E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Maxian Das Collier der Königin
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-27018-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman – Die große Geschichte über das geheimnisvolle Collier der Marie Antoinette
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-641-27018-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wien, Gegenwart. Ein unerwartetes Erbe rüttelt Leas Alltag als Versicherungsangestellte auf: Ihre zurückgezogen lebende Tante Goria vermacht ihr ein Diamantcollier, das schon lange im Familienbesitz ist. Handelt es sich bei dem sagenumwobenen Schmuckstück wirklich um das Collier Marie Antoinettes, das während der Französischen Revolution verschwand? Und wie kam es in den Besitz von Leas Familie?
Paris 1794. Isabelle Blanc ist auf der Flucht. Ihr Vater gilt als Feind der Revolution, da er Schmuckstücke für Adelsfamilien anfertigte. In Todesangst versteckt sie sich vor den Schergen Robespierres. Doch gerade als sich die Lage beruhigt, steht ein Soldat vor ihrer Tür und legt ein fremdes Kind in ihre Arme ...
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1
LEA
Wien, Juli 2019
Stimmengewirr und Gelächter begrüßten Lea wie eine herzliche Umarmung, als sie das Lugeck in der Innenstadt betrat. In dem Restaurant herrschte rege Betriebsamkeit, die Tische waren nahezu alle besetzt. Eine junge Frau mit blonden kurzen Haaren in schwarzer Hose und weißer Bluse fragte am Empfangspult nach ihrer Reservierung.
»Meister«, nannte Lea den Namen ihrer Freundin Paula, die für sie reserviert hatte.
Die Empfangsdame warf einen raschen Blick auf das große Buch vor sich. »Im oberen Stockwerk«, sagte sie und deutete auf die wuchtige Holztreppe neben der Bar.
Lea eilte nach oben. Sie sah sich nach ihren Freundinnen um und steuerte auf den Tisch zu, von wo aus man durch das Fenster auf den gleichnamigen Platz vor dem Restaurant schauen konnte. Paula und Sigrid plauderten angeregt miteinander. Beide trugen leichte Hosen, elegante Leinenblusen und Sandalen. Offensichtlich hatten sie es nach dem Büro zum Umziehen nach Hause geschafft. Lea war das nicht gelungen. Sie trug nach wie vor ihre Businesskleidung: dunkelgrauer Hosenanzug mit weißer Bluse und Pumps. Selbst ihre hellbraunen Haare waren noch im Nacken zu einem strengen Knoten geschlungen. Sie kam sich plötzlich so altbacken und uninteressant vor.
Hallo, liebe Mitmenschen. Frau Aufgeräumt erscheint zum Meeting.
Sie löste das Haargummi und fuhr sich mit den Fingern durch die Locken. Das Mindestmaß an Gemütlichkeit.
Es war Freitagabend. Ihr Jour fixe. Gutes Essen, hervorragender Wein, endlose Gespräche. Wie gewöhnlich kam Lea zu spät.
»Entschuldigt.« Sie küsste ihre Freundinnen zur Begrüßung auf die Wangen. Ihren Blazer und die Handtasche hängte sie an die Lehne des freien Stuhls, bevor sie sich darauf fallen ließ. Auf dem Tisch stand eine geöffnete Rotweinflasche, zwei gefüllte und ein leeres Glas. Paula schenkte Lea aus der angebrochenen Flasche ein.
»Genau dreißig Minuten«, betonte Sigrid. Sie war die Pünktlichkeit in Person in ihrer Dreierrunde, die Hüterin der Zeit. Unpünktlichkeit glich in ihren Augen dem Gipfel der Unhöflichkeit. Dabei bemühte sich Lea wirklich. In der Arbeit und bei Meetings gelang es ihr, auf die Sekunde genau zu erscheinen, doch in ihrem Privatleben versagte sie diesbezüglich zu oft. Auf ihrer Liste »Das-muss-ich-ändern-« stand dieser Punkt ganz oben.
»Hat dich dein Chef mal wieder kurz vor Büroschluss mit Papierkram zugemüllt?«, fragte Paula verständnisvoll und warf Sigrid einen besänftigenden Blick zu. Sie war Juristin und privat auf absolute Harmonie bedacht. Selbst mit ihrem Mann hielten sich die Streitereien in Grenzen. Paula war in ihrer Runde die einzige verheiratete Frau. Sigrid flirtete seit einem halben Jahr mit einem Kollegen, den sie bei einer Weiterbildung kennengelernt hatte. Passiert war noch nichts. Behauptete sie zumindest. Recht glauben wollten Paula und Lea ihr das allerdings nicht.
»Ein Mitarbeiter in einer Schlüsselposition hat heute gekündigt. Wir brauchen halt schnell Ersatz, und das wollte mein Chef noch rasch mit mir besprechen.« Lea war Human Resources Managerin in einer großen Versicherungsgesellschaft. Jedenfalls seit man alle Berufsbezeichnungen ins Englische übersetzt hatte. Davor hatte »Personaladministration« auf dem Schild an ihrer Bürotür gestanden. Der Aufgabenbereich hörte sich spannender an, als er in Wirklichkeit war. Denn entgegen ihrer Jobbeschreibung, Verbesserungspotenzial zu erkennen und in Kooperation mit den Führungskräften umzusetzen, scheiterte sie seit einem Jahr mit fast all ihren Vorschlägen. Zuletzt mit der Einführung eines Betriebskindergartens. In dem Unternehmen arbeiteten nahezu dreißig Prozent Mütter mit Kleinkindern. Die Vorteile einer derartigen Einrichtung lagen auf der Hand: besseres Betriebsklima, Beruf und Familie ließen sich problemloser vereinbaren. Nur zwei von vielen Pluspunkten. Doch auf dem Ohr war Klaus Kohnert, ihr unmittelbarer Vorgesetzter, taub. Ebenso der Direktor der Gesellschaft. Sie behaupteten, dass eine solche Umsetzung zu viel Bürokratie und Aufwand bedeuten würde. Lea hingegen hegte schon lange den Verdacht, dass ihnen ihre Vorschläge gleichgültig waren. Sie fühlte sich ungehört und unbeachtet, wie ein unscheinbarer Spatz unter stolzen Pfauen.
Sigrid beugte sich nach vorne und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. »Ist das seine Art dich zu würdigen? Wichtige Dinge kurz vor Büroschluss mit dir zu besprechen? Der Kerl hat doch nicht erst fünf Minuten vor Betriebsschluss gekündigt.« Sie richtete sich wieder auf und sah Lea mitleidig an. »Du musst lernen, dich durchzusetzen und auch mal Nein zu sagen.«
Lea runzelte die Stirn. Das sollte sie wahrhaftig. Nein zu sagen gehörte für sie zu den schwierigsten Aufgaben. Egal in welchem Bereich. Sie konnte weder ihrem Chef noch Kollegen oder Freunden etwas abschlagen. Selbst wenn ein Ja ihr Unmengen Arbeit und Stress bereitete.
»Willst du dir nicht endlich eine andere Stelle suchen? Eine, wo man dich ernst nimmt, dein Engagement zu schätzen weiß«, schlug Sigrid nicht zum ersten Mal vor. »Dich langweilt dein Job doch eh schon lange.«
Paula nickte zustimmend.
»Das sagst du so einfach. Jobwechsel. Ich hätte das Gefühl, meine Kolleginnen im Stich zu lassen. Wisst ihr, wie viele mir davon täglich mit ihrem Problem in den Ohren liegen? Weil sie sprichwörtlich mit der Kirche ums Kreuz fahren müssen, um ihre Kinder noch vor Arbeitsbeginn im Kindergarten abzuliefern. Wenn der Stress schon morgens losgeht, ist das sowohl für die Arbeitnehmerinnen als auch für den Arbeitgeber unbefriedigend. Außerdem finde ich, dass der Nachwuchs ein Grundrecht auf entspannte Eltern hat.«
»Tolles Plädoyer. Du solltest einen Ratgeber schreiben«, merkte Paula zynisch an. »Nur leider wirst du mit diesem Argument deinen Vorgesetzten nicht überzeugen. Du musst ihn auf der Ebene ansprechen, die er versteht. Geld. Einnahmen. Effizienz. Sind die Mitarbeiter weniger gestresst, sind sie stärker motiviert und die Arbeitsleistung steigt. Das verstehen Topmanager. Mit Menschlichkeit brauchst du denen nicht zu kommen. Diesen Charakterzug geben die an der Garderobe ab, wenn sie ihn überhaupt besitzen.«
Lea nahm, statt zu antworten, einen großzügigen Schluck Wein, und hob anerkennend die Augenbrauen. Der Blaufränkische schmeckte ausgesprochen vollmundig.
»Du bringst zwar alles mit, was für den Job unabdingbar ist: Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Belastbarkeit, Flexibilität und so weiter. Und doch verwaltest du lediglich die Personalangelegenheiten. Geh mal in dich, und such nach einer starken Prise Killerinstinkt.«
Sigrid war Psychologin und zwang ihr Umfeld regelmäßig zur Selbstreflexion. Das ging Lea auf die Nerven, weil es ihr die eigenen Schwächen deutlich vor Augen führte. Eine davon war Bequemlichkeit, außerdem scheute sie Konflikte. Letzteres hatte sie ihrer Mutter zu verdanken. Diese ermahnte sie stets, jedem Streit aus dem Weg zu gehen, keine Widerworte zu geben. Sich auf das Urteil anderer stärker zu verlassen als auf das eigene. Lea hatte nie gelernt, ihren Kopf durchzusetzen oder an ihre Ideen und Fähigkeiten zu glauben. Spannungen versuchte sie mit Humor zu entschärfen.
»Ich bin ein Scheidungskind«, argumentierte sie deshalb auch jetzt augenzwinkernd.
»Deine Eltern haben sich vor vier Jahren getrennt. Da warst du vierundzwanzig«, merkte Paula lapidar an.
Sigrid überging den Einwand, übernahm jedoch wieder das Reden. »Stell dir mal die einfache Frage, ob du den Job bis zur Pensionierung durchhältst. Ich denke, wir drei kennen die Antwort. Lass nicht zu, dass du eines Morgens aufwachst, die besten Jahre hinter dir liegen und du faktisch nichts aus deinem Leben gemacht hast.«
»Wir schreiben das einundzwanzigste Jahrhundert. Da ist alles möglich. Außer natürlich gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit von Mann und Frau«, schränkte Paula böse lachend ein. Das ungleiche Verhältnis der Geschlechter im Berufsleben war eines ihrer Lieblingsthemen.
»Ihr habt ja recht«, gab Lea klein bei. Das Leben raste in Windeseile an ihr vorbei, während sie sich täglich mit einer Tätigkeit abquälte, die sie nicht erfüllte. Sie war achtundzwanzig Jahre alt, stand frühmorgens auf, fuhr ins Büro und kam spätabends wieder in ihre Wohnung zurück. Meistens viel zu müde, um noch etwas zu unternehmen. Das sollte nicht die Quintessenz ihrer Lebensgeschichte sein. Den Job bei der Versicherung hatte sie aus Bequemlichkeit angenommen. Sie hatte dort schon während der Schulzeit in den Sommerferien Akten sortiert. Irgendwie hatte es sich ergeben, dass sie dann nach der Matura dortblieb. Zudem lag ihr Büro nur vier Straßenbahnhaltestellen von ihrer Wohnung in der Nußdorferstraße im neunten Bezirk entfernt. Ein weiterer Punkt, der an die Bequemlichkeit ging.
Der Kellner kam und fragte nach ihren Essenswünschen. Lea entschied sich für ein Rote-Rüben-Couscous. Paula orderte ein Kalbsgulasch. »Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen und...