Móricz | Der glückliche Mensch | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 508 Seiten

Móricz Der glückliche Mensch


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-945370-72-8
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 508 Seiten

ISBN: 978-3-945370-72-8
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zsigmond Móricz (1879-1942) hat sein ganzes schriftstellerisches Werk der Beschreibung der ungarischen Landbevölkerung gewidmet. Mit dem Protagonisten György Jo. schuf er in »Der glückliche Mensch« einen Prototyp des unverwüstlichen, Tag für Tag im Dienst bei größeren Landbesitzern seinen Lebensunterhalt erwirtschaftenden Kätners. Dieser erinnert sich an die Freuden seines Aufwachsens, zwischen Amselnestern, Ackerkrume und Apfelernte, geprägt von Gelegenheitsarbeiten und alltäglichem Maisbrot mit Speck. Obwohl die sozialen Verhältnisse im Dorf immer weiter auseinanderklaffen, die Reicheren sich den verbliebenen Besitz der ärmeren auch mit unlauteren Mitteln unter den Nagel reißen und György und seine Mutter sich zunehmend beschränken müssen, findet dieser mit nie versiegendem Humor auch im arbeitsamen Alltag und beim abendlichen Tanzvergnügen mit den Mädchen aus der Nachbarschaft das Glück des einfachen, aber wahren Daseins. Der schlichten Schönheit der mündlichen Erzählung Györgys kann man sich beim Lesen nicht entziehen. Man fiebert mit, wünscht sich, dass die Bemühungen um ein wenig Wohlstand erfolgreich sein m.gen, und bangt bei seinen Abenteuern ums Gelingen. Timea Tankó bleibt in ihrer kraftvollen Übersetzung ganz nah am unverstellten Erzählton von Móricz und verleiht der Geschichte damit eine vor Erlebnislust und Bauernschläue nur so strotzende Lebendigkeit. Eines wird bei allen Rückschlägen dabei niemals verloren: die Hoffnung auf den nächsten Sonnenaufgang und einen weiteren Tag voller Möglichkeiten auf neues Glück. Erscheinungstermin März 2023

Zsigmond Móricz (1879-1942) wurde als erstes von neun Kindern eines armen Kleinbauern und einer Pastorentochter geboren. Als Kind lernte er die Armut auf dem Land kennen, doch da er großen Bildungshunger hatte, konnten ihn seine Eltern als Schüler in das Kollegium von Debrecen schicken. Sein Studium der Theologie und der Rechtswissenschaft brach er dann jedoch ab und arbeitete als Journalist in Budapest. Mehrere Sommer hindurch sammelte Móricz Volkslieder im Komitat Szatmár und hatte dabei die Gelegenheit, die Verhältnisse auf dem ungarischen Dorf, besonders das Leben der armen Landbevölkerung, intensiv zu erleben. 1908 wurde in der Zeitschrift Nyugat eine erste Erzählung von ihm abgedruckt, der eine Vielzahl an Romanen und Erzählungen folgte. Móricz nahm - entgegen den Strömungen der Literatur seiner Zeit - in ihnen mit einem ganz eigenen Realismus das Leben der armen Landarbeiter in den Blick und schilderte die Schwierigkeiten, sich angesichts individueller wie kollektiver gesellschaftlicher Widersprüchlichkeiten zu behaupten und in brutaler sozialer Not Menschlichkeit zu bewahren.

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Ich saß in der Redaktion und arbeitete. Meine Arbeit besteht darin, die eingehenden Manuskripte zu lesen. Jährlich werden uns an die tausend Romane und Erzählungen zugesendet. Wie viele Menschen es gibt, die es als wichtig, notwendig, ja unerlässlich empfinden, ihr Leben zu erzählen! Wie wunderbar der Mitteilungsdrang des Menschen doch ist. Es klopfte an der offenen Tür, und herein trat ein Mann mit langen Beinen. Er sagte nichts, lächelte nur, und ich erkannte in ihm meinen Landsmann György Joó, einen Kleinbauern aus der Gegend Tiszahát. »Schönen guten Tag, Vetter Zsigmond«, grüßte er höflich. »Grüß Gott. Was führt dich denn zu mir?«, fragte ich. Er lächelte immer noch, etwas verstohlen, und suchte sichtlich nach Worten. »Ich komme in wichtiger Angelegenheit«, sagte er schließlich. »Setz dich und erzähle.« Er nickte, setzte sich, nickte noch einmal. Er sah nicht aus wie jemand, der um etwas bitten wollte, vielmehr so, als führte er etwas ganz Bestimmtes im Schilde. Er streckte die langen Beine breit aus, als säße er auf einer Ofenbank, kreiste mit den bestiefelten Füßen, blickte zum Boden und schwieg voller Vertrauen. »Nun zünd dir eine Zigarette an und erzähl, was du mir mitgebracht hast«, sagte ich. Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel, rollte sie fachmännisch zwischen den Fingern und zündete sie an, dann wandte er mir den Blick zu, die schwarzen Augen glänzten, das Gesicht leuchtete. »Ich sage Ihnen, warum ich gekommen bin. Vetter Zsigmond, ich bin gekommen, um mein Leben zu erzählen, damit Sie daraus einen schönen Roman schreiben.« Gütiger Gott, nun bringen mir die Leute nicht mehr nur ihre Texte, sondern gleich ihr ganzes Leben. Ich betrachtete ihn. Das schmale, knochige Gesicht wirkte freundlich. Wie gut es ihm gehen musste, wenn er es sich leisten konnte, aus dem hintersten Winkel des Komitats Szatmár nach Budapest zu reisen und in der Redaktion eines alten Landsmanns vorbeizuschauen, nur um ihm sein Leben zu erzählen … Was für ein Mensch mag er wohl sein, welches Schicksal wird er haben, und wie ist er überhaupt auf diesen sonderbaren Gedanken gekommen? Um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, fragte ich: »Wie steht’s um den Weizen?« Es war nämlich kurz vor Ostern, also die Zeit, in der die Gedanken eines Bauern um nichts anderes kreisen als um seinen Weizen. Seine Stirn bewölkte sich leicht, und er winkte nur ab. »Darüber brauchen wir gar nicht zu sprechen«, sagte er. »Der Weizen hat uns reingelegt. Wissen Sie, den Weizen, den … gibt es gar nicht … er wächst nicht und lässt sich auch nicht verkaufen. Über das Leben von heute lohnt es sich nicht zu sprechen. Heute kommt man nicht mehr über die Runden. Ich habe mir gedacht, ich gehe nach Budapest, um ein bisschen Geld zu verdienen, aber das ist auch nicht mehr möglich. Hier gibt es keine Arbeit mehr … Und früher? Wissen Sie, wie es war, wenn ich früher nach Budapest gekommen bin? Schon als ich am Keleti-Bahnhof ausgestiegen bin und die Rákóczi út entlangging, hat mich ein Vorarbeiter angehalten und gefragt: Junger Mann, wollen Sie arbeiten?‹ Natürlich wollte ich. ›Na, dann kommen Sie mit‹, sagte er, und ich gesellte mich zu den anderen in die Reihe, heute noch weiß ich, dass wir ein großes Haus in der Kinizsi utca gebaut haben. Da war ich bis Weihnachten beschäftigt … Damals konnte man sich vor Arbeit kaum retten. Und jetzt? Die dritte Woche bin ich schon hier und hab davon nur eine arbeiten können. Bei allen alten Bekannten bin ich gewesen. Die großen Firmen, bei denen ich sonst gearbeitet habe, gibt es alle nicht mehr. Ich war sogar schon beim hochgeborenen Herrn Abgeordneten, der kann mir aber auch nicht helfen … Es gibt keine Arbeit, da dachte ich mir, ich gehe zu Vetter Zsigmond und erzähle ihm wenigstens mein Leben.« »Wie viel Land hast du?«, fragte ich. »In Liget habe ich drei Joch und in Uszka fünf. Dann noch meinen Garten, der ist neunhundert Quadratklafter groß, und dann habe ich noch tausendzweihundert Quadratklafter unbrauchbares Land.« »Von über acht Joch Land kannst du nicht leben? Und musst nach Budapest kommen, um dir Arbeit zu suchen?« »Leider ist es so. Es gedeiht ja nichts mehr.« »Ihr versteht nur nicht zu wirtschaften.« Er schüttelte den Kopf. »Das Wirtschaften ist nicht das Problem«, erwiderte er, »sondern das Wetter. Wir machen es genauso wie die Alten von früher, aber das nützt ja nichts, wenn die Erde keinen Ertrag mehr bringt … Bei uns regnet es nicht mehr. Ganze Sommer vergehen ohne Regen, von Frühling bis Herbst fällt kein einziger Tropfen. Als ich Kind war, da gab es all das Wasser. Jeden Frühling hat der Batár die Wiesen überschwemmt. Es gab Tau jeden Morgen, und reichlich Schilf gab es auch. Der Mais wuchs so hoch, dass sich die Rossdiebe drin verstecken konnten. Dabei gedeiht Mais nur, wenn der Frosch in der Ackerfurche quakt. Frösche gibt es nicht mehr, und Wasser auch nicht. Die Herren haben es umgeleitet. Nun gibt’s kein Schilf mehr, keine Binsen und auch keine Wasservögel. Sogar der Batár trocknet langsam aus, in den heißen Sommern wird sein Bett ganz rissig … Aber wir haben auch schon gehört, dass es den Fluss bald gar nicht mehr geben wird, die Tschechen wollen ihn umleiten, schon weiter oben in die Theiß münden lassen, noch auf tschechischem Gebiet, und dann bleiben wir ganz ohne Wasser.« Ich betrachtete ihn wieder. Er ließ seinen zerzausten Kuruzenkopf hängen. Die Hakennase ragte aus dem schmalen Gesicht, und vom hängenden Schnauzbart tropfte der Kummer. Ein Wasservogel auf der Flucht, weil sein Sumpf austrocknet. Er hatte sich emporgeschwungen und war in die Ferne geflogen. Nun zog er seine Kreise über fremden Gegenden des Landes, wollte sein Nest woanders bauen. Floh weiter, immer weiter. »Und die Steuern haben sie so hoch geschraubt, dass es nicht auszuhalten ist«, fuhr er fort. »Jetzt musste ich auch nach Budapest kommen, weil man mir eine Kuh und zwei junge Ochsen als Steuer weggenommen hat, aber nach einer Woche hat der Gerichtsvollzieher sie zurückgetrieben, weil er sie nicht verkaufen konnte. Nicht einmal für wenig Geld. Und nun muss ich sie so lange versorgen, bis man sie verkauft bekommt. Aber ich selbst darf sie nicht verkaufen, erschlagen auch nicht, muss sie füttern. Das Heu ist alle, und das Gras wächst ja gerade erst. Die Familie ist groß. Ich habe fünf Kinder, mit meiner lieben Frau sind wir zu siebt, Brot haben wir keins, auch keine Kartoffeln. Deshalb habe ich gedacht, ich komme nach Budapest, verdiene ein bisschen Geld, aber jetzt kann ich nicht einmal mehr heimfahren, dabei will ich nicht, dass es mir so ergeht wie dem Jóska Telegdi, der vierhundert Kilometer zu Fuß gehen musste.« In den Zügen des Mannes gab es etwas, das mich überraschte und berührte. Über all diese bitteren Umstände sprach er, ohne aufzubegehren, ohne Wut. Er griff dabei niemanden an. Es war, als spräche er über die unumgänglichen Gegebenheiten des Schicksals. Wie der Bauer über das Wetter oder Naturkatastrophen spricht. Über etwas, das man nicht ändern kann, weshalb man sich am besten damit abfindet. Er strahlte die Urruhe des armen, mit der Erde arbeitenden Mannes von Tiszahát aus. Die Ergebenheit gegenüber Gottes Willen. Es wäre in der Tat gut, schön und sinnvoll, endlich einmal ein genaueres Bild vom Leben eines solchen Menschen zu bekommen, dachte ich. Plötzlich verblassten all die dem Spiel der Fantasie und zumeist unfruchtbaren Träumereien entsprungenen Werke. Hier stand ein Stück Leben vor mir. Ich fühlte den Drang, es kennenzulernen, zu verstehen und niederzuschreiben, dieses Leben, das ja seit tausend Jahren die eigentliche Grundlage der gesamten ungarischen Welt war: das Leben eines Bauern. »Und wann könntest du mir dein Leben erzählen?«, fragte ich. Er lächelte verschmitzt. Jetzt sah er wirklich ganz und gar wie ein echter Kuruze aus. Seine winzigen schwarzen Augen wurden zu glänzenden Käfern, die zerzausten Haare fielen ihm wild in die weiße Stirn. Sein Blick heiterte sich auf, sein Humor, der ihm auch bisher schon in den Mundwinkeln gesessen hatte, zeigte sich nun deutlich, zugleich wurde aber auch seine tiefe Ruhe spürbar. Freundlich und ernst sah er mich an. »Wenn Sie wollen, kann ich es gleich machen«, antwortete er. »Jetzt gleich?« »Ja.« »Hast du alles so genau überdacht, dir deine Erzählung bereitgelegt?« »Das habe ich.« »Und warum willst du es erzählen?« Er neigte den Kopf nach vorn und...



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