E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: HarperCollins
Prior Die Saiten des Lebens
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95967-889-6
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: HarperCollins
ISBN: 978-3-95967-889-6
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Manchmal braucht es eine zufällige Begegnung, um dem Leben eine neue Richtung zu geben.
Ellie, Hausfrau, leidenschaftliche Spaziergängerin und Hobbypoetin, stößt bei einem ihrer Streifzüge durch das Exmoor auf eine Scheune voller Harfen. Dort lebt und arbeitet Dan. Harfen zu bauen ist seine große Leidenschaft. Er liebt es, sich ganz dem Bau dieser Instrumente zu widmen und mit sich und der Welt alleine zu sein. Denn Menschen sind ihm oft ein Rätsel. Doch Ellie mag er auf Anhieb, weshalb er ihr spontan eine Harfe schenkt.
Kurze Zeit später steht sie wieder vor seiner Tür. Sie könne das Geschenk nicht annehmen. Doch geschenkt ist geschenkt, die Harfe wird immer Ellie und nie jemand anderem gehören, sagt Dan. Er schlägt ihr einen Kompromiss vor: Sie kann die Harfe bei ihm unterstellen, wenn sie lernt, darauf zu spielen ...
»Ein wahrlich fulminanter Erstling, ein Muss!«
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2.
Ellie
»Er hat dir eine geschenkt?«
»Ja.«
»Einfach so?«
»Ja, eigentlich schon.«
Clive ließ seine Autozeitschrift sinken und richtete seine volle Aufmerksamkeit auf mich. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, zwischen ihnen bildeten sich zwei tiefe senkrechte Falten.
»Du nimmst mich doch auf den Arm.«
»Nein«, sagte ich und fügte bekräftigend hinzu: »Tue ich nicht.«
»Er hat sie dir also angeboten, und du hast sie einfach genommen?«
»Ja, es war … es war schwer, das Geschenk abzulehnen.«
Das würde kompliziert werden. Ich konnte es mir selbst kaum erklären, geschweige denn jemand anderem. Deshalb war ich, bevor ich mich schließlich nach Hause traute, die letzte halbe Stunde durch Exmoor gekurvt und hatte immer wieder angehalten, um hinten ins Auto zu gucken und mich zu überzeugen, dass dort tatsächlich eine Harfe lag.
Unsere liebe, aber neugierige Nachbarin Pauline war draußen im Garten, deshalb verschwand ich sofort im Haus. Ich platzte in die Küche, drückte einen knappen Kuss auf den zurückweichenden Haaransatz meines Mannes, nahm den Wasserkessel, füllte ihn bis zum Rand, bespritzte mich dabei mit Wasser und stellte den Kessel beiseite. Dann gab ich einen Wirrwarr von Sätzen von mir, die albern und nichtssagend klangen. Ich lief rot an, merkte es und wurde noch roter. Dann lehnte ich mich debil grinsend an den Kühlschrank.
Clive schlug seine Zeitschrift zu und zog am Halsausschnitt seines Sweatshirts. »Entschuldigung, El, aber da frage ich mich als Erstes: Seit wann bitte kennst du diesen Mann?«
In Gedanken kehrte ich zu der seltsamen Begegnung zurück: das große offene Scheunentor, das mich angelockt hatte, der warme Duft des Holzes, das Licht, das auf die zahllosen Harfen fiel, die einsame Gestalt in ihrer Mitte. Der Mann hatte ein Werkzeug in der Hand gehabt, doch meine Erinnerung spielte mir bereits Streiche, ich konnte nicht mehr sagen, was es gewesen war. Zuerst hatte ich gedacht, da stände ein Alien. Der untere Teil seines Gesichts wurde von einer blauen Maske verdeckt, dazu trug er Ohrenschützer, wahrscheinlich zum Schutz vor Staub und Lärm. Doch kaum hatte er beides abgenommen, war ich erstaunt, wie gut der Mann aussah. Er war groß gewachsen und sehnig, mit zerzaustem dunklen Haar. Seine Haut war wettergegerbt, hatte aber gleichzeitig einen seltsam durchscheinenden Schimmer. Seine klassischen Gesichtszüge waren wie gemeißelt, als sei jede einzelne Partie mit viel Überlegung entstanden. Doch wirklich neugierig machten mich seine großen dunklen Augen. Solche hatte ich noch nie gesehen.
»Ich habe ihn heute Vormittag kennengelernt.«
Clive war genauso perplex wie ich vor einer Stunde. Er beugte sich vor, sein Ausdruck schwankte zwischen Ungläubigkeit und Belustigung. »Das will mir nicht in den Kopf.«
Ich lachte wie von Sinnen. Erklärungen trieben mir durch den Kopf, doch ich konnte keine in Worte fassen.
Clive richtete sich offenbar darauf ein, mich in die nächste Anstalt zu bringen.
»Schau sie dir doch mal an!«, schlug ich vor. Wenn er die Harfe erst sähe, wäre er bestimmt ebenso begeistert wie ich.
Ich führte ihn nach draußen in die helle Kühle des Septembers. Nachbarin Pauline, stellte ich dankbar fest, war verschwunden. Der Wagen war nicht abgeschlossen. Ich öffnete die Heckklappe. Clive fielen fast die Augen aus dem Kopf.
»Ha!«, rief ich halb ironisch, halb erleichtert. »Ich hab’s mir also doch nicht eingebildet!«
Gut, dass wir einen Kombi haben, dessen Rückbank man umlegen kann. Ich trat zurück, damit mein Mann das Instrument gründlich in Augenschein nehmen konnte.
Die Harfe war aus goldrotem Holz (Kirsche, hatte Dan mir erklärt, passend zu meinen Strümpfen), das wunderschön glänzte. Der gewölbte Teil, den man an die Schulter lehnt, hatte eine wirbelartige Maserung. Ein angedeutetes keltisches Muster war in den geschwungenen Hals gearbeitet, im Harfenkopf prangte ein schimmernder schwarzblauer Kieselstein. Angeblich verzierte Dan all seine Harfen mit einem Exmoor-Kiesel. Er wählte den jeweiligen Stein sorgfältig aus, um Stil und Charakter des Instruments zu unterstreichen. Diese Harfe – meine Harfe – hatte eine angenehme Größe; sie reichte mir im Stehen gerade bis zur Taille. Sie lag im Kofferraum auf der Seite, an eine karierte Decke geschmiegt.
Clive klopfte mit den Fingerknöcheln auf das Holz der Resonanzdecke, als wollte er deren Stärke prüfen. »Das ist hochwertige Handarbeit!«
»Ich weiß«, sagte ich selbstgefällig, fast stolz auf Dan. »Er baut sie schon sein Leben lang.«
»Was kostet so was? Zweitausend Pfund? Dreitausend? Vielleicht sogar mehr, wenn das wirklich alles selbst gemacht ist. Guck dir mal die Schnitzereien da oben an.«
»Am Hals. Das ist der Hals. Hab ich mir sagen lassen.«
Clive musterte das Instrument so eingehend, wie nur er es kann. »Das ist … Also, ich muss schon sagen, die ist echt cool. Aber, Schatzi, die kannst du auf gar keinen Fall behalten. Das ist dir doch klar, oder?«
Die Stimme der Vernunft. Sie drang durch den Nebel rauschartiger Freude in meinem Kopf, und sie tat weh. »Ja, natürlich«, murmelte ich.
Clive richtete sich auf und schüttelte den Kopf. »Der Typ muss verrückt sein.«
Ich eilte zu Dans Verteidigung. »Er ist nicht verrückt. Nur ein bisschen … ungewöhnlich.«
»Das kann man wohl sagen! Was hat den Kerl geritten? Eine Frau, die er noch nie gesehen hat, kommt mir nichts, dir nichts in seine Werkstatt, und er beschließt aus einer Laune heraus, ihr eine Harfe zu schenken – einfach so! Eine selbst gebaute Harfe, für die er weiß Gott wie lange gebraucht hat. Verkaufen hätte ich ja verstanden, klar, aber schenken? Allein das Material muss eine Stange Geld gekostet haben. Hey, Schatzi, denk doch mal nach! Du hast da was missverstanden. Er muss Geld dafür erwartet haben.«
»Nein, hat er nicht. Das hat er mehrmals betont.«
Clive runzelte die Stirn, unfähig, das Geschehene zu begreifen. »Na, dann nehme ich an, dass er sie dir gegeben hat, damit du sie ausprobierst, weil er sie dir verkaufen will, und du hast es einfach nicht kapiert.«
»Hab ich wohl! Ich hab ihm ungefähr fünfzehn Mal gesagt, dass ich sie auf keinen Fall annehmen kann. Er hat es einfach nicht hören wollen. Er hat immer wieder gefragt, was dagegensprechen würde, und er war so … keine Ahnung, so arglos, so freundlich, dass ich mir total dumm vorkam und nicht mehr wusste, was ich sagen sollte. Irgendwann meinte er: ›Mögen Sie die Harfe etwa nicht?‹ Das schien ihn richtig zu verletzen.«
»Zu verletzen? El, jetzt übertreibst du aber.«
»Nein, das war so, ich schwöre es! Schließlich ist er durch die Scheune gelaufen, um eine andere, eine bessere Harfe für mich zu suchen! Da habe ich schnell gesagt, die Harfe sei wunderschön. Es blieb mir gar nichts anderes übrig. Stimmt ja auch. Sie ist einfach schön. Aber ich habe zig Mal gesagt, dass ich sie nie im Leben spielen könne und sie an mir verschwendet sei. Ich hab mich wirklich mit Händen und Füßen gewehrt.« Ich beugte mich vor und betrachtete das Instrument liebevoll. »Und während ich noch geredet habe, hat er sie zum Auto getragen und reingelegt.«
Wieder kehrten meine Gedanken zu dem Moment zurück. Die außergewöhnliche Geste des Mannes hatte mich unglaublich gerührt. Als die Harfe im Kofferraum lag, hatte ich es nicht lassen können und an den Saiten gezupft. Natürlich falsch, hab so was ja noch nie im Leben gemacht, aber der Klang war kräftig, ursprünglich und satt. Er hatte eine seltsame Wirkung auf mich. Als ginge ein goldener Funkenregen in mir nieder.
»Gut«, hatte Dan gesagt. »Dann können Sie den Punkt auf Ihrer Liste ja abhaken.« Damit war er schnurstracks zurück in die Scheune gegangen und hatte die Tür hinter sich geschlossen.
Lange hatte ich ihm hinterhergestarrt.
Ausgerechnet heute. Nach der ziellosen Wanderung, den Tränen und Erinnerungen.
Clives Stimme holte mich in die Gegenwart zurück. »El, es tut mir leid, aber du musst sie zurückbringen.«
Seine Worte lasteten mit dem Gewicht des gesunden Menschenverstands auf mir. Natürlich war Clive nicht klar, welcher Tag heute war und was er für mich bedeutete. Wahrscheinlich hätte ich ihn daran erinnern sollen, aber dafür war ich zu stur.
»Ich weiß. Du hast ja recht.« Ich tat so, als machte es mir nichts aus.
Clive rieb sich die Stirn. »Ich würde sie dir ja gerne kaufen, Schatzi, wirklich. Aber sie ist mit Sicherheit zu teuer. Und nach kurzer Zeit würdest du das Interesse daran verlieren. Du hast noch nie davon gesprochen, dass du ein Musikinstrument spielen willst.«
»Kann sein.«
»Wir können nicht in der Schuld dieses Mannes stehen. Dann würden wir ihn ausnutzen.«
Ich legte Clive die Hand auf den Arm. »Ich weiß. Ich hätte sie nicht annehmen dürfen. Tut mir leid, dass ich so dumm war. Hab mal wieder nicht richtig nachgedacht. Weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
»Ich auch nicht.«
Ich zwang mich zu sagen: »Willst du mitkommen, wenn ich sie zurückbringe? Ich könnte mir vorstellen, dass du die Werkstatt interessant findest. Sie ist in einer umgebauten Scheune untergebracht, am Ende eines langen Feldwegs, mitten in der Pampa, und bis oben hin voll mit Harfen, bis unter die Decke – und Harfenteilen. In allen Phasen der Herstellung. Echt beeindruckend.«
Clive betrachtete mein Gesicht, als...




