E-Book, Deutsch, 244 Seiten
Schlag In den Kriegen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-99012-970-8
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 244 Seiten
ISBN: 978-3-99012-970-8
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein pazifistischer Roman über den Krieg.
Auch im 21. Jahrhundert kämpfen in der Ukraine wieder Deutsche. Diesmal als Freiwillige für die ukrainischen Nationalisten.
Zwei von ihnen machen sich davon, gemeinsam mit der Verlobten eines Gefallenen und einem, der das Abenteuer sucht.
Sie gehen zu Fuß in Richtung Krim, zum Meer hin, weg von der Vergangenheit, immer wieder auf sie gestoßen.
"Wir standen da wie auf einem Plattencover, vier Leute in loser Verteilung,
alle in dieselbe Richtung blickend. Unvorstellbar, dass einer ausscheren
und aus dem Bild gehen könnte. Jedem würde etwas fehlen, das über
seine eigene Person hinausreichte."
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1 Wir hatten nicht wissen können, dass Andrij so auf das Pfötchen reagieren würde, sagte Iwo. Einerseits ist es gut, wenn du ein Mädel zuhause hast. Du weißt, wohin du heimkommen kannst. Wenn du das überhaupt willst. Es gibt welche, die ziehen von Krieg zu Krieg, die können nicht mehr anders. Denen gibt sonst nichts mehr einen Kick. Schau dir die da drüben an! Was wirft die dauernd über ihre Schulter? Ich lehnte mich vor. – Ich glaube, die skypt. Auf ihrem Bildschirm ist eine Frau. Wieso hört man sie nicht reden? fragte Iwo. Frag mich. Die ist taubstumm! Klar, die ist taubstumm und skypt mit einer Taubstummen. Ich bekam einen Lachkrampf. – Woher weißt du, dass die andere auch taubstumm ist? Hör auf so blöd zu lachen, das sind arme Leute. Erinnerst du dich noch? Nahkampfsprache? – Er legte sich die Hand um den Hals. Geisel, sagte ich. Manchmal werden Taubstumme zur Entschlüsselung von Gesprächen herangezogen, von denen kein Ton existiert. Oder letzte Worte eines Mordopfers. Ich frage mich nur, wenn der Halbtote einen Namen sagt, mit letzter Kraft, wie soll ein Taubstummer das erkennen? Ganz einfach, Jensi. Die reihen die Buchstaben aneinander. Meistens gibt es einen Verdächtigen, auf den der Name passt. Denk an Sergio. Nein, danke. Wie seine Lippen blubberten unter dem Blutschaum, fuhr Iwo fort. Diese Bläschen, wie bei einem Frosch, und in den Bläschen war eine Nachricht und wir Schweine haben sie nicht entziffern können. Du solltest dich dran erinnern, Jens, sonst bleibt da etwas hängen. So ein Schwachsinn. Merkst du, was für einen Schwachsinn du redest? Wenn man sich zwanghaft erinnert, bleibt natürlich etwas hängen. Hab ich anders gemeint, Jens. Die Amis nennen das PTSD. Ich hab genug von den Abkürzungen. Das ganze Land ist voll von Abkürzungen, ist dir das nicht aufgefallen? Lieber richtige Worte, meinetwegen auch Sätze. – Ich griff mir an den Kopf. – Fremdsprachen schaden nie. Sieht man ja bei uns. Wenn wir die Landessprache nicht wenigstens in ihren Grundzügen verstünden, hätten wir hier nichts zu melden gehabt. Hast du dir die neue Nighthunter angesehen? Wann denn? Iwo zog ein paar Blätter aus seinem Rucksack und glättete die Ränder. Du weißt immer noch nicht, wie man mit Papier umgeht, sagte ich. Na und, Oberlehrer Krüger? Sieh mal dieses Gewinde am Zielfernrohr. Ah ja, sagte ich. Das spüre ich in den Fingern, wie ich diese Räder einstelle, das leise Einrasten. Das machst du – Mit Zeigefinger und Daumen. – Iwo drehte an dem unsichtbaren Gewinde. Hab ich mir gedacht. Die elegante Art ist nämlich die andere. Mit Daumen und Mittelfinger. Und was kann das, was unsere nicht konnten? Das lässt sich so nicht sagen, Jensi. Ich denke eben an Sergio. Das Zielfernrohr hat ihm zunächst einmal das Leben gerettet. Leider hat es ihm nichts genützt. Der gute Sergio wird von seinem Zielfernrohr gerettet, das die Kugel ablenkt, nur um eine Viertelstunde später einen Treffer abzukriegen. – Iwo schaute so erstaunt, als habe er die Geschichte zum ersten Mal gehört. Das ist mehr als Pech. Das ist ein schlechtes Schicksal, sagte ich. – Mein Mund zuckte, ich wischte mir die Ecken mit der dünnen Kaffeeserviette ab. Mit denen kann man sich nicht einmal den Arsch auswischen, sagte Iwo. Das schafft solchen Frust. Diese Spende damals, die feuchten Babytücher. Zehn große Schachteln. Die waren nicht schlecht, oder? Oder? Die habe ich in angenehmer Erinnerung. – Iwo schlug mit der Faust auf den Tisch. Erinnerst du dich, der Separatist, der hinter einem Haus hervorsprang wie ein Indianer mit einem Fransenhemd, diese zotteligen Fransen? Ja. Ich dachte, ein Bär springt uns an. Ich nickte. Später an jenem Nachmittag hatte der Feind unserem kleinen Bataillon ein fünfstündiges Gefecht geliefert, schwere Artillerie, wir hatten die Panzer über die Wiesen laufen gesehen. Wir hatten es knapp in einen halb abgebrannten Stall geschafft, eine Eisenplatte im Boden führte in einen Raum. Der Lärm der Panzer war nähergekommen, danach die Einschüsse der Raketenwerfer. Einige Kameraden hatten sich draußen verschanzt. Alle vier wurden von den Militärschützen getötet. Präzise. Kein Fehlschuss. Profis. Wir hatten über die Kampfnamen gesprochen. Es gab zu viele, die Ivan hießen. – So einer nennt sich dann Molotow oder Motorola, hatte Iwo gesagt. Weil er ein Handy von Motorola hat. Was hatte man von uns verlangt in der Ausbildung? Das Wort Stressmanagement war nicht vorgekommen, keiner hatte auch nur daran gedacht, es zu erwähnen. Wer hierher kämpfen kam, hatte das alles längst hinter sich, selbst wenn er zum ersten Mal in seinem Leben eine Waffe in der Hand hielt. Solche hatte es tatsächlich gegeben. Ein paar waren Kleinkriminelle gewesen, die endlich das tun konnten, was sie immer schon gewollt hatten. Kannst du dich erinnern, wie er mit der rechten Hand deinen Unterarm fest umfasste als Begrüßung? Das war ein Zeichen seiner Bewegung, sagte Iwo. Wer? Sergio. Nee, ist mir nicht aufgefallen. Ich sag’s dir, das war ein Erkennungszeichen. Das passiert schnell einmal. Aber nicht mit der rechten Hand am Unterarm, beharrte Iwo. Soll ich dir etwas verraten? Ja? Am liebsten würde ich meiner Schwester eine bestickte Bluse mitnehmen, wie sie hier in Mode sind. Dass du so romantisch bist, Iwo. Nicht romantisch. Ich meine echte Tradition. Das ist uns ganz verloren gegangen. Hättest du als Kind gern eine Lederhose getragen? Wie euer Franz Josef Strauß? Ich habe eine Lederhose getragen. Du weißt, dass euer Franz Josef Strauß 1941 hier war, genau hier, nicht in diesem Café, aber in der Stadt.1 Du verarschst mich, Mann. Überhaupt nicht, Iwo. Es kann gut sein, dass er 1941 von den Mädchen mit den bestickten Blusen begrüßt worden ist. Die sind den Deutschen zu Ehren durch die Stadt marschiert. Was du alles weißt, Jensi. – Iwo lehnte sich zurück. Neben der skypenden Frau hatten zwei alte Männer Platz genommen. Sie sanken einander beim Zuhören langsam zu wie Grabsteine. Wie lange bleibst du? fragte Iwo. Keine Ahnung, sagte ich. Du? Zurückgehen ins Gefecht kommt nicht in Frage. Das war ein sogenannter Lebensabschnitt und der ist jetzt vorbei. Ich möchte mich reformieren, sagt man so? Kalter Entzug? Ich muss wissen, ob ich das schaffe, kapiert? Ich war weg von dem Zeug, und dann finde ich in dem Depot hinter dem versifften Spülkasten dieses weiße Päckchen. Was hätte ich tun sollen? Das war für mich bestimmt. Wenn ich es nicht an mich genommen hätte, hätte es laut zu schreien begonnen und uns alle verraten. Am nächsten Tag bist du zu uns gekommen. Da war es zu spät, da war ich bereits … Ich hatte mir gleich gedacht, der sieht aus, als nähme er etwas, sagte ich. Iwo stieß ein paar Flüche in seinem bairischen Dialekt aus. Schon gut. Du warst immer verlässlich. Wo bist du untergebracht? fragte Iwo. Bei Tanja. Ist nicht wahr. Bei der zarten Tanja mit dem Pfötchen? Armer Andrij. Diese krankhafte Eifersucht. Der ist ja durchgedreht! Ah, du hast ein schlechtes Gewissen, weil du anfangs mitgemacht hast bei dem Gerede. So wie ihr anderen habe ich nicht geredet. Das mit dem Pfötchen habe ich nicht mehr zu Ende führen können, da hat das Wichtigste noch gefehlt, und das wäre nicht gemein gewesen, sondern sehr sensibel, da hätte er sofort seine Wut vergessen. Sicher, Jens. Nachher drehte ich noch ein paar Runden durch die Stadt und kam an einem Bücherflohmarkt vorbei. Die Verkäufer warteten mit den Händen in ihren gefütterten Winterjacken und stiegen von einem Fuß auf den anderen, rauchten, lachten, fluchten. Auf einem Schneesockel hockte ein aufgerollter Plastiksack mit Schachfiguren aus verschiedenen Spielen, schwarze, braune, helles Holz, weiße Damen und Bauern, Türme und Könige. Eine Ausgabe von Mein Kampf. Unter dem deutschsprachigen Cover verbarg sich eine Übersetzung in der Landessprache. Nicht mit mir, dachte ich. Aus einer dicht mit Postkarten bepackten Schuhschachtel zog ich einige Karten heraus. Ostergrüße. Städte. Bunte Sommerferienorte. Schwarzweißaufnahmen mit gezacktem Rand. Ein Briefumschlag, keine Anschrift, den holte ich mir. Ich erwartete abgelaufene Lotteriescheine, ein paar Sätze Sondermarken von einer Olympiade, Jahreszeit egal, meinetwegen ruhig Nachwuchshoffnungen mit blondem Haar, etwas Erbauliches eben. Es waren ein paar handbeschriebene Blätter. Ich bin froh, Willi zu haben. Er ist mir in den letzten Wochen zu einem richtigen Freund geworden, dem ich meine Zweifel anvertrauen kann. Das Misstrauen ist groß, und ich bin von Haus aus nicht jemand, der sich schnell anderen öffnet. Mit Willi ist es anders. Ihn könnte ich mir auch in der Heimat als guten, ja besten Freund vorstellen. Was uns hier zusammengebracht hat, hat ausgereicht, ihn mir ans Herz wachsen zu lassen. Das könnte ich über Iwo sagen. Ich steckte die Blätter zurück und gab dem Verkäufer etwas mehr als die lächerliche Summe, die er verlangte, verstaute das schmächtige Päckchen in einer meiner Brusttaschen. Fensterscheiben, auf die ein Sonnenstrahl traf, blinkten fiebrigkalt. Der braune Hund, der auf dem bloßen Boden lag, tat mir leid. Er hatte Knoten im Haar, eine Rasterfrisur, ab und zu rannte ein Schauer über sein Fell. Auf dem Weg zu Tanjas Wohnung kam ich an einem erleuchteten Laden vorbei. Kleine Mädchen mit weißen Schürzen...