E-Book, Deutsch, 242 Seiten
Sander DER GARTEN
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7487-8235-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Science-Fiction-Klassiker aus Deutschland!
E-Book, Deutsch, 242 Seiten
ISBN: 978-3-7487-8235-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Wandel vollzieht sich schleichend. Zuerst sind es nur ein paar Risse und Löcher, die Graham im Keller seines Reihenhauses bemerkt. Aber schon bald sprengen Baumwurzeln den Belag von Gehwegen und Straßen, legen Strom- und Wasserversorgung lahm und bereiten die Rückkehr der Natur vor. Als das Leben in dieser Umgebung zur Qual wird, ziehen immer mehr seiner Nachbarn fort. Nur Graham bleibt. Und er stellt sich den Herausforderungen, die ein Leben fernab der Zivilisation mit sich bringt. Eines Tages findet er sich zufällig in dieser fast schon vergessenen Zivilisation wieder. Graham steht vor der schwersten Entscheidung seines Lebens... Ralph Sander (* 1963 in Köln) ist ein deutscher Übersetzer, Sachbuchautor und Schriftsteller. Besonders bekannt ist er für seine sekundärliterarischen Bücher über das Star-Trek-Universum. Sein Science-Fiction-Roman Der Garten erschien erstmals im Jahr 1995: Ein kluges und im besten Wortsinne literarisches Werk, welches seiner Zeit weit voraus war und heute - im Jahr 2021 - aktueller ist denn je; ein Buch, das den Blick schärft für die sogenannten Wohltaten der Zivilisation, die uns längst vereinnahmt hat und uns zwingt, ein immer unmenschlicheres Leben zu führen.
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Zweites Kapitel
Das allgemeine Interesse erwachte erst wieder, als es Störungen in der Wasserversorgung gab. Es mochte Zufall sein, an den Graham jedoch nicht glaubte dass das Haus der Meurers als erstes betroffen war. Zunächst lief das Leitungswasser unregelmäßig, schließlich blieb es völlig aus. Der eilig herbeigerufene Klempner konnte zunächst nichts finden, und als er ging, bezeichnete Herr Meurer ihn als unfähigen Idioten, woraufhin es zu einer Schlägerei kam, in deren Verlauf Meurer einen Schneidezahn verlor und er dem Klempner mit einer Anzeige wegen Körperverletzung drohte, nachdem die Besatzung eines zufällig vorbeifahrenden Polizeiwagens die beiden getrennt hatte. Tage vergingen, bis ein zweiter Klempner kam, der sich mehr Zeit nahm als der erste, jedoch auch nicht fündig wurde. Diesmal hielt Meurer sich zurück und benachrichtigte die Stadtwerke, die für die Prüfung der Zuleitungen bis zu seinem Haus ein paar Tage benötigten. In der Zwischenzeit hatte Frau Meurer in der Nachbarschaft mit einem Eimer Wasser geholt, damit sie sich wenigstens waschen konnten und sie das Nötigste spülen und kochen konnte. Die Familie im Nebenhaus, ein Ehepaar mit vier Kindern, stellte ihnen die Gästetoilette einschließlich Dusche zur Verfügung. Graham bezweifelte, dass diese Geste so nobel war, wie es auf den ersten Blick schien. Er vermutete eine Absicht hinter der Freundlichkeit, zumal allen bekannt war, dass die Meurers Kinder nicht mochten. Wahrscheinlich amüsierte sich die Nachbarschaft über diese subtile Demütigung, die die Meurers über sich ergehen lassen mussten. Als die Stadtwerke endlich das Leitungssystem untersucht hatten, stellte sich heraus, dass es keine Störung gab, die in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Die Monteure ließen einen verstörten Meurer zurück, der nicht fassen konnte, was ihm widerfuhr. Da sie auf Dauer nicht ohne Wasser bleiben konnten, setzte sich Meurer mit einem Bauunternehmen in Verbindung. Drei Tage später versammelte sich eine große Menschenmenge vor dem Haus und sah gebannt zu, wie ein Bagger zunächst die Hecke niederwalzte, um in den Vorgarten zu gelangen, und dort einen breiten Graben aushob, unter dem die Wasserleitung verlief. Als diese Vorarbeit erledigt war, die den Vorgarten in eine manövertaugliche Landschaft verwandelt hatte, legten drei Bauarbeiter mit Schaufeln das Rohr frei. Dabei stellte sich heraus, dass die Wurzel eines mehrere Meter entfernten Baumes eine aus menschlicher Sicht völlig unsinnige Richtung eingeschlagen und das Rohr wie in einem Wutanfall auseinandergerissen hatte. Sogar Graham hatte sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, bei den Ausgrabungsarbeiten zuzusehen, obwohl er üblicherweise Menschenansammlungen mied. Eine immense Menge Wasser musste bis zur Entdeckung des Schadens im Boden versickert sein. Die Zerstörungsaktion des Baggers wertete Graham als sicheres Zeichen dafür, dass der Plan in seine zweite Phase eingetreten war, ein Plan, der Graham rätselhaft war. Aber er schien in Anbetracht der anderen der einzige zu sein, der einen größeren Zusammenhang in Erwägung zog. Die anderen hatten aus den Rissen, die in ihren Augen nach wie vor nur zu dem einen Zweck auftauchten, um verputzt zu werden, nichts gelernt. Dieser Eindruck bestätigte sich, als Marie ihm tags darauf erzählte, dass Meurer nun versuchte, wenigstens einen Teil des Wasserverbrauchs nicht bezahlen zu müssen. »Ich glaube nicht, dass er damit Erfolg haben wird«, sagte sie abschließend. Graham sah sie erstaunt an. Für einen Augenblick dachte er, auch sie ahnte, dass etwas völlig anderes vorging. Als sie fortfuhr, begrub er diese Hoffnung. »Der Baum steht nämlich auf seinem Grundstück, und deshalb interessiert die Stadtwerke die Sache überhaupt nicht.« Er nickte stumm, als sie das sagte. Sie dachte doch nicht so wie er, stellte er mit leichter Enttäuschung fest. Graham ging hinaus in den Garten, wo er Ruhe hatte, um über die neue Situation nachzudenken. Er fand jedoch keinen Ansatzpunkt, er wusste noch nicht einmal, in welche Richtung seine Überlegungen gehen sollten. Sie mussten zwangsläufig um die Wurzeln kreisen, die zunächst die Wände erobert hatten und jetzt mit den Wasserleitungen die Fortsetzung einer mysteriösen Aktion starteten. Dass Meurer stets nur daran dachte, möglichst unbeschadet aus der Angelegenheit herauszukommen, war für Graham Beweis genug, dass niemand sonst wenigstens versuchte, sich Gedanken zu machen. So wie Meurer dachten auch die anderen nur an das Geld, das sie ausgeben mussten. Sie beschwerten sich über die Folgen, aber sie ignorierten die Ursachen, die für sie noch nicht erkennbar waren. In den folgenden Wochen wurde die Wasserzufuhr zu weiteren Häusern unterbrochen. Alarmiert durch den Vorfall in Meurers Garten rückten diesmal die Bagger sofort an und verwüsteten mindestens zwölf weitere Gärten, wie Graham bei seinen Spaziergängen feststellen konnte, die er in letzter Zeit immer weiter ausdehnte. In allen Fällen waren Baumwurzeln die Ursache, Wurzeln, die allesamt scheinbar gezielt die Rohre angesteuert hatten, um sie zu zerstören. Graham vermutete, dass es in anderen vorgelagerten Teilen der Stadt genauso aussehen musste, obwohl die Zeitungen davon nichts berichteten. Aber sie räumten auch den Vorkommnissen in der Vorstadt keinen Platz ein, für die Redakteure war die Angelegenheit offenbar noch unbedeutender als für manche Nachbarn. Vielleicht war auch keiner von den Menschen, die in den Redaktionen arbeiteten, von derartigen Vorkommnissen betroffen. Die Straßen waren blockiert von Baggern, überall lagen Ersatzrohre, die auf ihre Montage warteten, es wimmelte von Bauarbeitern. Es war laut geworden und hektisch, die Arbeiten verbreiteten eine ungewohnte Unruhe, die das Bild bereits beherrschte, wenn Graham morgens zum Bahnhof ging. Von überall her war das Zischen der Schweißgeräte zu hören, ebenso das metallene Hämmern, wenn die einzelnen Rohrstücke mit Bolzen verbunden wurden. Die Luft war erfüllt von den Abgasen der Dieselmotoren, die die Bagger antrieben. Von Tag zu Tag wuchs die Zahl der Schadensmeldungen, bis schließlich die Arbeiter hoffnungslos überfordert waren. Die Arbeiten kamen nur noch langsam voran, die Bagger wurden zum nächsten Haus beordert, kaum, dass sie die Leitungen in dem einen Garten freigelegt hatten. Mit der Montage der neuen Rohre war die Arbeit bis auf weiteres getan, es blieb keine Zeit, die tiefen Gräben zuzuschütten. Die Rohre waren kaum montiert und die alte Ordnung war einigermaßen wiederhergestellt, als es in den Häusern, in denen die Reparaturen zuerst erledigt worden waren, erneut zu Störungen in der Wasserversorgung kam. Meurer bestach eine Gruppe Arbeiter, die daraufhin den Streifen Erde, auf dem sich bereits eine beträchtliche Anzahl von Grashalmen ausbreitete, erneut mit dem Bagger beseitigte. Die Wurzel, die die Bauarbeiter mit einer großen Zange durchtrennt und soweit zurückgeschnitten hatten, dass nur ein kurzes Stück aus dem Erdreich herausragte, war zurückgekehrt und hatte das Rohr ein weiteres Mal scheinbar mühelos zerteilt. Die Nachricht verbreitete sich innerhalb von Minuten über die gesamte Vorstadt. Angesichts der neuen Situation vergaßen die meisten die Risse, die sich in den Kellern ungehindert ausbreiteten und den Wurzeln Gelegenheit zu ungestörtem Wachstum gaben. Nur Graham stand auf der Veranda und lauschte in den Garten, als hoffe er, von dort die Bestätigung zu bekommen für eine Theorie, die er nicht formulieren konnte. Am Sonntag darauf fuhr seine Frau für eine Woche zu ihrer Mutter. Graham genoss die Ruhe, die eingekehrt war. Auf der anderen Seite musste er sich jedoch eingestehen, dass er ein wenig die Neuigkeiten vermisste, die sie mitbrachte, wenn sie vom Supermarkt oder vom Friseur kam. Graham nutzte die Zeit, um die Feuchtigkeit aus seinem Keller entweichen zu lassen, die sich aufgrund der stets geschlossenen Tür dort angestaut hatte. Unangenehm stickige Luft schlug ihm entgegen, als er die Tür öffnete, und seine Lungen weigerten sich, sie einzuatmen. Er musste zurückweichen und in den Garten gehen, erst dort konnte er wieder so durchatmen, wie er es gewohnt war. Nach einigen Stunden hatte sich die Kellerluft verteilt und er sah sich in der Lage, nach unten zu gehen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Fast der gesamte Verputz war abgefallen, durch alle Ritzen zwischen den Steinen hatten sich die Wurzeln in den Keller vorgekämpft, ihre Verzweigungen hatten sich in alle Richtungen an der Wand entlanggeschoben und bildeten eine Art Geflecht. Der Keller, den Graham schon immer wie eine Gruft empfunden hatte, lebte förmlich. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand rechts der Treppe und schloss die Augen. Er spürte das eigenartige Leben, das von ihr ausging und das auf ihn überspringen wollte. Die Wand in seinem Rücken pulsierte, sie überfiel ihn mit einem Rhythmus, der seinen eigenen Herzschlag aus dem Takt brachte. Graham fühlte, dass sein eigenes Leben aus seinem Körper wich, um einem anderen Leben Platz zu machen, das von den Wurzeln ausging. Erschrocken riss er sich los. Noch nicht, dachte er voller Angst und wich zurück. Als er wieder im Wohnzimmer stand, glaubte er zunächst, aus einem Traum erwacht zu sein, bei dem er noch nicht sicher war, ob er ihn als Alptraum bezeichnen sollte oder nicht. Er setzte sich auf einen der beiden Sessel und überlegte, warum er im Keller noch nicht gedacht hatte. Es gab keinen erkennbaren Grund für dieses Noch, er wusste nicht, was später sein würde. Vielleicht hatten die Wurzeln mit seinem Unterbewusstsein Kontakt aufgenommen. Oder waren es keine Wurzeln? Hatte er mit einer...