E-Book, Deutsch, 1420 Seiten
Przybyszewski Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays
1. Auflage 2015
ISBN: 978-80-268-4296-5
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Gnosis des Bösen + Der Schrei + Satans Kinder + Androgyne + Homo Sapiens + Zur Psychologie des Individuums: Chopin, Nietzsche, Ola Hansson + Das Werk des Edvard Munch + De profundis + Totenmesse
E-Book, Deutsch, 1420 Seiten
ISBN: 978-80-268-4296-5
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Stanis?aw Przybyszewski (1868-1927) war ein polnischer Schriftsteller, der zu Beginn seiner Laufbahn auf Deutsch schrieb. Przybyszewski entwickelte ein großes Interesse für Satanismus sowie die Philosophie von Friedrich Nietzsche und begann ein Bohème-Leben. Zu seinen Freunden in dieser Zeit gehörten Edvard Munch, Richard Dehmel und August Strindberg. Przybyszewski war ein fruchtbarer Schriftsteller. Zu seinen heute noch bekanntesten Werken zählen Die Gnosis des Bösen (auch als Die Synagoge Satans erschienen), 1897, eine Auseinandersetzung mit dem Satanismus, sowie sein Roman Der Schrei. Inhalt: Romane: Homo sapiens Über Bord Unterwegs Im Malstrom Satans Kinder Der Schrei Erdensöhne Erzählungen: Totenmesse Vigilien De profundis Epipsychidion: Introibo Sonnenopfer Helle Nächte Am Meer Androgyne In diesem Erdental der Tränen: Am Meer In Hac Lacrymarum Valle Himmelfahrt Essays: Zur Psychologie des Individuums Chopin und Nietzsche Ola Hansson Die Synagoge des Satan (Die Gnosis des Bösen) Die Entstehung der Satanskirche Der Kult der Satanskirche Das Werk des Edvard Munch
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
II.
Inhaltsverzeichnis
– Mikita, mein teurer Bruder! – Ja, ich bin es. Beide Freunde umarmten sich herzlich. Falk war sehr aufgeregt. Er lief hin und her, kramte alle möglichen Sachen heraus und fragte unaufhörlich: – Sag – sag, was willst Du haben? Bier? Schnaps ... Da, wart mal – richtig! Ich habe hier einen herrlichen Tokayer – von der Mutter bekommen – weißt Du, noch von Vaters Zeiten her. Er hat sich auf diese Dinge verstanden. – So laß doch endlich. Setz Dich doch hin. Laß Dich sehen. Endlich beruhigte sich Falk. Sie sahen sich glücklich in die Augen und stießen mit den Gläsern an. – Großartig! Aber Mensch, siehst Du schlecht aus. Du hast wohl viel geschrieben ... Potz Tausend! Dein letztes Buch – weißt Du, ich kam in eine solche Aufregung ... nein, war das merkwürdig! Ich kaufe mir das Buch, fange an auf der Straße zu lesen, bleibe stehen, das Buch packt mich derart, daß ich es auf der Straße auslesen muß und halb verrückt werde. Du bist doch ein ganzer Kerl! Falk strahlte. – Das macht mir große, große Freude. Du hast ja doch immer diese furchtbaren Ansprüche an mich gestellt. Also gefiel es Dir wirklich? – Na! Mikita machte mit der Hand einen weiten Kreis in der Luft. Falk lachte. – Da hast Du Dir eine neue Bewegung angewöhnt. – Nun, weißt Du, sprechen kann man doch wirklich nicht mehr. Alle diese unerhört feinen Dinge, die lassen sich nur mit Gesten ausdrücken. – Ja, Du hast Recht. – Das ist nämlich die große Linie, verstehst Du, der große Zug, der heiße Unterstrom, das verstehen wenige. So bin ich in Paris zu Einem von den Großen gegangen, weißt Du, dem Oberhaupt der Naturalisten, oder wie sie da heißen ... Er verdient! Na ja, der Pöbel fängt jetzt an, das cinquième élément, das Napoleon in Polen entdeckte – la boue und ein paar Kartoffelstengel darauf zu kaufen. Früher waren es die Pfefferkuchenpuppen des Hoftapeziermeisters Seiner Apostolischen Majestät – Raffael hieß er, nicht wahr? Nun, jetzt sind es die Kartoffelmaler ... Also ich frage das Oberhaupt, wozu man eigentlich das male, was in der Natur tausendmal besser sei und schließlich doch keine Bedeutung habe. – Ach was! Bedeutung! Nämlich die Natur, verstehen Sie ... Ja, ich verstand. – Die Natur ist Bedeutung. Aber doch nicht die Kartoffel? Nun kam der Kartoffelmaler in eine große Begeisterung. – Ja, grade die Kartoffel, das ist Natur, alles übrige Quatsch! Phantasie? Phantasie? Wissen Sie, Phantasie – lächerlich, Notbehelf! Beide Freunde lachten herzlich. Mikita dachte nach. – Na aber jetzt sollen sie sehen. Herrgott, mein Kopf birst vor lauter Gedanken. Hätt ich tausend Hände, tausend Linien würde ich Dir vorfuchteln, dann würdest Du mich verstehen. Weißt Du, das Sprechen verlernt man nämlich. Ich war bei einem Bildhauer – na weißt Du, Du wirst Skizzen von ihm bei mir sehen ... Ich lag auf dem Bauch vor diesem Menschen. Ich sagte ihm: das ist herrlich! Was? Ich beschrieb ihm die Sache. Ach so, Sie meinen dies! Und nun beschrieb er in der Luft eine unerhört großartige Linie. Der hat es verstanden ... Aber Herrgott, ich rede, daß sich mir der Mund verdreht – wie geht es Dir? Nicht besonders, was? – Nein, nicht besonders. Er habe viel Qual in der letzten Zeit ausgestanden. Diese tausend feinen Empfindungen, wofür es noch keine Laute gebe, diese tausend Stimmungen, die so momentan in Einem aufsteigen und die man nicht festhalten könne. Mikita unterbrach ihn heftig. – Ja, eben, grade dies. Siehst Du, der Bildhauer, der Prachtkerl – weißt Du, was er gesagt hat? Prachtvoll hat er es gesagt: Sehen Sie, hier sind die fünf Finger, die kann man sehen und betasten – und nun spreizte er die Finger auseinander – aber hier, hier, das zwischen den Fingern, das kann man nicht sehen, kann man nicht betasten, und doch ist das die Hauptsache. – Ja, ja, das ist die Hauptsache, aber lassen wir die Kunst. – Du bist wohl ein wenig blasiert? – Das nicht, aber zu Zeiten werde es doch ein wenig langweilig. Alles Leben nicht unmittelbar genießen zu können, sondern nur immer darauf hin zu leben, wie werde man es gestalten, wie werde man das verwerten können – und wozu eigentlich? Ihm werde schon ganz übel, wenn er daran denke, daß er kaum – fähig sei, Schmerz oder Freude nur als solche zu empfinden ... – Du mußt einmal lieben. – Mikita, Du? Das sagst Du? – Ja, ja. Lieben. Das ist etwas, was nicht ideell wird, das läßt sich nicht mittelbar empfinden. Gibt es Glück, so könnte man in den Himmel springen, ohne zu bedenken, daß man sich dabei die Beine verrenken kann; gibt es Schmerz, so frißt es an Einem so reell, na weißt Du, das kann man nicht wegschreiben, das kann man nicht unter Gesichtspunkte ordnen ... Mikita lächelte. – Ich bin nämlich verlobt. – Du?! Verlobt?! – Ja, und ich bin unerhört glücklich. Falk konnte aus dem Erstaunen nicht herauskommen. – Nun, das Wohl Deiner Verlobten! Sie tranken die Flasche leer. – Du, Mikita, wir bleiben doch den ganzen Tag zusammen. – Freilich, selbstverständlich. – Weißt Du, ich habe ein wunderbares Restaurant entdeckt ... – Nein, Bruder, wir gehen zu meinem Fräulein. – Ist sie denn hier? – Ja, sie ist hier. In vier Wochen sollen wir uns heiraten. Zuerst nur noch eine Ausstellung in München, damit ich die nötigen Gelder habe, eine würdige Hochzeit zu feiern, ja, ein Fest, wie es noch kein Maleratelier gesehen hat. Falk sträubte sich. – Er habe sich so gefreut, heute, grade heute mit ihm allein zu sein. Erinnere er sich nicht mehr an die herrlichen heures de confidence mit den endlosen Disputen ... Aber Mikita bestand hartnäckig auf seinem Vorschlag. Isa sei maßlos auf ihn neugierig. Er habe heilig versprochen, ihr das Wundertier von Falk in natura vorzuführen. – Nein, es ginge nicht mehr, sie mußten zu ihr gehen. Falk mußte sich fügen. Unterwegs sprach Mikita beständig von seinem großen Glück und gestikulierte lebhaft. – Ja, ja, das ist merkwürdig, wie ein solches Gefühl Einen aufwühlen kann. Das Unterste kommt zu Oberst, es ist als ob sich ungeahnte Tiefen aufschließen. Zehn Welten kommen hinein. Und dann, was sich so alles an Fremdem, Unbekanntem regt ... Empfindungen, so unfaßbar, daß sie kaum ein Tausendstel Sekunde im Gehirne aufblitzen. Und doch steht man den ganzen Tag unter dem Einfluß dieses Dinges. Und wie die Natur Einem erscheint! Weißt Du, in der ersten Zeit, als sie sich sträubte – ich lag wie ein Hund vor ihrer Tür, mitten im Winter, in der fabelhaftesten Kälte hab ich die ganze Nacht vor ihrem Zimmer geschlafen – und ich zwang sie. Aber gelitten hab ich! Hast Du einen schreienden Himmel gesehen? Nein! Also weißt Du, ich habe ihn schreien gesehen. Es war, als öffne sich der Himmel zu tausend Mundhöhlen und schrie nun Farbe in die Welt hinaus. Der ganze Himmel eine unendliche Reihe von Streifen; dunkelrot, so ins Schwarze hinüber. Geronnenes Blut ... nein! eine Kotlache, in der sich die Abendröte spiegelt, und dann ein schmutziges Gelb! Häßlich, ekelhaft, aber großartig ... Gott ja, Mensch! Dann das Glück! Ich reckte mich und reckte – hinauf, daß ich an der Sonne meine Zigarette anzünden konnte! Falk lachte auf. Mikita, der ihm kaum an die Schultern reichte! Der wunderbare Kerl ... – Nicht wahr? Komische Vorstellung. Ich an die Sonne reichen! Weißt Du, als ich in Paris war, sahen sich die Franzosen nach mir um. Ich hatte nämlich einen Freund, und neben ihm sah ich wie ein Riese aus. Sie lachten beide. Mikita drückte ihm warm die Hand. – Weißt Du, Erik, ich weiß eigentlich nicht, wen ich mehr liebe ... Siehst Du, Liebe zum Weibe, das ist doch etwas Andres, man verlangt etwas, und schließlich, nicht wahr? Man liebt doch auf etwas hin ... Und nun siehst Du die Freundschaft –ja, Du Erik das ist das Unfaßbare, das Feine, das zwischen den Fingern ... Und nun, wenn man so drei Monate ununterbrochen mit einem Weibe zusammen ist ... Falk unterbrach ihn. – Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich mich manchmal nach Dir gesehnt habe. Hier unter diesem Schreibergesindel gibt es auch nicht einen Menschen ... – Kann mirs denken. Nun, jetzt wollen wir die Zeit ausnutzen. – Ja, wir wollen immer zusammen sein. Sie kamen an. – Du Erik, sie ist furchtbar gespannt auf Dich. Mach Dich nur interessant, sonst blamierst Du mich. Sehr interessant, das verstehst Du gut, Du Teufelskerl! Sie traten ein. Falk überkam ein Gefühl, als hätte er eine große, glatte Spiegelfläche um sich. Dann wurde es ihm, als müßte er sich an etwas erinnern, was er schon längst einmal gesehen oder gehört hatte. – Erik Falk, stellte Mikita vor. Sie sah ihn an, wurde sehr verlegen, und streckte ihm dann herzlich die Hand entgegen: – Sie sind es. Falk wurde lebendig. – Ja, ich bin es. Ich sehe doch nicht so merkwürdig aus. Sie mußten wohl nach Mikitas Beschreibung ein seltsames Tier erwartet haben? Sie lächelte. Falk bemerkte Etwas, wie einen rätselhaften...