E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Pistor Kling und Glöckchen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96041-783-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Weihnachtskrimi
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-96041-783-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Tiefschwarzer Humor von seiner weihnachtlichsten Seite.
Auch eine gut aufgeräumte Leiche ist eine Leiche und erfordert die Anwesenheit der Polizei, beschließt Janne Glöckchen, als sie eine Tote zwischen ihren farblich sortierten Mülltonnen findet. Wohl fühlt sie sich allerdings nicht dabei, liegt doch in ihrem Keller bereits ihre verstorbene Chefin Irmgard Kling auf Eis. Aber schlimmer geht immer: Ein junger Mann mit unlauteren Absichten und eine dritte Leiche machen die Aussicht auf eine stilvolle Vorweihnachtszeit für Janne vollends zunichte . . .
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Kapitel 2
Ich schüttelte heftig den Kopf, tippte von innen auf das Schild mit dem Hinweis und das darüber hängende Schild mit unseren Öffnungszeiten und hob dann mein Handgelenk, um auf meine nicht existierende Armbanduhr zu zeigen. Diese Geste hatte ich von Frau Olga übernommen, die immer, zu jeder Tages- und ich glaube auch Nachtzeit, eine schwere Armbanduhr aus rötlichem Gold mit glitzernden Steinchen trug. Einmal hatte ich sie gefragt, ob ich die Uhr auch einmal umbinden dürfe, aber sie hatte nur den Kopf bedächtig hin- und hergewiegt, das Schmuckstück liebevoll gestreichelt und was von Rentenversicherung gemurmelt. Natürlich durfte ich die Uhr nicht umbinden. Stattdessen hatte sie mich im nächsten Augenblick mit besagter Geste und dem Hinweis auf meine nicht erledigten Aufgaben aus der Küche gescheucht. Ob es daran lag, dass der Mann vor meiner Ladentür Frau Olga und ihre goldene Uhr nicht kannte, oder ob er grundsätzlich etwas begriffsstutzig war, konnte ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall ließ er sich nicht abwimmeln. Er klopfte weiter beherzt an die Scheibe. Um deutlicher zu werden, drehte ich mich um, steuerte den hinteren Teil des Geschäftes an und stellte mich so neben ein Regal, dass ich ihn, aber er mich nicht sehen konnte. Er ließ nicht locker. Als er schließlich sein Gesicht gegen die Scheibe presste und mit der flachen Hand neben sich ans Glas schlug, reichte es mir. So ein ungehobelter Klotz! Es würde mich mindestens zwanzig Minuten kosten, die Fettspuren seiner Haut vom Glas der Eingangstür zu putzen. »Gehen Sie weg!«, schnauzte ich ihn an, noch während ich die Tür aufriss. »Können Sie nicht lesen?« Erneut tippte ich auf das Schild mit den Öffnungszeiten. »Doch, ich –« Er brach ab, richtete sich zu voller Größe auf und schenkte mir das, was andere als strahlendes Lächeln bezeichnet hätten. Sicher war er es gewohnt, auf diese Weise seinen Willen zu bekommen. Ich war gespannt, wie er auf mein Nichtwollen reagieren würde. »Kommen Sie in einer halben Stunde wieder. Jetzt habe ich keine Zeit, für was auch immer.« Ich schloss die Tür und drehte den Schlüssel um. Nur zur Sicherheit. Man weiß ja nie. Kurz wirkte er komplett verdutzt. Dann wechselte sein Gesichtsausdruck zu flehentlich, und als auch das erkennbar nichts nutzte, lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Scheibe und sank langsam in die Hocke, die Handtasche wie den Heiligen Gral umklammert. Ich wandte mich ab, griff mit einer Hand zum Staubwedel und mit der anderen nach dem Postkartenständer. Erst mit links abstauben, dann mit rechts auffüllen. So ging es am schnellsten. Trotzdem machte mich das Wissen um seine Anwesenheit nervös. Nicht etwa, weil ich auf seine nicht zu übersehende Attraktivität reagiert hätte – dergleichen hatte ich mir schon vor vielen Jahren abgewöhnt. Mädchen beziehungsweise Frauen wie ich wurden von Angehörigen des männlichen Geschlechts im besten Fall ignoriert. Vermutlich entsprach ich nicht ihren irgendwelchen geheimen Regeln folgenden Kriterien. Was mir inzwischen aber nichts mehr ausmachte. Früher war das anders gewesen. Ich erinnerte mich an Dennis Selmenhorst, für den ich einst in frühpubertärer Liebe erblüht war und der mich, nachdem er mich einmal geküsst und meinen Busen gesucht, aber nicht gefunden hatte, am nächsten Tag in der Schule eiskalt abservierte und grinsend Lisa Kibulke den Arm um die Schulter legte. Das anschließende Gelächter und die hämischen Bemerkungen der Klasse hatten mir die schmerzvolle Erkenntnis gebracht, dass ich lediglich der Gegenstand einer Wette gewesen war. Das war eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, bei denen ich Einschneidendes erlebte, als meine Mutter zu Hause war und mein Elend zwischen zwei Telefonaten auch tatsächlich wahrnahm. Sie hatte mich tröstend in den Arm genommen – ein vollkommen ungewohntes Gefühl für mich –, mir über den Kopf gestrichen und selbigen dann an ihren im Gegensatz zu meinem in reichem Maße vorhandenen Busen gedrückt. »Weißt du, Dianne, schöne Männer hat man nie für sich allein«, hörte ich sie sagen. »Deswegen habe ich auch deinen Vater geheiratet.« Dass sie damit einen großen Teil zur genetischen Ursache meines Problems beigetragen hatte, war ihr vermutlich weder bei der damaligen Wahl ihres Partners noch in diesem Moment klar gewesen. Ein gut aussehender Vater wäre als Lieferant für mein Erbmaterial vermutlich die bessere Wahl gewesen, denn aus unserem Leben verschwunden war der andere ja auch. Außerdem irritierte es mich, wenn sie mich Dianne nannte. Für alle außer Frau Olga war ich seit dem Kindergarten die Janne. Dort war ständig die Rede von »der Marit« und »dem Yannick« gewesen und dass »die Marit« jetzt doch bitte die Schaukel für »Dianne« freimachen sollte. »Die Dianne« war den Damen dann vermutlich doch zu zungenbrechend gewesen. Für die Kinder hörte sich »Dianne« aber wie »die Janne« an, und dabei war es dann geblieben. Ich war die Janne. Und die Janne ließ sich auf keinen Fall zu irgendetwas drängen. Doch dieser Typ mit seiner Damenhandtasche saß immer noch dort draußen vor der Tür und schien jetzt sogar mit der Tasche zu sprechen. Ich erbarmte mich und schloss die Tür auf. Sofort sprang er auf die Beine. »Darf ich bitte reinkommen?« Ich nickte, trat einen Schritt zurück und ließ ihn in den Laden. »Was kann ich für Sie tun? Suchen Sie etwas Bestimmtes? Wir haben neue Einhorn-Anhänger bekommen. Als Figur und als Kugel.« Ich streckte die Hand aus und zeigte über seine Schulter hinweg in die pinke Abteilung des Ladens. Irmgard Kling hatte den Laden in Farbzonen eingeteilt. Die Einhorn-Sachen standen bei Pink, aber schon sehr nahe an der Grenze zum Elfenbein. »Nein, ich wollte –« Er brach schon wieder ab. Dafür, dass er so hartnäckig war, konnte er seine Wünsche nicht allzu gut artikulieren. Er räusperte sich. »Ich wollte mit Ihnen sprechen.« »Das tun Sie ja jetzt.« »Über Laura.« Er sah mich erwartungsvoll an und schob, als er meinen Gesichtsausdruck der völligen Ahnungslosigkeit vollkommen richtig als völlige Ahnungslosigkeit einstufte, nach: »Meine Ex-Freundin.« Nicht dass mir das weitergeholfen hätte. Ich überlegte angestrengt, ging verschiedene Möglichkeiten durch, kam aber immer zum selben Ergebnis. »Ich kenne keine Laura.« »Doch, also …« Er druckste herum. So langsam ging er mir mit seinen Sprechpausen und der Stotterei auf die Nerven. »Sie haben sie heute Morgen gefunden.« »Ich habe keine Laura –« Diesmal war ich es, die mitten im Satz abbrach. Die Tote. Sie hatte einen Namen. Laura. Und einen Ex-Freund. »Wie heißen Sie?«, wollte ich von ihm wissen, obwohl das eigentlich nichts zur Sache tat. »Ich bin der Elias.« Er hielt mir seine Hand hin und lächelte wieder dieses Lächeln, nur lag diesmal eine Prise Wehmut darin. Hatte er dieselbe Kindergärtnerin gehabt wie ich, der Elias? Beinahe automatisch griff ich seine Hand und schüttelte sie. »Janne«, sagte ich. Dass diese Höflichkeit ein großer Fehler gewesen war, wurde mir klar, als er die Handtasche fallen ließ und mich seitlich an sich heranzog. Was dann passierte, passierte sehr schnell. Zu schnell für mich und mit dem Ergebnis, dass mir erst schlecht und dann schwarz vor Augen wurde. Ich wusste nicht, wie lange ich ohnmächtig gewesen war. Vor allem aber wusste ich nicht, warum ich das Bewusstsein verloren hatte. So schön war der Kerl nun wirklich nicht, dass ich bei der ersten Berührung vor Begeisterung zusammenklappte. Genau genommen war ich noch nie zusammengeklappt. Weder vor einem Mann noch vor einer Frau. Zusammenzuklappen passte überhaupt nicht zu mir. Deswegen irritierte mich die Situation sehr. Sie klärte sich etwas auf, als ich versuchte, mich zu bewegen. Ich saß auf einem Stuhl im Büro. Das war zunächst nichts Ungewöhnliches. Hier hatte ich bereits öfter gesessen, mit und seit Kurzem ohne Irmgard, Geld zählend, Kaffee trinkend oder die kleinen Schleifen, mit denen wir die Geschenke verzierten, vorbereitend. Allerdings hatte ich bei den anderen Gelegenheiten ohne Probleme aufstehen und fortgehen können. In den Laden zum Beispiel oder zur Hintertür. Das ging jetzt nicht. Der freundliche junge Mann hatte meine Füße mit Kabelbinder an jeweils ein Stuhlbein und meine Hände aneinandergefesselt. Um meine Körpermitte herum sah ich zudem aus wie ein schlecht verpacktes Geschenk. Der Elias hatte mehrere Bahnen rotes Geschenkband um mich und die Stuhllehne gewickelt. Ob er auch eine schön aufgetuffte Schleife fabriziert hatte, konnte ich nicht sehen, denn die losen Enden befanden sich in meinem Rücken. Das wiederum ließ den Schluss zu, dass die Ohnmacht nicht einfach so aus heiterem Himmel über mich gekommen, sondern gezielt von ihm herbeigeführt worden war. Jetzt erinnerte ich mich auch an seinen Arm, der sich von hinten um meinen Hals gelegt und zugedrückt hatte. Aus dem Laden drangen Geräusche, die mich noch mehr beunruhigten als meine fixierte Lage. Es raschelte, klackte, schabte. Dann ein Geräusch, als zöge jemand einen sich verweigernden Postkartenständer so lange über den Boden, bis dieser umfiel. Das Fluchen im Anschluss bestätigte meine Vermutung. Irgendetwas lief ganz und gar nicht so, wie mein Besucher es sich erhofft hatte. Wenn er nicht gerade jemand war, der unter Anwendung von Gewalt in fremde Geschäfte eindrang, um sodann seine höchstpersönlichen Vorstellungen eines gelungenen Shop-Konzeptes darin umzusetzen, suchte er etwas. Nur was? Ich dachte nach. Um diese Uhrzeit Geld zu stehlen, wäre sehr unüberlegt. Am frühen Morgen lagen in den Kassen nur...




