E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: E-Book-Edition ITALIEN
Malerba Die nackten Masken
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8031-4132-3
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: E-Book-Edition ITALIEN
ISBN: 978-3-8031-4132-3
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach langer Regierungszeit voll Luxus und Korruption stirbt der Medici-Papst Leo X., der große Gegner Luthers. In Rom wählen die zerstrittenen Kardinäle ratlos einen Abwesenden zum neuen Papst, einen Flamen und mickrigen Asketen.
Diese unerhörte Wahl führt zu Aufregung und zu Aufruhr: Die korrupte Bürokratie zittert, die Fetten fallen vor Schreck vom Fleisch, Huren und Künstler bangen um Kundschaft, Bestochene um Bestechungen, das Volk tobt über den Ausländer.
Die Kardinäle müssen sich in acht nehmen, verrammeln sich in ihren Palästen und versuchen, ihre gewohnten Intrigensuppen auf häuslicher Flamme zu kochen: Wie komme ich zu frischem Geld, neuen Frauen, noch mehr Pfründen?
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Der chinesische Schlaf
Kardinal Cosimo Rolando della Torre machte gerade ein Schläfchen in seinem Arbeitszimmer in der Beletage seines Palasts an der Piazza dell’Oro am Ende der Via Giulia. Hinter den Scheiben der zwei hohen Fenster, die auf den Tiber hinausschauten, glühte die Sommersonne und entzog der feuchten Erde in den Wein- und Gemüsegärten längs des Flusses einen dichten Dunst, der seit den ersten Morgenstunden reglos über Rom lag und die Umrisse der Engelsburg verwischte und das ganze Panorama des Borgo und des Vatikanischen Hügels verschwimmen ließ. Schon zweimal war ein Vogel gekommen und hatte mit den Flügeln gegen die Scheiben geschlagen, in der Hoffnung, eine Bleibe und vielleicht ein wenig Futter zu finden, und hatte den Kardinal aus dem Schlaf gerissen, der sich nun fragte, warum wohl alle gerade bei ihm Schutz suchten, der ohnedies so viel Mühe hatte, die in seinem Palast ansässige familia zu erhalten. Einem kurzen Gedanken folgend, sagte er sich, daß sein magerer Kardinalsunterhalt ihm nicht erlaube, seinen Hausstand zu vergrößern, nicht einmal um die Gegenwart dieses lästigen Vogels, der nicht begriff, daß dies kein günstiger Moment war, ihn um Gastfreundschaft zu bitten. Der Kardinal hatte die Füße in erholsamer Haltung auf eine Fußbank gestützt, in den für den nachmittäglichen Schlaf gelösten Pantoffeln. Den Füßen pflegte der Purpurträger alle seine Beschwerden zuzuschreiben, auch die häufigen Anfälle von Migräne, und ihnen widmete er weiche Samtpantoffeln, seidene Strümpfe und auch ein paar Gebete. In der Hand, die von der Armlehne des strengen Sessels herunterbaumelte, der zwischen den beiden Fenstern stand, hielt der Kardinal einen großen Schlüssel fest umklammert. Dann und wann umnebelte sich sein Sinn für eine kurze Weile, die Augen fielen ihm zu, der Kopf sank nach hinten und die Finger lockerten ihren Griff, bis der Schlüssel herunterfiel und das metallische Klirren auf dem Marmorboden den kaum begonnenen Schlaf unterbrach. Der Kardinal richtete den Kopf wieder auf, öffnete wieder die Augen, und streckte langsam die Hand aus, um den Schlüssel aufzuheben. Dann lehnte er den Kopf erneut gegen die Rückenlehne seines hohen Sessels, senkte die Augenlider, und war erneut zum Schlaf bereit. Kein Gedanke durchzog seinen Sinn, nur das verschwommene Bild eines weiblichen Gesichts, das in einer Wolke von Traum und nachmittäglicher Schwüle erschien und verschwand. Kurze Augenblicke der Ruhe verstrichen, bis die Hand ihren Griff lockerte und der Schlüssel durch das gewohnte metallische Klirren auf dem Marmorboden seinen Schlaf abermals unterbrach. Geduldig und mit eingeübter Hartnäckigkeit hob der Kardinal den Schlüssel auf und schickte sich an, die seltsame Übung zu wiederholen. Mit dieser Kriegslist, die wie eine ausgeklügelte Folter erscheinen mochte, wollte der Kardinal sich nicht für die Sünden bestrafen, die er trotz der hohen Würde des Purpurs sicherlich begangen hatte. Er bediente sich vielmehr einer alten chinesischen Methode, um in ständiger Alarmbereitschaft zu sein. Es scheint in der Tat, daß jene kurzen Momente, in denen der Schlaf den Geist verdunkelt und sich unserer Glieder bemächtigt, diejenigen sind, die eine wahre Erholung gewähren – mehr als ein langer Schlaf. Und Gott weiß, wie sehr der Kardinal della Torre Erholung nötig hatte in jenen Tagen städtischer Turbulenzen und zermürbender Verhandlungen innerhalb der Römischen Kurie. Beunruhigungen, Intrigen, Bitterkeiten, Verdächtigungen, zusammen mit den Qualen der Migräne, hatten sich um die Person des Kardinals, seinen Palast und seine familia verdichtet. Der Kardinal war mit der Zeit an die täglichen Täuschungen gewöhnt, die notwendig waren für das Überleben in jener Periode fortgesetzter Ungewißheiten und jäher Veränderungen an der Spitze der provisorischen Regierung des Kirchenstaats – von Mal zu Mal angeordnet oder provoziert von solchen, die aus der Abwesenheit des Papstes Profit zu ziehen suchten. Hinzu kamen die täglichen Zügellosigkeiten und Türkereien der Konservatoren auf dem Kapitol, die stets schnell bei der Hand waren, Unordnung und Hurerei in der Stadt zum eigenen Vorteil zu nützen. Die Hauptstadt der Christenheyt, zerrüttet in ihren Grundvesten, ihrem Leben und ihrer Ehrbarkeyt, sah sich anheymgegeben der schendlichen und endehaften Zerstörung. Einer der Governore, entzündet zu groszer Hitze und noch heftigerem Zorn, zieh gar Gott selbst der schweren Schulde an dem Unheyl der Römer. Rom, einst Königinne und allherrschende Göttinne, sah sich in der Gegenwärtigkeit zernichtet zum Sturtz in allerdunkelste und einsamste Klüfte. Die fortgesetzte Wachsamkeit, die Notwendigkeit, alle zu verdächtigen, auch seine Familiaren, erlaubten es dem Kardinal nicht, dem Gegenstand seiner Wünsche, der den lieblichen Namen Palmira trug, genügend Gedanken zuzuwenden. Der nebelhafte Zustand des chinesischen Schlafs schien besonders geeignet, das Gesicht jener Frau zu beschwören, die vor seinen geistigen Augen im Licht und in den Farben der sogenannten Liebe erschien. Er hatte bereits beschlossen, der strenge Kardinal, daß er ihr die Gedanken der Nacht widmen und die Stunden des Tags für die Geschäfte und Bedrängnisse freihalten würde, die ihm sein hohes Amt bescherte. Diese Teilung war ihm als eine weise Entscheidung erschienen, aber immer häufiger drang der Gedanke an Palmira auch in das für die anderen Gedanken reservierte Feld ein. Er sagte sich darum, daß er die Zeiten des chinesischen Schlafs – jene wenigen dem Licht geraubten Momente von Dunkel und Entspannung – wohl auch dem nächtlichen Gebiet zuordnen konnte. War denn der Schlaf nicht von Natur aus eine nächtliche Institution? DASS DER KARDINAL mit seinem Amt nicht zufrieden war, hatte er nie verheimlicht, schon seit dem Tag als er sich den Kardinalspurpur mit klingenden Golddukaten erkaufte. Der hohe Preis hatte sich als nötig erwiesen, weil ihm schon zweimal andere Bewerber für dieses erhabene Amt vorgezogen wurden – zuerst ein obskurer junger Patrizier aus Genua, mehrfach verwandt mit den Bankiers seiner Stadt, welche die Finanzen Leos X. unterstützten, und dann ein Piccolomini, bei dem, wie es boshaft hieß, alles klein war, angefangen beim Kopf. Am Tag des großen Ämterschubs von 1513 hatte der Papst auf einen Schlag 31 neue Purpurträger ernannt und mit den erhaltenen Geldern die Bilanzen des Kirchenstaats wenigstens teilweise saniert. Aber den vielen Ernennungen entsprachen nicht ebensoviele Benefizien, und seit jener Zeit mußte sich der neue Kardinal Cosimo Rolando della Torre – von bescheidenem Adel und geringen persönlichen Mitteln – mit dem spärlichen Kardinalsgehalt begnügen, um eine gefräßige familia zu ernähren und einen Palast zu erhalten, der seine Mittel überstieg. Ein üppichter Lebenswandel, weytverbreytet und von den vielen verurteylet, die den hohen Prälaten Vorhalt machten, nicht zu bedencken, daß das prunkende und übermaßene Bauen und das allgemeyne Verlangen der Bürger nach Mehrung des Zierrats, zu besorgen gab, es könne für jene Geschlechter, welche die große Bedrohung irer Umstände nur unter etlichen Mühen wahrnahmen, den Ruin eintragen. ALS DER SCHLÜSSEL zum zehnten Mal auf den Boden fiel und zum zehnten Mal das metallische Klirren seinen kaum angedeuteten Schlaf jäh unterbrach, beschloß der Kardinal, daß er ausreichend geruht hatte. Er streckte die noch gefühllose Hand aus, und zog, statt den Schlüssel aufzuheben, viermal kräftig an der Klingelschnur, um seinen Kammerdiener, den jungen Diakon Baldassare zu sich zu rufen, der den Auftrag hatte, das Haustor so lange zu bewachen, bis die Schlosser das schwere Gittertor angebracht hätten, das den Palast vor den möglichen Überfällen schützen sollte, die in jenen Tagen städtischen Aufruhrs vornehmlich denjenigen Residenzen drohten, in denen die reichste Beute vermutet wurde. Sieben Kardinalspaläste waren bereits geplündert worden, und auch wenn sein eigener gewiß keine Gold- oder Silbermine war – die beiden begehrten und geschätzten Metalle der Räuber, die Rom verheerten – so mußte er doch auch mit privaten Racheakten und mit der Wut des Volks auf die Kardinäle rechnen, die den ausländischen Papst gewählt hatten. Noch immer klangen ihm die Schmähungen und Drohreden beim Verlassen des Konklaves mit den anderen Purpurträgern in den bestürzten Ohren. Nachdem sie den Weg vom Vatikanspalast zur Engelsburg durch den von Alexander VI. auf der Leoninischen Mauer gebauten Wehrgang zurückgelegt hatten, hatte das Geschrei der Menge sie noch am Ausgang der Burg empfangen und war ihnen über die Engelsbrücke bis zum anderen Tiberufer gefolgt, wo ihre Kutschen standen. Der Kardinal wußte mit Sicherheit, daß er Feinde hatte, die jede seiner Bewegungen verfolgten wie Falken auf der Lauer. Kein anderer Zeitpunkt war so günstig wie dieser für Überfälle und für die anonyme Beseitigung wehrloser Christen. Nachdem das...