Meiler | Agromafia | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Meiler Agromafia

Wie Ndrangheta & Co. die italienische Lebensmittelproduktion beherrschen - und was auf unsere Teller kommt

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-423-43784-4
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Mafia im 21. Jahrhundert: Tomaten sind das neue Kokain
Der größte Exportschlager Italiens ist seine Küche. Der Anteil der Mafia an diesem Geschäft: 25 Milliarden Euro jährlich. Sie kontrolliert nicht selten gesamte Lieferketten, vom Anbau bis zum Endprodukt. Und durch die Coronakrise hat sich ihr Einfluss noch vergrößert. Die Leidtragenden sind die Bauern und Händler – aber auch die Käufer italienischer Lebensmittel: wir.

Oliver Meiler hat mit Richtern der nationalen Anti-Mafia-Behörde und von der Mafia bedrohten Journalisten und Herstellern vor Ort gesprochen. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch die Essenslandschaften Italiens, zeichnet die Wege von Olivenöl, Mozzarella und Co. bis zu uns nach und deckt die mafiösen Strukturen dahinter auf.

Atmosphärisch, fesselnd, erschütternd!
Meiler Agromafia jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Die Mutationen der Mafia
Die Cosa Nostra beherrschte über drei Jahrzehnte hinweg die sizilianische Mafia. Bis 2006. Angeführt wurde sie in dieser Zeit von den Corleonesi, den Familien aus Corleone im Hinterland von Palermo. Ihr letzter großer Boss war Bernardo Provenzano, und dieser hatte eine besondere Verbindung zu Land und Erde, zu Vieh und Gemüse. Er war Bauer. Sie nannten ihn »Zu Binnu u tratturi«, »Onkel Bernardo der Traktor«. Schießen könne er »wie ein Gott«, hieß es von Provenzano. Wenn man das Bild des Agromafioso idealtypisch einer Person zuordnen müsste, böte sich »Onkel Bernardo der Traktor« an, ja er würde sich aufdrängen wie eine Karikatur. Dabei war er nur einer von vielen Bauern und Hirten mit einer kriminellen Karriere. Als sie Provenzano im April 2006 verhafteten, auf einem Bauernhof bei Corleone, waren die Italiener erstaunt. Dieser ungebildete, knorrig-kauzige Mann hatte es also geschafft, sich 43 Jahre lang zu verstecken, sogar daheim in Corleone, und alle zu narren. Er regierte Cosa Nostra mit sogenannten pizzini, kleinen Papierzetteln. Darauf standen Anweisungen, es waren Befehle von oben, von ihm, dem Boss der Bosse. Die Zettel mussten immer zerstört werden, nachdem sie gelesen worden waren. So funktionierte die Kommunikation damals, sie war abhörsicher. Zwei Kinder zeugte Provenzano in der langen Zeit seiner »Flucht«, wie die Italiener es nennen, wenn ein Mafioso untertaucht. Es wurden zwei Söhne: Angelo, geboren 1975, und Francesco Paolo, geboren 1982. Der Zweitgeborene sollte moderne Sprachen studieren und Lehrer werden. In der Zeit vor »Zu Binnu« hatte Salvatore »Totò« Riina Cosa Nostra geführt, auch er war Corleonese. Und dieser Riina sagte einmal: »Ohne Geld und Respekt bist du eine Null gemischt mit dem Nichts.« Er hatte die sizilianische Mafia verändert wie bis dahin keiner vor ihm in ihrer ganzen, zweihundertjährigen Geschichte. Ihre Essenz hatte er umgepolt und sie letztlich ruiniert. Riina stellte sich gegen den italienischen Staat, er forderte ihn militärisch heraus, wo die Strategie aller Mafias doch immer gewesen war, sich mit dem Staat zu arrangieren, still und heimlich, mehr oder weniger harmonisch. Man hatte einander gewähren lassen, Politiker dafür fanden sich immer, so lief das Geschäft für beide Seiten am besten. Auch im wirtschaftlichen Establishment hatte man sich mit dieser Regelung abgefunden. Die Mafia war eine unbequeme Alliierte der Elite, aber eben doch: eine Alliierte. Doch dann zerbrach das Gleichgewicht, der stille Pakt fiel auseinander. Wie und warum genau, darüber wird noch immer debattiert. Vier Jahrzehnte später. 1975 hatte der italienische Staat plötzlich damit begonnen, viel härter gegen die Mafiosi vorzugehen. Angetrieben wurde er von Richtern, Polizisten und Politikern, die es wirklich ernst meinten mit dem Kampf gegen Cosa Nostra. Sie führten keine Scheingefechte, sie gingen den ganzen Weg. Wen der Staat nun wegsteckte, der war wirklich weg. Haft nach »41 bis«, einem Artikel im italienischen Strafvollzugsgesetz, war und ist das härteste Verwahrungsregime in der westlichen Welt. Die Italiener nennen es auch »carcere duro«, hartes Gefängnis. Erdacht wurde es als Mittel im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Mafia. Es sieht Isolationshaft und ständige Bewachung vor, jede Post wird kontrolliert. Selbst der Hofgang ist streng limitiert. Es schnitt die Bosse komplett ab von der Außenwelt, von ihren Familien, den Clans. Früher war das immer anders gewesen, und die Bosse befahlen auch aus dem Gefängnis. Zuweilen war es für sie sogar ein Vorteil, einzusitzen, etwa während der Clanfehden, da waren sie drinnen sicherer als draußen und behielten die Gesamtlage besser im Blick. Doch Artikel »41 bis«, der so heißt, weil die Gesetzgeber die alte Zahlenabfolge im Gesetz nicht ändern mochten und die wichtige Novelle deshalb einfach als Zusatz an Artikel 41 anhängten, zog die Paten aus dem Verkehr. Das »bis« war kein Zusatz, es war entscheidend. Das Kommunizieren wurde viel schwieriger. Die Aura ihrer Macht verblasste. Einige Jahre später startete Riina die »fase stragista«, so nennt man die »Ära des Terrorismus« der Mafia, und diese Phase sollte alles verändern – für Cosa Nostra selbst, aber auch für das organisierte Verbrechen im ganzen Land. Mit Bomben und vielen omicidi eccellenti, Prominentenmorden: an Politikern, Richtern, Polizeichefs. Am Dreikönigstag 1980, an einem Sonntagmorgen, brachte Cosa Nostra Piersanti Mattarella um. Mattarella war damals Präsident der sizilianischen Regionalregierung, ein junger, mutiger Mann, der die Mafia bekämpfen wollte, 44 Jahre alt war er. Der Christdemokrat saß im Auto neben seiner Frau. Sie wollten zur Messe fahren, der Killer schoss durchs Fahrerfenster. Es war der Auftakt einer langen Serie von Morden an berühmten Vertretern des Staates. Alle waren sie politisch motiviert, so auch der Mord am Präfekten von Palermo, Carlo Alberto dalla Chiesa, im Herbst 1982. Der Staat reagierte mit einem Großprozess, der die Organisation in ihrem Kern treffen sollte. Es war, als hätte er schon lange alles bereit gehabt für diesen Moment, nur keinen passenden Ort. Für den »maxiprocesso«, den Großprozess, bauten sie in Palermo, nicht weit vom legendären Gefängnis Ucciardone, in kurzer Zeit eine Halle, die so groß war, dass sie Hunderte fasste. »Raumschiff«, nannte man diese Halle, oder »Bunkeraula«. Im hinteren Teil des Saals waren Zellen mit Gitterstäben eingerichtet, damit die Angeklagten den Verhandlungen beiwohnen konnten. Die Zellen sahen aus wie Käfige im Tierpark. Die Sicherheitstechnologie im Bunker aber war hochmodern. Die Italiener sollten sehen, dass der Staat ernst macht. In diesem Prozess wurde zum ersten Mal eine neue Norm aus dem Strafgesetzbuch angewandt, die den Kreis viel weiterzog als alle vorherigen und der Mafia in der Folge Hunderte hohe Haftstrafen eintrug. Die Norm »416 bis« verschärfte nicht nur das Strafmaß für den Tatbestand »Zugehörigkeit zur Mafia«, auf den nun ein Gefängnisaufenthalt zwischen zehn und fünfzehn Jahren stand, auch für einfache Mitglieder. Sondern sie definierte zusätzlich, was der Staat alles unter einem Mafioso verstand. Als mafiös gilt seitdem, wer die einschüchternde Kraft der Organisation nutzt, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen, zum Beispiel im Wettbewerb um einen öffentlichen Bauauftrag. Falls die Organisation für die Umsetzung ihrer Ziele mit Waffen droht oder zumindest welche zur Verfügung hat, sind Strafen bis 26 Jahre möglich. Außerdem statuiert das neue Gesetz, dass alle Güter, die sich die Mafia auf diese Art erworben hat, vom Staat beschlagnahmt werden. Erlassen wurde es nach dem Mord am Präfekten. Der Prozess war in jeder Beziehung »maxi«. Allein die Anklageschrift umfasste insgesamt 750 000 Seiten. 474 mutmaßliche Mafiosi wurden dem Gericht vorgeführt, viele von ihnen waren Kader der Organisation. Manchmal standen sie in Gruppen in den Käfigen, riefen Kommentare in die Aula, lachten höhnisch über die Vorwürfe, die man ihnen machte. Das Verfahren dauerte 638 Tage, es taktete die Nachrichten im Land. 600 Journalisten reisten an, auch viele ausländische waren da.[12] Über Italien hing damals die oft schon enttäuschte Hoffnung, der Staat würde es diesmal schaffen, der Mafia beizukommen. Doch Riinas Terror sollte da erst richtig beginnen, er war als Rache angelegt. »Man muss zuerst Krieg führen, bevor man Frieden schließen kann«, sagte er einmal.[13] Noch mehr Brutalität, noch prominentere Morde, noch mehr Tote. Auch viele unbeteiligte Menschen gerieten ins Feuer von Cosa Nostra. Am 23. Mai 1992, um 17.57 Uhr, sprengte die Mafia per Fernzündung ein Stück der Autobahn A29, bei der Ausfahrt Capaci. Drei gepanzerte Fiat Croma wirbelte es durch die Luft, in einem saß Giovanni Falcone, der große Anti-Mafia-Richter aus Palermo, und seine Frau Francesca Morvillo, auch sie Richterin. In den anderen Wagen saßen die Leibwächter. Fünf Tote, 23 Verletzte. Nur zwei Monate später, am 19. Juli 1992, um 16.58 Uhr, detonierte eine weitere Bombe. 90 Kilogramm Sprengstoff waren in einem gestohlenen Auto deponiert worden, das auf einem Parkplatz an der Via D’Amelio in Palermo vor der Hausnummer 21 stand. Dort lebten die Mutter und die Schwester von Paolo Borsellino, dem anderen großen Mafiajäger jener Zeit. Er kam zu Besuch, es war ein Sonntag, er wurde zum Inferno. Sechs Tote, 24 Verletzte. Mit diesen beiden Attentaten hatte Riina den Bogen überspannt. Die Italiener waren geschockt. Alle romantische Folklore, so es sie denn jemals gegeben hatte, war weg. Selbst in ihren Hochburgen verlor Cosa Nostra an Gunst. Die alten Gleichgewichte waren weggesprengt. Ein halbes Jahr nach dem Mord an Borsellino wurde Riina verhaftet. Sie nannten ihn »U curtu«, den Kurzen, weil er klein gewachsen war, und »La belva«, die Bestie, weil er im Umgang mit seinen Gegnern so unvorstellbar unmenschlich war. Er saß auf der Rückbank eines Autos mit Fahrer, mitten...


Meiler, Oliver
Oliver Meiler, geb. 1968, studierte Politikwissenschaften in Genf und arbeitete anschließend als Journalist in Italien, Südostasien, Frankreich und Spanien. Derzeit ist er Italienkorrespondent der ›Süddeutschen Zeitung‹ und des ›Tages-Anzeigers‹ und lebt mit seiner Familie in Rom. Für dieses Buch hat er das Land bereist und ist den Spuren der Lebensmittel bis nach Deutschland gefolgt.

Oliver Meiler, geb. 1968, studierte Politikwissenschaften in Genf und arbeitete anschließend als Journalist in Italien, Südostasien, Frankreich und Spanien. Derzeit ist er Italienkorrespondent der ›Süddeutschen Zeitung‹ und des ›Tages-Anzeigers‹ und lebt mit seiner Familie in Rom. Für dieses Buch hat er das Land bereist und ist den Spuren der Lebensmittel bis nach Deutschland gefolgt.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.