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Jäger Helden für immer

Roman

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ISBN: 978-3-89656-653-9
Verlag: Querverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz



1936, Wiener Heldenplatz. Eine Odyssee durch das 20. Jahrhundert. Der Kampf um Freiheit, die sich zwei Männer ihr ganzes gemeinsames Leben lang nicht nehmen lassen. Im Juni 1936 lernt der 17jährige Felix auf dem Wiener Heldenplatz den nur wenige Jahre älteren Kilian kennen. Aus der Liebe auf den ersten Blick wird eine Beziehung fürs Leben - gegen alle Widrigkeiten, die ihnen die scheiternde erste österreichische Republik, Nationalsozialismus und das neue Österreich nach 1945 entgegensetzen. Ihre junge Liebe vermag der Ständestaat mit dem erstarkenden Nationalsozialismus ebenso wenig zu zerstören wie die reaktionären Mitläuferfamilien, aus denen die beiden schwulen Männer stammen. Ihr Leben zu zweit ist nicht nur eine große Beziehungsgeschichte, in der sich die beiden Jungs zu ihren erwachsenen Persönlichkeiten entwickeln; es ist genauso eine packende Chronik der mühsam erkämpften Fortschritte, die Felix und Kilian mehr und mehr ermöglichen, ein freies und offenes schwules Leben zu führen. Der Innsbrucker Autor Markus Jäger erzählt so nicht nur von zwei Männer und ihrem Kampf um Freiheit, sondern zugleich eine schwule Gesellschaftsgeschichte.

Markus Jäger, 1976 geborener Tiroler. Lebt und arbeitet als Schriftsteller, Kritiker, Blogger und Bibliothekar in Innsbruck. 2009 Promotion in Amerikanischer Literatur- und Kulturwissenschaft. Zahlreiche Texte in Zeitschriften und Anthologien. Nominierung Peter-Huchel-Preis 2014. Helden für immer ist sein erster Roman im Querverlag.
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Das Zimmer Der Konjunktiv wurde ausgesperrt. Die Bedrohlichkeit dieser Möglichkeitsform schien wie ein Gossengestank durch das Fenster dringen zu wollen, klopfte mit nicht vorhandenen Fäusten an die Tür. Doch zu diesem Zimmer hatte nichts und niemand Zugang. Nur sie beide. Das Zimmer wurde für die Außenwelt zu einem nicht erklimmbaren Berg. Nur sie beide verfügten über genügend Ausdauer, um den Gipfel zu erreichen. Denn erst dort waren sie auch wirklich ungestört. Ihre Beharrlichkeit beim Trainieren dieser Fähigkeit hatte sich in den letzten Monaten mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit entwickelt. Kilian kam oft aus dem Staunen nicht mehr heraus, saß versonnen grinsend in einer Ecke des Zimmers am Boden. Er lauschte dem Knacken der Schellack-Platte, während Greta Keller melancholisch von der Sonne sang, die hinter den Dächern versank. Und er musste lächeln. Da er ganz im Gegenteil zur rauchig seufzenden Greta sich die Gefühle offenbar doch noch nicht abgewöhnt hatte. Vor allem, wenn Felix nicht bei ihm war, brauchte er Musik, um seine Ungeduld bis zum nächsten Treffen zu beruhigen. Seit er vor zwei Jahren hier eingezogen war, hatte er sich bislang nie vorstellen können, einfach mal so am Boden zu sitzen. Wozu gab es schließlich Möbel? Noch dazu derart massive und überteuerte Möbel? Manchmal saßen sie gemeinsam am Boden. Felix lag dann rücklings auf dem knarrenden Parkett, um seinen Kopf auf Kilians Schloß zu betten, der seine Beine lässig übereinander geschlagen von sich streckte, ein wenig zur Seite gebeugt, um über der Brust seines Freundes die Zeitung auszubreiten. Zwei große Bettpolster, an die Seite der alten Biedermeier-Couch gelehnt, gleich beim Fenster, während der Stunden der sich langsam über Wien stülpenden Abenddämmerung, boten Platz für eine immer öfter ihren Alltag strukturierende Gewohnheit, der sich Kilian nicht mehr entziehen wollte. Der Kopf von Felix, der sich manchmal beim Lesen sanft hin und her bewegte, aber manchmal auch zur Seite sank, um sich im Halbschlaf an Kilian zu kuscheln, hatte ein Gewicht, das dieser immer öfter vermisste, wenn er die Zeitung alleine zu lesen versuchte. Kilians Zimmer befand sich im oberen Stockwerk einer Maisonette in einem in die Jahre gekommenen Gründerbau mit üppiger Stukkatur. Das Dachgeschosszimmer verfügte über eine eigene kleine durchaus luxuriöse Badekammer; das Warmwasser funktionierte nahezu immer und die Wanne bot genügend Platz für zwei. Kurz nach dem Eingang in Frau Oberdanners Wohnung führte eine knarzende Holztreppe in ein kleines Obergeschoss, in dem sich Kilians Zimmer befand. Das war besonders hilfreich, um der Besitzerin der Wohnung nicht allzu oft in die Arme zu laufen. Felix hatte sie erst einmal getroffen und sich mit seinen besten Manieren und höflich erhobener Stimme als Kilians „Studienkollege“ ausgegeben. Sie hatte ihm das Ohr, auf dem sie besser hörte, zugedreht und mit freundlichem Lächeln genickt, als er ihr brüllend Komplimente für die schöne Wohnung gemacht hatte. „Gut so, wenn junge Leute gemeinsam lernen“, hatte sie fröhlich gemeint und war mit schlurfenden Schritten in ihre Küche verschwunden. Frau Oberdanner war eine behäbige Dame Anfang sechzig. Typ Annie Rosar, mit züchtig hochgestecktem Haar und etwas zu nobler Kleidung für ihren zumeist recht ereignislosen Alltag als alleinstehende Frau. Die Wohnung hatte sie von ihrem Bruder nach dessen Unfalltod übernommen und zusammen mit ihrer Witwenrente, ihrem Erbe aus der alten Heimat und der Miete für Kilians Zimmer konnte sie ein recht angenehmes Leben führen. Felix hatte das Gefühl, dass sie dem Alkohol nicht abgeneigt war, empfand sie aber als sehr sympathisch. Vor allem, weil sie so schnell wieder verschwunden war und er mit Kilian in das Zimmer hochsteigen konnte. Kilians Vater hatte den verstorbenen Bruder gekannt. Aus den „guten alten Tagen“, war die Anmerkung seines Vaters gewesen, um den Eindruck alter Jugendfreunde zu erwecken. Irgendeine Parteigeschichte, davon war Kilian überzeugt. Edita Oberdanner, aus reichem Budapester Bankenhaus stammend, hatte ihren Gatten im Großen Krieg verloren. Gleich im ersten Kriegsjahr. Im Sommer 1914, als sie mit ihrer Tochter schwanger gewesen war. Nach dem formlosen Schreiben, das sie mit unterkühltem Tonfall über ihre künftige Witwenschaft informierte, hatte ihre Tochter in ihrem Bauch wohl beschlossen, dass ihr eine Existenz als Halbwaise nicht genügte. Nach der Totgeburt war Edita als Haushälterin zu ihrem Bruder nach Wien gezogen, der sich zeit seines erwachsenen Lebens allzu sehr den Luxushuren Wiens zugeneigt gefühlt und nach der Diagnose der Syphilis vor eine Straßenbahn geworfen hatte. Ein Unfall, hatte es von allen Seiten geheißen. Außer von einigen der Nachbarinnen, die es besser wussten, weil sie es immer besser wussten. Vom schrecklichen Unfalltod des Bruders war auch Edita Oberdanner bis zum heutigen Tag überzeugt. Auf das Geschwätz der Nachbarinnen gab sie nichts. Die waren nur neidisch auf die schönste Wohnung im ganzen Haus. Wer hätte schon geahnt, dass ihre Wohnung, auf die sie so stolz war, außerdem als Liebesnest fungierte. Mit einem seltsamen Automatismus hatte sich für Felix und Kilian in ihrem gemeinsamen Alltag herauskristallisiert, dass sie sich an der Kreuzung nur wenige Meter vom Wohnhaus entfernt trafen, in dem sich die Maisonettenwohnung von Frau Oberdanner befand. Die Blicke der Passanten glichen jenen des Publikums in einem Theater. Dieses Theater veranstalteten sie nur zu gerne, da ihnen klar war, dass sie in wenigen Minuten wieder hinter der Bühne sein würden. Die Kreuzung war ein ausnehmend großer Verkehrsknotenpunkt für die sonstige Abgeschiedenheit dieser Wohnanlage. Eine Straßenbahn ratterte in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen vorbei. Ohne vorherige Vereinbarung hatten sie sich angewöhnt, mit jovialem Händeschütteln wie zufällig ineinanderzulaufen. Mit der Überraschung alter Freunde, die hellauf begeistert über diesen Zufall waren, der sie zusammenführte. Das Zurücknehmen des eigenen Empfindens, das real nachvollziehbare Hineinfühlen und Hineinspringen in eine Rolle. Mit der Gier nach einem Applaus, der sie erst dann befriedigte, wenn das Publikum sich in Luft auflöste. Wenn sie in Kilians Zimmer mit der Tür hinter sich und den Armen eng um den anderen geschlungen die Welt nach draußen sperrten. Diese Gewissheit, dass die Welt ihnen nichts anhaben konnte, weil die Welt nicht existierte, gelang ihnen mit einigen Kniffen, die sich im Laufe der letzten Wochen – mit einer wortlosen Selbstverständlichkeit – eingeschlichen hatten. Das gedimmte Licht deutete an, dass nicht alles zu sehen war. Sie hatten gelernt, dass das Spüren noch vor dem Sehen kam. Die Dachschräge mit dem kleinen Fenster war von einem provisorisch an die Decke geklammerten alten Bettüberzug verdeckt. Tageslicht störte sie. Hier hatte die Welt nichts zu suchen. Kilian lag in Embryonalhaltung mit einem Kissen in den Armen, das nur einen unbeholfenen Ersatz bot, unter der Decke und hatte sie bis über den Kopf gezogen. An einer Ecke schräg über seinen Augen war die Decke so aufgeworfen, dass durch einen kleinen Spalt das notwendige Maß Sauerstoff in sein Königreich einzudringen vermochte. Und die Geräusche in seinem Zimmer, die er so lange vermisst hatte, ohne zu wissen, was ihm fehlte. Felix stand unter der Dusche. Das Rauschen des Wassers wurde in seiner Regelmäßigkeit nur durch die Bewegungen von Felix unterbrochen, als dieser sich die Haare wusch, seinen Körper einseifte, den Kopf in den Nacken legte, um das Wasser auf seinem Gesicht zu spüren. Kilian hatte mit viel Bewunderung eine naive Begeisterung für Wasser an Felix festgestellt. Für ihn war Duschen eine notwendige Zeitverschwendung, die seine wenige Zeit am Morgen noch mehr einschränkte. Felix hingegen hatte ein solches Faible für Wasser, dass es schwer war, zwischen der Motivation einer Reinlichkeitsneurose und Lustempfinden zu unterscheiden. Unter der Decke liegend wagte Kilian kaum, sich zu rühren. Er wollte nicht, dass auch nur das geringste Detail durch eine Bewegung, einen zu schnellen Atemzug oder sonst irgendeinen Fehler gestört wurde. Er hielt die Augen geschlossen und klammerte sich an die Vorstellung, dass Felix wieder die Rolle des Kissens in seinen Armen übernahm. Die Erinnerung an seine Haut war noch spürbar. Als ob die Decke dieses Gefühl nicht freizulassen gedachte. Die Luft stand dementsprechend, mit nur wenig Sauerstoff, der durch den kleinen Schlitz seine Höhle zu erobern versuchte. Er umschlang das Kissen fester und erkannte, dass sein linker Arm jene Haltung eingenommen hatte, mit der er Felix am liebsten umarmte. Die Dusche wurde abgestellt. Kilian hasste diese Stille. Denn sie bedeutete, dass Felix in wenigen Augenblicken sein Zimmer verlassen würde. Ein paar schleichende Barfußschritte im Bad, das Rascheln seiner Kleidung beim Anziehen. Gleich würde er aus seiner Höhle kriechen, um sich von Felix zu verabschieden. Dann würde die Ungewissheit sich wieder wie ein Nebel über seinen Alltag legen. Die Frage, wann sie sich wiedersehen würden. Wann sie sich wieder zurückziehen konnten. Zwei Füchse. Fabelwesen, die ihre eigene Fabel ad absurdum führten. Sie hatten erkannt, dass die Trauben in Nachbars Garten nicht nur unerreichbar, sondern auch faul waren. Sie zogen sich lieber zurück in ihre Höhle, gleich unterhalb der Waldgrenze, auf einer Anhöhe, die das ganze Tal überblickte. Und scherten sich einen Dreck um die Naturgesetze der Jagd....


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