E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Pitsch W.E.L.T
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-942200-79-0
Verlag: Brighton
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-942200-79-0
Verlag: Brighton
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wahnsinn, Einsamkeit, Leidenschaft, Todesangst - WELT. Die Machenschaften omnipotenter Ärzte durchleuchtend, legt Pitsch eine grausige Wahrheit frei. Kraft unvorhersehbarer Szenarien bricht sein Thriller mit den Stereotypen des Genres. WELT ist ein bizarrer Trip durch die zerklüfteten Schluchten unserer Seele und gleichsam eine Allegorie auf die Verlorenheit des modernen Menschen. Über das Buch: Mitten in Kopenhagen erwacht ein Mann, verwahrlost und ohne Erinnerung. Auf der Suche nach seiner Vergangenheit nimmt eine irre Geisterbahnfahrt ihren Anfang. Hinabstoßend in die entlegensten Bereiche der menschlichen Existenz, legt er Stück für Stück eine grausige Wahrheit frei. Gefährlich und düster ist die Welt, Lügen, Korruption und sexuelle Abartigkeiten zeichnen das Bild von einer dekadenten Gesellschaft. WELT. Ein Krimi aus Skandinavien.
Autoren/Hrsg.
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Nähe distanziert
Taumelnd zwischen den glitzernden Palästen des Konsums, streckte er demütig bettelnd die Hand aus.
Sie werden entschuldigen, hätten Sie vielleicht etwas Kleingeld für mich?
Von ´Mac Donald´ über ´Magazin´ bis hin zu ´Saturn´, das Raumschiff war gelandet, ein krasser Schritt für den verirrten Menschen, ein gigantischer Sprung für die Seele, unheimliche Begegnung der dritten Art.
Darf ich Sie um ein paar Münzen bitten?
Grelles Geläut der Kassenapparate, die Stimme eines Toten aus dem Fahrstuhlschacht: „Imagine all the people …“ Kreditkarten, Computerprogramme und Überwachungskameras, Telefonjunkies, abertausend substanzlose Nachrichten, der Äther schwirrend vor leeren Worthülsen. Zurschaustellung, Spiegelkabinett, Spekulanten, Fassaden auf Hochglanz poliert. Kultivierte Oberflächlichkeit, pervertierter Sensationshunger, bizarrer Voyeurismus! Hunderte Erdbebentote! Baby im Tiefkühlfach! Behinderter von Dogge zerfleischt! Models ohne Make-up! Opa auf Rastplatz vergessen! Gedächtnis verloren!
Gedächtnis verloren …
Könnten Sie mir bitte aus einer misslichen Lage helfen? Nur ein paar Kronen.
Mangelware Mangelware, Auswurf der Gesellschaft, namenloser Abschaum, Obdachloser, im Arm ein Leib Brot, ein Stück Gouda und 0,33 L. Apfelsaft.
„He, hier kannst du nicht liegen bleiben!“ Der Ton des Ordnungshüters gestattete keine Widerrede. „Such dir einen anderen Platz zum Pennen!“
Das Kaufhaus hatte ihn ausgespuckt, auf den hölzernen Rippen einer Bank war er niedergesunken, hatte Bissen für Bissen die rettende Nahrung verschlungen und sein Überleben gesichert. Unter dem Ansturm der Geschehnisse konnte er die Gegenwart nicht länger aufrechterhalten; sein Oberkörper war zeitlupenträge zur Seite geglitten, die altbekannte Dunkelheit hatte erneut seinen Geist in sich aufgesogen.
Wörter lösten sich von seinen Lippen, ganz ohne sein Zutun: „I orden, jeg skal nok gå.“ In Ordnung, ich gehe ja schon.
Niedrig stand die Sonnenscheibe am Kopenhagener Himmel, rotorange glomm sie über den Hausdächern und färbte Wolkenbänder mit filigranen Schleiern. Sein willkürlicher Weg führte über die lichte Fläche des Axel Torvs hin zur Mündung der Vesterbro Gade. Erstarrte Masken der Großstädter warben für Distanziertheit, die Rinnsteine sollten Unrat in ihre Schranken weisen, Ratten huschten durch die Labyrinthe der Kanalisation.
Am Tresen einer Drogerie vergrub seine freie Hand eine Schere und einen Nassrasierer in die Jackentasche, derweil er für den Luxus einer Zahnbürste 20 Kronen bezahlte. Eine öffentliche Toilettenanstalt war die nächste Anlaufstation, wo er sein Gesicht von dem wuchernden Haarwuchs und dem Bartgeflecht befreite. Um Jahre verjüngt durchmaß er im Nachtfall die Absolonsgade. Von Osten her verströmte das Firmament den letzten Widerschein des Tages.
Heerscharen von Nutten, bewaffnet mit Stilettos und ledernen Miniröcken, schlängelten ihre Leiber um seine Einsamkeit, stimmten den Ruf der Lüsternheit an. Aus geschminkten Mündern stießen glitschige Zungen hervor und umgarnten ihn mit der Anziehungskraft fleischfressender Pflanzen. Verzerrte Sinnbilder männlicher Vulgarität lösten sich aus den Nischen. Er währte ihren Angriffen und strauchelte in einen schummrigen, von Rauchschwaden und Bierdunst erfüllten Pub. Im Halbdunkel der rustikal möblierten Kneipe hingen etwa zehn, zwölf trinkfreudige Existenzen in unterschiedlichen Stadien des Verfalls; träge drehten sie ihre Brummschädel zur Seite und starrten ihn an. Der Wirt sorgte hinter der Theke für einen regen Fluss der Spirituosen, und aus einer altmodischen Jukebox schepperte ein vertraut anmutender Singsang: „ … gimme, gimme, gimme your love after midnight.“
Die Visage des Barkeepers spiegelte das harsche Milieu wider. „Was darf´s denn sein, Kumpel?“
Neben den Flaschenreihen war eine Preisliste befestigt, er wägte den Wert der verbliebenen Münzen ab, bestellte ein helles Bier und einen doppelten Schnaps zur Linderung seines Befindens. Dann stemmte er seine Ellbogen auf die Theke und starrte ins Leere, bei der Gelegenheit passierten die zurückliegenden Ereignisse Revue.
Der Wirt stellte die Gläser auf den Tresen und musterte seinen Gast mit unverhohlenem Interesse. „Sag mal“, ließ er stirnrunzelnd verlauten, „kennen wir uns nicht?“
Was hätte er da antworten sollen? Von den Toten auferstanden, war er wortwörtlich auf der Suche nach Identität und einem Zusammenhang in dem unbegreiflichen Verwirrspiel des Lebens. Außerhalb der irdischen Atmosphäre lauerte ein unermesslicher Raum.
„Schon möglich“, entgegnete er, wobei er abwartend den Kopf zur Seite neigte. „Wieso?“
Der andere stellte seine beachtliche Intelligenz unter Beweis: „Bist du schon mal hier gewesen?!“
Aus unerfindlichen Gründen ergriff nun Nervosität von ihm Besitz. Er kippte den hochprozentigen Schnaps hinunter und fischte seinerseits im Trüben.
„Nicht dass ich wüsste“, meinte er wahrheitsgemäß. „Obwohl, denkbar ist natürlich alles!“ Sein bemühtes Gelächter heischte nach Zustimmung. „Hast du mich hier schon mal gesehen?“
„Glaube ja.“
„Allein, oder war noch jemand bei mir?“
Der Barkeeper hob verwundert eine Augenbraue, aus seiner Perspektive nahm das Gespräch recht absurde Züge an. Wie um dem Spuk ein Ende zu bereiten, winkte er ab: „Wenn du es nicht mehr weißt, mein Freund, ich weiß es bestimmt nicht!“
Sicherlich lag es an seiner miserablen Verfassung, dass der Branntwein im Zusammenspiel mit dem Bier einschlug wie eine Abrissbirne. Mühsam rutschte er vom Barhocker, stolperte von Rauchschwaden umwogt auf die Straße hinaus, und wurde im Taumel seiner Orientierungslosigkeit zum gefundenen Fressen.
„Na Kleiner, heute schon gevögelt?“
Wiegenden Schrittes trat eine Blondierte aus dem Schatten einer Hauswand. „He, für 200 Kronen lutsch ich ihn dir ab!“
Sie machte nicht viel Federlesen, griff ihm gezielt zwischen die Schenkel und rieb auf offener Straße seinen Hosenlatz. Mangels Unterwäsche, die seine Erektion hätte in Zaum halten können, pochte sein Schwanz beständig gegen den Reißverschluss.
„Nein danke, ich-ich habe kein Geld“, stotterte er, und versuchte sich aus ihrem Griff zu lösen.
Ihr Grinsen war breit gefächert, die üppig aufgetragene Schminke bekam feine Risse. „Wie ich das sehe“, fuhr sie schnippisch fort, „hast du´s aber ziemlich nötig, mein Lieber!“
„Ich bin pleite!“, stieß er verzweifelt hervor, plötzlich von tobender Geilheit besessen.
Doch sie hatte bereits den Reißverschluss seiner Hose geöffnet und hielt seinen Penis zwischen ihren Krallen.
„Aber hallo!“, bescheinigte sie. „Bei dem hier mach ich´s glatt für die Hälfte.“
Die Kolleginnen kicherten Beifall.
Ehe er sich dessen so richtig versah, war er hündisch hinter ihr her gewackelt und der gelben Funzel eines Garagenhofs ausgeliefert. Auf allen Vieren, mit heruntergelassener Hose, rutschte er über den feuchten Boden, starrte gebannt auf ihre rosa farbige Vagina, zu gleichen Teilen Ekel und Lust erregend. Sanft geschwungene Schamlippen, an denen er lecken wollte von früh bis spät. Darin versinken, neu geboren werden, säuerlicher Geschmack auf der Zunge, rasches Rein und Raus, Rein und Raus. Abgesang auf die Einsamkeit, seliger Schauer, alles vertilgende Befriedigung.
Plötzlich stand sie über ihm, unterdrückte den Ekel, zupfte unbeholfen an ihrer Kleidung.
„War schön …!“, log sie gnadenlos, bevor sie zynisch auf ihn herabhustete: „Also dann, äh, ich kriege 200 Mäuse für den schnellen Fick.“
Ein Schwindelgefühl verlor sich im Bereich des Hinterkopfs, schlagartig lagen seine Sinne frei. Er zog sich an einem Geländer empor, stand der Nutte ratlos gegenüber, während das Damoklesschwert seinen Nacken anvisierte.
„Tut mir leid, ich habe tatsächlich kein Geld, du hättest mir glauben sollen.“
Einen Schritt zurückweichend, griff sie schnaubend in ihre Handtasche und förderte einen fluoreszierenden Gegenstand zutage. Künstliche Glühwürmchen entflammten auf einer Skala, im Gestus einer Hohepriesterin hob sie das Mobiltelefon ans Ohr und trat mit höheren Mächten in Kontakt.
„Willst du mich etwa verscheißern, Alter!“, spie sie aus. „Du hast mich gefickt, also musst du zahlen, so einfach ist das!“
Ach, Niedertracht des Schicksals, er würde die ganze Welt umarmen, wenn die Dinge so einfach lägen!
„Hör zu, ich kann dir das Geld ein anderes Mal bringen, wenn du damit einverstanden … “
„Von wegen!“, fuhr sie ihn an. „Du hast noch zehn Sekunden, um die Kohle rauszurücken!“
Fünf, sechs Schritte entfernt ging geräuschlos eine Hintertür, woraufhin ein Schatten auf den Torbogen einer Ausfahrt zu glitt. In schierer Verzweiflung nutzte er die Gunst der Stunde, stürmte auf den schnell sich verengenden Lichtschein zu und schlüpfte hindurch. Mit hektischer Hand riss er an der Klinke, beinahe gleichzeitig schob er einen Türriegel bis zum Anschlag, um sich vor der Außenwelt zu verbarrikadieren. Das Gefühl der Erleichterung war indes von kurzer Dauer, das Leuchten einer trüben, von toten Insekten überwucherten Lampe wies in einen stockdunklen Keller hinab. Aufwärts endete die Treppe nach wenigen Stufen vor den Ziegeln...




