sie an Clampett, der sie und die Kinder beschützte, das Gesicht vom Alter weiß gesprenkelt und voll hündischer Weisheit. Dann machte sie innerlich zu, spürte die schaurige Eiseskälte, die sie umfing ? vertraut, irgendwo zwischen Schock und Resignation.
Sie schaute weg. Und gleichzeitig überall hin.
Es war ein hübsches Haus, sauberer als die meisten, jedenfalls unter normalen Umständen, wovon im Augenblick keine Rede sein konnte.
Die Bücherregale in der Ecke waren eingebaut, weiß lackiert und gesprenkelt mit Blut und jener anderen dünnen, dunklen Substanz. Kaffee? Glasbruchstücke und die Überreste von etwas, dass aussah wie ein zerschmetterter Kaffeebecher, flogen überall herum. Band G einer Enzyklopädie und einige zerlesene Exemplare des Scientific American hatten sich mit einer braunen Flüssigkeit vollgesogen. Ein Katalog der Pottery Barn war in zwei Hälften zerrissen und auf den Boden geworfen worden.
Der Videorekorder war eingeschaltet, das Fernsehbild statisch, der Ton abgedreht. Eine leere Hülle lag geöffnet oben auf dem Fernseher, Wallace und Gromit: Die Technohose. Zeichentrickfiguren. Ein Hund auf dem Cover, der grinste.
War das Wallace, fragte sich Sonora, oder Gromit?
Der Teppich war ziemlich neu, in einer Farbe, die Irisches Leinen genannt wurde. Sie wusste es von den Mustern, die sie sich angesehen hatte, als das Verlangen nach einem neuen Teppich so überwältigend geworden war, dass sie sich einige ausgesucht hatte.
Er würde ersetzt werden müssen.
Sonora registrierte, dass die Vorhänge über dem Panoramafenster locker herabfielen. Die goldfarbene Kordel stammte demnach von dort.
Also Gelegenheitstäter. Wer auch immer es gewesen war, hatte kein eigenes Seil mitgebracht.
Sie ging zurück zum Vater und hockte sich neben Sam, der die immer noch gefesselten Hände des Mannes so weit anhob, wie es die Kordeln zuließen. Ein Streifen weißer Haut am linken Handgelenk hob sich stark gegen die tiefe Bräune des Unterarms ab. Was Sonora verriet, dass dieser Mann viel Zeit im Freien verbracht hatte und ihm die Uhr gestohlen worden war.
Es war wegen seines zerschlagenen Gesichts schwer zu beurteilen, aber sie schätzte, dass er gut ausgesehen hatte. Er trug hellbraune Chinos, die voller Blutflecken waren, und ein am Hals offenes Polohemd. Es hatte sich von selbst geöffnet, als eine Kugel in den Adamsapfel eingedrungen war und ihn getötet hatte.
Sie fragte sich, wie er wohl gestern ausgesehen haben mochte. Sie würde sich die Familienfotos ansehen müssen.
Sein linkes Auge war zugeschwollen und ein eingetrockneter Streifen Blut rann aus seiner ebenfalls geschwollenen Nase. Auf dem Hemd befand sich Erbrochenes, mittlerweile eingetrocknet, eine gelbbraune Kruste.
Sam drehte die Hände vor- und zurück und stieß einen leisen Pfiff aus. Wenn reine Willenskraft ausgereicht hätte, ihn zu befreien, wäre Carl Stinnet schon lange nicht mehr an diesen Stuhl gefesselt gewesen, aber die dicke Polyesterkordel mit einem Durchmesser von gut zwei Zentimetern hatte es unmöglich gemacht.
Das rechte Auge des Mannes, von einem kühlen Grau und blutunterlaufen, stand weit offen und war unversehrt. Sonora betrachtete sein rechtes Bein. Eine Kugel hatte sein Schienbein zerschmettert und war durch die Wade ausgetreten, dieselbe Kugel, die auch das Stuhlbein getroffen hatte.
»Die Uhr fehlt.« Sam kontrollierte die Hosentaschen des Mannes. »Keine Brieftasche.«
Sonora beugte sich tiefer über die Leiche. »Sam, hast du eine Pinzette oder so was?«
Er hob die Augenbrauen, was sie ärgerte.
»Lass das, Sam.«
»Lass was?« Er reichte ihr eine spitze Zange mit roten Griffen.
»Mich so mit hochgezogenen Augenbrauen anzusehen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich es nicht mag, darum nicht. Hier, schau dir das an.«
»Was ist das?«
»Ich weiß nicht, deshalb frage ich dich ja. Es sieht aus wie ein kleiner Kiesel oder so was, aber ich habe genau so einen im Briefkasten gefunden, und dieser hing im Haar von diesem Mann.«
Sam nahm die Zange. Unterzog den Kiesel einem Schnüffeltest, zuckte die Achseln, zog einen Spurensicherungsbeutel aus der Tasche. Der Beutel blieb hängen und zog drei weitere Beutel hinter sich her. Sonora trennte sie voneinander und zog einen davon auf.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Irgendein Ding, verdammt, ich weiß es nicht. Wir schicken es ins Labor. Vermutlich einfach ein Stein.«
»Aber im Briefkasten war auch einer, Sam, hast du überhaupt zugehört?«
»Ein Stein?«
»Ja, genau wie dieser. Ich finde das merkwürdig.«
Sam hockte sich auf die Fersen. Sah sie eindringlich an. »Beiß dich da nicht fest, Sonora. Wir müssen uns hier noch jede Menge Zeug ansehen.«
»Meinst du?«
Sonora hörte Stimmen, schwere Schritte auf der Veranda, Männer in Stiefeln. Wartend. Die Techniker der Spurensicherung.
Sam erhob sich und sie schaute zurück durch den Raum zu dem Hund. Da war etwas, hinter dem Sofa. Sie hielt sich nicht damit auf, aufzustehen, sondern kroch auf allen vieren zu dem blauen Streifen.
Sie sah es, als sie um die Ecke des Sofas kroch ? eine winzig kleine Faust, pummelig, in einen Ärmel aus blauer Baumwolle geschmiegt. Ein kleiner Junge, zwei oder drei, lag zusammengerollt neben dem Schwanz des Hundes. Die Augen des Kindes waren halb geöffnet, wie bei einem Komapatienten, seine Wangen zeigten Tränenspuren, die schon lange getrocknet waren. Sonora berührte die weiche, porzellanweiße Haut des Halses, der, wie sie erkennen konnte, gebrochen war.
Ein rascher Tod. Sie schaute an der Wand hoch, zu den weit gefächerten Blutspritzern, die der Hund hinterlassen hatte. Sah eine Delle im Putz, die aussah, als wäre ein verirrter Baseball dagegen geprallt. Das Kind war gegen die Wand geschleudert worden, nahm sie an, was sehr wahrscheinlich den Hund hatte durchdrehen lassen.
»Das Baby ist hinter dem Sofa«, sagte Sonora. Sie legte einen federleichten Finger auf den Kopf des Kindes, bemerkte die dicken Windeln unter dem Overall, den kleinen blauen Baumwollrolli mit Winnie Puh auf der linken Schulter. Sehr klein für ein Dreirad. Vielleicht ein Erbstück, das man aus der Garage geholt hatte, als das Wetter schön wurde.
»Wenigstens ging es schnell ? Genickbruch.« Ist das meine Stimme?, dachte Sonora. Bin ich diese kühle, professionelle Frau? Sie stand auf, ihre Knie waren weich.
»Ich hab eine Blutspur«, sagte Sam, und sie folgte ihm in den Flur.
»Stammt sie vom Vater?«
»Was?«, fragte Sam.
»Die Blutspur. Ist sie vom Vater?«
»Nein, Sonora, siehst du? Sie kommt aus dem Flur, fuhrt zum Fernseher und dann hinaus in die Küche.«
»Wallace und Gromit«, bemerkte Sonora, während sie den roten und braunen Flecken den engen Flur hinunter folgte. Etwas gab unter ihren Füßen nach und quiekte. Sie erstarrte, ihr Magen verkrampfte sich. Sam schaltete seine Taschenlampe ein. Sah hinunter.
Ein Gummihamburger.
»Hundespielzeug«, sagte Sonora.
Sam nickte. »Wallace und was?«
»Egal.«
Ein Lichtstreifen fiel über den Teppich. Die Badezimmertür war offen. Die Blutspur führte von dem teppichbelegten Flur auf die goldgelben Fliesen. Sam trat einen Schritt hinein.
»Geh zur Seite«, sagte Sonora.
Der Duschvorhang war von den blauen Plastikringen gerissen und als blutiges Bündel in eine Ecke geknüllt worden. Sonora sah vorsichtig nach. Nichts außer dem Duschvorhang, keine unangenehmen Überraschungen.
Die Außenseite der Toilettenschüssel war blutverschmiert. Ein leuchtend rosa, fleckiger Tennisschuh mit Plateausohle, dessen Senkel immer noch zu einer Doppelschleife gebunden waren, thronte auf einem dunkelgrünen, feuchten und blutigen Handtuch, das hinter den Spülkasten gestopft worden war. Sam kroch auf allen vieren herum.
»Hier liegt ein Zahn, vermutlich hat jemand einen Faustschlag ins Gesicht abgekriegt. Und eine lange braune Haarsträhne.«
»Mach dir eine Notiz. Ja?« Sonora lief den Flur hinunter. Sie blieb bei einem Zimmer zu ihrer Rechten stehen, die Tür stand offen. Ein Himmelbett mit rosa Tagesdecke. Kleidung in ordentlichen, niedrigen Stapeln, so als ob jemand die Wäsche sortiert hätte. Sonora ging hinein und stellte sich mitten in den Raum. Nahm flüchtig einen weiß-rosa Bilderrahmen wahr, aus dem das hübsche und noch immer kindliche Gesicht des...




