Kirps | Eber im Nebel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Kirps Eber im Nebel

Von Tieren und anderen Verwandten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-947106-71-4
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von Tieren und anderen Verwandten

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-947106-71-4
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eber im Nebel vereint dreizehn Erzählungen, in denen Tiere die Protagonist*innen bilden und unerwartete und komische Perspektiven auf die der Menschheit eröffnen. Mut zum literarischen Experiment und humorvoll-satirisches Erzählen kommen zusammen und so gehen Erkenntnis und Erheiterung Hand in Hand.

Lissa möchte keine Schnee-Eule zum Geburtstag, alles nur keine Schnee-Eule! Karl ist die einsamste Galapagos-Schildkröte der Welt. Ein Schabrackentapir schreibt an Funny van Dannen. Silberfische ziehen in den Krieg, Blaumeisen besinnen sich auf ihr Sauriererbe, und mutierte Nagetiere entführen ahnungslose Jogger ins Weltall ...
Luxemburgs Satiriker Nr. 1 begibt sich in 13 komischen Erzählungen auf abenteuerliche Expeditionen ins Tierreich – und alle Reiche knapp daneben. So begegnet er nicht nur den letzten Prenzlauer-Berg-Wildschweinen, sondern auch Spreewaldpygmäen, einem Impfschamanen sowie dem traurigsten Gespenst der Welt.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


THE AFTERBITE DIARIES
In den letzten Sommerferien zog ich für ein paar Tage in mein altes Elternhaus in Walferdingen, um mich um die Katze zu kümmern und potenzielle Einbrecher durch meine bloße Anwesenheit abzuschrecken. Meine Eltern waren in Kopenhagen, und meine Schwester begleitete sie, damit sie nicht in den verwinkelten Gassen der dänischen Hauptstadt verloren gingen, ins Hafenbecken fielen oder sich in Christiania aus purem Herdentrieb einer Hippie-Kommune anschlossen. Tag eins
Der erste Tag begann mit einer bösen Überraschung: Der Geschirrspüler war nicht ausgeräumt. Also würde ich ihn nicht benutzen können. Ich beschloss, das schmutzige Geschirr, das während meines Aufenthalts anfallen würde, einfach im elterlichen Schlafzimmer zu stapeln, als kleine Lektion. Dann schrieb ich meiner Schwester auf Facebook: »Der Geschirrspüler ist kaputt. Aber keine Sorge, ich habe eine Lösung gefunden. Und ja, der Katze geht es gut, und nein, ich rauche fast gar nicht.« Von dem einsamen Spinnennetz, das ich im Flur entdeckt hatte, erzählte ich ihr aber lieber nichts, sonst würde sie sich nie mehr zurücktrauen, und wer sollte dann auf meine Eltern aufpassen, etwa ich? Mit meiner Schwester kommunizierte ich in diesen Tagen nur über Facebook. Das Telefon hatte ich ausgehängt, sonst rief sie alle fünf Minuten an, um nach der Katze zu fragen. Dabei gehörte die Katze nicht mal ihr, sie war zugelaufen. Genau genommen hatte meine Schwester sie so lange angelockt, bis die Katze tat, als gehöre ihr das Haus mitsamt den Bewohnern. Niemand schien sie zu vermissen, aber das wunderte mich nicht. Sie war ziemlich asozial, sogar für eine Katze. Ich wollte sie Würmli taufen, weil sie Würmer hatte, aber der Vorschlag war nicht gut angekommen, und so hieß sie jetzt einfach »Die Katze«. Ein Zentner Sheba und anderer parfümierter Fleischabfall stapelten sich in der Küche und sollten ihr in den nächsten Tagen als Nahrung dienen. Ich setzte mich an meinen Laptop und zündete eine Zigarette an, um den kreativen Fluxus anzukurbeln. Kommenden Samstag war die letzte »Ferkel im Wind«-Lesebühne der Saison, einen politischen Text hatte ich schon, jetzt brauchte ich noch eine bodenständige Alltagsgeschichte für den einfachen Mann von der Straße. Zwei Stunden später schreckte ein fieses Surren mich aus dem Halbschlaf, und mein rechtes Handgelenk begann, tierisch zu jucken. Mückenstich. Die Insektenplage auf dem Land, das hatte ich ganz vergessen, urbaner Bohemien, der ich war. Der mit Pflanzen überladene Garten war schuld und natürlich diese morastigen Gartenteiche überall. Man sollte das alles zubetonieren. Da erinnerte ich mich an Afterbite: das neue Präparat, von amerikanischen Wissenschaftlern erdacht, das einzige Mittel, das tatsächlich gegen Insektenstiche half. Ganz im Gegensatz zu dieser lächerlichen Systral-Pampe, die wahrscheinlich aus gestampften Globuli zubereitet wird. Ich durchwühlte die Medikamentenschublade, und hier war es: Afterbite, »der bequeme Ammoniak-Stift, sehr langlebig«, wie es in der Werbung hieß. Er roch allerdings auch sehr intensiv. Nachdem ich den Stich am Handgelenk verarztet hatte, begann es, im Gesicht zu jucken, punktgenau auf dem rechten Wangenknochen. Also tat ich auch da Afterbite drauf. Boah, der Geruch, betäubend, bezirzend, berauschend, eine brettharte Mischung aus Kerosin, Opium, Katzenpisse und Absinth. Die Dämpfe stiegen mir in die Nase und in die Augen, ich erblindete kurzzeitig, dann fiel ich in Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen Plan. Er war mir im Traum von einer nackten Steinzeitfrau mit Katzenkopf und Hirschgeweih eingeflüstert worden: Ich musste der Katze helfen, wieder zu ihrer ursprünglichen Lebensweise zurückzukehren. Sie musste lernen, selber für ihr Essen zu sorgen. Dieses Sheba-Zeug war nicht artgerecht, voller Chemiedreck und führte dazu, dass die Katze ein Stubenhocker wurde, ihres natürlichen Jagdinstinkts beraubt. Außerdem stank es die ganze Küche voll und blockierte meinen Trampelpfad zum Kühlschrank. Ich aber wusste einen neuen Verwendungszweck für den Sheba-Glibber: Ich würde es im Garten als Köder auslegen, für die diversen Beutetiere der Katze: Mäuse, Ratten, Frösche, Eichhörnchen, Vögel … Ich nahm noch eine Nase voll Afterbite, torkelte in den Garten und machte mich ans Werk. Eine Stunde später schnappte ich mir die beleidigt maunzende Katze und trug sie nach draußen. Mein Plan ging auf. In der nächsten Zeit lagen ständig tote Nagetiere, Amphibien und Singvögel auf der Fußmatte. Die erbeuteten Tierchen bereitete ich für die Katze in der Fritteuse zu. Einmal befand sich sogar eine Blindschleiche unter der Jagdstrecke, worauf die Katze besonders stolz zu sein schien. Die Blindschleiche wirkte ziemlich tot, aber nicht so ganz – bei Blindschleichen ist die Grenze zwischen Leben und Tod ja recht verschwommen –, und ich wilderte sie im Nachbargarten wieder aus und wünschte ihr viel Glück auf ihrem weiteren Lebensweg. Dann nahm ich eine Prise Afterbite und wankte zurück ins Haus. Die Sonne dröhnte viel zu laut in meinen Ohren. »Der Katze geht es prächtig«, schrieb ich an diesem Abend auf Facebook, Zigarette im Mundwinkel, den Afterbite-Stick, mittlerweile mein ständiger Begleiter, griffbereit neben der Tastatur, »sie frisst mit gutem Appetit und spielt viel draußen.« Tag zwei
»Hast du die Katze nach Zecken abgesucht?«, schrieb meine Schwester zurück, das undankbare Ding. »Natürlich«, log ich, zog mir einen Hauch Afterbite rein und fing die Katze ein, die insgesamt etwas träge wirkte. Sie verdaute wohl noch an der mit Raclettekäse überbackenen Nilgans, die wir uns zum Frühstück geteilt hatten. Ich zurrte die Katze auf der Werkbank fest und suchte sie nach Zecken ab. 27 Stück, das war neuer Rekord. Die Zecken warf ich nicht ins Klo, wie sonst immer. Ich wollte sie ein wenig beobachten, sie wirkten fast wie außerirdische Lebensformen, mit den prallen planetenförmigen Hinterkörpern und dem quirligen Krabbelkopf. Vielleicht waren es ja wirklich Aliens, und wenn man genug beisammen hatte, würden sie sich ein Raumschiff bauen, um auf ihren Planeten zurückzukehren …? Oder einen Staat bilden. Ich brachte die Zecken im alten Aquarium unter, wo Alfred, unsere Wasserschildkröte, gewohnt hatte, bis er im gesetzten Alter von dreißig Jahren verstorben war, vermutlich an Langeweile. Das Aquarium roch immer noch ein wenig nach Alfred, leicht moderig und reptiloid. Ich überließ die Zeckenpopulation sich selbst und ging raus zum Briefkasten. Die Sonnenstrahlen fühlten sich klebrig auf meiner Haut an, als würde ein blinder, hirnloser Gott mich mit geschmolzenem Camembert beträufeln. Der Himmel klaffte wolkenlos blau über mir wie eine offene Wunde. Der Fliederstrauch fragte mich, wie mein Tag war. Drosseln brüllten mir ins Ohr. Was war nur mit dem Wetter los, mit der Natur? Schnell zurück ins Haus, eine Dosis Afterbite, linkes Nasenloch, ahhh, rechtes Nasenloch, uhhh! In der Post fand ich ein Schreiben der Gemeinde, dass das Wasser knapp sei, wegen des ausbleibenden Regens, und dass man sparsam mit Trinkwasser umgehen solle. Kein Problem, dachte ich, schließlich befand sich ein gut sortierter Weinkeller im Haus. Wie es der Katze gehe, fragte meine Schwester schon wieder. Als würde sie mir nicht mal zutrauen, auf eine harmlose Katze aufzupassen. Nach meinem Befinden erkundigte sie sich dagegen nicht. Sie hatte sich sehr zum Unguten entwickelt, seit sie Jura studierte und keine Dreadlocks mehr besaß. Früher war da mehr Bewunderung für mich, ich erinnerte mich noch gut an die Zeit, als sie mich für allwissend hielt. Gut, da war sie auch erst sieben. Um sie zu ärgern, beschloss ich, nun doch keinen Text über Katzen zu schreiben, wie ich es vorgehabt hatte, sondern stattdessen etwas über Hasen. Oder Kaninchen. Hasenartige halt. Nach einer erfrischenden Champagnerdusche und ein paar Nasen Afterbite fiel mir ein guter Titel ein: Der Mann mit den Pinselohren. In der Geschichte ging es um einen Mann, der sich für ein Kaninchen hielt. Und alle lachten über ihn, auf der Arbeit, im Büro, in der Freizeit, im Tennisclub. Am Ende stellte sich dann heraus, dass er tatsächlich ein Kaninchen war, und alle, die ihn ausgelacht hatten, standen ganz schön dumm da. Aber halt, Pinselohren, hatten Hasenartige überhaupt Pinselohren? Ich googelte und stieß auf den Wikipedia-Artikel über den Luchs. Luchse hatten Pinselohren. Neuerdings waren wieder Luchse in der Eifel gesichtet worden, las ich, und im Rothaargebirge. Rothaargebirge? Nie davon gehört. Ich navigierte weiter zum Artikel über das Rothaargebirge, von da kam ich zum Pfälzer Wald, und als ich auf verschlungenen Wegen bei der Kryptozoologie, genauer gesagt, beim Ogopogo, der angeblich im Okanagan Lake lebenden Seeschlange,...


Francis Kirps wuchs wohlbehu¨tet in der luxemburgischen Provinz auf. Er studierte Psychologie in Straßburg und arbeitete u. a. als Schulpsychologe
und Grundschullehrer. Erste Veröffentlichungen Ende der Neunziger in Zeitschriften und Anthologien, 2000 und 2001 machte er jeweils den zweiten Platz beim Concours littéraire national. 2003 wandte er sich dem Poetry Slam zu, absolvierte zahllose Slamauftritte und ist Mitglied der "Lesebu¨hne
Luxemburg" sowie bei "Ferkel im Wind" (Bonn). 2005 gru¨ndete er zusammen mit Christian Bartel und Anselm Neft die Literaturzeitschrift EXOT, deren Redakteur er bis zur Einstellung 2015 war. Seit 2014 schreibt er Kolumnen fu¨r die "Wahrheit", die Satireseite der taz. 2012 erschien die Kurzprosasammlung "Planet Luxemburg" im Verlag Andreas Reiffer, 2016 ebendort der Roman "Die Klasse von 77 – Ein Punkrockroman". Fu¨r sein drittes Buch "Die Mutationen – 7 Geschichten und ein Gedicht" (Hydre Éditions: 2019) erhielt Kirps den Prix Servais und den European Union Prize for Literature. Der Autor steht fu¨r Lesungen sehr gerne zur Verfu¨gung.



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