Strategien für Partnerschaften und Familie
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-456-76121-3
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Zielgruppe
Betroffene Familien, Paare, Personen, mit Gewissheit oder vermutlich an ADHS (und Komorbiditäten) leiden, Angehörige, Therapeut_innen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Familientherapie, Paartherapie, Gruppentherapie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete ADS, ADHS
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
|13|Einleitung
Im ersten Buch „ADHS in der Familie – Strategien für den Alltag“ wird eine Übersicht mit breitem Spektrum über die ADHS im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter dargestellt. Den Lesern wird anhand neuster Studien Wissen über Prävalenz, Geschichte, Ursachen der ADHS sowie den mit dem Gehirn und der Neurophysiologie verbundenen verschiedenartigen Funktionsweisen dieses wichtigen Organs vermittelt. Die Erfüllung der Kriterien für das Vorliegen einer ADHS anhand internationaler Standards wird im Zusammenhang mit Fallbeispielen aufgezeigt. In praktischen Beispielen werden die typischen ADHS-bedingten Schwierigkeiten – verbunden mit der Entwicklung von Strategien – in unterschiedlichen Alterskategorien für ein entspannteres Familienleben vorgestellt. Im vorliegenden Buch finden Sie eine fundierte Vertiefung und Auseinandersetzung mit ADHS-spezifischen Störungsfeldern v.?a. im Erwachsenenalter in Bezug auf soziale Systeme wie Partnerschaft, Familie und berufliche Konstellationen. Dabei werden verschiedene Lebensstationen wie „Aufbau von Partnerschaft“, „Gründung einer Familie“ und „Reaktivierung der Kindheitserlebnisse“ etc. einbezogen. Bei frühzeitiger Diagnosestellung käme es in Partnerschaften und Ehen zu einer geringeren Anzahl und deutlich moderateren Ausprägung von Konflikten. Betroffene hätten – bei entsprechend günstigen Reaktionen von Bezugspersonen – einen kürzeren und weniger steinigen Leidensweg und würden dementsprechend in geringerem Maße unbewusste Schuld- und Schamgefühle sowie Abwehrmechanismen entwickeln. Komorbiditäten wären bei rechtzeitiger Erfassung der ADHS in geringerem Ausmaß vorhanden. In einem dynamischen System ist die ADHS-Problematik schwieriger zu erfassen als bei einem einzelnen Betroffenen. Die vorhandene Vermischung zwischen den Symptomen einer ADHS und den Konflikten in der Partnerschaft muss auseinanderdividiert werden. Daher darf die Andersartigkeit von ADHS-Betroffenen nicht auf das Individuum begrenzt werden. Auswirkungen greifen auf Familien und soziale Systeme über. |14|Zusammengefasst stehen im Fokus dieses Buches die häufigsten Konfliktpotenziale sowie deren Ursachenerhebung innerhalb von Partnerschaft, Familie und Beruf von Menschen mit ADHS, die meist noch nicht diagnostiziert wurden, mit entsprechenden Lösungsansätzen. Kennzeichnend für ADHS-Paare sind Auseinandersetzungen heftiger Ausprägung, wiederholtes Auftreten derselben Streitpunkte ohne Lerneffekt, hohe Frequenz der Eskalationen sowie die mangelnden kommunikativen Fähigkeiten beim Überwinden von Konflikten. Ursächlich für die Komplikationen im Zusammenhang mit der ADHS sind verschiedene Funktionen im Gehirn, wie bspw. Reizüberflutung, verzerrte Wahrnehmung und Kommunikationsschwierigkeiten. Selbstverständlich kommen Sie in den Genuss einer Vielzahl von Fallbeispielen, um das Gelesene nicht nur zu verstehen, sondern auch eine Veranschaulichung auf emotionaler Ebene zu erhalten. Einen Vorgeschmack erhalten Sie durch die Erzählung von Herrn M. Fachliche Hilfe suchte er erst auf, als ihm Arbeitgeber und Lebenspartnerin ein Ultimatum stellten. Fallbeispiel 1: Herr M.: Schikanen und Fehlleistungen erträgt er nur durch Kompensation „Als Jugendlicher geriet ich oft in Konflikt mit dem Gesetz. Meistens wurde ich beim Diebstahl erwischt. Jedes Mal, wenn ich in der Schule eine schlechte Klausur schrieb, ging ich in ein Kaufhaus und wollte mir etwas gönnen. Die Klassenkameraden lachten mich wegen meiner Leistungen aus; das konnte ich beinahe nicht ertragen. Anfangs war mir bewusst, dass ich illegal handelte. Mit der Zeit wurde es selbstverständlich. Dadurch galt ich als ‚böser Junge‘ und wurde von meinen Mitschülern noch stärker gemobbt. Später suchte ich Trost im Alkohol. Ich wechselte meine Anstellungsplätze oft. Dies stand im Zusammenhang mit der häufigen Kritik von Firmen wegen meiner Flüchtigkeitsfehler, des Zuspätkommens und meiner impulsiven Art. Diese Anschuldigungen verletzen mich bis ins Innerste. Stets gab ich mir Mühe, damit ich den Anforderungen genügte. Es gelang mir nie. Daher zweifelte ich vermehrt an mir. Meine Nerven lagen blank und ich ‚rastete‘ immer schneller aus. Abends war ich auf Hochtouren. Um abschalten zu können, suchte ich meine Stammkneipe auf, um mein Feierabendbier zu trinken. Dort traf ich auf Menschen, die mir zuzuhören schienen. Vor drei Jahren verließ mich meine Lebenspartnerin, die ich sehr liebte. Sie konnte meine Alkoholabstürze und Streitsucht nicht mehr ertragen. Es kam so weit, dass sie Angst vor mir hatte. Als ich dies realisierte, erschrak ich und wollte mein |15|Leben radikal verändern. Ich machte einen Entzug und konnte meinen Alkoholkonsum reduzieren. An der grundsätzlichen Situation hatte sich nichts verändert. Vor einem Jahr lernte ich meine jetzige Lebenspartnerin, Sonja, kennen. Sie ist eine sehr sensible Frau; ich hatte mir stets eine solche Partnerin gewünscht. In meiner derzeitigen Anstellung läuft es nicht gut und ich wurde vor 6 Monaten degradiert. Mir wurde ein Ultimatum gestellt. Würden sich Leistungen und Verhalten nicht verbessern, gäbe es keine andere Lösung als eine Entlassung. Mein Vorgesetzter empfahl mir, einen Psychologen aufzusuchen. Ich war geschockt; mir war nicht bewusst, dass meine Fehlerquote trotz meiner Bemühungen derart hoch war. Der Begriff ‚Psychologe‘ löste in mir Panik aus. Jetzt würde sich bestätigen, dass ich ‚verrückt‘ war. Zum ersten Mal, seitdem ich meine Partnerin kennen- und lieben gelernt habe, ging ich nicht nach Hause, sondern suchte nach Feierabend meine ehemalige Stammkneipe auf. Ich kam betrunken nach Hause und wurde wütend, als mich meine Freundin auf meinen Zustand ansprach. Durch meine Reaktion erschrak sie und übernachtete auf dem Sofa. Am nächsten Morgen hatte ich Schuldgefühle. Meiner Partnerin wagte ich mich nicht anzuvertrauen aus Angst, sie zu verlieren. Schließlich war ich ein Versager. Daher schlich ich mich aus der Wohnung. Ich konnte mich etwa 14 Tage zusammenreißen und blieb der Kneipe fern. Unsere Beziehung hatte gelitten. Ich war gereizter und die Stimmung unterkühlt. Als mich mein Vorgesetzter fragte, ob ich einen Therapeuten gefunden hätte, sah ich rot. In der Firma konnte ich mich zusammennehmen. Der Weg führte mich erneut in die Kneipe. Ich kam in einem Zustand nach Hause, an den ich mich nicht gerne erinnere. Sonja stand mit offenem Mund da, als sie mich sah. Sie blieb die ganze Nacht wach, weil sie befürchtete, ich hätte eine Alkoholvergiftung. Am nächsten Tag erwachte ich erst mittags, an meinem Bett Sonja. Sie redete Tacheles: ‚Du weißt, du kannst mir alles erzählen. Dein streitsüchtiges Verhalten und die Alkoholabstürze in jüngster Zeit kann ich nicht mittragen. Entweder du löst deine Probleme, oder ich muss dich bei aller Liebe verlassen.‘ Mit diesen Worten und Tränen in der Stimme verließ sie das Schlafzimmer. Ich erwachte schlagartig. Diese Frau liebte ich zu sehr, ich durfte sie nicht verlieren. Voller Schamgefühle setzte ich mich zu ihr an den Frühstückstisch und erzählte vom Ultimatum in der Firma. Sie nahm mich in die Arme und unterstützte mich auf meinem Weg. Nun suche ich Hilfe bei Ihnen.“ Mit diesen Worten beendete er seine Erzählung. Bei Herrn M. waren viele Symptome einer ADHS ersichtlich. Als Folgeerscheinung suchte er Trost im Alkohol. Ich teilte ihm meine Vermutung mit und er war mit einer Abklärung einverstanden. Herr M. erfüllte alle Kriterien einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Er willigte in eine Therapie ein. Bei ihm war |16|eine Medikation indiziert. Herr M. bat mich, seinen Vorgesetzten in Kenntnis zu setzen hinsichtlich des Ergebnisses der Abklärung und der Therapieaufnahme. Sein Arbeitgeber wollte ihn als Mitarbeiter nicht verlieren und wir blieben in Kontakt. Durch die Medikamente verbesserte sich seine Leistung und niemand sprach mehr von Entlassung. Sonja begleitete ihn bei Bedarf in die Therapie. Sie war erleichtert zu wissen, dass bei ihrem Freund eine ADHS vorlag. Das...