Schäfer | AC/DC. 100 Seiten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

Schäfer AC/DC. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

ISBN: 978-3-15-962230-9
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Über 200 Millionen verkaufte Alben und Welttourneen, die alle Publikumsrekorde sprengen: AC/DC ist die erfolgreichste Hardrock-Band aller Zeiten. It's a long way to the top! Aber stoische Beharrlichkeit und ein eisernes Arbeitsethos führten die australischen Proletenkinder innerhalb einer Dekade in die Charts und Stadien dieser Welt. Ihre Musik ist laut, rudimentär, konsequent und unverwechselbar. Die Rockkritik hat sie dafür lange verspottet, die Fans malten ihren Schriftzug auf Jeansjacken und Klowände. Frank Schäfer erzählt die 50-jährige Erfolgsgeschichte dieser Band, die sich Skandalen und Schicksalsschlägen zum Trotz stets treu blieb.

Frank Schäfer, geb. 1966, ist seit vielen Jahren regelmäßig als Literatur- und Musikkritiker u. a. für die 'NZZ', die 'taz' oder 'Zeit Online' tätig, insbesondere als Spezialist für Hardrock und Heavy Metal. In den Musikmagazinen 'Rolling Stone' und 'Rock Hard' betreut er eine ständige Kolumne zum Thema.
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I'll win the fight – Identifikationsmuster
Das Publikum, das die Parkhäuser vor dem Messegelände überflutet, fährt gern SUV, Kombi, Transporter, Kleinbus. Man brauchte Platz, als die Kinder kamen. Aber da sind auch frühpubertäre Kuttenträger, Kleinkinder mit Micky-Mäusen auf den Ohren, sogar Hipster-Bärtlinge. AC/DC sind ein Mehrgenerationenprojekt, das seine weit über zweihundert Millionen Alben natürlich nicht nur gesattelten Altrockern verkauft hat. Das Wimmelbild prägen dennoch die Herbstzeitlosen, Graubärte, Knittergesichter. Einer von ihnen bin ich. Ein gutes Viertel des Publikums ist weiblich, und das hat besser gelernt, mit den Defiziten umzugehen. Ein bisschen Karnevalsstimmung blitzt auf. Einige haben sich als Angus verkleidet, in einer gefakten Schuluniform mit kurzen Hosen. Auf diversen Köpfen blinken die notorischen Teufelshörnchen, die später im Dunkeln so romantisch leuchten. Statt Feuerzeugen. – AC/DC hatten nie einen Feuerzeugsong im Programm. Schließlich dämmert es, und die Show beginnt – mit einem Mondlandungsvideo. Doch was müssen die Astronauten sehen? Ein AC/DC-Schriftzug brennt sich durch das Gestein und startet durch ins All, um dann irgendwo mit großem Bumms einzuschlagen. Das ist genau die absurde Bildsprache, die Brian Johnson vor vielen Jahrzehnten in die Texte eingeführt hat. Ein grandioser Blödsinn, der nichts anderes sein will als eben grandios und blödsinnig. Und dann kommt auch schon das trockene, abgestoppte Erkennungsriff von »Rock or Bust«, das hier und jetzt in den Abendhimmel geblasen auf einmal eine Überzeugungskraft besitzt, mit der man kaum noch gerechnet hatte. Stevie Young, Malcolms Neffe, der Gesichtsälteste heute Abend, nicht nur auf der Bühne, sondern auf dem ganzen Gelände, der den verstorbenen Onkel ersetzen soll, bekommt seine Zeit auf den Videowänden. Er wird hier nicht als Ersatzmann geführt, er ist der neue Rhythmusgitarrist und darf denn auch eine von Malcolms alten, zerschundenen Gretschs spielen, der die beiden vorderen Tonabnehmer herausoperiert wurden. Einer hat immer schon gereicht – und dass er auch für den Neffen reicht, ist wohl als Zeichen zu verstehen. Die kleineren und größeren Gimmicks, die seit Jahrzehnten zum Live-Spektakel gehören, die aufblasbare Wuchtbrumme bei »Whole Lotta Rosie«, die »Hells Bells«-Glocke und die Kanonen bei »For Those About to Rock«: Sie alle werden abgerufen – und dennoch zeigt sich wieder einmal, wie zweitrangig sie sind. Und auch Angus, dauergrimassierend, nach Luft schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen, ist zwar die aufmerksamkeitsheischende Lichtgestalt auf der Bühne, aber immer noch nicht die Hauptattraktion. Denn das sind einmal mehr die Songs, diese aufs Allernötigste runtergestrippten, simplen, die kalkulierte Reduktion aber allemal trickreich umspielenden Riffbretter. Wer AC/DC stumpf nennt, hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Ein AC/DC-Konzert ist vielleicht am ehesten vergleichbar mit einer Kampfsportveranstaltung. Man sieht dabei zu, wie sich die Hauptdarsteller im Laufe des Abends langsam, aber todsicher in den Zustand gesteigerter Derangiertheit hineinarbeiten. Bei AC/DC hat das noch eine weitere Dimension, weil sie schon ziemlich derangiert beginnen – und den vielen zerdellten Lebensläufen vor der Bühne stellvertretend beweisen, dass man es trotz allem immer noch bringt. Angus’ schweißnasses Hemd hängt irgendwo, in seinem Gesicht spiegelt sich Apathie, der Stoizismus des unbedingten Durchhaltens. Brian Johnson pfeift nach der Hälfte des Konzerts auf dem letzten Loch, er macht so gut wie gar keine Ansagen mehr, weil es nicht geht, weil er gar keine Sprechstimme mehr hat, nur noch die AC/DC-Stimme, dieses heisere, kehlkopfschreddernde Kreischen, das mit zunehmender Dauer des Auftritts immer stärker an quietschende Bremsen erinnert. Nach jedem Song gehen sie in ihre Ringecke, zum Drumpodest, wo die Erfrischungen stehen, wo sie kurz verschnaufen können, bis der unerbittliche Chris Slade am Schlagzeug die nächste Runde einläutet. Es ist ein heroischer Kampf, voller Schmerzen und Pathos, und erst wenn am Ende die Kanonen knallen, ihnen zu Ehren, erst dann ist alles gut. For those about to Rock, we salute you! Amen, verdammt noch mal. Es wird noch eine lange Nacht an diesem 21. Juli 2015. Wir stehen anschließend dreieinhalb Stunden in unserem Parkhaus im Stau, weil Hannover zwar ein Messegelände hat, das 75 000 Menschen fassen kann, aber nur eine Straße, die von dort wegführt. Wir sind gegen sechs Uhr früh zu Hause, ich zwinge mich um zehn aus dem Bett, weil ich bis zum Mittag die versprochene Konzertkritik abliefern muss. Beim Schreiben blitzen immer wieder ältere Erinnerungen auf. An mein erstes AC/DC-Konzert im Niedersachsenstadion Hannover zum Beispiel. Es ist der 31. August 1991, wie mir die gut geführte »Tour History« auf der offiziellen Website verrät. Metallica, Mötley Crüe, Queensrÿche und Black Crowes spielen vor ihnen, wir sind mit großem Anhang da, die Sonne scheint, und AC/DC haben mit The Razors Edge seit Jahren mal wieder ein durchgängig gutes Album aufgenommen. Bei »Money Talks« regnet es AC/DC-Dollars, wie sie die in die Luft bekommen haben, ist uns ein Rätsel. Unser Nachbar im Pulk hat sich schon einige Scheine gesichert und tanzt vor uns herum, um nach weiteren zu grabschen. Wir sehen ihn mitleidig an. Er missdeutet unseren Gesichtsausdruck offensichtlich als Bedauern darüber, dass er uns alles wegschnappt, und lächelt kleinlaut. »Oh, Tschuldigung«, schreit er gegen den Chorus an und zählt meiner Freundin zwei Dollarscheine in die Hand. Wir sind so gerührt von der Geste, dass wir sie bis heute aufgehoben haben. Doch zeigt sich uns die schlichte Größe dieser Band auch noch an diesem Abend. Bei »Let There Be Rock«, dem letzten Stück vor der Zugabe, peitscht Malcolm noch einmal seine Herde voran, und Angus reitet auf den Schultern eines Roadies durch die Menge. Da plötzlich, vermutlich hat er sich zu weit von der Bühne entfernt und die Reichweite des Senders überschritten, fällt die Sologitarre aus. Was dann folgt, ist schwer in Worte zu fassen, wie immer, wenn man einer Epiphanie teilhaftig wird. Malcolm Young sieht nicht mal auf, geschweige denn vor Überraschung seine Mitmusiker an. Angus Youngs Leadgitarre ist mausetot, gibt kein Geräusch mehr von sich, aber Bruder Malcolm schlägt weiter seine Akkorde. Er wird nicht schneller, nicht langsamer, gibt keine einzige Note, keine einzige rhythmische Variante dazu und lässt auch nichts weg. Er schlägt einfach seine Akkorde. Und schlägt. Und schlägt. Minutenlang ist nur diese eine sattsam bekannte Riff-Figur zu bestaunen. Das reicht vollkommen aus, das Publikum explodiert. Malcolm sieht immer noch nicht auf, aber eine überirdische Lumineszenz umspielt ihn und seine abgerockte 1963er Gretsch Jet Firebird, ein Heiligenscheinchen, das möglicherweise dem gewieften Lichtmixer zu verdanken ist – und dessen irgendwie metaphysische Qualität trotzdem außer Frage steht. Kein Angus-Solo hätte diese konzentrierte rohe Durchschlagskraft haben können. Und genau das ist die Essenz von AC/DC, und 60 000 Menschen wissen es und preisen Malcolm dafür. Noch so ein Film … Wir fahren gegen Mitternacht los in die gut eine Autostunde entfernte Hannover’sche Metalkaschemme Deutz, um uns ein paar Stunden zur Krawallmusik die Beine in den Bauch zu stehen. Dort wartet schon ein naturgelockter Mensch in Jeansweste auf uns, dessen Brusttasche verräterisch ausgebeult ist. »Lockenbürste«, dachten wir anfangs, aber wir hatten ja keine Ahnung. Er ist immer schon da, wenn wir kommen, steht mit seiner Entourage in der gegenüberliegenden Ringecke, guckt mürrisch und versenkt, was nur reingeht – ein sympathischer Typ. Er wartet geduldig, bis seine Zeit kommt, und sie kommt jedes Mal. Denn wenn sich der DJ genügend Sprüche angehört hat, wird er doch noch weich und spielt AC/DC, und Locke verwandelte sich vor unseren Augen. Sein erster Griff geht zum Fetisch in der Westentasche. Ja, jetzt sehen wir, was er da über seinem Herzen trägt, ein feingedrechseltes Mikrophon aus Holz. Der beauftragte Tischler versteht etwas von seinem Job, hervorragende Handarbeit, die Locke die Kraft gibt für eine wahrhaftige Metamorphose. Mimisch, gestisch voll auf der Höhe und textsicher nicht nur beim kanonischen »Hells Bells«, sondern auch bei so einem eher versteckten Schätzchen wie »Burnin’ Alive«, steht er auf einmal im Kreis johlender Fans, die nur auf diesen Moment gewartet haben, und verwandelt sich in Brian Johnson. Es ist Magie. Reine schwarze, bocksfüßige Magie. Der Sänger ist ein Spiegel meines dreizehnjährigen Ichs, das auf der Klassenparty der 6d zum ersten Mal »T. N. T.« grölt und tags darauf in einer Deutschstunde mit Kugelschreiber den AC/DC-Schriftzug auf die Federmappe kalligraphiert, immer noch ganz erfüllt von diesem Abend. Angus’ einpeitschende »Oi«-Rufe überreden uns zum Mitgrölen, und dann kommt auch bald der Refrain, der alles klar macht. »’Cause I’m T. N. T. I’m dynamite / T. N. T. and I’ll win the fight / T. N. T. I’m a power load / T. N. T. watch me explode«. Was ich davon wirklich verstehe, spielt keine Rolle, denn der Song stärkt mir den Rücken gegen was auch immer, nimmt mir für Momente meine präpotente Unsicherheit, möbelt mein Ego auf...


Frank Schäfer, geb. 1966, ist seit vielen Jahren regelmäßig als Literatur- und Musikkritiker u. a. für die "NZZ", die "taz" oder "Zeit Online" tätig, insbesondere als Spezialist für Hardrock und Heavy Metal. In den Musikmagazinen "Rolling Stone" und "Rock Hard" betreut er eine ständige Kolumne zum Thema.


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