Scheer | Der energethische Imperativ | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Scheer Der energethische Imperativ


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-88897-770-1
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-88897-770-1
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nie war eine Inventur der Energiedebatte nötiger als heute. Über wohlfeilen Sympathiebekundungen für erneuerbare Energien, über der Diskussion um 'Jahrhundertprojekte' wie Desertec und 'Brückentechnologien' droht das wahre Ziel aus den Augen zu geraten: 100% jetzt. Eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien ist möglich. Wer sie nicht unverzüglich in Angriff nimmt, handelt unverantwortlich und beschwört neue Krisen herauf.
Beschleunigung ist daher das Kernthema von Hermann Scheers neuem Buch. Der streitbare Politiker und international renommierte Solarexperte leuchtet hinter den Scheinkonsens, der auch Teile der Umweltbewegung erfasst hat. Er zeigt die wahren Konfliktlinien auf, nennt die Bremser und Blockierer beim Namen. Vor allem aber bietet Scheer eine realistische Bilanz der verschiedenen Konzepte nach ihren unterschiedlichen Wirkungen und Erfolgsaussichten. Und er beschreibt Schlüsselprojekte, die den Wechsel zu 100 % erneuerbaren Energien beschleunigen und neue atomare und fossile 'Brücken' dahin überflüssig machen können.
Ein unverzichtbares Buch, das Mut macht, die Dynamik des Wechsels endlich als umfassende wirtschaftliche Chance zu begreifen, als ökonomischen wie ethischen Imperativ.

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1. KEINE ALTERNATIVE ZU
ERNEUERBAREN ENERGIEN:
Der lange verdrängte naturgesetzliche
Imperativ
Wie konnte es zu der dramatischen Zuspitzung auf eine Entscheidungssituation kommen, in der der Wechsel zu erneuerbaren Energien unter einem existenziellen Zeitdruck steht? Warum wurden erneuerbare Energien so lange negiert oder gering geschätzt? Diese Fragen müssen gestellt werden, trotz des Satzes von Albert Einstein: »Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.« Um jedoch auf das richtige Zukunftsgleis zu kommen, ist das Diktum des Philosophen Sören Kierkegaard zu beachten: »Leben muss man das Leben vorwärts, verstehen kann man es nur rückwärts.« Der Rückblick hilft, die geistigen und strukturellen Widerstände, die der Zukunftsentwicklung im Wege stehen, klar genug zu erfassen. Jede Vergangenheit hinterlässt ihre gedanklichen, realen und psychologischen Spuren, ob sie uns bewusst sind oder nicht. Bemerkenswert ist nicht die in den letzten Jahren sprunghaft gewachsene Erkenntnis des grundlegenden Stellenwerts der erneuerbaren Energien, sondern vielmehr, wie lange dieser Erkenntnisprozess gedauert hat und dass es nicht längst viel mehr erprobte Technologien und konkrete Initiativen dafür gibt. Naturgesetzlich war immer schon vorgegeben, dass die Nutzung fossiler Energien nur ein Übergangsstadium sein konnte. Kristallklar und unwiderlegbar hat Wilhelm Ostwald, der 1909 den Nobelpreis für Chemie erhielt, in seinem 1912 publizierten Buch »Der energetische Imperativ« darauf hingewiesen, dass die »unverhoffte Erbschaft der fossilen Brennmaterialien« dazu verführt, »die Grundsätze einer dauerhaften Wirtschaft vorläufig aus dem Auge zu verlieren und in den Tag hinein zu leben«. Da sich diese Brennmaterialien unweigerlich aufbrauchen würden, ergebe sich daraus zwingend die Erkenntnis, dass eine »dauerhafte Wirtschaft ausschließlich auf die regelmäßige Energiezufuhr der Sonnenstrahlung gegründet werden kann.« So kam er zu seinem Imperativ: »Vergeude keine Energie, verwerte sie.« Mit Vergeudung meinte er die Verbrennung der fossilen Energien, die ein zerstörender Vorgang ist, weil die verwendeten Ressourcen dadurch für den Energieeinsatz unwiederbringlich verloren sind. Dagegen setzt er die Verwertung der immer vorhandenen Energie, die wir heute erneuerbare Energie nennen und die in Dänemark treffender »bleibende Energie« genannt wird. Dem »energetischen Imperativ« räumt Ostwald einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert ein als dem »kategorischen Imperativ« des Philosophen Immanuel Kant: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«[3] Einfacher ausgedrückt, in einem alten Sprichwort: »Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem andern zu.« Jeder will in sauberer Luft leben, weshalb auch keiner die Luft anderer verschmutzen dürfte. Jeder Mensch braucht Energieressourcen, weshalb keiner so viel Energie beanspruchen darf, dass für andere nichts mehr übrig bleibt. Fest steht: Schon bisher reichte die fossile und die atomare Energie nicht aus, um die Energiebedürfnisse der gesamten Menschheit zu befriedigen. In naher Zukunft wird dies, angesichts der sich erschöpfenden Reserven bei gleichzeitig wachsendem Energiebedarf, immer weniger möglich sein. Ostwald sieht in Kants Imperativ ein Sittengesetz, während sein Imperativ naturgesetzlich ist. Ob ein Sittengesetz beachtet wird oder nicht, ist eine moralische Frage. Sie entscheidet über die Qualität des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ein Naturgesetz lässt uns dagegen keine Wahl. Seine Nichtbeachtung hat für die Gesellschaft so schwerwiegende Folgen, dass sie auch eine Verwirklichung der ethischen Grundsätze Kants letztlich unmöglich machen würde. Ostwalds elementare Warnungen wurden überhört, obwohl er zu den weltweit anerkannten Wissenschaftlern seiner Zeit zählte. Dabei war der Energieverbrauch am Beginn des 20. Jahrhunderts noch vergleichsweise gering. Es gab nur 1,5 Milliarden Menschen auf der Erde statt 6,5 wie heute. Die Elektrifizierung steckte noch in den Anfängen, ebenso der Automobilverkehr. Es gab noch keinen Flugverkehr und ein deutlich geringeres Handels- und damit Transportvolumen, nur wenige energieverbrauchende Haushaltsgeräte und weder Radio noch Fernsehen. Die elementaren Warnungen Ostwalds kamen, je nach Blickwinkel, zu früh oder zu spät. Zu früh, weil das Problem noch nicht unter den Nägeln brannte. Und zu spät, weil die fossile Energiewirtschaft schon fest etabliert war und auf die Politik, die Industrieunternehmen und nicht zuletzt auf die technologische Entwicklung entscheidenden Einfluss ausübte. Die fossile Energiewirtschaft hatte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine über hundert Jahre lange Geschichte, beginnend mit einer technologischen Revolution: der Dampfmaschine von James Watt. 1769 patentiert, wurde sie anfangs mit Holzkohle und dann mehr und mehr mit Steinkohle befeuert. Sie wurde zum Motor der industriellen Revolution, eingesetzt in der Industrieproduktion, dann in der Dampfschifffahrt und in Dampflokomotiven für die aufkommenden Eisenbahnen, und schließlich in Dampfkraftwerken, die noch heute die Technologie der meisten Großkraftwerke darstellen, von Kohle- bis zu Atomkraftwerken. Die Dampfmaschine begründete das Entstehen der modernen Energiewirtschaft, die zunächst eine Kohlewirtschaft war und sich dann zu einer Öl- und Gaswirtschaft ausweitete: zu einer Energieverbrennungswirtschaft. Nur eine zweite energietechnische Entwicklung hatte eine ebenso tief greifende Bedeutung: der Verbrennungsmotor, mit dem die Automobil-Revolution ausgelöst und der Flugverkehr möglich wurde. Aber auch diese Revolution richtete sich in ihrer technologischen Ausformung und Spezialisierung an den fossilen Energien aus, die bereits das Energieangebot stellten, was der fossilen Energiewirtschaft einen noch größeren Auftrieb gab. So gesehen hat eine Technologie für nunmehr zwei Jahrhunderte die Weichen gestellt, zufällig und in bester Absicht, jedoch mit unvorhergesehenen Kettenwirkungen. Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die Figur der Pandora symbolisiert in der griechischen Mythologie zusammen mit Prometheus das Energiedrama der Menschheit. Prometheus steht für einen neuen Energieentwurf oder die Suche danach, als derjenige, der das Feuer vom Himmel stahl und die Menschen lehrte, es zu gebrauchen. Der Göttervater Zeus betrachtete das als Frevel, weil den Menschen damit ein großes Unglück beschert wurde, ohne dass sie es in ihrer Begeisterung ahnten, und kettete Prometheus an einen Felsen. Da es aber nicht mehr möglich war, den Menschen das Feuer wieder wegzunehmen, wollte Zeus auch sie bestrafen. Er schuf die Figur der Pandora und schenkte ihr eine verschlossene Büchse, in der alle bösartigen Versuchungen enthalten waren. Diese verstreuten sich über die ganze Welt, als Pandora die Büchse neugierig öffnete. In der Büchse blieb nur die Hoffnung auf eine bessere Welt. Prometheus steht also für das vermessene Streben nach Möglichkeiten, die das menschliche Maß überschreiten, Pandora für die Verlockung, die sich daraus ergebenden Übel leichtsinnig freizusetzen. Alle Sorgen, dass sich die Energieversorgung in umfassender und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringender Weise auf endliche fossile Energievorkommen eingelassen hatte, wurden in den 1950er Jahren durch die Atomenergie zerstreut. Diese wurde als saubere und tendenziell spottbillige Alternative zu den versiegenden fossilen Energien gepriesen. Sie erschien als ein neues, menschengemachtes prometheisches Geschenk. In der atomaren Euphorie überhörte man alle Warnungen, dass die Gesellschaft nun von der fossilen in eine atomare Sackgasse gelenkt werden könnte. Die hochkomplexe Atomenergie faszinierte. Den Atomphysikern wurde höchster Respekt gezollt. Es galt als unvorstellbar, dass die alle bisherigen physikalischen Errungenschaften weit überragende Kernspaltung, die für die Konstruktion von Atombomben entwickelt worden war, nicht auch einen überragenden zivilen Nutzwert haben könnte. Frühe Kritiker der Atomenergie wurden zu Randfiguren erklärt. Das musste z.B. Karl Bechert erleben, ein renommierter Professor der Naturwissenschaften, der zugleich Mitglied des Deutschen Bundestages war. Eindringlich warnte er vor den unlösbaren Gefahren der Atomenergie. Als 1957 das Atomgesetz beschlossen wurde, das ihr die Wege ebnete, stimmt er als einziger dagegen. Selbst in seiner eigenen Partei, der SPD, stieß er auf taube Ohren. Sein Widerspruch wurde als Ärgernis empfunden. Die erste Nachkriegsgeneration stand unter dem Schock der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vom August 1945. Sie lebte im kurz danach beginnenden »Kalten Krieg« zwischen »West« und »Ost« in akuter Angst vor einem Atomkrieg. Auch das erklärt die Hoffnung auf eine »friedliche Nutzung der Atomenergie«: angesichts des atomaren Wettrüstens und der atomaren Abschreckungsstrategien sollte der destruktiven Technologie der Atomspaltung eine konstruktive Seite abgewonnen werden. So wurde aus der Bewegung gegen die Atombombe eine für Atomkraftwerke. Erst später, ab den 1970er Jahren,...


Hermann Scheer ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler und Mitglied des Deutschen Bundestages, Präsident von EUROSOLAR und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien. Er war Wegbereiter des deutschen Erneuerbare- Energien-Gesetzes und Initiator der neu geschaffenen International Renewable Energy Agency (IRENA). Zahlreiche Preise, u.a. Alternativer Nobelpreis, Weltsolarpreis, Weltpreis für Bioenergie und Windenergie und Solar World Einstein Award.



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