Michl / Seidel | Handbuch Erlebnispädagogik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 387 Seiten

Michl / Seidel Handbuch Erlebnispädagogik

E-Book, Deutsch, 387 Seiten

ISBN: 978-3-497-61540-7
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Zielgruppenanalyse, Sicherheit, internationale Entwicklungen - das sind nur einige Aspekte, mit denen sich die Erlebnispädagogik in Theorie und Praxis auseinandersetzen muss. Sie ist mittlerweile eine fest verankerte Disziplin in der Pädagogik, zu der auch an Universitäten zunehmend geforscht wird.
Das "Handbuch Erlebnispädagogik" bündelt Wissen, Forschungsergebnisse und Erfahrungen systematisch. Es werden sowohl theoretische Grundlagen als auch konkrete Handlungsfelder wie z. B. City Bound, Zirkuspädagogik oder schulische Erlebnispädagogik beschrieben.
Das neue Standardwerk für die erlebnispädagogische Arbeit!
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Zielgruppe


ErlebnispädagogInnen, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen, ErzieherInnen sowie Studierende und Lehrende dieser Bereiche und alle, die erlebnispädagogisch arbeiten (wollen)

Weitere Infos & Material


2.1 Hirnforschung und Konstruktivismus – zu den Grundlagen erlebnispädagogischen Lernens von Bernd Heckmair Häufig werden die Erkenntnisse der pädagogischen Psychologie, der Erziehungswissenschaft oder spezieller, der Bildungsforschung herangezogen, wenn es um Begründungen, Herleitungen und Prämissen erlebnispädagogischen Lernens geht. Aus gutem Grund wird hier aber der Blick in zwei andere Richtungen gelenkt: In den Neurowissenschaften wurde etwa seit Beginn der 1990er Jahre eine Fülle von Einzelstudien publiziert, welche für die Erlebnispädagogik mehr als für jede andere Einzeldisziplin und Methode im Bereich von Erziehung und Bildung Relevanz besitzen. Die handlungs- und erfahrungsorientierte Erlebnispädagogik ist außerdem geradezu prädestiniert für ein konstruktivistisches Lernverständnis (Heckmair / Michl 2013, 39 f.) – viel mehr als für das in Erziehung und Bildung üblicherweise vorherrschende instruktionistische Paradigma. Im Folgenden werden daher die für das erlebnispädagogische Lernen wichtigsten Erkenntnisse der neueren Hirnforschung vorgestellt und mit den Eckpunkten einer konstruktivistischen Bildungstheorie verknüpft. Die Entdeckung der Emotionen Ironischerweise war es ein Psychologe, der die Neurowissenschaften beim Thema Intelligenz und Lernen seiner eigenen Disziplin vorzog: Daniel Goleman (1996) berief sich in seinem Buch „Emotionale Intelligenz“ auf die Macht der Gefühle, argumentierte mit Erkenntnissen der Hirnforschung und sorgte damit für eine zweite „kognitive Wende“. Es waren dann die Studien von Antonio Damasio, die Golemans etwas populistischen Ansatz wissenschaftlich unterfütterten. Emotionen sind für Damasio „komplexe, größtenteils automatisch ablaufende, von der Evolution gestaltete Programme für Handlungen“, während Gefühle „Wahrnehmungen dessen [sind], was in unserem Körper und Geist abläuft, wenn wir Emotionen haben“ (Damasio 2011, 122). Für ihn ist „vernünftiges Denken ohne den Einfluß der Emotionen nicht möglich“ (Damasio 2000, 57). Sein Fachkollege Joseph LeDoux spricht gar von einer „feindlichen Übernahme des Bewusstseins durch die Emotion“ (LeDoux 2006, 299), während Gerhard Roth, einer der führenden deutschen Hirnforscher, die Dominanz der Gefühle über den Verstand so kommentiert: „Das ist auch gut so, denn unsere konditionierten Gefühle sind ja nichts anderes als ‚konzentrierte Lebenserfahrung‘“ (Roth 2001, 321). Informationen werden emotional eingefärbt Im tradierten Lernverständnis, etwa in der instruktionistisch dominierten Schulpädagogik, werden Emotionen entweder ignoriert oder als Störfaktoren identifiziert. Die Hirnforschung hat sie nun rehabilitiert und schreibt ihnen eine herausragende Bedeutung bei Lernprozessen zu. Der Ulmer Psychiater und Klinikleiter Manfred Spitzer bringt das folgendermaßen auf den Punkt: „Was uns Menschen umtreibt, sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle, Geschichten und vor allem andere Menschen“ (Spitzer 2002, 160). Wenn sich die Erlebnispädagogik bewusst auf emotional aufgeladene Situationen stützt, begünstigt sie also nachhaltiges Lernen. Damasio verknüpft in seinem Konzept die emotionalen und die vernunftgeleiteten Anteile bei der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung des Gehirns: Jedes sensorisch eingehende Wahrnehmungsbündel wird markiert, das heißt mit einer positiven oder negativen Bewertung versehen und entsprechend abgespeichert. Dergestalt entsteht ein „Tendenzapparat“ (Damasio 1999, 239), der Verhaltens- und Handlungsanleitungen vorbereitet. Dies geschieht unbewusst. Hier einen Zugang zu finden, ist langwierig und mühselig. Chancen dafür bieten vor allem die Selbstreflexion und das Feedback durch andere Menschen – sowohl in Alltagssituationen von Schule, Beruf und Freizeit als auch im Besonderen in der Nachbearbeitung erlebnispädagogischer Aktionen. Emotionen fokussieren die Aufmerksamkeit, steigern Motivation und Gedächtnisleistung und aktivieren unser Belohnungssystem. Wenn etwas für uns neu ist, wenn etwas besser gelingt als erwartet, wenn wir eine Herausforderung erfolgreich bewältigen, werden körpereigene Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter ausgeschüttet und in dessen Folge Opioide freigesetzt. Sie motivieren uns, münden bestenfalls in einen „Flow“ (Csikszentmihalyi 2008). Körper und Bewegung Dass durch Bewegung neue Nervenzellen im Gehirn generiert werden, wurde durch Zufall entdeckt. Der kanadische Psychologe Donald Hebb nahm 1945 ein paar Laborratten mit nach Hause. Nach ihrer Rückkehr ins Labor schnitten diese bei Lerntests besser ab als ihre in den Käfigen verbliebenen Artgenossen (Hebb 1947, 306). Hebb folgerte, dass die anregende Umgebung und das Spiel die Ursache dafür waren. Ein paar Jahrzehnte später konnte man nachweisen, dass sich durch Bewegung die Gehirne von Tieren vergrößern, dass zusätzliche Synapsen, also Verbindungen zwischen den Nervenzellen entstehen und dass sich die Leistungsfähigkeit der Tiere erhöht. Im Spiel werden bei Rudeltieren die sozialen Bindungen stabilisiert. Am Massachusetts Institute of Technology setzte man zwei Katzen in ein Karussell. Die eine konnte das Karussell in Bewegung bringen und damit steuern; die andere verblieb nur passiv im Karussell. Ein anschließender Test ergab, dass nur das aktive Tier gelernt hatte. Wolf Singer folgert daraus: „Nur-Zuschauen genügt also nicht. Selbermachen ist entscheidend“ (Singer 2002, 50). Ausdauertraining fürs Gehirn John Ratey untersuchte als einer der ersten Forscher, inwieweit körperliche Bewegung auf das Gehirn von Menschen positive Wirkungen erzielt. Er berichtet von einem Schulprojekt in Illinois. Dort startete man jeden Schultag mit einer Stunde Ausdauersport. Die SchülerInnen trugen beim Fußball, Basketball und beim Laufen Pulsuhren und konnten damit ihre Herzfrequenz kontrollieren. Dass die SchülerInnen dadurch fitter wurden und sich der Anteil an übergewichtigen SchülerInnen reduzierte, konnte man erwarten. Erstaunen rief indessen ein internationaler Leistungstest hervor, in dem die SchülerInnen aus Illinois hervorragend abschnitten. Für Ratey und sein Forscherteam war der Zusammenhang von Fitness und mentalem Leistungsvermögen eindeutig (Ratey 2009, 23 f.). Das Ulmer „Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen“ konnte ebenfalls nachweisen, dass „körperliche Fitness in einem positiven Zusammenhang mit exekutiven Funktionen steht“ (Beck 2014, 29 f.), wobei bedenklich stimmen müsste, dass sich SchülerInnen in einer konventionellen Sportstunde höchstens acht bis zwölf Minuten bewegen (Korte 2010, 298). Man weiß inzwischen, dass bei körperlicher Aktivität die Botenstoffe Dopamin und Serotonin ausgeschüttet werden. Damit erzielt man eine „sehr stark antidepressive Wirkung“ und dämpft psychischen und emotionalen Stress (Linden 2012, 181). Außerdem werden Opioide sowie Endocannabinoide freigesetzt, was das körpereigene Belohnungssystem stimuliert (Linden 2012, 184) und zur Beschleunigung von Lernprozessen führt. Angesichts dieser Ergebnisse fragt man sich, warum die meisten traditionellen Erziehungs- und Bildungskonzepte das Thema Körper und Bewegung weitgehend ausklammern. In der Schule werden vorwiegend die „MINT-Fächer“ Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik ausgebaut, während man den Sportunterricht als sekundär erachtet. Dabei geht es um viel mehr als körperliches Wohlbefinden, es geht auch und vor allem um die Entwicklung des Gehirns. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen Wie unmittelbar sich soziale Isolation auf die Entwicklung von Primaten auswirkt, zeigen frühe Studien an Affen. An der Universität in Wisconsin wurden Rhesusaffen in Einzelkäfigen aufgezogen, um Infektionen zu minimieren. Die Folge war, dass die jungen Affen, die nicht im Familienverbund aufwuchsen, wie wild an ihren Daumen saugten und manisch hin und her wippten. Als man sie später miteinander in Kontakt brachte, schlugen und verletzten sie sich gegenseitig (Harlow 1961). Als um 1900 in Pariser Krankenhäusern Röteln ausbrachen, wurden die Schwestern angewiesen, Körperkontakt zu Säuglingen auf das Nötigste zu beschränken. In der Folge schoss die Sterberate in die Höhe. Die Ursache war nicht etwa die Kinderkrankheit, sondern der Mangel an Zuwendung (Spitz 1945). In den Waisenhäusern des rumänischen Ceau?escu-Regimes erhielten die Kinder weder Zuwendung noch erfuhren sie Körperkontakt. Als sie 1989 befreit wurden, fand man sie als antriebslose Wesen, die apathisch an den Gitterstäben der Bettgestelle hin und her wippten (Lehrer 2009, 247 f.). Fazit: (Nicht nur) Kinder brauchen Nähe! Darwins „Theorie der natürlichen Auslese“ wird landläufig als untereinander geführter Vernichtungskampf missverstanden; dabei hat Darwin die Prinzipien Kooperation und Altruismus immer schon mitgedacht (Bauer 2008, 15 f.). Der Mensch ist zu allererst ein Gemeinschaftswesen. Kooperation ist der Normalfall und nicht die Ausnahme. Das Belohnungssystem springt bereits an, wenn sich die Blicke lächelnder Gesichter begegnen oder „nette Worte“ ausgetauscht werden. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren konnte das nachgewiesen werden (Spitzer 2006, 190 f.). Kooperation ist für den Menschen nicht nur bedeutsam, sie ist vielmehr notwendig. Insofern müsste kooperatives Handeln auch das Herzstück des...


Prof. Dr. i. R. Werner Michl lehrte an der Fakultät Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm und war außerordentlicher Professor an der Universität Luxemburg.
Dipl. Soz. päd. Holger Seidel ist Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik "erlebnistage" sowie Vorsitzender des Reisenetz - der Deutsche Fachverband für Jugendreisen.


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