Schätzing | Die Dunkle Seite | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Schätzing Die Dunkle Seite

Krimi

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-86358-050-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Köln 1999: Ein offenbar harmloser Geschäftsmann fällt einem abgründigen Verbrechen zum Opfer. Er wurde in seiner Wohnung zu Tode gefoltert. Die Tat eines Verrückten? Kommissar Menemenci tappt im Dunkeln.
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Samstag, 21. August 17.00 Uhr. Lindenstraße Die alte Frau lauschte in die Stille des Hausflurs hinein. »Herr Üsker?« Sie hörte schlecht, aber für ihre Begriffe war in der Wohnung im zweiten Stock etwas Schweres umgefallen, als sie eben daran vorbeiging. Ohnehin verwunderte es sie, dass sie den Mieter seit Tagen nicht zu Gesicht bekommen hatte. Mehmet Üsker besaß einen kleinen Lebensmittelladen an der Ecke, dort, wo die Händelstraße auf die Lindenstraße stieß, nur wenige Häuser weiter. Im Allgemeinen verging kein Tag, an dem er ihr nicht etwas mitbrachte, einen Apfel oder frisches Gemüse. Sie verstanden sich gut. Die alte Frau nahm nicht übermäßig viel Miete, und er dankte es ihr in Form von Naturalien. Aber Mehmet Üsker schien wie vom Erdboden verschluckt. Der Laden hatte nicht mehr geöffnet, seit sie ihm das letzte Mal im Treppenhaus begegnet war, und das lag mit Sicherheit eine Woche zurück. Sie zögerte, dann ging sie mit schlurfenden Schritten bis zur Wohnungstür und klopfte zaghaft. »Herr Üsker, ist alles in Ordnung? Sind Sie da?« Wieder ein Poltern. Etwas war umgestürzt. Sie fuhr zurück und fühlte ihr Herz heftig pochen. Vielleicht wäre es sinnvoll nachzusehen. Sie besaß einen Schlüssel. Nicht, dass sie im Entferntesten die Absicht hatte, in Üskers vier Wänden herumzuschnüffeln. Trotzdem. Seit sie im vorigen Jahr in ihrer eigenen Wohnung gefallen war und Stunden gelegen hatte, bis endlich die Putzfrau kam, lebte sie in ständiger Angst. Mehmet Üsker war ein großer, kräftig gebauter Mann, aber was hieß das schon. Während sie langsam die Treppe zu ihrer Etage hinaufstieg, das linke Bein nachziehend, überlegte sie, was zu tun sei. Am oberen Absatz blieb sie stehen und horchte noch einmal, ohne dass von unten ein weiteres Geräusch an ihr Ohr drang. War Üsker verreist? Er hätte etwas gesagt. Bestimmt hätte er sie besucht oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen. Auch am Laden war kein Zettel gewesen. Nichts. Nacheinander öffnete sie die drei Sicherheitsschlösser zu ihrer Wohnung, trat ein, verriegelte alles wieder sorgfältig und holte das schwere Telefonbuch vom obersten Regalboden neben der Garderobe. Ihre Finger zitterten, als sie die Nummer der Polizei nachschlug. Etwa zwanzig Minuten später standen zwei Beamte vor ihrer Tür. Durch den Spion konnte sie eine Polizistin mit blonder Dauerwelle erkennen, die seltsam unförmig in ihrer braunen Hose und dem bambusfarbenen Hemd wirkte. Ihr Kollege schob seine Mütze ein Stück zurück und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. Es war August und heiß in Köln. Spontan entschied sie, den Beamten ein erfrischendes Glas Wasser anzubieten und wollte gehen, um es zu holen. Dann fiel ihr ein, dass die Polizisten kein Wasser trinken konnten, solange sie draußen vor der Tür standen. Die Schlösser wurden wieder entriegelt. »Frau Bremer?«, fragte die Polizistin mit einem Anflug von Desinteresse. »Ja«, strahlte sie. »Möchten Sie ein Glas Wasser?« Die beiden starrten sie verwirrt an. Dann lächelte der Mann und schüttelte den Kopf. »Danke, sehr freundlich. Sie hatten angerufen wegen …« »Ich habe den Herrn Üsker seit Tagen nicht gesehen«, sagte sie mit Nachdruck. »Herr Üsker?« »Mein Mieter. Er wohnt in der Wohnung drunter. Da kann doch irgendwas nicht stimmen, oder?« Ihr entging nicht das Zucken der Belustigung um die Mundwinkel der Polizistin. Das ärgerte sie. Sie mochte alt sein, blöde war sie nicht. Die Beamten hielten sie offenbar für eines dieser verschrumpelten Klatschweiber, die ihre Nase in alles und jedes stecken und sofort Unsitte und Verrat witterten, wenn etwas über ihren Horizont hinausging. »Vielleicht ist er ja verreist«, meinte der Polizist. »Junger Mann«, sagte Frau Bremer sehr bestimmt, »wie stellen Sie sich das vor? Eben gehe ich an seiner Wohnung vorbei, da höre ich diesen bösen Krach. Wenn der Herr Üsker verreist ist, wer macht dann den Krach?« »Augenblick. Was denn für Krach?« »Sind Sie sicher, dass er nicht verreist ist?«, fragte die Polizistin. Frau Bremer starrte sie an. Konnten junge Leute eigentlich nie richtig zuhören, wenn man etwas sagte? »Das hätte er mir erzählt«, gab sie würdevoll zurück. »Herr Üsker erzählt mir alles.« »Und was schlagen Sie vor?« Sie kramte den Generalschlüssel aus der Tasche ihres Kittels und hielt ihn den Beamten hin. Der Polizist nahm ihn und nickte. »Na schön. Sie müssen es wissen. Welcher ist es?« »Der mit dem eckigen Kopf. Der andere ist für den Keller.« »Gut. Schauen wir mal nach.« Unverhohlen gelangweilt schritten die Polizisten die Treppe hinab. Frau Bremer humpelte hinterher. Die Hüfte würde es nicht mehr lange machen. Mittlerweile hatte sie alles über künstliche Hüftgelenke gelesen. Wahrscheinlich wusste sie mehr darüber als die Ärzte. Wie sollte sie aber einen Arzt an ihre Hüfte lassen, wenn er weniger über Hüftgelenke wusste als sie selbst? Es war eine einzige Sorge mit der Gesundheit. »Ist es hier?« »Ja«, sagte sie schweratmend. »Da ist ja sein Namensschild neben der Tür. Sie müssen nur hinsehen.« »M. Üsker«, las der Polizist. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und hielt plötzlich inne. »Was ist?«, fragte seine Kollegin. »Riechst du das?« »Was?« »Komm mal näher.« Sie trat neben ihn und holte tief Atem. Frau Bremer hielt sich in respektvollem Abstand. Klamm kroch ihr die Furcht in die Knochen. Die Polizistin verzog das Gesicht. »Widerlich.« »Was sagten Sie, Frau Bremer? Wie lange haben Sie Herrn Üsker nicht gesehen?« »Eine Woche, schätze ich. Vielleicht weniger.« »Würde reichen«, sagte der Polizist in gedämpftem Tonfall zu seiner Kollegin. Frau Bremer beugte sich ängstlich ein Stück vor. »Wollen Sie nicht reingehen?« »Doch.« Der Beamte drehte den Schlüssel, und die Tür sprang einen Spalt auf. Süßlicher Gestank drang ins Treppenhaus. Frau Bremer schnappte nach Luft und wich zurück. »Scheiße!«, keuchte der Polizist. Im selben Moment war aus der Wohnung ein Scharren zu hören, dann knallte etwas von innen gegen die Tür. Die Polizistin kreischte auf, packte den Griff und zog heftig daran. Die Tür fiel wieder ins Schloss. Frau Bremer sah, dass der Mann seine Dienstwaffe zückte, und merkte, wie ihre Beine einknickten. »Ruf das SEK«, sagte der Polizist. »Schnell.« Die Frau zückte ein Funkgerät. Wieder rummste etwas gegen die Tür, und diesmal meinte Frau Bremer ein Geräusch zu hören wie von einem schreienden Kind. »Kommen Sie, Frau Bremer. Kommen Sie mit.« Willig ließ sie sich von dem Polizisten unter die Arme greifen und hinaus auf die Straße führen, wo sie sich nach Luft ringend an die Hauswand lehnte. »Rrrrhhhgg …«, krächzte sie. »Wie bitte?« »Ich … kriege keine …« »Warten Sie«, sagte der Mann mit einem Blick auf das Café schräg gegenüber. »Ich lasse Ihnen ein Glas Wasser bringen.« 18.15 Uhr. Menemenci »Wann ist es passiert?« Der Polizeiwagen schoss mit achtzig Sachen über die Kreuzung. »Der erste Befund ist unklar«, quäkte Krantz’ Stimme aus dem Sprechfunkgerät. »Es kann einige Tage her sein, aber wie viele, darauf mag man sich hier nicht festlegen. Warum kommen Sie erst jetzt?« »Raten Sie mal. Vielleicht, weil ich Däumchen zu drehen hatte?« »Wir haben alle viel um die Ohren.« »Und Sie hatten Gelegenheit, sich eine satte Viertelstunde lang zu profilieren. Ganz alleine, ohne mich. Ist das nicht prima?« »Nein, das ist typisch. Die Drecksarbeit machen immer die anderen.« »Ich habe schon im Dreck gewühlt, als Sie noch an das Gute im Menschen glaubten, Krantz. Also lassen Sie die renitenten Sprüche. Außerdem bin ich sicher, ihr werdet ge-nug Dreck für uns übrig gelassen haben. Der Tote ist ein Türke?« »Ja, ist er. Sie werden sich heimisch fühlen … Boss.« Arik Menemenci, Leiter der Mordkommission, seufzte. Als einziger türkischstämmiger Kommissar geriet er mit ermüdender Regelmäßigkeit an Fälle, in die Türken verwickelt waren, sei es als Opfer oder Täter. Augenscheinlich Zufall. Allmählich jedoch drängte sich Menemenci der Verdacht auf, man halte ihn schlicht für besonders kompetent, sobald es türkisch wurde. Zwecklos zu erklären, seine Familie sei Ende der Vierziger nach Deutschland gekommen, Vorreiter der Einwanderungswelle. Dass er hier geboren und fünfundachtzig das letzte Mal in Istanbul gewesen war. Er fragte sich, was sie machten, wenn das Opfer Tibeter oder Senegalese war. Hatten sie im Präsidium tibetische Kommissare? Menemenci überlegte, womit sich Krantz’ letzte Bemerkung quittieren ließe, und beschloss, sie zu ignorieren. »In Ordnung«, sagte er. »In einer Minute sind wir bei euch.« Vor dem Haus in der Lindenstraße saß eine alte Frau auf einem Stuhl und redete aufgeregt auf einen Polizisten ein. Mitglieder des SEK in Kampfanzügen und Helmen standen um den Eingang versammelt, andere trugen Kisten mit Gegenständen in Plastikbeuteln nach draußen. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander. Die Straße war blockiert von eilig geparkten Mannschaftswagen. Menemenci wuchtete seine drei Zentner aus dem Beifahrersitz und fragte sich, was an einem einzelnen Toten dran sein mochte, um einen Großeinsatz wie zu Baader-Meinhof-Zeiten auszulösen. Krantz stand neben einem der...


Frank Schätzing, 1957 in Köln geboren. Studium der Kommunikationswissenschaften, Creative Director in internationalen Agentur-Networks. Mitbegründer der Kölner Werbeagentur INTEVI, deren kreativer Geschäftsführer er ist. Anfang der 90er Jahre begann Frank Schätzing, Novellen und Satiren zu schreiben. 1995 erschien sein erstes Buch, der Mittelalterroman 'Tod und Teufel', der vom Start weg ein Bestseller wurde. Auch seine Nachfolge-Werke überzeugten die Kritiker. Für seine schriftstellerische Arbeit erhielt er den "KölnLiteraturpreis 2002".


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