Rehfeld | Der Weg des Inquisitors | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 480 Seiten

Reihe: Der Inquisitor

Rehfeld Der Weg des Inquisitors

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-16566-6
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 1, 480 Seiten

Reihe: Der Inquisitor

ISBN: 978-3-641-16566-6
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was böse ist, ist eine Frage der Erziehung ...

Der junge Waise Torin verfügt über alles, was er als Inquisitor der Kirche der Göttlichen Familie benötigt: einen festen Glauben, mächtige Förderer und die unumstößliche Gewissheit, dass die Kirche immer im Recht ist. Er weiß auch, wie wichtig seine Arbeit ist, denn das Böse, das in der großen Wüste lauert, verdirbt immer mehr Menschen. Die Inquisition ist das einzige Bollwerk der Menschen gegen diese namenlosen Schrecken. Doch dann erkennt Torin, dass nicht alle Verurteilten wirklich Hexen sind, sondern oft unschuldig – aber auch, dass das wahre Böse viel mächtiger ist, als irgendjemand bislang ahnt.
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1

Herzogtum Talarien, Kloster des heiligen Bernardeus bei Assani

Unschuldig, dachte Naron Balosta, seines Zeichens Inquisitor achten Ranges, als er allein war. Der Speisesaal des Klosters war zum Gerichtssaal umfunktioniert worden und hatte sich nach der Verhandlung in Windeseile geleert. Das war nicht anders zu erwarten gewesen, nicht nur wegen der Sonnenglut, die erbarmungslos durch große Buntglasfenster hereinbrannte, die sich nicht einmal öffnen ließen. Die Sommer hier im äußersten Osten des Kontinents, fast schon am Rande der Endlosen Wüste, waren immer heiß, aber in den letzten Tagen ächzte das Land unter einer ungewöhnlichen Hitzewelle. Der Saal schien sich in einen Backofen verwandelt zu haben.

Lärmend und erleichtert, dass sie endlich vom schweigenden Stillsitzen in der Gluthitze befreit waren, waren zuerst die Waisenkinder hinausgelaufen, die hier im Kloster des heiligen Bernardeus in der Nähe des Ortes Assani als Mündel großgezogen wurden. Ihnen waren stumm und in etwas gemächlicherem Schritt die unter ihren Kutten schwitzenden Mönche gefolgt, begleitet von den drei zur Verhandlung herzitierten Zeugen aus Assani, auf deren Aussagen die Anklage gründete. Als Letzter schließlich hatte Pater Berlinus den Raum verlassen, der Abt des Klosters, nachdem er zuvor fast widerwillig noch einmal an den Richtertisch getreten war und sich bei Naron erkundigt hatte, ob er ihm noch irgendetwas bringen oder sonst etwas für ihn tun könne.

Der Inquisitor zog ein Tuch aus der Tasche seiner schwarzen Robe und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Die Hitze war wirklich nahezu unerträglich, dazu kam die verbrauchte, stickige Luft im Raum. Dennoch blieb er vorläufig noch sitzen, denn die Alternative wäre noch unangenehmer gewesen. Er verspürte ein leichtes Stechen hinter seiner Stirn, hob seine Hände und massierte sich geistesabwesend mit Zeige- und Mittelfinger seine Schläfen. Anschließend stützte er die Ellbogen auf den schweren Tisch vor sich, schloss die Augen und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Unschuldig, dachte Naron Balosta noch einmal.

Natürlich. Wie sollte es auch anders sein?

Natürlich war die Hexe unschuldig. Zumindest behauptete sie es. Sie alle behaupteten stets, unschuldig zu sein, selbst wenn man sie auf frischer Tat ertappt hatte oder die Beweise noch so eindeutig waren. Es schien sie nicht zu kümmern, dass sie damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihm das Leben nur unnötig schwer machten. Den kurzen Rest Leben, der ihnen noch verblieb, während er hoffte, dass ihm selbst noch viele Jahre vergönnt sein würden. Aber mochten sie auch noch so geschickt lügen und ihre Unschuld beteuern, mochten sie heulen und wehklagen und an seine Barmherzigkeit appellieren. Spätestens unter der Folter kam die Wahrheit ans Licht, und sie gestanden all ihre ketzerischen Verfehlungen.

Auch diesmal würde es nicht anders sein. Burk war ein Meister seines Faches, wenn es darum ging, einem Angeklagten ein Geständnis zu entlocken. Deshalb nahm Naron ihn häufig mit auf seine Reisen, wenn zu erwarten war, dass er die Hilfe eines Folterknechts benötigte. Es war ihm lieber, wenn Burk diese Aufgabe übernahm, als irgendjemand, den er nicht so gut kannte. Wahrscheinlich hatte Burk inzwischen alles vorbereitet und wartete bereits auf ihn in dem kleinen, fensterlosen Kellerraum, den man ihnen für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hatte. Einen abgelegenen Raum mit dicken Mauern, durch die kein Schrei dringen und das geregelte, friedliche Klosterleben noch mehr stören konnte, als es durch diesen Prozess ohnehin schon gelitten hatte.

Die Anwesenheit des Inquisitors war bei dem Verhör unerlässlich. Nur er war befugt, die Fragen zu stellen und der Angeklagten das Geständnis zu entreißen. Doch noch konnte Naron sich nicht dazu aufraffen. So unangenehm die heiße, stickige Luft hier im Saal war, sie war nichts im Vergleich zu der Hitze, die die glühenden Kohlebecken ausstrahlten, und dem Gestank verbrannten Fleisches.

Naron hasste den Osten wie wohl jeder vernünftige Mensch, außer vielleicht denen, die hier geboren und aufgewachsen waren. Und selbst von denen hätten viele wahrscheinlich anderswo gelebt. Talarien war reich an Bodenschätzen, aber arm an Einwohnern. Nur im Westen der Provinz, wo sie an die Königsmark grenzte, gab es fruchtbare Landstriche. Mehr als zwei Drittel des Landes hingegen bestanden aus karger Steppe, die hier, im äußersten Osten, schließlich in die Endlose Wüste überging.

Bevor er hergekommen war, hatte Naron noch nicht einmal gewusst, dass es einen Ort namens Assani gab, und es war beileibe keine Bildungslücke, dieses Nest nicht zu kennen. Es existierte überhaupt nur wegen einiger Quellen, die gerade genug Wasser spendeten, um ein bisschen Viehzucht zu betreiben und etwas Getreide, Kartoffeln und ein paar Früchte anzubauen, die die Einwohner am Leben erhielten.

Und dennoch gab es Gründe, warum man gerade hier ein Kloster errichtet hatte.

Der Osten Talariens war nicht nur der Hitze und Kargheit des Landes wegen berüchtigt. Da war noch die Wüste, die sich daran anschloss und sich noch weiter nach Osten erstreckte, endlos, wie es ihr Name verhieß. Niemand, der sich zu tief hineingewagt hatte, war jemals zurückgekehrt. Es war nicht einmal gelungen, dem Küstenverlauf mit Schiffen zu folgen. Riffe, Strudel und tückische Strömungen hatten jedes derartige Unterfangen zum Scheitern verurteilt.

Kein Wunder also, dass sich zahlreiche Legenden um die Wüste und die angeblich dahinter verborgen liegenden Länder rankten. Jede Familie, die etwas auf sich hielt, behauptete, ihre Vorfahren wären die ersten Siedler in Antasia gewesen, doch die Scyllas wollten im Gegensatz zu den anderen nicht aus dem Süden, sondern aus eben diesen fremden Ländern im Osten gekommen sein.

Aber es gab auch wesentlich weniger harmlose und fantastische Legenden. Seit der Besiedelung des Kontinents hielten sich Gerüchte über seltsame Vorfälle im Grenzbereich der Wüste. Die meisten davon waren wohl nichts weiter als Schauermärchen. Allerdings waren dort auch mehr Hinterlassenschaften der alten Rasse, die lange vor den Menschen diesen Kontinent bevölkert hatte, gefunden und unschädlich gemacht worden als irgendwo sonst in Antasia. Zudem hatte der alte Feind schon dreimal in der bekannten Geschichte Antasias hier im Osten seine verderblichen Netze zu spinnen begonnen, das letzte Mal erst vor knapp einem Dutzend Jahren.

Schon deshalb war es wichtig, dass die Kirche auch in diesem abgeschiedenen Winkel der Welt Präsenz zeigte.

Ein Klopfen an der Tür riss Naron aus seinen Gedanken. Ein schwarzhaariger Junge von elf, vielleicht zwölf Jahren trat mit einem Krug in der Hand ein. Mit der rechten Hand zeichnete er den Heiligen Dreistern, indem er symbolisch für den Göttlichen Vater, die Mutter und den Sohn mit den Kuppen des Zeige- und Mittelfingers nacheinander seine beiden Augenlider und anschließend die Nase berührte.

»Pater Berlinus schickt mich, Euer Gnaden«, sagte er, während er sich mit ruhigen, sicheren Schritten näherte. Nichts von der Scheu, mit der die Gegenwart eines Inquisitors die meisten Menschen erfüllte, war bei ihm zu spüren. »Ich bringe das Wasser, um das Ihr gebeten habt.«

Naron nickte und deutete auf den Becher vor sich. Bei flüchtiger Betrachtung schien sich der Junge in nichts von den anderen Waisenkindern zu unterscheiden. Er war wie die anderen ärmlich gekleidet, dennoch war er Balosta zuvor schon aufgefallen. Obwohl er dem Abt gegenüber kein Wort darüber verloren hatte, fragte er sich, ob es bloßer Zufall war, dass dieser gerade ihn geschickt hatte. Während des gesamten Verhörs hatte er den Blick dieses Jungen auf sich ruhen gespürt, einen stechenden Blick, der …

Nein, verbesserte sich Naron gleich darauf. Der Blick des Jungen war nicht stechend, sondern eher durchdringend, interessiert, als misstraue er allem äußeren Schein und versuchte zu ergründen, was sich dahinter befand, indem er etwas lange und intensiv genug anstarrte. Diesen Blick auf sich ruhen zu fühlen war dem Inquisitor unangenehm, weckte aber auch seine Neugier.

Nachdem ihm der Junge eingeschenkt hatte, griff Naron Balosta nach seinem Becher, leerte ihn ohne abzusetzen und ließ sich gleich noch einmal nachschenken.

»Warte!«, befahl er, als der Junge sich zurückziehen wollte. »Wie heißt du?«

»Torin, Euer Gnaden.«

»Torin, soso. Benannt nach dem heiligen Torin?«

»Der Priester in Assani gab mir den Namen, nachdem er mich als Baby vor dem Tor der Kirche fand.«

»Ein seltener Name. Der Name eines zwiespältigen, durchaus nicht unumstrittenen Heiligen. Manche betrachten ihn eher als Narren denn als Märtyrer, aber zugleich war er eine Art Vorläufer der Inquisition.« Mahnend hob er den Zeigefinger. »Hüte dich, jemals einen Heiligen in der Öffentlichkeit als Narren zu bezeichnen. Eine solche unbedachte Bemerkung könnte genügen, dich der Ketzerei anzuklagen. Kennst du Torins Geschichte?«

Der Junge schüttelte den Kopf.

»Aber du weißt von den finsteren heidnischen Kultstätten und Artefakten, die wir vorfanden, als die ersten Menschen Antasia besiedelten?«

»Aber ja, Euer Gnaden, das war eine der ersten Lektionen, die wir im Unterricht durchgenommen haben. Es handelt sich um das Erbe eines Volkes, das lange vor uns hier gelebt hat. Ein böses Volk, dessen Hinterlassenschaften noch immer das Verderben in sich tragen, weshalb es strengstens verboten ist, sich ihnen auch nur zu nähern und …«

Naron hob die Hand und schnitt damit den Redeschwall des Jungen ab. »Genug. Ein einfaches Ja hätte...


Rehfeld, Frank
Frank Rehfeld wurde 1962 in Viersen geboren und hat in den 80er-Jahren mit dem Schreiben begonnen. Er hat Bücher zu mehreren Fernsehserien geschrieben und ist als Mitautor und Überarbeiter an der erfolgreichen Serie um den Hexer Robert Craven beteiligt.



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