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Schaumburg | Qu(e)er durchs Land | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Schaumburg Qu(e)er durchs Land

Von der Vielfalt des Lebens und der Suche nach mir selbst
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-33058-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von der Vielfalt des Lebens und der Suche nach mir selbst

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-641-33058-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Manchmal muss man in Bewegung kommen, um etwas zu bewegen. Sichtbar werden, ein Zeichen setzen für die queere Community – das ist Brix Schaumburgs Mission, als er aufs Rad steigt, um quer durchs Land zu fahren: Um, als Deutschlands erster geouteter trans Schauspieler, Menschen und Organisationen zusammenzuführen, sich mit anderen auszutauschen, seinen Blickwinkel für die Lebensrealitäten queerer Menschen zu erweitern. Um Hürden zu überwinden, Grenzen zu durchbrechen – seine eigenen, aber auch die Begrenzungen seiner Mitmenschen, in Form von Vorurteilen und selbstauferlegten Einschränkungen. Am Ende ist die Reise für Brix so viel mehr …

Es werden Erinnerungen wach, die er schon lange weggeschoben hatte und die ihn über seinen Lebensweg neu nachdenken lassen: Ein Weg, der immer wieder Mut erforderte, sein Glück selbst zu definieren, sich nicht in eine Schublade stecken zu lassen – und sich für die Dinge im Leben stark zu machen, für die das Herz schlägt.

»Ich bin nie gerade an irgendein Ziel in meinem Leben gelangt. Aber alles, was ich mir als Kind gewünscht habe, ist irgendwie eingetreten und noch viel besser geworden, als ich es mir je hätte erträumen können. Auf jedem extra Meter ,Umweg´ sind mir die wundervollsten Menschen begegnet und ich habe gelernt, gelitten, gelebt und geliebt.«

Ein Buch, das Mut macht, zu sich selbst zu stehen – unabhängig von allen Labels.
Schaumburg Qu(e)er durchs Land jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Warm-up


Der Schützenkönig in mir

Nervös tigere ich vor meinem Hotel am Tegernsee auf und ab und frage mich: Kommt sie wohl wirklich? Wird Tessa Ganserer, damals noch Grünen-Landtagsabgeordnete und die erste trans Person, die sich während ihrer aktiven Amtszeit geoutet hat, es ernsthaft durchziehen und gleichzeitig mit mir in die Pedale treten? Es ist erst wenige Wochen her, dass ich sie bei meinem Podcast kennengelernt habe und mit ihr über das Selbstbestimmungsgesetz und die rechtliche Situation von trans Menschen gesprochen hatte. Als die Radtour in meinem Kopf herumzuspuken begann und ich mich immer mehr in die Idee verliebte, neue Räume zu eröffnen, sah ich mich vor meinem inneren Auge auf Marktplätzen stehen und solche Gespräche wie mit Tessa im Podcast weiterführen, um über die Lebenssituation von queeren Menschen in unserem Land aufzuklären und möglichst viele damit zu erreichen. Versammeln durfte man sich zu dieser Zeit nicht, aber allein oder in Minirunde loszuradeln, konnte mir schließlich keiner verbieten. Was würde passieren, wenn ich einfach losfuhr? Wer würde mir auf der Strecke begegnen? Wer würde seine eigene Geschichte mit mir teilen?

Seid ihr bereit? Gut, dann nehme ich euch mal mit auf diese Reise – und damit auch auf die große Reise meines Lebens. Los geht’s!

Bei der Geburt wurde mir das weibliche Geschlecht zugewiesen, aber ich maß dem nicht viel Bedeutung bei. Ich erzählte vielen Menschen, dass ich ein Junge sei. Dass mein Körper diese weiblichen Merkmale zeigte, war erst mal ziemlich egal. Mit fünf war ich für zwei aufeinanderfolgende Jahre Schützenkönig in der Mittelstadt Borken im Münsterland und niemand wunderte sich darüber. Auf dem Foto, das ich davon habe, strahle ich vor Freude und halte meine Schützenkönigin, stolz wie Oskar, in den Armen. Ich hinterfragte mich nicht – bis die Welt mich hinterfragte. Bis ich merkte, dass ich eben danach beurteilt wurde, ob ich ein Mädchen oder ein Junge bin. Und ab dem Moment schien all das, was vorher prima zusammenging, nicht mehr zu passen.

Und da sind wir schon mitten im Thema: bei Geschlechterbildern, Zuschreibungen, bei Schubladen und all dem Kram.

Ich bin Brix. Es gab eine Zeit, da hieß ich … . Eine Weile habe ich die Frage nach meinem früheren Namen beantwortet. Heute nicht mehr, schon lange nicht mehr. Den Namen, den meine Eltern mir bei meiner Geburt gegeben hatten, mochte ich nie, keiner durfte mich so nennen. Dass es ein Mädchenname war, stellte gar nicht das Grundproblem dar. Der Name passt nicht zu mir, so ganz und gar nicht. Namen wie Kim, Yves oder Jil, sogenannte Unisex-Namen, machen ein Kind ja auch nicht mehr oder weniger zum Mädchen oder zum Jungen. Warum sollten dies also andere Namen tun?

Vielleicht hast du den Begriff noch nie gehört, aber eines kann ich dir sagen: Deadnaming ist für die meisten Betroffenen ziemlich uncool. Es bedeutet, den alten, von der Person nicht mehr verwendeten Vornamen zu nennen oder sie danach zu fragen, obwohl die Person einen neuen Namen angenommen hat. Es fühlt sich deshalb so unangenehm an, weil es den Menschen das Gefühl vermittelt, dass ihre Identität nicht vollständig akzeptiert wird. Für viele aus der Community ist das wie ein Stich ins Herz. Nicht nach dem abgelegten Vornamen gefragt zu werden, macht vielen trans Personen, zu denen auch ich mich zähle, den Alltag schon mal ein kleines bisschen leichter.

Also: Ich heiße Brix. Meine Mama und viele andere haben gelernt, mich so zu nennen, und auch ich musste erst mal eins werden mit diesem Namen, hineinwachsen in diese vier schönen Buchstaben. Wer mich in dieser Phase, in der ich auch äußerlich zu Brix wurde, in größeren Abständen gesehen hat, wird die Veränderung am stärksten wahrgenommen haben. Meine Hülle ist tatsächlich eine ganz andere. Aber mein Herz hat sich nicht verändert.

Als kleiner Mensch wusste ich genau, wer ich war und was ich wollte, auch wenn ich es nicht immer klar formulieren konnte. Auf meiner Reise haben mich dieser Wille und dieses Wissen öfter wieder verlassen und das laute, selbstbewusste Kind ist mehr und mehr verstummt. Als ich in jenes Alter kam, in dem an Geschlechterbilder geknüpfte Erwartungen von außen an uns alle herangetragen werden, begann ich, mich selbst infrage zu stellen: Wer bin ich? Und warum passt das Innere mit dem Äußeren nicht zusammen?

Von meiner Transition zu dem Brix, der hier heute sitzt, erzähle ich in diesem Buch. Von der großen Reise meines Lebens, die ich unternommen habe, um bei mir anzukommen. Gleichzeitig möchte ich euch mit auf drei kleinere Reisen nehmen, bei denen ich quer durch Deutschland geradelt bin, mal allein, mal mit Begleitung. Kennt ihr das, dass einem oft die besten Gedanken kommen, wenn man sich bewegt? Dass Gespräche oft viel offener und freier sind, wenn man zusammen spazieren geht? Eben! Und genau deshalb ist es gut, gemeinsam in Bewegung zu kommen.

Es war gar nicht mein Plan, groß über mich nachzudenken oder darüber, wie ich der wurde, der ich eigentlich immer schon war, als ich mich 2021 zum ersten Mal aufs Fahrrad schwang. Ich wollte eine Spendenreise unternehmen und dabei Sichtbarkeit und Awareness für die queere Community schaffen. Mit Deutschlands größter Fahrrad-Pride »Qu(e)er durchs Land« ein Zeichen für Diversität setzen. Von den gesammelten Spendengeldern sollten gemeinnützige und ehrenamtliche Organisationen unterstützt werden, die sich für die LGBTQIA+-Community starkmachen. Es sollte Begegnungen mit Menschen aus der Politik, den Medien oder Vertretenden von Organisationen geben. Außerdem viele Stopps, Aktionen und Events, queere Wanderungen, Interviews, Lesungen, Performances, Karaoke, Treffs mit Kaffee und Apfelkuchen und vielleicht auch mal ein paar gute Drinks.

Die Idee zu meiner ersten Tour entstand mitten in der Pandemie. Die größte treibende Kraft war , eine App, die nur kurz verfügbar war, aber einen gigantischen Impact hatte. Dadurch hatte ich in kürzester Zeit wichtige Kontakte geknüpft und merkte, wie gut der Austausch tat. In den digitalen Räumen wurde diskutiert, geredet, sich weitergebildet oder sogar Musik gemacht. Doch draußen in der echten Welt herrschte mehr Einsamkeit denn je. Es waren Posts anderer Menschen, die ich auf Facebook oder Instagram las und die mich aufrüttelten: »Ich kann mich nicht überwinden, als selbst auf die Straße zu gehen … Ich ertrage diese Blicke nicht mehr, ich fühle mich so allein.« Es fehlten die Anlaufstellen; Einsamkeit und Isolation waren präsenter denn je.

Für uns alle. Mit dem Gefühl, dass sich Stammtische nicht treffen und Christopher Street Days (CSDs) nicht stattfinden dürfen, wollte ich mich nicht abfinden. In mir begann es zu arbeiten: Was wäre, wenn ich durchs Land gehen … laufen … wandern … hmhm, fahren würde? Wir uns unsere Geschichten live erzählen könnten? Wenn die Leute also nirgendwo hingehen konnten, um sich auszutauschen und gegenseitig zu supporten, würde ich eine mobile Anlaufstelle schaffen, um sie zu verknüpfen, um Brücken zu schlagen und Mut zu machen. Die Grenze, die Corona uns gesetzt hat, ließ in mir Ideen wachsen, mit dieser Beschränkung umzugehen. Alles war plötzlich dicht, keiner sollte mehr raus und in bestimmte Räume durfte niemand mehr rein. Gab es nicht irgendeinen Weg drum herum? Ich denke, den gibt es immer. Vielleicht war es genau das, was ich brauchte, um diese Vision zu entwickeln. Von der Planung bis zum Start sollten aber noch einige Monate vergehen, denn ich hatte zuvor einige tolle Jobs zu erledigen, aber vor allem hatten wir gerade ein Kind bekommen und diese warme Zuhause-Bubble wollte ich erst einmal nicht verlassen.

Schließlich ging es los. Wie viel ich auf zwei Rädern, vor allem durch all die wundervollen Begegnungen, die ich auf meinen Touren hatte, über das Ankommen und Grenzensetzen lernen würde, ahnte ich nicht. So viele Dinge sind unterwegs passiert, so viel Fantastisches, Erschütterndes, Trauriges und Lustiges habe ich erlebt, dass es mich vollkommen überwältigte. Als ich 2021 nach den 2180 Kilometern der ersten Tour zurückkam, wusste ich: Das war’s noch nicht! Andererseits war es so anstrengend, dass ich im selben Moment dachte: Das mache ich nie wieder! Ein kontroverser Twist von positiven Erlebnissen und totaler Erschöpfung.

2023 bin ich wieder gefahren, 2024 erneut, jedes Mal eine andere Strecke, aber immer qu(e)er durchs Land, von Süden nach Norden, jeweils einen Monat im Sattel. Inzwischen liegen drei Touren hinter mir. Mal regenbogenmäßig beflaggt, mal unauffällig in Schwarz (warum und was die AfD damit zu tun hat, dazu kommen wir noch), manchmal allein, manchmal wurde ich auf Streckenabschnitten begleitet, einmal auch auf der ganzen Tour. Durch peitschenden Regen und mit miesem Wind von vorne, bei Sonnenschein und blauem Himmel. Jede Tour hatte ihre Höhen und Tiefen. Jede war besonders. Jede machte mir die Vielfalt des Lebens und unserer Gesellschaft auf neue Weise bewusst. Jedes Mal überwältigte mich der Zusammenhalt unter den Menschen und wie viel wir gemeinsam erreichen und erschaffen können, wenn wir nur wollen. Im persönlichen Kontakt darüber zu lernen, wie die Lebensrealität für viele queere Menschen in Deutschland aussieht, hat mich manches Mal betroffen gemacht, mich aber auch wertschätzen lassen, in einem Umfeld groß werden zu dürfen, in dem ich der sein durfte, der ich war.

Viele der Menschen, die mir unterwegs begegneten, sind ein Teil meines Lebens geworden. Mit einigen queeren Zentren arbeite ich weiterhin sehr gerne zusammen und es fühlt sich ein...


Schaumburg, Brix
Brix Schaumburg, geboren 1990, ist Deutschlands erster offiziell geouteter trans Schauspieler. Das Adjektiv, für das er sich früher oft rechtfertigen musste, trägt er heute mit Stolz, um nachhaltig aufzuklären und für Gleichstellung zu kämpfen. Mit Power und jede Menge Charme macht er die Welt jeden Tag ein bisschen bunter. Er steht für Vielfalt und Toleranz ein, macht sich stark für die Freiheit und die Rechte queerer Menschen – ob im Fernsehen als Schauspieler, auf der Bühne als Dragqueen Miss Cherry La Boom, in seinem Podcast Herzfarben, als Autor von Kinderbüchern oder auf dem Rad, wenn er »qu(e)er durchs Land« fährt. Brix Schaumburg wuchs im Ruhrgebiet auf, verbrachte einige Jahre in Neuseeland, der Schweiz und England und absolvierte eine Musical-Ausbildung an der Stage School Hamburg, die er an der London Drama School KSA Academy of Performing Arts erweiterte. 2018 heiratete er Sängerin und Schauspielerin Alina Schaumburg, im Jahr 2020 wurden sie Eltern einer Tochter. Die Familie lebt im Wendland.



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