Jäncke | Von der Steinzeit ins Internet | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 168 Seiten

Jäncke Von der Steinzeit ins Internet

Der analoge Mensch in der digitalen Welt

E-Book, Deutsch, 168 Seiten

ISBN: 978-3-456-76150-3
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der renommierte Neurowissenschaftler Lutz Jäncke beschreibt die mögliche Zukunft der Menschen im Zuge der technischen Digitalisierung. Interessant, fundiert, wissenschaftlich und schlichtweg amüsant.Verändert die moderne digitale Technik unser Sozialverhalten, die Kommunikation und die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen?Wie werden wir mit der zunehmenden Informationsflut fertig, die sich über uns ergießt?Hat diese Flut einen Einfluss auf unsere Arbeit und unser privates Leben?Ausgehend von der Prämisse, dass sich der Mensch im Zuge der Evolution zu einem Sozialwesen entwickelt hat, für das die Kommunikation mit den Gruppenmitgliedern von herausragender Bedeutung ist, zeigt Jäncke, wie unter den modernen digitalen Techniken nicht nur unsere Kommunikation, sondern unser gesamtes Sozialverhalten leidet. Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes von Informationen überflutet, denen wir gar nicht mehr Herr werden.Die Menge und ständige Verfügbarkeit interessanter und aufmerksamkeitsraubender Nachrichten und Informationen überlastet unser Gehirn. Ist unser Gehirn fähig, sich an die moderne Internetwelt anzupassen? Sind wir bereits jetzt überfordert? Wie wird die Zukunft sich entwickeln? Werden wir die explosionsartige Ausbreitung der digitalen Welt so meistern, dass wir mehr Vorteile gewinnen, als Nachteile erleiden?
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Zielgruppe


Alle, die sich für die digitale Welt interessieren; breites Publikum


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|11|Einleitung
Der Relax-Sessel
Malcom nahm noch schnell einen Schluck aus der Plastikflasche, die an seinem Sessel in einer speziellen Halterung elegant eingefügt war. Der Saft war kalt und leicht süßlich und erfrischte herrlich. Er wusste zwar nicht, woher der Saft kam, aber er vertraute der Lieferfirma, die täglich über ein Pumpsystem das Reservoir an Getränken auffüllte. Die Kosten dafür wurden wöchentlich von seinem Konto abgebucht. Er brauchte sich darum nicht zu kümmern, denn er hatte einen Dauerauftrag bequem über sein virtuelles Steuersystem eingerichtet. Auch die Nahrungsmittel ließ er sich von dem Lebensmittelhändler über das ausgeklügelte Pumpsystem liefern. Die Speisen waren ebenfalls flüssig oder zumindest breiig, sodass er sie elegant über Röhrchen zu sich nehmen konnte, ohne aufstehen zu müssen. Das war ziemlich bequem und ersparte ihm das Kauen. Viel wichtiger aber war es ihm, dass er bequem in seinem Relax-Sessel sitzen bleiben und sich mit seiner digitalen Welt auseinandersetzen konnte. Schnell scannte er einige Nachrichten von Online-Diensten, indem er vor allem die Überschriften las. Die Nachrichten wählte er irgendwie nach Zufall aus, glaubte er zumindest. Eigentlich las er nur das, was seine Aufmerksamkeit erhaschte. Politik war meistens weniger interessant, außer wenn es um Kriege, Hinrichtungen, Tumulte, Terrorangriffe oder religiöse Probleme ging. Auch Informationen aus seiner Nachbarschaft fanden gelegentlich den Weg in sein Bewusstsein. Ganz besonders interessierten ihn aber die netten Geschichten von Sternchen, Stars und anderen Berühmtheiten, die er auf den Online-Seiten der Boulevardblätter lesen konnte. Es war doch immer wieder köstlich zu erfahren, in wen sich diese Leute alles verliebten, von wem sie sich trennten und was sie sonst noch |12|anstellten. Gelegentlich machte er noch einen Abstecher auf seine Lieblingspornoseite, die es ihm ermöglichte, mittels neuester virtueller Realitätstechnik lebensechte Empfindungen zu haben. Die meiste Zeit aber lebte er in Kaukasia, einer virtuellen Welt, in der er alles sein konnte: Held, Opfer oder einfach nur Zuschauer. Es war unglaublich verlockend, in einer Welt zu leben, ohne sich im wahrsten Sinne des Wortes dreckig zu machen, nicht zu erkranken, wunderbare Landschaften zu erleben und interessanten Menschen zu begegnen. Viel wichtiger war für ihn aber, dass er in dieser Welt ein bedeutender und bemerkenswerter Mensch war. Er konnte seine Kleider wählen und der jeweiligen Lebenssituation anpassen, seine Frisur ändern und sich besondere Fähigkeiten durch wenige Kommandos an sein Programm gönnen. Dazu musste er nicht viel machen. Er musste sich nicht bewegen und auch nicht sprechen, er dachte nur daran. Seine virtuelle Welt war mit seinem Gehirn verbunden und er konnte mit seinen Gedanken sein Leben in der virtuellen Welt recht einfach steuern. Es war alles so bequem und wunderbar, sodass er nicht merkte, wenn er seine Notdurft verrichtete, für deren Verarbeitung Relax – der Wunderstuhl, in dem er saß – sorgte. Relax beaufsichtigte auch gelegentliche Schwankungen des Blutdrucks, Zuckerhaushalts und andere Stoffwechselschwankungen und griff automatisch in Form von Medikationen ein, die er über das Pumpsystem mit der Nahrung verabreichte. So saß Malcom tagaus, tagein in seinem Relax-Stuhl und lebte in seiner virtuellen Welt, bewegte sich nicht, aß Brei, trank undefinierbaren Saft und vergaß zunehmend, dass er eigentlich ein Mensch war, der gehen und mit anderen Menschen sprechen konnte und für sein Leben selbst verantwortlich war. Trotz aller medizinischen Versorgung war Malcom ein bleiches Wesen mit einer schlabbrigen Haut, die sich wie durchsichtiges Pergamentpapier um seine Knochen gewickelt hatte. Er konnte nicht einmal ohne Hilfe aufstehen, geschweige denn stehen. Aber das wollte er auch gar nicht. Er hatte ja keinen Körper, zumindest merkte er das nicht. Er verspürte eigentlich nur Bedürfnisse und vor allem den Wunsch, in der virtuellen Welt etwas zu erleben, ohne sich schmutzig zu machen, zu erkranken, sich zu verletzen oder zu leiden. Ihm waren auch die anderen Wesen in seiner virtuellen Welt eigentlich egal. Sie waren ja austauschbar, eben virtuell und nicht real. Warum sollte er sich um diese Wesen sorgen und Anteil an ihrem virtuellen Leben nehmen? Sie waren doch ersetzbar. Oder war jedes dieser Wesen auch mit dem Gehirn eines anderen Men|13|schen verbunden? Aber diese Frage kam ihm eigentlich nicht in den Sinn, denn er wusste ja gar nicht mehr, ob er ein Mensch war. Er war schließlich ein austauschbares Wesen in einer faszinierenden virtuellen Welt. Sieht so die Zukunft des Menschen aus? Einige Leser werden sicherlich verwundert sein und diese Darstellung als merkwürdig oder zu konstruiert auffassen. Mag sein, aber solche Szenarien sind bereits in verschiedenen Varianten in der Literatur und im modernen Film beschrieben und dargestellt worden. Offenbar beschäftigt man sich mit solchen Zukunftsideen mit einer gewissen Sorge oder gar mit Amüsement. Scheinbar haben sie ihren festen Platz in unserer Vorstellungswelt. Wie auch immer, der Mensch ist für solche Lebensformen anfällig, denn er ist in hohem Maße bequem. Das Internet und die moderne digitale Technik entwickeln sich rasant schnell und bieten dem Menschen immer mehr Möglichkeiten, sich zu entfalten, zu unterhalten, aber auch Unsinn zu machen. Haben wir die Kraft, uns der Verlockungen des Internets zu erwehren? Ich fürchte, wir werden in nicht allzu ferner Zukunft solche oder ähnliche Lebensumstände erleben. Ansatzweise findet man bereits heute solche Lebensweisen, natürlich nicht mit den technischen Finessen, die oben angedeutet wurden. Aber wo liegen denn die Gefahren verborgen, die uns in ein solches Szenario hineinziehen könnten? Kann man sich davor schützen? Ist es überhaupt sinnvoll, sich davor zu schützen? Oder sind wir Menschen als biologische Wesen für ganz andere Welten konstruiert worden, sodass wir wie ein hilflos auf dem Rücken liegender Käfer den Verlockungen des Internets und der digitalen Welt ausgesetzt sind? Welche Konsequenzen hat dies für unser soziales Leben, die Ausbildung, unsere Gesundheit und vieles mehr? Davon erzählt dieses Buch in den folgenden Kapiteln. Aber so viel vorweg: Der Mensch ist ein biologisches Wesen, das eigentlich für ganz andere Lebensumwelten geschaffen wurde. Das Internet und die digitale Welt ist eine Herausforderung für unser biologisches Verhaltensinventar. Vielleicht ist diese Herausforderung gar die ultimative Herausforderung für das Überleben des Menschen. Eine kurze Leseanleitung für dieses Buch
Zunächst wollen wir uns die moderne Internetwelt mit ihren technischen Errungenschaften vergegenwärtigen (Kap. 1). Was hat sich verändert und welche digitalen Möglichkeiten eröffnen sich für den modernen Men|14|schen? Dann werden wir in die Biologie des Menschen eintauchen und seine evolutionären Wurzeln genüsslich auf der Zunge zergehen lassen (Kap. 2), um uns anschließend die Frage zu stellen, ob das biologische Wesen Mensch in der digitalen Welt überhaupt Platz finden kann (Kap. 3). Wir werden lernen, dass der moderne Mensch von der technischen Entwicklung und den damit zusammenhängenden Konsequenzen überrollt wird und er eigentlich gar nicht für diese Welt biologisch vorbereitet wurde. In den darauffolgenden Kapiteln 4 bis 9 greife ich einige wichtige psychische Funktionen heraus, die für unsere Verhaltenskontrolle von herausragender Bedeutung sind. Aber genau diese wichtigen Verhaltenselemente erzwingen bei uns Menschen bestimmte Verhaltensmuster, die durch das Internet und die digitalen Medien herausgefordert werden. Ich vermute sogar, dass diese Verhaltensmuster derart tief in uns verankert sind, dass sie zwar unser Leben über mehr als 70.000 Jahre erfolgreich gesteuert haben, aber in der modernen Welt an ihre Grenzen stoßen, ja sogar zum Problem werden. Das ist ungefähr so wie bei den Indianern in Nordamerika, als sie erstmalig durch die weißen Siedler mit Alkohol in Kontakt kamen.1 Oder wie bei den indigenen Völkern in Südamerika, für die Erkältungsviren, Grippe, Pocken oder Masern eine tödliche Gefahr darstellen, da sie aufgrund ihrer langen Isolation keinerlei Abwehrkräfte besitzen. Wir verfügen zwar über Abwehrkräfte, aber wir müssen sie identifizieren, akzeptieren, umsetzen und vor allem...


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