E-Book, Deutsch, Band 4, 400 Seiten
Reihe: Die Weiße-Wolke-Saga
Lark Eine Hoffnung am Ende der Welt
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-1277-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 4, 400 Seiten
Reihe: Die Weiße-Wolke-Saga
ISBN: 978-3-7325-1277-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sarah Lark legt nach ihren großen Familiensagas nun eine ergreifende Liebesgeschichte zwischen Europa und Neuseeland vor. Der wunderbar illustrierte Roman EINE HOFFNUNG AM ENDE DER WELT knüpft an die Familiengeschichte der McKenzies aus der bekannten Weiße-Wolke-Saga an.
In den Wirren der 1940er Jahre verschlägt es die junge Polin Helena mit ihrer Schwester Luzyna nach Persien. Als sie Aufnahme in Neuseeland erhalten sollen, keimt Hoffnung in Helena auf. Doch nur eine der jungen Frauen wird für die Verschickung ausgewählt.
Zur gleichen Zeit bricht James McKenzie aus Neuseeland auf. Gegen den Willen seiner Eltern will der wagemutige Flieger in Europa für die Ideale der Freiheit kämpfen.
Das Schicksal führt James' und Helenas Wege zusammen ...
Zwei junge Menschen meistern ihr Schicksal und finden das Glück der Liebe vor einem dramatischen Kapitel der Weltgeschichte.
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL 1
Flüchtlingslager in der Nähe von Teheran, Persien
»Wo ist Luzyna?«
Adam, der mit seinen Eltern auf der Westseite der Baracke wohnte, baute sich atemlos vor Helena auf. Er musste gerannt sein.
»Keine Ahnung.« Helena blickte etwas unwillig von ihrer Näharbeit auf. Bis jetzt hatte sie zufrieden in der Sonne gesessen und sich gefreut, der Enge der Unterkunft entkommen zu sein. Während des Vortages hatte es geregnet, die Bewohner konnten nicht nach draußen. Helenas Schwester hatte sich darüber beklagt, dass die Lagerordnung ihr nicht erlaubte, ihren Freund Kaspar in einer der Männerbaracken zu besuchen. Luzyna hatte mit dem Mädchen, das sein Bett neben dem ihren hatte, gestritten und sich über die Frau auf der Schlafstatt gegenüber aufgeregt, die ständig Selbstgespräche führte. Helena war froh gewesen, als Luzyna am Morgen endlich wieder zur Arbeit in der Feldküche aufgebrochen war. Doch nun störte Adam ihre Ruhe. Erneut schien sich Ärger mit ihrer Schwester anzubahnen. »Ist sie nicht in der Küche?«, fragte Helena resigniert.
»Sie musste zum Arzt«, gab der Junge kopfschüttelnd Auskunft. »Das hat sie jedenfalls der Köchin gesagt.« Dem Lager war ein kleines Hospital angeschlossen. »Mittags wollte sie zurück sein. Bisher ist sie nur nicht aufgetaucht – dabei soll sie mit mir das Essen herbringen und austeilen. Ich kann das nicht allein machen, aber ich will Luzyna auch nicht verraten. Also, falls sie jetzt nicht beim Arzt sein sollte …« Adam, ein dünner blonder Fünfzehnjähriger mit pickligem Gesicht, trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
Helena seufzte. Es war immer so. Niemand wollte Luzyna in Schwierigkeiten bringen. Das junge Mädchen fand stets jemanden, der seine Alleingänge deckte und seine Fehler auf sich nahm.
»Sie hatte keinen Termin im Krankenhaus«, sagte Helena und begann, ihre Näharbeit zusammenzulegen. Die Schürze, die sie im Schneiderkurs auf der Nähmaschine genäht hatte, war nicht sonderlich gut gelungen und jetzt schon fleckig, weil Helena sich beim Vernähen der Fäden ständig in die Finger stach. Ihre Talente lagen ganz sicher nicht im Bereich der Handarbeit. »Zumindest hat sie mir nichts davon gesagt. Aber lieb von dir, dass du sie nicht anschwärzen willst. Lass mich eben das Nähzeug hineinbringen, dann komme ich mit und helfe dir.«
Helena stand auf, betrat die Unterkunft und blinzelte in das Halbdunkel des großen Raumes, der nur wenige Fensteröffnungen aufwies. Sie musste aufpassen, nicht über die Habseligkeiten der Bewohner zu stolpern, die auf den engen Gängen zwischen den Schlafstellen abgestellt waren. Die Baracke war hoffnungslos überbelegt, die schmalen Pritschen standen so eng beisammen, dass man seinen Nachbarn schon störte, wenn man sich im Bett herumwarf.
Helena wachte fast jede Nacht auf, weil Luzyna unruhig schlief. Wie viele der polnischen Flüchtlinge, die nach ihrer Zeit in Sibirien in Persien Aufnahme gefunden hatten, litt ihre Schwester unter Albträumen. Die Menschen waren nun endlich in Sicherheit, doch die Erinnerungen an die Vergangenheit verfolgten sie. Bis die Russen im Herbst 1939 nach Stalins verhängnisvollem Pakt mit Hitler in ihr Land einmarschierten, hatten sie als unbescholtene polnische Bürger gelebt. Um Ostpolen gänzlich russisch zu gestalten, ließ der Diktator einen Großteil der polnischen Bevölkerung in sibirische Arbeitslager deportieren. Doch dann, im Juni 1941, brach Deutschland den Nichtangriffspakt, der die Annexion Ostpolens erst möglich gemacht hatte. Stalin war daraufhin gezwungen gewesen, sich mit den Alliierten zusammenzutun, um Hitler zu bekämpfen, und die machten zur Bedingung, dass er diplomatische Beziehungen zur polnischen Exilregierung aufnahm. Dank dieser Verhandlungen kam es zur Amnestie der Polen in Sibirien. Helena und Luzyna waren frei! Im Gefolge der neu gegründeten polnischen Armee, die sich aus den vormals Deportierten rekrutierte, gelangten die Schwestern nach Persien. Das Land stand unter der Aufsicht der Alliierten, die Polen genossen hier Flüchtlingsstatus. Niemand trachtete Helena und Luzyna in dem vorderasiatischen Staat nach dem Leben, doch die jungen Frauen waren über das Leid der vergangenen Jahre noch längst nicht hinweg.
Helena erreichte schließlich den Verschlag, den sie sich mit ihrer Schwester teilte. Sie schob den improvisierten Vorhang aus Decken zur Seite, mit denen sie ihren winzigen persönlichen Bereich vom Gemeinschaftsschlafraum abgetrennt hatten, und warf das Nähzeug auf ihr Bett. Dann hastete sie gemeinsam mit Adam zur Lagerküche. Die Sonne stand hoch über den schneebedeckten Bergen, es war längst Mittag, und die Köche hielten das Essen bereit. Die Flüchtlinge warteten sicher schon ungeduldig. Drei reichhaltige Mahlzeiten bekamen sie hier in Persien täglich, für sie alle immer noch ein kleines Wunder. In Sibirien hatte man sie jahrelang hungern lassen.
Die Feldküche lag etwa hundert Meter von den Unterkünften entfernt, in denen die Menschen untergebracht waren. Adam und Helena erreichten sie über einen breiten, gut befestigten Weg. Das Flüchtlingslager war eigentlich als Kaserne für die persische Luftwaffe geplant gewesen – die zentralen Ziegelsteingebäude waren sehr viel solider gefertigt als die Baracken. Sie waren von einer ordentlichen, gelb gestrichenen Mauer umgeben und nicht von einem unschönen Stacheldrahtzaun, wie man ihn eilig um die Unterkünfte errichtet hatte. Die vier Häuser hatten die Flüchtlingsströme allerdings nicht fassen können. Man hatte die Menschen zunächst in Zelten, dann in rasch hochgezogenen Baracken untergebracht. Die Kasernen beherbergten jetzt hauptsächlich öffentliche Räume wie das Krankenhaus, die Schule und die Werkstätten.
Die Armee hatte dem Flüchtlingslager zwei Feldküchen und ein Küchenzelt zur Verfügung gestellt. Jetzt, im warmen persischen Sommer, empfanden die Küchenhelfer das als durchaus angenehm. Sie saßen gern in der Sonne vor dem Zelt oder im Schatten des Zeltvordachs, um Kartoffeln zu schälen oder Zutaten für Eintöpfe klein zu schneiden. Nach den Jahren in der sibirischen Kälte genossen die Menschen jeden Sonnenstrahl. Noch schöner wäre es natürlich, gäbe es auch ein paar Bäume oder Blumenbeete. Mit einer Verschönerung der Anlage hatte man sich jedoch nicht aufgehalten. Dem Auge schmeichelte allenfalls der Blick auf die fernen Gipfel des Elburs-Gebirges, zu dessen Füßen sich das Lager befand.
»Und die kleine Luzyna?«, fragte einer der Küchenhelfer anzüglich, als Adam und Helena sich jetzt an der Essensausgabe anstellten. Zwei junge Männer luden ihnen sowie den Essensausträgern für die anderen Baracken schwere Kessel mit Dosengulasch und Makkaroni auf Handwagen. »Hat die nicht eigentlich Dienst?«
Helena versteifte sich. »Meine Schwester musste zum Arzt«, behauptete sie mit schmalen Lippen.
Der zweite Küchenjunge lachte. »Von wegen Arzt!«, höhnte er. »Ich hab sie vorhin mit ihrem Kaspar hinter der Remise gesehen. Kann es sein, dass sie das Hospital mit der Reparaturwerkstatt verwechselt hat?«
Der achtzehnjährige Kaspar gehörte zu denjenigen, die bei der Wartung der Lastwagen helfen sollten, mit denen Verpflegung und neue Flüchtlinge ins Lager gebracht wurden. Er tat das ganz gern, während Luzyna die Küchenarbeit verabscheute. Sie hatte sich auch nicht wirklich freiwillig dazu gemeldet, sondern sich widerwillig dem Druck der älteren Schwester gebeugt. Jetzt schwänzte Luzyna, wann immer es möglich war, und Helena bereute schon, sie gezwungen zu haben. Sie fand jedoch nach wie vor, dass die Sechzehnjährige irgendetwas tun sollte, wenn sie schon nicht mehr zur Schule gehen wollte und sich auch nicht für die Ausbildung zur Schneiderin interessierte, mit der Helena selbst zähneknirschend begonnen hatte. Luzyna wollte weder ihre Englischkenntnisse verbessern noch Französisch oder Persisch lernen. Sie schien entschlossen, einfach gar nichts zu tun, außer sich treiben zu lassen und das vermeintliche Paradies zu genießen, in dem sie gestrandet waren.
Helena sah sich um, bevor sie sich anschickte, den Handwagen zu schieben, den Adam zog. Sie selbst empfand das Flüchtlingslager nicht als Paradies, auch wenn es zweifellos der beste Ort war, an den es sie seit der Deportation aus Polen verschlagen hatte. Sie sah weniger die imponierenden schneebedeckten Gebirgsgipfel zwischen grünen Hügeln und Dattelhainen als vielmehr die tristen Baracken und Lagerstraßen, bevölkert von traurigen, entwurzelten Menschen. Und wenngleich sie die Ausflüge in die nur vier Kilometer entfernte Stadt Teheran durchaus genoss, so fühlte Helena sich doch fremd in der quirligen Metropole. Das Chaos auf den Straßen, die durcheinanderschreienden Chauffeure von Autos, Lastwagen, Esel- und Ochsenkarren ängstigten sie, das Feilschen in den Basaren, die quäkende Musik, die Rufe der Muezzins von den Moscheen und die Menschen mit ihren Pluderhosen, langen Kleidern und seltsamen Kopfbedeckungen verunsicherten sie.
Helena konnte den prunkvollen Palast des Schahs durchaus bewundern, aber sie schwärmte nicht wie Luzyna von den eleganten Läden in den westlich orientierten Teilen der Stadt, den Seidenkleidern und dem raffinierten Make-up der dort flanierenden Frauen. Sie schämte sich eher für ihre eigenen schlichten Baumwollkleider, wenn sie durch die Prachtstraßen lief. Die Flüchtlinge hatten neue Kleidung erhalten, nachdem sie im Übergangslager in der Hafenstadt Pahlawi entlaust worden waren. Die meisten der Pullover, Kleider und Mäntel passten jedoch nicht richtig oder waren zu warm für den persischen Sommer. Im Vergleich zu den Frauen in Teheran fühlte Helena sich wie...




