Jacob | Saint Matorel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Jacob Saint Matorel

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-95510-222-7
Verlag: Osburg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Eine Inkunabel des frühen Surrealismus: nach über einhundert Jahren zum ersten Mal wieder mit den eigens für den Text geschaffenen Radierungen von Pablo Picasso vereint. Die Erstausgabe, 1911 bei Kahnweiler in Paris in einhundert Exemplaren erschienen, gehört heute zu den Preziosen berühmter Bibliotheken. Die wenigen auf dem Kunstmarkt gehandelten Exemplare erzielen verlässlich hohe Preise im fünf- bis sechsstelligen Bereich.

Dieser kleine Roman aus dem Jahre 1911 ist eine Entdeckung, ein noch nie ins Deutsche übersetztes Meisterwerk des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er ist ein Zeugnis der Literatur der frühen Moderne, von überschäumender Fantasie und gleichzeitig ein Meilenstein auf dem Weg zum Surrealismus. Jacob erzählt darin die Geschichte des kleinen Metroangestellten Victor Matorel, der etwas wirr im Kopf ist, sich zum Katholizismus bekehrt und als Bruder Manassé 19 Monate in einem Lazaristenkloster verbringt, ehe er "im Geruch der Heiligkeit" stirbt und zusammen mit seinem Freund Émile Cordier, der sich ebenfalls zum Katholizismus bekehrt hat, auf einem Pferd durch die sieben Sphären zum Himmel aufsteigt.
Saint Matorel, der viel Autobiografisches enthält, entwickelt sich keineswegs chronologisch. So beginnt der Roman mit der Begegnung des Autors mit Victor Matorel in der Metro, um dann gleich vom Tod Matorels und seinem Aufstieg in die Sphären zu berichten. Er zeigt schon das Imitationstalent von Max Jacob, die Fähigkeit, sich in die Haut anderer zu versetzen, die bis zum Identitätsverlust geht. Der Roman ist komplex, burlesk und poetisch zugleich, voller theosophischer und mythologischer Anspielungen und überreich an Bildern. Er erschien zuerst 1911 in der Galerie Simon (bei Kahnweiler) mit kubistischen Graphiken von Picasso, die wir die Freude haben, in der deutschen Ausgabe mit abdrucken zu dürfen.
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KAPITEL IV
FIRMA CHEIRET UND COMPAGNIE
»Firma Cheiret! Oh! Alte Firma Cheiret, und doch so modern! Firma Cheiret und Compagnie, ich sehe dich vor meinem Auge! Ich erinnere mich an die Schwungräder deiner elektrischen Maschine. Faubourg Saint-Antoine! Du hast mich gelehrt zu leiden, d. h. zu leben, und ich sehe dich vor mir, lieber Faubourg Saint-Antoine. Ich sehe die Möbelfabrik, ich sehe euch wieder, den einen um den anderen, Regale des Einzelhandelsgeschäfts. Lederwarenabteilung! Phonographie! Buchhandlung! Salons im Stil Ludwigs XVI.! ›Baratton wird unterstützt von einem Aktienhändler in Marseille. Als man ihn vor die Tür gesetzt hat, hat er telegraphiert …!‹ Aber ihr! Groll! Ehrgeiz! Liebeleien! Sport! Resignation! Hassgefühle! Theater! Snobismus! Ich habe euch im Kittel die eisernen Karren schieben sehen! ›Trau nicht dem zweiten Mann der Abteilung L., da ist ein Denunziant!‹ Ah! Was doch jeder zwischen Brust und Bauch mit sich herumtrug!« »Wie würden Sie es machen, lieber Mann. Meine Frau ist bereit, Erfolg zu haben. Sie beklagt sich und ich bin hier hinter dem Ladentisch festnagelt.« »Fragen Sie den Chef! Es hat keinen Wert, mit mir darüber zu sprechen!« »Manchmal lässt er auch den ganzen Tag Besorgungen machen, dann kann man sich verständigen, aber das ist, als ob er es absichtlich machte, ich bin festgenagelt seit fünfzehn Tagen. Das ist egal, aber ich möchte gerne wissen, ob meine Kinder aus dieser Welt stammen.« Dort hinten, am Ende des Hofes, fielen Pitchpine-Stücke mit dem Geräusch wie ein Wasserfall nieder. Außerdem nahmen Männer Saargemünder Porzellan in Empfang für ihren Bazar, und jeder Mann schwieg wegen des Lärms, wegen der Überwachung und auch aus Vorsicht. »Wer sind Sie denn, mein Herr? Wir haben nur die Anweisungen dieser Herren!« »Ich bin Bécart und Compagnie aus Nancy; ich bin an der Gare de l’Est mit meinen Koffern und Kasten.« »Charles! Sie werden die Koffer von Monsieur Bécart zu seiner Adresse bringen lassen … Schufte! Wer hat uns das eingebrockt? Fragen Sie doch diese Herren, ob es die Mühe lohnt … Unsere Männer sind mit Arbeit überhäuft … Wie sollten sie zur Gare de l’Est gehen?« Herr Bécart aus Nancy kam um sieben Uhr abends zurück. »Ich erwarte Ihre Leute seit heute Morgen am Bahnhof für meine Kisten! …« Aber jeder zog eilig seinen Arbeitskittel aus zum Abendessen. Es gab die Samstagabende und ihre fröhliche Hast, die Montagmorgen und ihre Berichte, die frisch wie die Morgenröte waren, es gab den Ernst der Zahltage, die Ferienpläne, über die man im Geheimen spricht; der Dezember war gehetzt wie die Samstagabende. Im Juni tratest du, Fahrzeug der Armen, silbriges Fahrrad, in Erscheinung. Um euer geheimnisvolles Auge, düstere Fotoapparate, habe ich als einfacher Bodenreiniger mit den vornehmsten Vorstehern der Abteilung in feierlichen Zusammenkünften sympathisiert. Aber du selbst, demütiger und hochmütiger Matorel, hast du nicht, wie man einem Lehrer zuhört, Fessard von der Fabrik zugehört, während er das Papier Zulma erklärte. Matorel, beide Hände in den Hosentaschen, die Brille auf der Nase, ließ die Falten seines Kittels ohne jede Eleganz kreisen, und Fessard erklärte das Papier des Verlagshauses Zulma. Im Juni erscheint ihr, Wettrennen und Meisterschaftskämpfe! Einer meiner Kollegen, Aufseher, trainiert für die Wettrennen einen Monat lang mit seinem Wägelchen für den Wettlauf, mit Hilfe seiner Uhr! ›Monsieur Matorel, Sie als Gelehrter, wissen Sie, ob es wahr ist, dass der Essig einen abnehmen lässt?‹ Matorel schrieb Monsieur Lepautre, dem Aufseher bei den Wellrädern, eine Diät vor, um ihm den Erfolg beim großen Fußmarsch der Angestellten zu sichern. Acht Tage lang hielten sich die Angestellten an die Vorschriften des weisen Matorel; manche waren eifersüchtig. Da Victor in der Buchhaltung wegen einer Geschichte mit einer englischen Rechnung war, die weder jemand aus der Produktion noch aus dem Vertrieb hätte übersetzen können und die er diskreterweise in den Korb gelegt hatte, sodass sie niemand mehr störte, erkannte er in der Menge der sitzenden Angestellten Émile Cordier, seinen alten Klassenkameraden aus der Gemeindeschule in der Rue Chanzy. »Oh, mein lieber Cordier, da bist du nun in dieser Fabrik, welches Glück. Zufall!« »Immer noch derselbe, kleiner Victor! Er war fürs Theater geschaffen, dieser Typ! Was für einen intelligenten Kopf du hast. Was gäb ich dafür, einen Schauspielerkopf zu haben wie du!« »Ich habe zu große Füße, um Schauspieler zu sein! Aber du bist nicht mehr beim Ba-Ta-Clan?« »Ich habe dem Patron Bescheid gesagt.« Émile lachte in seinen dicken Hals hinein und seine Augen glänzten. »Und Madame Schneider? Spielst du noch Geige?« Émile war misstrauisch, ohne es zu zeigen. »Angeber!«, murmelte ein Nebenstehender. »Ich spreche nicht mit Büromenschen Ihrer Art«, sagte Cordier, wobei er sich schwerfällig umwendete. Einst war Émile Cordier, netter Lehrling bei Schneider, dem großen Papierwarenhändler des Cours de Vincennes als Lakai von Madame Schneider in ihre Wohnung am Boulevard Voltaire genommen worden. Sie hatte ihm Unterricht im Geigenspiel geben lassen: ›Das wird ein Ansporn für die Kinder sein!‹ Vom Ehemann nach einem schrecklichen Skandal entlassen, hatte Émile Cordier am Ba-Ta-Clan mit der Nachahmung von Schauspielern, die en vogue waren, angefangen. Er hatte sich von Madame Schneider ein Zimmer mit Mahagonimöbeln einrichten lassen. Eines Tages begegneten sich die Mutter von Cordier und Madame Schneider in dem Mahagonizimmer, erröteten und umarmten sich schließlich, während er Socken aus Seide anzog. Eine Rüge des Chefs der Buchhaltung rief die beiden mit ungeduldigem Ton zur Ordnung. Zwischen den sitzenden und den stehenden Angestellten gab es eine Schranke, die sich aus natürlichem Hass und Verordnungen zusammensetzte. Am Ausgang, auf dem Gehweg der Vorstadt erzählte der geschwätzige Victor dem gleichgültigen Émile tausend Anekdoten. »Der Chefinspektor ist ein ehemaliger Doktor für Homöopathie, er hat gesagt: ›Ich will, dass es in jeder Abteilung sitzende und stehende Angestellte gibt!‹« Die schwarze Flut der Männer und Frauen trennte sich unter dem Schild: »Cheiret und Compagnie« und in der Nacht. »Es gibt einen Ehrentrunk bei Pousset wegen der ›Palmes académiques‹ von Fessard.« »Guten Abend! Viel Vergnügen.« Émile und Victor gingen ins Café Raynal, unter dem Aushängeschild »Sergeant Bobillot«, um einen Pernod zu trinken. »Was für üble Kerle sind die Schauspieler«, sagte Cordier. »Du hättest sie ausgestochen. Für mich existiert nur Le Bargy.« Victor sprach mit selbstgefälliger Miene von dem Chaos im Hause Cheiret, zog über alle Chefs her und lachte schließlich geräuschvoll unter dem Einfluss des Absinths; Cordier und er bewunderten sich gegenseitig. »Der Versandleiter wollte den Polizeisekretär bestechen, aber nur der Geschäftsführer hat das Recht, dem Sekretär der Polizei Schmiergelder zu zahlen. Monsieur Cheiret ist selbst eingeschritten. Monsieur Cheiret ist stolz darauf, sich gut auf Französisch auszudrücken, und klebt jeden Tag Zettel an und verbringt die Nächte damit, sie zu verfassen. Ein Angestellter ist entlassen worden, weil er sich über den Stil des Chefs lustig gemacht hat. Monsieur Cheiret weiß nicht einmal, welches die Hauptstadt des Départements Corrèze ist. Er hat seinem Dienstmädchen gekündigt, weil sie es weiß.« »Mein Kleiner, ich will dir etwas vorschlagen.« Cordier war sein Leben lang das ruhige und gesunde Kind geblieben, das er schon als Baby war. Er fuhr fort: »Ich kann es nicht leiden, wenn man mich wegen läppischer Fragen hänselt. Es scheint, dass ich sehr schlecht geschrieben habe. Was hältst du davon?« Victor fand, dass Cordier gut schrieb. Er lachte sehr laut. »Nun, das will ich dir vorschlagen. Was würdest du zu einer Wagenpartie sagen? Du weißt, dass wir sehr viel Geld verdienen könnten, wenn wir im Schaustellerwagen reisen, und uns keine Minute lang langweilen. Du kennst dich nicht aus mit der Herrenkonfektion? Nun, ich werde es dir beibringen! Das ist eine Frage der Konfektionsgröße. Der Herr! Diese Maße! Größe 19 oder 20 oder 30, das hängt vom Typ ab. Sie erraten es! … Eine blauer Leinenhose? … Hier, mein Herr! Und...


Max Jacob, 1876 in Quimper in einer jüdischen Familie geboren, kam 1894 zum Studium nach Paris, das er jedoch 1896 abbrach. Danach übte er verschiedene Gelegenheitsberufe aus. 1901 lernte er den jungen Pablo Picasso kennen. Max Jacob zog ihm 1903 auf den Montmartre nach und erlebte dort die Entstehung des Kubismus aus nächster Nähe. Er lebte wie seine Freunde in äußerster Armut, schrieb Prosagedichte und malte. Im September 1909 hatte er in seinem dunklen Hinterhofzimmer eine Vision, die er sofort als Christusvision deutete. Im März 1944 starb er im Sammellager der SS in Drancy.


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