E-Book, Deutsch, Band 5, 458 Seiten
Reihe: Fortune de France
Merle Paris ist eine Messe wert
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8412-0175-1
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 5, 458 Seiten
Reihe: Fortune de France
ISBN: 978-3-8412-0175-1
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein großer König und sein charmanter Geheimagent: Henri Quatre und Pierre de Siorac vor den Toren von Paris. Frankreich im Jahr 1588. Die Bartholomäusnacht liegt sechzehn Jahre zurück, aber noch immer ist Bürgerkrieg zwischen Hugenotten und Katholiken. Zwar liegt der Herzog von Guise, das Haupt der Katholischen Liga, nun erdolcht im Schloss von Blois. Doch schon im Jahr darauf wird auch der toleranzbereite König Heinrich III. von einem fanatischen Dominikanermönch ermordet. Ein Menschenleben gilt nicht viel in diesen Zeiten. Sein Nachfolger auf dem Thron ist der ganz und gar unhöfische, aber militärisch erfahrene, nach Knoblauch stinkende und die Mädchen des Landes verführende Henri aus Navarra. Doch Henri ist Hugenotte und damit König ohne Krone - denn seine Hauptstadt Paris hält die Liga besetzt. In diesem dramatischen Kontext agiert der liebenswerte, charmante Pierre de Siorac, Arzt von Beruf, Geheimagent aus Begabung. Aber allein mit der Verführung hoher Damen ist es diesmal nicht getan. Er braucht auch all seinen politischen Verstand, seinen Witz und höchstes diplomatisches Geschick, um bei den gefährlichen Missionen, mit denen Henri ihn beauftragt, am Leben zu bleiben - bis dieser nach vierjähriger Belagerung von Paris endlich in seine Stadt einziehen kann ...
Robert Merle (1908-2004) wurde in Tébessa (Algerien) geboren. Schulbesuch und Studium in Frankreich. 1940 bis 1943 in deutscher Kriegsgefangenschaft. 1949 Prix Goncourt für seinen ersten Roman 'Wochenende in Zuydcoote'. Merles umfangreiches literarisches Werk spannt sich in einem großen Bogen von seinem Welterfolg 'Der Tod ist mein Beruf' über die ironische Zukunftsvision von 'Die geschützten Männer' bis zur historischen Romanfolge 'Fortune de France', die im Aufbau Verlag vollständig in deutscher Übersetzung erschienen sind.
Weitere Infos & Material
1;ERSTES KAPITEL;6
2;ZWEITES KAPITEL;43
3;DRITTES KAPITEL;73
4;VIERTES KAPITEL;106
5;FÜNFTES KAPITEL;143
6;SECHSTES KAPITEL;179
7;SIEBENTES KAPITEL;218
8;ACHTES KAPITEL;256
9;NEUNTES KAPITEL;291
10;ZEHNTES KAPITEL;322
11;ELFTES KAPITEL;355
12;ZWÖLFTES KAPITEL;395
13;DREIZEHNTES KAPITEL;427
ERSTES KAPITEL
Alles ist vergänglich, unsere Zeit, unsere Welt wie auch wir, und ein Glück nur, daß unseren Augen die Zukunft verborgen bleibt, denn kennten wir sie, erstickte sie unsere Freuden im Keim. In jenem unerhörten Moment, als Guise niederbrach und sein Tod den König und uns, die wir ihn liebten, von einer unerträglichen Last befreite – wären wir da nicht in tiefe Verzweiflung gestürzt, hätten wir vorausgesehen, welches Unheil ein knappes Jahr später unseren armen Herrn treffen sollte?
Ach, könnte ich wie ein Maler jenen Augenblick auf einer Leinwand festhalten, wie der Herzog von Guise, von Dolchstichen durchbohrt, so übergroß und blutig vor dem königlichen Bette lag! Und wie der König auf der Schwelle des Neuen Kabinetts verharrte und den Tod seines Feindes noch nicht fassen konnte, weshalb er mich ihn untersuchen hieß. Und als er nach dieser (in Wahrheit unnötigen) Untersuchung aus meinem Mund vernahm, daß der lothringische Fürst seine Seele wem auch immer anheimgegeben hatte, richtete er sich auf, und mit ruhigem, festem Blick und ohne den Ton anzuheben, aber mit einer Majestät, wie wir sie seit unserer Flucht aus dem aufständischen Paris weder in seinen Augen noch in seiner Haltung mehr gesehen hatten, sprach er einige wenige Worte.
»Der König von Paris ist tot«, sagte er. »Jetzt bin ich König von Frankreich und nicht mehr Gefangener und Sklave, wie ich es seit den Barrikaden war.«
Und dann gab der König mir einen Ring, den Beaulieu von Guises Finger gezogen hatte und der mit einem diamantenen Herzen besetzt war, und befahl mir, ihn Navarra zu überbringen, mit welchem er sich aussöhnen und seine Kräfte vereinigen wolle zum Kampf gegen die sogenannte Heilige Liga, denn er wußte, daß Guises Ende durchaus nicht das Ende der Liga war, im Gegenteil.
Indessen war es gar nicht leicht, aus dem Schloß hinauszugelangen, denn kaum hatten sich Guise und der Kardinal in jener Frühe zur Ratssitzung eingefunden, waren Türen und Tore sämtlich versperrt und mit Wachen besetzt worden, damit die Falle hinter ihnen zuschnappte. Und obwohl Laugnac de Montpezat, Hauptmann der »Fünfundvierzig«, mir zur Eskorte La Bastide und Montseris mitgab, die sich straff in ihre Mäntel wickelten, um ihre mit dem Blut des Herzogs bespritzten Wämser zu verbergen, bedurfte es erst der Fürsprache des Herrn von Bellegarde, damit man mich durch ein kleines Ausfalltor an der hinteren Seite des Schlosses hinausließ. Von dort zogen wir in strömendem Regen und unter düster verhangenem Himmel in die eben erwachende Stadt Blois, die noch nichts von der Exekution des lothringischen Prinzen wußte. Doch nicht mehr für lange, denn schon kam unserem Trio ein starker Trupp Soldaten entgegen, die zwischen gesenkten Piken ein halbes Dutzend ligistische Gefangene zum Schloß hinauf führten, unter welchen ich den Präsidenten von Neuilly, der so dicht am Wasser gebaut hatte, den quittegelben La Chapelle-Marteau und den schönen Grafen von Brissac mit dem Schiefmaul erkannte, während ich zum Glück von ihnen nicht erkannt wurde, trug ich doch, wie gesagt, Haare und Bart schwarz gefärbt und das Barett der »Fünfundvierzig« tief in die Stirn gezogen.
Mochte diesen Erzligisten blühen, was wollte, dachte ich hundemüde, Gutes wünschte ich ihnen gewiß nicht, zu übel hatten sie meinem geliebten Herrn im Namen der Liga mitgespielt. Und kaum erreichte ich den Gasthof »Zu den zwei Tauben«, fiel ich, taub für die Fragen meines Miroul und ohne mir auch nur die Stiefel auszuziehen, auf mein Bett und schlief ein. Immerhin hatte ich zwei Tage sozusagen kein Auge zugetan, denn die Nacht mit Du Halde in der königlichen Garderobe war doch eher ein langes Wachen gewesen, weil Du Halde solche Angst hatte, die Stunde zu verpassen, zu welcher er den König wecken sollte.
Mir war, als hätte ich höchstens fünf Minuten geschlafen, als zwei Hände mich an den Schultern packten und rüttelten, die wiederum ich packte und in den Schraubstock meiner Finger schloß.
»Schockschwerenot!« schrie ich, »was ist los? Wer will mir ans Leder?«
»He, he, Herr! Laßt mich los!« hörte ich eine Stimme. »Ich bin es doch, Margot, Eure Magd! Ich will Euch nichts Böses und bin unbewaffnet.«
»Unbewaffnet, Margot?« sagte ich, indem ich meine entzückten Augen aufschlug.
»Unbewaffnet, ja.«
»Wahrlich, Margot«, sagte ich lachend, indem ich sie an mich zog und ihren molligen Busen küßte, »unbewaffnet, sagst du? Und was ich hier küsse, wäre kein Angriff auf mein schwaches Herz?«
»Laßt gut sein, Herr, und beliebt mich loszulassen!« sagte Margot zornig. »Ich bin keine von den liederlichen Weibsbildern, die Monsieur de Montpezat jeden Montag seinen Gascognern spendiert.«
»Bist du etwa noch Jungfrau, Margot?« fragte ich.
»Das bin ich, Herr, und will es bleiben. Mögen mich die gebenedeite Jungfrau und alle Heiligen erhören!«
»Und mögen sie dich beschützen!« sagte ich, indem ich sie losließ. »Und nichts für ungut, Margot! Hier, nimm die zwei Sous zur Sühne für die geraubten Küsse, meine Hübsche. Weshalb hast du mich geweckt?«
»Im Wirtssaal ist ein Edelmann, der Euch sprechen möchte. Er sagt, er sei ein Freund Eures Herrn Vaters.«
»Wie sieht er aus?«
»Vornehm, ziemlich schön, soweit man es unter seinem großen Hut sehen kann, noch keine dreißig Jahre, denk ich.«
»Die Augen?«
»Blau, die Nase gerade, breite Backenknochen. Er hat Degen und Dolch und bestimmt eine Pistole unterm Cape. Seine Miene ist ein bißchen überheblich, und er sieht aus, als ob er sich nichts gefallen ließe, aber sonst ist er frank und frei, nicht geizig, nicht böse, ganz wie Ihr, Herr.«
»Das hast du schön gesagt, Margot! Und nun geh und bring mir den Fremden her.«
Was sie im Handumdrehen tat, und kaum war mein Besucher ins Zimmer getreten, kam er mir mit freundlichem Lächeln entgegen.
»Monsieur«, sagte der Baron von Rosny1, indem er seinen Hut abnahm und eine hohe Stirn entblößte, auf welcher sich die blonden Haare trotz seiner Jugend schon lichteten, »ich kenne den Baron von Mespech besser als Euch. Aber da ich weiß, daß Ihr dem König ebenso treu dient wie ich dem König von Navarra, möchte ich Euch ein Anliegen vortragen, sofern Ihr mich anhören wollt.«
Worauf ich ihn höflich bat, sich zu setzen, und ihm versicherte, daß ich durch meinen Vater um seine großen Verdienste wisse und daß mein Herr und Gebieter Heinrich III. ihn, obwohl er bei Navarra war, hochschätzte als einen Mann, der sich zuoberst dem Wohl des Staates verpflichtet fühle.
Ich faßte dies in die Sprache des Louvre, die ja bekanntlich verlangt, alles zehnmal so umständlich auszudrücken, was sich auch kurz und knapp sagen läßt; und während ich redete, betrachtete ich ihn neugierig und fand, daß Margot recht hatte, wenn sie von seiner Überheblichkeit sprach. Nur daß sie, im Unterschied zu dem unerträglichen Dünkel des Herzogs von Epernon, der sich mit der Verachtung des ganzen Menschengeschlechts paarte, bei Monsieur de Rosny mit einer Art männlichen Geradheit und Gutmütigkeit einherging. Dem widersprachen weder seine schönen blauen Augen noch die hohe Stirn, noch die fröhlichen, breiten Backenknochen, noch auch der Genießermund. Er war, wie ich gehört hatte, ein bedeutender Kopf unter den Hugenotten und verstand sowohl im Kampf tüchtig auszuteilen als auch heikelste Unterhandlungen zu führen. Meine höfischen Komplimente schlappte er wie ein Kater süßen Rahm, hatte er doch eine so hohe Meinung von sich, daß ihn keine Übertreibung unverdient dünkte. Als ich ihn besser kennenlernte, begriff ich allerdings, daß Rosny, ganz anders als Epernon, der nach dem Tod unseres guten Herrn nur mehr sich selbst zu befördern und auf dem Ruin und Zerfall des Staates sein Glück zu gründen suchte, stets nur das eine Ziel hatte, das Königreich zu erhalten, die Franzosen zu einigen und für den allgemeinen Frieden zu wirken.
»Monsieur«, sagte er, als ich meine Rede beendet hatte, »dank Herrn von Rambouillet konnte ich den König sprechen, und er sagte mir, daß er sich insgeheim mit Navarra aussöhnen will, weil die Liga ihm im Nacken sitzt, und daß ich zu Navarra reisen und ihm seine Absicht unterbreiten soll. Nur einen Paß wollte er mir nicht geben, weil der Herzog von Nevers nichts davon erfahren soll, der zwar ein treuer Royalist, aber so von Herzensgrund papistisch ist, daß er ein Bündnis Heinrichs III. mit einem Ketzer und Exkommunizierten strikt ablehnt. Und als Kommandeur der königlichen Armeen würde er mich glatt festnehmen lassen, entweder hier in Blois oder aber unterwegs.«
»Ha, Monsieur!« sagte ich, da mir endlich leuchtete, worauf er hinauswollte, »ist es nicht ein Jammer, daß der König einem treuen Diener mißtrauen muß, weil der Papst ständig seine Finger zwischen ihm und seinen Untertanen hat?«
»Ein Jammer, ja«, sagte Monsieur de Rosny und verstummte, indem er mich aus seinen scharfen blauen Augen fragend ansah. Offenbar wußte er schon, dachte ich – vielleicht durch Herrn von Rambouillet –, daß der König auch mich mit einem Friedensangebot und Guises Ring zu Navarra schickte.
»Monsieur de Rosny«, sagte ich lächelnd, »sofern der König einwilligt, bin ich gern bereit, Euch auf meinen Paß mitzunehmen, wenn ich im Auftrag meines Herrn zu Navarra reise. Meine einzige Bedingung ist, daß ich an Euren Gesprächen mit dem König von Navarra teilnehmen darf, schließlich doppelt sich Eure Gesandtschaft mit meiner, ohne sie indes aufzuheben.«
Ich sah, wie Rosny hierauf ein wenig zurückzuckte, denn natürlich wollte er allein den Ruhm einheimsen, eine Einigung zwischen Navarra und dem König von...




