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Kasperski | Endstation Genfersee | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Alibi

Kasperski Endstation Genfersee

Ein Fall für Libby Andersch
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-03820-878-5
Verlag: Dörlemann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Fall für Libby Andersch

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Alibi

ISBN: 978-3-03820-878-5
Verlag: Dörlemann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als die scharfsinnige Rentnerin Libby Andersch gemeinsam mit dem Nachbarsbub Noah einer Einladung an den Genfer See folgt, merkt sie schnell, dass ihre Gastgeberin Hintergedanken hat. Und tatsächlich macht sich Odette Meisner, für die Libby einst als Kindermädchen gearbeitet hat, Sorgen, ihr kürzlich verstorbener Mann Charles könnte ermordet worden sein. Offenbar besteht ein Zusammenhang mit örtlichen Streitereien um den öffentlichen Zugang zum See. Die tatkräftige Serenella Balmelli, Sprecherin einer Genossenschaftssiedlung, setzt sich dafür ein, einige Villenbesitzer sind dagegen. Als bei einem Konzert auf dem alten Dampfer La Suisse ein Anschlag passiert, fällt der Verdacht auf die Aktivistin Balmelli. Nur Libby ahnt, dass weit mehr (oder etwas anderes) dahintersteckt. Kann sie die wahren Verhältnisse aufdecken und einen weiteren Mord verhindern?  

Gabriela Kasperski studierte Anglistik und war Radio- und Fernsehmoderatorin, Schauspielerin, Sprecherin und Dozentin, bevor sie ihren Kindheitstraum verwirklichte, Schriftstellerin zu werden. Heute erobern ihre Krimis die Schweizer Bestsellerliste verlässlich im Sturm, mit der Kinderbuchreihe um das Mädchen Yeshi ist sie viel in Schulen unterwegs. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und nominiert, u. a. für den Schweizer Krimipreis. 2024 wurde sie (für Zürcher Verrat) mit dem Zürcher Krimipreis geehrt. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.
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1


Rumms. In der Halle des Hauptbahnhofs Zürich stand für einen Augenblick die Zeit still. Gleich darauf brach eine leichte Hektik aus, Menschen suchten nach der Ursache des Knalls. Statt nach links und rechts wie alle anderen schaute Libby Andersch nach oben. Auf den ersten Blick schien alles ganz normal. Die Decke wölbte sich, die Stahlträger strahlten Stärke und Verlässlichkeit aus, durch die halbrunden Seitenfenster strömte Licht herein und brachte die Farben des Engels von Niki de Saint Phalle zum Leuchten. Mit seinem blauen Körper, dem bunten Badekostüm und den goldenen Flügeln schwebte er prächtig und über eine Tonne schwer über den Reisenden, um ihnen Schutz zu gewähren. Darum hieß er auch . Libby grüßte ihn immer, wenn sie einmal in der Woche ihren Tagesausflug antrat.

Rumms. Wieder ertönte ein Knall. Libby sah, dass sich die vier Stahldrahtseile, an denen der Engel hing, leicht bewegten und die Figur in Schwingung brachten.

Das Stimmengewirr wurde größer, einige Leute begannen zu rennen, Rollkoffer quietschten, ein Anflug von Panik lag in der Luft. In dem Moment schob sich der Greifarm eines Krans zum Engel empor und kam in etwa fünf Metern Höhe direkt neben den angewinkelten Knien der Figur zum Stehen. In dem Korb saßen zwei Männer mit Putzutensilien. Der eine machte mit einem Staubwedel ausladende Armbewegungen, während der andere die Hände zu einem Trichter formte.

»Keine Angst, wir müssen sie nur abstauben!«, rief er in die Halle herunter.

Genau wie Libby vermutet hatte, sie kannte das Reinigungs-Prozedere. Alle drei Monate war es jeweils wieder so weit, damit der Engel seine bunten Farben behielt.

»Unser Kran hat eine Macke, aber es ist nur laut, nicht gefährlich!«

Libby entschied sich weiterzugehen. Dabei war es ihr, als ob der Engel mit einem Flügel in ihre Richtung winkte. Wenn das kein gutes Omen war für eine Reise ins Welschland!

Normalerweise fuhr sie an Montagen los. Dass es heute ein Freitag war und sie eine Tasche für drei Übernachtungen gepackt hatte, hing mit ihrem Nachbarsbub Noah zusammen. Seit den Ereignissen im Grand Hotel Matterhorn, das weder »Grand« war noch am Matterhorn lag, besuchte er sie regelmäßig. Seine Mutter Iris glaubte, sie würden für die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium üben, in Wirklichkeit jedoch hörten sie sich den Krimiklub an, eine Hörspielsendung zu wahren Verbrechen, mit der Möglichkeit zum Mitraten.

Vor einigen Wochen hatte er Libby erzählt, dass er einen zweiwöchigen Sprachaufenthalt in der französischsprachigen Schweiz machen musste. Da Iris die Suche nach einem Plätzchen vor sich hergeschoben hatte, war Libby in die Bresche gesprungen. In sehr jungen Jahren hatte sie selbst drei Sommermonate als Au-pair-Mädchen an den Ufern des Genfersees verbracht. Mit ihrer damaligen Arbeitgeberin Odette Meisner pflegte sie seit bald sechzig Jahren Briefkontakt, ohne dass es je zu einem Wiedersehen gekommen war. Odette hatte einen Weinberg und lebte in begüterten Verhältnissen, Libby hatte ihren Beruf am Institut für Chemie an der Universität mit Leib und Seele ausgeführt – es hatte sich einfach nicht ergeben. Doch nun hatte Odette postwendend auf Libbys Anfrage reagiert und Noah zu sich eingeladen, unter der Bedingung, dass Libby ihn persönlich ablieferte. Es gebe an dem Wochenende ein Gedenkkonzert zu Ehren ihres kürzlich verstorbenen Mannes, und außerdem brauche sie Libbys Hilfe.

»Es geht um Leben und Tod.«

»Übertreiben Sie, Madame Meisner?«, hatte Libby in ihrem nächsten Brief geschrieben, jedoch nie eine Antwort darauf erhalten.

Es gab also ein Rätsel zu lösen – und so etwas weckte Libbys Interesse, immer und zu jeder Zeit.

Sie erreichte den Gleisbereich. Ihre Fahrkarte hatte sie schon, sie verfügte über ein Generalabonnement, genannt GA. Damit hatte sie freie Fahrt durch die Schweiz, ein Luxus, den sie sich gönnte, seit sie mit fünfundsiebzig Jahren in Rente geschickt worden war.

»Solothurn, Biel, Neuenburg, Morges, Lausanne, Genf« stand auf der Anzeigetafel bei Gleis dreizehn. Darunter wartete Noah, in Trainingshose und einem übergroßen Pullover. Den Rucksack hatte er so verkehrt herum umgehängt, wie er die Kappe trug, aus der eine lila gefärbte Haarsträhne hervorlugte.

Er begrüßte Libby mit einer lässigen Geste. Damit wollte er wohl überdecken, dass ihm der Ausflug in ein unbekanntes Territorium mit einer fremden Sprache nicht ganz geheuer war.

»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr, Tante Andersch. Was war denn da los?« Er zeigte in die Bahnhofshalle.

»Der Engel wollte den Putzleuten davonfliegen«, sagte Libby. »Hör mal, kannst du uns mit deinem Handy einen Platz reservieren?« Sie selbst hatte keines und Noah war geradezu versessen auf seines. »Zweiter Wagen, zweite Klasse, zweites Abteil, am Fenster, links. Kurz nach Renens und noch vor Morges hat man nämlich von diesem Platz aus eine wunderbare Aussicht auf den Genfersee.«

»Ich weiß nicht, ob das geht.«

»Die Ticket-Challenge, Noah«, sagte Libby in ihrem besten Englisch. Wenn man Noah eine Aufgabe als Herausforderung präsentierte, ging er viel bereitwilliger darauf ein, das hatte sie mittlerweile mehrmals erfahren.

»Ich hab aber keine Kreditkarte. Mama will das nicht. Gibst du mir deine, Tante Andersch?«

Libby war amüsiert. Dieser Bub. Noah wusste genau, dass sie über keine einzige Plastikkarte verfügte.

In dem Moment fuhr der Zug ein und Noah machte sich auf. »Ich schnapp uns die Sitze live.«

Er wieselte um die Beine der Einsteigenden herum in Richtung Zugtür und nur wenige Minuten später richtete er sich mit Libby in dem gewünschten Viererabteil am Fenster ein.

»Gut gemacht.«

Noah hielt den Daumen in die Luft, um sich gleich darauf in eines der Spiele auf seinem Handy zu vertiefen, was ihm Iris bestimmt verboten hatte. Nun, Libby war keine Kindererzieherin, das hatte sie ihr in aller Deutlichkeit mitgeteilt, sie würde sich nicht in die Abmachungen von Mutter und Sohn einmischen.

Der Zug verließ den Bahnhof und die Stadt, die Schienen führten an der Limmat entlang. Träge fließendes Wasser, Schilf, Gras, ein Kiesweg und die Verheißung eines Frühlingstags – so wie es Libby gefiel. Sie holte ihre Strickarbeit heraus, sie hatte Noah eine Hülle für sein Handy versprochen. Wollenes sei angesagt, hatte er gemeint.

Während er allerlei Laute ausstieß und mit Daumen und Zeigefinger blitzschnell über den Bildschirm wischte, ließ Libby ihre Zeit als Kindermädchen in Perroy Revue passieren.

Sie war sechzehn gewesen, oder siebzehn, auf jeden Fall sehr jung, und sie hatte nicht gewusst, welchen Beruf sie nach der Schule wählen sollte. Auf die Vermittlung einer Freundin ihrer Mutter hin hatte sie von Odette Meisner und der Au-pair-Stelle gehört. Odette, die selbst kaum dreißig gewesen war, war extra nach Zürich gekommen, um Libby kennenzulernen. Sie hatte sich als Vertreterin von vier befreundeten Familien vorgestellt, die ihre Kinder, acht an der Zahl, gemeinsam betreuen lassen wollten. Nach dem Treffen hatte Libby die Stelle erhalten, und bereits eine Woche später war sie am Genfersee angekommen.

Die Kinder waren eine nette, aber auch verwöhnte Bande gewesen, Libby hätte jedes einzelne für ein Butterbrot verkauft, wie sie jeweils abends beim Vorlesen zu sagen pflegte. In einem scherzhaften Ton, denn es hatte ihr eigentlich ganz gut gefallen. Die Landschaft an den Ufern des Lac Léman war wunderschön gewesen, das Weingut der Meisners eine Pracht und Odette eine ausgesprochen nette Person. Zu ihrem Mann Charles hatte Libby jedoch kaum Zugang gefunden, ein meist grimmiger Mensch, ohne Sinn für Humor. Als Schifffahrtskapitän hatte er zum Glück lange Arbeitstage gehabt. Vor einigen Wochen war er gestorben, nach mehr als sechzig Ehejahren eine Zäsur.

»Du sitzt auf meinem Platz.«

Ein Mann, stramm, mit Anorak und Rucksack, zielte mit einem metallenen Wanderstab auf Noahs Brust. »Weg da.«

Libby ging der herrische Ton sofort auf die Nerven. Sie deutete auf das blanke Schild auf der Höhe der Kopfpolster. »Hier steht nichts von einer Reservierung.«

»Aber in meinem Handy, online gebucht. Der Junge muss aufstehen, Sie auch.«

Der Mann, nicht viel jünger als Libby, fuchtelte mit seinem Stab herum. Hinter ihm tauchten seine Kumpane auf, alle ähnlich ausgestattet wie er. Einer richtete seinen Blick auf das Nachbarabteil, wo zwei kleine Buben saßen, magere Kerlchen mit dunkler Haut, Kraushaar und Rotznasen, Zwillinge, wie es aussah, vielleicht halb so alt wie Noah.

»Husch, husch, raus mit euch, alles für unsere Gruppe reserviert.«

Einer der Buben verzog den Mund, seine Lippen zitterten. »Meine Mutter holt uns was zu trinken«, piepste er auf Französisch. »Sie kommt gleich wieder. Wir fahren bis Rolle.«

Wie wir, dachte Libby.

Der Kleine war sichtlich aufgeregt und plapperte immer weiter. »Wir haben am Zürichsee das Ufer angeschaut, wir waren auch bei Roger Federer.«

Der Name weckte Noahs Interesse, aber dem Wanderer-Chef war es wurscht. Er gab keine Ruhe, bis Libby und die Kinder aufgestanden waren.

Gleich darauf kam die Mutter der Kleinen zurück. Ihre Augen blitzten, das Haar, grau an den Wurzeln und bunt an den Spitzen, stand in alle Richtungen ab. Libby konnte nicht umhin, ihr heimlich ein Kränzchen zu winden. Statt klein beizugeben, zog sie nämlich eine eigene Reservierung hervor und stellte eine Doppelbuchung fest. Sie war sich nicht zu schade, ihren Status als alleinerziehende Mutter einzubringen, und argumentierte in fast perfektem Deutsch mit französischem Akzent so lange, bis die Wandertruppe wieder abzog...


Kasperski, Gabriela
Gabriela Kasperski studierte Anglistik und war Radio- und Fernsehmoderatorin, Schauspielerin, Sprecherin und Dozentin, bevor sie ihren Kindheitstraum verwirklichte, Schriftstellerin zu werden. Heute erobern ihre Krimis die Schweizer Bestsellerliste verlässlich im Sturm, mit der Kinderbuchreihe um das Mädchen Yeshi ist sie viel in Schulen unterwegs. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und nominiert, u. a. für den Schweizer Krimipreis. 2024 wurde sie (für Zürcher Verrat) mit dem Zürcher Krimipreis geehrt. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Gabriela Kasperski studierte Anglistik und war Radio- und Fernsehmoderatorin, Schauspielerin, Sprecherin und Dozentin, bevor sie ihren Kindheitstraum verwirklichte, Schriftstellerin zu werden. Heute erobern ihre Krimis die Schweizer Bestsellerliste verlässlich im Sturm, mit der Kinderbuchreihe um das Mädchen Yeshi ist sie viel in Schulen unterwegs. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und nominiert, u. a. für den Schweizer Krimipreis. 2024 wurde sie (für Zürcher Verrat) mit dem Zürcher Krimipreis geehrt. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.



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