Morgan | So laut du kannst | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4, 461 Seiten

Reihe: Wendy Morgan Thriller

Morgan So laut du kannst

E-Book, Deutsch, Band 4, 461 Seiten

Reihe: Wendy Morgan Thriller

ISBN: 978-3-8412-1906-0
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Schatten der Vergangenheit.Lake Charlotte ist ein kleiner, idyllischer Ort. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Doch der Schein trügt - vor zehn Jahren verschwanden hier drei junge Mädchen, die nie wieder aufgetaucht sind. Rory Connelly, deren Schwester eine der Vermissten war, hat die Folgen der Tragödie am eigenen Leib erfahren. Angst und Verzweiflung zerstörten damals ihre Familie, und Rory flüchtete ins College. Nun ist sie zurückgekehrt, um sich um ihre kranke Mutter und ihre jüngere Schwester zu kümmern. Als am Jahrestag des Dramas erneut ein Teenager verschwindet, scheint Rory die schreckliche Vergangenheit eingeholt zu haben. Kehrt das Grauen zurück?

Wendy Morgan hat englische Literatur mit dem Schwerpunkt kreatives Schreiben studiert. Nach ihrem Studium hat sie zunächst als Lektorin und Journalistin gearbeitet, um sich dann ganz ihrem Traumberuf der Schriftstellerin zu widmen. Wendy Morgan lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in New York.
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KAPITEL 1
Also dann, Rory … danke fürs Mitkommen«, brummt Kevin mürrisch, den Blick forschend auf den Monitor mit den Abflugdaten geheftet, als suche er seinen Zubringerflug zum New Yorker Flughafen »John F. Kennedy«. Dabei hat er Nummer und Abflugzeit bereits x-mal überprüft und gegengecheckt. Gate vier, pünktlich um 16:35 Uhr. Und jetzt ist es erst halb vier! Rory beobachtet den ernsten Ausdruck auf dem Gesicht ihres jüngeren Bruders. Wann er wohl zum Mann geworden ist? Sie hat das Gefühl, als habe sie ihn bei den wenigen Gelegenheiten seit ihrem Fortgang von zu Hause nie genau angesehen. Sie war erst spät am Vorabend eingetroffen und von der stundenlangen Autofahrt derart erschöpft, dass sie keine Lust hatte, noch lange aufzubleiben und zu reden. Heute hingegen, während sie sich in ihrem Elternhaus häuslich einrichtete und Kevin sich abreisefertig machte, herrschte hektische Betriebsamkeit. Dann chauffierte sie ihn zum Flughafen, und da sind sie nun. Zum ersten Mal fällt ihr der Schatten von Bartstoppeln an Kevins Kinn auf. Außerdem hat seine sonst so schlaksige Figur ein wenig angesetzt, was ihn in dem dünnen Baumwollhemd und den eng sitzenden Jeans etwas fülliger erscheinen lässt. Er ist erwachsen geworden und bricht erstmals auf eigene Faust zu einer Reise auf. Jetzt erst merkt sie, dass er sie angesprochen und sich bedankt hat. »Gern geschehen«, erwidert sie und streicht ihm dabei eine blonde Haarsträhne aus den Augen. »Bestell Mom …« Achselzuckend bricht er ab. »Ach, nichts. Ist eh egal, was du ihr sagst. Sie versteht es ja doch nicht. Sie kapiert überhaupt nichts – nur, dass ich wegfliege. Warum ich fahre und dass ich wiederkomme, das begreift sie nicht, obwohl ich’s ihr erklärt habe …« »Mom schafft das schon«, versichert Rory ihm, bemüht, das plötzliche Schuldgefühl zu verdrängen, das sie angesichts des besorgten Blicks in seinen grünen Augen überkommt. Er wirkt älter, als er ist, ihr kleiner Bruder. Gealtert. Ihretwegen. Denn er war schließlich daheim gewesen und stand vor dem Scherbenhaufen, als Daddy anderthalb Jahre nach jenem furchtbaren Sommer durch einen Hirnschlag tot umfiel. Dass sie auch noch Witwe wurde, gab ihrer Mutter den Rest, konnte sie sich doch auf keinen Ehemann mehr stützen, der immer für sie da war wie Daddy während ihrer zwanzig Ehejahre. Maura Connolly war immer schon anfällig gewesen, immer nervös und psychisch labil. Nach Kevins Geburt, so erinnert Rory sich, war ihre Mutter in eine tiefe und fast ein Jahr andauernde Depressionen verfallen und hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen, das sie nicht einmal wie sonst üblich für den täglichen Gang zur Heiligen Messe verließ. Nachdem Daddy ein Kindermädchen eingestellt hatte, das sich um den Kleinen und um Rory kümmerte, zwang er Mom schließlich dazu, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Obwohl das Wort Psychiater nie fiel, musste es wohl doch einer gewesen sein, wie Rory später begriff. Nach einer Therapie mit Medikamenten hatte Mom dann allmählich wieder ins Leben zurückgefunden. So wie früher wurde sie zwar nicht, verhielt sich jedoch immerhin wieder wie ein normales menschliches Wesen. Daddys Tod konnte sie seelisch endgültig nicht mehr verkraften. Die Augen allmählich blicklos und leer, die Stimme tonlos, wurde sie körperlich schwach und zerbrechlich. Ihr Geist, so schien es, zog sich in ferne Gefilde zurück. Rory war diese Entwicklung nicht entgangen. Sie hätte auch blind sein müssen, um die Flucht ihrer Mutter aus der realen Welt nicht zu bemerken. Zu der Zeit studierte Rory allerdings bereits auf dem College, weitab vom Schuss, drüben in Kalifornien, so weit von Lake Charlotte und daheim fort, wie es nur ging. Und sie ließ sich nur selten blicken, da sie das hohle, hallende Echo im großen alten Haus in der Hayes Street nicht ertragen konnte, vielleicht auch nicht wollte – und nicht die Gegenwart der drei, die dort immer noch inmitten der Erinnerungen hausten. Mom und Kevin und Molly, die zum Zeitpunkt von Carleens Verschwinden gerade drei geworden war und sich wohl kaum noch an ihre Schwester oder an ihren Vater erinnern konnte, auch wenn sie das Gegenteil behauptete. Eine Zeit lang, als Vorschulkind, hatte Molly sich nicht davon abbringen lassen, ihren Bruder »Daddy« zu nennen. Dabei blieb sie ein, zwei Jahre lang, obwohl er sie ständig korrigierte. Na ja, Kevin hat tatsächlich eine Art Vaterrolle für Molly übernommen, denkt Rory. Richtige Eltern hat Molly durch die geistige Abwesenheit ihrer Mom ja nie kennen gelernt. Und nun tritt Kevin, frischgebackener Absolvent des Albany College, eine Europareise an, die den ganzen Sommer über dauern wird. Aus diesem Grund ist Rory endlich nach Hause zurückgekehrt. Weil Molly mit ihren dreizehn Jahren noch zu jung ist, als dass man sie uneingeschränkt sich selbst überlassen könnte. Und Mom … Klar, um Mom muss sich ebenfalls jemand kümmern. »Sie lässt den Gasherd an, Rory«, bemerkt Kevin, während Rory gedankenverloren mit dem Schulterriemen seiner neuen, seesackähnlichen Bordtasche spielt. »Also, abends vorm Schlafengehen immer kontrollieren, ob die Gasflamme auch abgedreht ist! Mom setzt nämlich Teewasser auf und vergisst es dann.« »Ich passe schon auf.« Er hat sie bereits zum dritten Mal auf Moms Vergesslichkeit bezüglich des Herdes hingewiesen. »Und jeden Tag will sie einen Pullover anziehen, selbst bei dreißig Grad im Schatten. Lass ihr das nicht durchgehen. Sie kriegt sonst einen Hitzschlag, wie vorigen Sommer. Ich hab die meisten ihrer Pullover …« »… in die schwarze Truhe auf dem Dachboden getan. Ich weiß.« »Kann aber sein, dass sie die findet. In letzter Zeit stöbert sie dauernd da oben herum. Weiß der Himmel, wozu. Na, die Truhe ist jedenfalls abgeschlossen. Der Schlüssel …« »… liegt in der Schublade überm Brotkasten in der Speisekammer.« »Entschuldige!« Er ringt sich ein gequältes Lächeln ab. »Ich weiß gar nicht mehr, was ich dir gesagt habe und was nicht. Es gibt so viel zu bedenken, wenn man auf beide Acht geben muss, auf Molly und auf Mom …« Rory nickt. Dem Vernehmen nach muss sich Molly mit ihren dunklen Locken und den blitzenden blauen Augen in jüngster Zeit wie ein ziemlicher Feger aufgeführt haben. »Ich mach mir halt Sorgen, Rory«, murmelt Kevin, tief Luft holend und aus vollen Backen wieder ausblasend, wobei er wippend auf den Absätzen balanciert. »Nicht nötig. Ich kümmere mich um alles.« Nun bin ich an der Reihe, fügt sie stumm hinzu, erneut vom schlechten Gewissen geplagt. Wie konnte ich die drei bloß so viele Jahre ignorieren? Wie konnte ich Kevin mit allem allein lassen? Ganz einfach. Zurückzuschauen, das hat sie sich verboten. Hat sich nicht von den quälenden Erinnerungen einholen lassen. Und je mehr Zeit verging, desto leichter fiel es ihr, sie alle zu vergessen, die sie verloren hatte – die Schwester, den Vater und die beste Freundin, und letztlich auch die Familie. Zwischendurch, nach Abschluss des Kunststudiums an der Universität von Berkeley, war sie einige Jahre kreuz und quer durchs Land gestreift, ungebunden und unbeschwert, als sei sie aller Sorgen ledig. Im Winter Skilehrerin in Colorado, dann im Frühjahr nach Texas, Versicherungen verkaufen. Danach nach New York, wo sie sich als Aushilfssekretärin an der Wall Street verdingte, bis sie genug hatte von der Finanzwirtschaft und dem Leben in der Großstadt und an die Westküste zurückkehrte, um in Santa Cruz als Malermodell zu arbeiten. Natürlich ließ sie den Kontakt zur Familie nie völlig abreißen. Alle paar Wochen rief sie zu Hause an, gab ein Lebenszeichen von sich, meldete, wo sie zu erreichen war – für alle Fälle. Für alle Fälle? Für den Fall, dass Mom etwas zustieß? Oder Molly? Oder Kevin? Für den Fall, dass einer von ihnen wie Carleen oder Emily von der Bildfläche verschwand oder tot umfiel? Wie Daddy? In diesem Winter wohnte sie in Miami, als Kevin ihr am Telefon mitteilte, er plane eine Europareise. »Ich bin jetzt seit einem Jahr mit Katherine zusammen«, hatte er ihr berichtet. »Sie macht eine Rucksacktour durch Europa. Ich soll mitkommen, meint sie.« »Mann, toll! Unbedingt!«, hatte Rory enthusiastisch erwidert. »So eine Tour hab ich zwischen Vor- und Hauptstudium auch unternommen, weißt du noch? Beinahe wäre ich überhaupt nicht wieder in die Staaten zurückgekehrt! Das war ein Riesenerlebnis! Lass dir das nicht entgehen, Kevin!« Schweigen. Und dann war ihr allmählich aufgegangen, weshalb er sie anrief. Weil er, falls sie nicht nach Hause kam, um sich um Mom und Molly zu kümmern, unmöglich auf Reisen...


Morgan, Wendy

Wendy Morgan hat englische Literatur mit dem Schwerpunkt kreatives Schreiben studiert. Nach ihrem Studium hat sie zunächst als Lektorin und Journalistin gearbeitet, um sich dann ganz ihrem Traumberuf der Schriftstellerin zu widmen. Wendy Morgan lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in New York. 


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