E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Knape Null Toleranz
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-360-50188-2
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mein Kampf gegen Nazis, Rocker, Hooligans
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-360-50188-2
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Knape, geboren 1951, seit 1970 bei der West-Berliner Polizei, war Direktor beim Polizeipräsidenten Berlin und arbeitete als Honorarprofessor für Polizeirecht an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Zuletzt leitete er die Polizeidirektion 6 der Berliner Verwaltungsbezirke Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick. Er ist pensioniert und lehrt er an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg in Oranienburg (Oberhavel) Eingriffsrecht. In Polizeikreisen hat er den Ruf als »Nazi-Jäger« und »harter Hund«. Aus rechtsextremen Kreisen erhielt er Morddrohungen. 2017 verlor Knape den Lehrauftrag; er vermutete damals, Anlass für den Rausschmiss sei seine Kritik an der aus seiner Sicht fehlenden Rechtsgrundlage für den Einsatz von Tasern bei der Berliner Polizei gewesen. Einen neuen Job fand er bei der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus - als Referent für den Amri-Untersuchungsausschuss. Für die Berliner Medien ist Knape vielleicht DIE Ansprechperson für aktuelle Fragen der Polizeiarbeit. Heute ist er in den Untersuchungsausschüssen zum Fall Amri und zum Fall des Hallenser Synagogenanschlags tätig.
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Großes Latinum und heißer Brei
„Der Staat hat kein Recht, einen Menschen für die Dauer zum Polizisten zu machen“, schrieb Bertolt Brecht im Me-ti. Ich schätze den großen Dichter sehr. Aber, mit Verlaub, ich glaube, mit diesem Urteil hat es sich der gute Mann zu einfach gemacht.
Es einen Traumberuf zu nennen, wäre wohl eine schwärmerische Übertreibung. Aber meine Entscheidung, Polizist zu werden, habe ich bis heute nicht bereut. Im Gegenteil. Meine Arbeit als Ordnungs- und Gesetzeshüter habe ich geliebt, sie war für mich von Anbeginn Beruf und Berufung. Erfüllung, Pflicht und Schuldigkeit, Bestimmung und Selbstbestimmung. Meine Arbeit – ich nenne es bewusst nicht Job – hat mich geprägt und zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Doch der Reihe nach. Denn meine Berufswahl war sowohl vom Zufall geprägt als auch irgendwie vorbestimmt. Obwohl – keiner wird als Polizist geboren.
Ich bin 1951 auf diese Welt gekommen, 1958 wurde ich eingeschult, und sechs Jahre später, ab 1964, ging ich aufs Gymnasium.
Das Friedrich-Engels-Gymnasium in Berlin-Reinickendorf war und ist eine altehrwürdige Lehranstalt, 1905 gegründet, in einem Neo-Renaissance-Bau untergebracht, der heute als Baudenkmal gilt. In der Nazizeit trug die Schule den Namen des Jagdfliegers Manfred von Richthofen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im November 1945, wurde sie in Friedrich-Engels-Gymnasium umbenannt, nach dem Mitbegründer des Marxismus, und ich frage mich ernsthaft, ob eine solche Namensgebung heute noch – oder wieder – möglich wäre. Zu den bekannten Absolventen der Schule zählt übrigens Wolfgang Leonhard, der Publizist, Historiker und Osteuropaexperte, dessen Mutter mit ihm in den 30er Jahren in die Sowjetunion emigrierte, der im April 1945 mit der Gruppe um Walter Ulbricht in die Sowjetische Besatzungszone zurückkam, sich bald mit der Führung der neugegründeten SED überwarf und später in der DDR als Renegat verteufelt wurde. Über die Erlebnisse in jener Zeit schrieb er sein berühmtes Buch Die Revolution entlässt ihre Kinder.
Als Schüler des Friedrich-Engels-Gymnasiums blieb mir Wolfgang Leonhard freilich unbekannt, wohl aber kam ich in den Genuss davon, dass die Schule in einen neusprachlichen und einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zug gegliedert war. Außerdem hatte das Gymnasium einen guten Ruf wegen seiner sportlichen Aktivitäten, seine Schülermannschaften waren insbesondere im Handball sehr erfolgreich. Damals wie heute wurde und wird ein Großteil der Spieler vom Bundesligisten Füchse Berlin aus Schülern des Gymnasiums rekrutiert. Ich war ja mehr Fußballer, aber Handball interessierte mich auch.
Das alles entsprach meinen Ambitionen. Hinzu kam noch, dass wir gleich ab der 7. Klasse mit Latein begannen. So seltsam das heute klingen mag – ich habe diese alte Sprache gemocht und in der 11. Klasse auch das große Latinum abgelegt. Der Wunsch meines Vaters war, dass ich Jura studiere, und er hatte mir ausführlich erklärt, wie wichtig diese Sprache sowohl für die Rechtswissenschaft als auch für Medizin, Naturwissenschaften und andere Sprachen wäre, also alles andere als eine tote Sprache. Das hatte ich schnell kapiert.
Wer Latein lernt, muss unwahrscheinlich viele Vokabeln und tüchtig Grammatik pauken, was mir aber keinen Verdruss bereitete. Mein Vater unterstützte mich dabei, indem er mich stundenlang sowohl lateinische Vokabeln abfragte als auch die Grammatik, die ja in gewissem Maße der deutschen Grammatik ähnelt, obwohl es fünf Fälle statt der vier im Deutschen gibt. Kein Wunder, dass Deutsch mein anderes Lieblingsfach war. Das große Unbehagen, das viele meine Mitschüler beim Schreiben von Diktaten und Aufsätzen erfasste, teilte ich nicht. Selbst die Unterrichtsstunden, in denen es um Orthografie und Grammatik ging, fand ich interessant und spannend, und bei Literatur habe ich alles wie ein Schwamm aufgesogen. Neben meinen beiden Paradedisziplinen interessierte ich mich für Geschichte und Erdkunde, und in den anderen Grundlagenfächern wie Mathe, Physik oder Chemie hatte ich keine Schwierigkeiten.
Wir hatten ja damals noch die klassischen Unterrichtsfächer, also obligatorisch, und konnten nicht, entsprechend unserer Vorlieben, bestimmte Fächer „abwählen“ und uns „Leistungskurse“ aussuchen oder „Projekte“ entwickeln. Unsere Schule wurde noch nicht als „Lernumgebung“ bezeichnet, und im Lehrerzimmer wartete kein einfühlsamer Sozialpsychologe auf unseren Klassenkasper, weil dessen besondere Fähigkeiten namens ADHS erst Jahre später so diagnostiziert wurden. Natürlich hielten wir schon kleine Schülervorträge bzw. -referate, jedoch keine „Präsentationen“, bei denen es vor allem auf die „Performance“ ankommt. „Schuldistanziertes Verhalten“ wurde einfach als Faulheit bezeichnet. In den Zeugnissen standen sogar noch die sogenannten Kopfnoten für Betragen, Ordnung, Fleiß und Mitarbeit – also das, was heute euphemistisch als soziale und emotionale Kompetenz bezeichnet wird –, und keiner nahm Anstoß daran.
Das alles lässt sich in meinen Schulzeugnissen nachlesen, die ich bis heute aufbewahrt habe. Klar, es gab auch mitunter eine Drei, etwa in Kunst und Musik, auch Biologie war nicht so mein Ding. Aber insgesamt stand ich leistungsmäßig an der Spitze unserer Klasse oder sogar des Jahrgangs. Das war wohl, neben meinem Gerechtigkeits- und Gemeinschaftssinn und weil ich mit meiner Meinung selten hinterm Berg hielt, auch der Grund dafür, dass ich zum Klassensprecher und später zum stellvertretenden Schulsprecher gewählt wurde.
Natürlich war am Gymnasium nicht alles eitel Sonnenschein. Es gab auch Dinge, die mich ärgerten und aufregten, zumal ich als Jugendlicher langsam anfing, selbständig zu denken. Zum Beispiel hatten wir von der 7. bis zur 10. Klasse einen Geschichtslehrer, der vor dem „Zusammenbruch“ von 1945, wie sie es seinerzeit nannten, auch Wehrmachtsoffizier gewesen war. Ein Mann von altem Schrot und Korn, der seinen Unterricht abspulte, als ob es kein Gestern gegeben hätte. Was und wie er uns unterrichtete, regte mich auf, und einmal fragte ich ihn, warum die Deutschen nichts dagegen getan hätten, als die Nazis 1933 die Macht ergriffen. Jeder hätte doch sehen können, gegen wen die Nazis ihren Terror richteten: gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, gegen linke Intellektuelle, Juden, Homosexuelle, Zigeuner oder Asoziale, wie sie diese Menschen in ihrem Jargon nannten. Warum hatte keiner protestiert, Solidarität geübt, Widerstand geleistet? Gab es etwa keine Gerichte, die die Demokratie und den Rechtsstaat verteidigten? Von meinem Lehrer erhielt ich nie eine befriedigende Antwort. Er redete um den heißen Brei, sprach von Zeiten, die nun mal so waren, von Gesetzen und Verordnungen, denen man sich zu fügen hatte, von Einzelfällen und Auswüchsen. Ich widersprach unwirsch, ohne dass ich großartige Ahnung von der tatsächlichen Geschichte hatte oder Argumente dagegensetzen konnte.
Weil mich das emotional sehr aufregte, sprach ich es auch zu Hause am Abendbrottisch an. Ich wusste ja, dass mein Vater in jener Zeit groß geworden war und vieles miterlebt hatte. Ich konnte nicht begreifen, wie so ein verbrecherisches System wie das der Nazis von der Mehrheit der Deutschen gestützt wurde. „Warum habt ihr das denn so zugelassen?“, fragte ich meinen Vater. „Ihr habt Polen überfallen, seid in Belgien, Luxemburg und Holland einmarschiert, habt Frankreich überrollt und in der Sowjetunion verbrannte Erde hinterlassen. Ist denn keinem normalen Menschen klar geworden, um welche blutige Kriegs- und Angriffsmaschinerie es sich handelte?“ Ich fragte ihn, ob die Menschen nicht spätestens 1936, zu den Olympischen Sommerspielen in Berlin, den grandiosen Schwindel durchschaut hätten, als während dieser sechs Wochen eine Scheinwelt aufgebaut wurde, Kulissen eines menschenfreundlichen und friedliebenden Staates, in dem es keinen Terror gegen das eigene Volk und keine Kriegsvorbereitung gab. Und weil die Rechtssprechung ein Lieblingsthema meines Vaters war, hakte ich nach, ob es wenigstens in der deutschen Justiz nicht irgendwo jemanden gegeben habe, der angesichts der offensichtlichen Verletzungen demokratischer Grundrechte – von Sachbeschädigung, Diebstahl über Freiheitsberaubung bis Körperverletzung und Mord – seine Stimme erhoben habe.
Mein Vater musste lange grübeln. Offenbar wusste er damals weder etwas über Hans Litten, den „Anwalt des Proletariats“, den die Nazis schon 1933 verhafteten und der 1938 im KZ Dachau umkam, noch über andere Juristen, die den deutschen Faschisten mutig Widerstand leisteten. Und vermutlich – und ich schon gar nicht – hatte er damals auch wenig Ahnung von der politischen Realität in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre. Er kannte weder den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der in den 60er Jahren maßgeblich an der Vorbereitung des Auschwitz-Prozesses beteiligt war, noch dessen Mitarbeiter, Anwalt und Richter Heinz Düx, der an der Entnazifizierung der juristischen Fakultät an der Marburger Universität mitgewirkt hatte, als Untersuchungsrichter im Auschwitz-Prozess tätig war und der sich zeitlebens mit der „unbewältigten Vergangenheit“ der Nazijustiz in der Bundesrepublik auseinandersetzte und dem deshalb bis in die 70er Jahre Disziplinarverfahren und Amtsenthebung angedroht wurden. Sogar Düx’ Sohn sollte für die konsequente Haltung des Vaters büßen, indem ihm zunächst die Zulassung als Rechtsanwalt verweigert wurde. Nicht nur die Nazis kannten die Sippenhaft.
Aber das laute Nachdenken meines Vaters brachte mich auf die richtige Fährte. „Weißt du“, versuchte er mir zu erklären, „es gab...




