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E-Book

E-Book, Deutsch, 358 Seiten

Schlag Please Come Flying


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-99094-048-8
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 358 Seiten

ISBN: 978-3-99094-048-8
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



New York 1957.

Eine Frau hat sich entschieden: Für ihren Mann und gegen ihr Kind, zumindest für zehn Monate.
Doch dann verliebt sie sich in einen anderen.

"May I take a picture of you, John", fragte sie.
"Sure."
Sie stellte gar nicht viel ein.
Das wird der Mann sein,
mit dem sie. die ganze Zeit lachte!

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1 Die Maasdam verließ den Hafen von Rotterdam. Ein paar letzte Blicke auf die zwei Türme des Hauptgebäudes der Holland-Amerika-Linie. Ehe sie auf offene See kamen, fiel Nebel ein. Dann stoppte das Schiff die Weiterfahrt. Es dauerte eine Weile, bis die Passagiere den Grund für die Verzögerung erfuhren. Die Maasdam hatte ein Fischerboot gerammt, die drei holländischen Fischer hatten Glück im Unglück. Lisa war damit beschäftigt, ihren Koffer in die Kajüte zu bringen, ein paar Sachen auszupacken. Ihre Rolleiflex-Kamera hatte keinen Schaden genommen. Sie spürte die Unruhe in ihrem Magen, wollte aufs Deck hinaus. Das Schiff zog eine lange Kurve – dort um die Ecke liegt New York, dachte sie. Ein paar nicht verankerte Stühle liefen an die Reling. Ein alter Sonderling in seinem ockergelben Mantel mit einem schwarzen Persianerfellkragen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Erst als ein paar Passagiere auf ihn zustolperten, sprang er auf und hob seinen Stock zum Fluchen. Warum sie nicht in ihren kleinen Häusern in Europa sitzengeblieben seien? Norddeutsch oder schon Holländisch, sie verstand nicht alles. Lisa konnte sich mit Mühe an einem Stuhl festhalten, der im nächsten Augenblick zu schlittern begann. Der Atlantik hielt viel Wasser bereit. Im Speisesaal saß sie mit einer Wienerin und ihren zwei Kindern am Tisch, die zum Familienvater nach Vancouver fuhren. Sie waren richtige Auswanderer, ihre Habe war in zwei großen Kisten verpackt. Diese Leute hatten keine Zukunft für sich in Österreich gesehen. Der kleine Junge freute sich auf die Prärie, seine ältere Schwester hatte Angst vor den Indianern. Es wird euch gefallen, sagte Lisa. Ein Mann aus Rotterdam setzte sich zu ihnen. Lisa nahm die Speisekarte. Auf dem Deckblatt schwammen drei Fische friedlich in einem grünen Tang im durchsichtigen Meer. Friday, September 6th, 1957. Für sie kam nur etwas Leichtes in Frage. Vegetable Soup, danach eine Omelette mit Schnittlauch. Lisa dachte an ihre kleine Tochter daheim in Österreich, die vielleicht auch eine Eierspeise essen würde. Zum Glück mochte Kathi die Küche ihrer Oma, wo die Katze Muina auf dem Schrank saß. Was gäbe sie darum, jetzt bei ihnen zu sein. Der Holländer sprach ein sympathisches Deutsch, in dem alles einen spielerischen Ton erhielt. Selbst als er von dem Unglück bei der Ausfahrt erzählte, klang das nicht nach einer Katastrophe, sondern nach etwas, mit dem man immer rechnen musste. Seine Landsleute lebten mit den Gefahren der See und der großen Passagierschiffe, auf die sie sehr stolz seien. Er hob besonders die neue Statendam IV hervor, durchgehend mit air condition ausgestattet und, wie auch die Maasdam, mit den modernen stabilizers. Die fingen die Rollbewegungen bei allzu großem Wellengang ab. So oder so ähnlich. Julian war vor drei Monaten mit der Statendam nach New York gereist. Sie lächelte den Holländer an. Blaue Augen hatte sie immer gemocht. In seinem Blick lag Mitleid, er griff nach ihrer Hand, das war eine schöne Geste. In Le Havre lichtete sich der Nebel. Vom Halt in Southampton bekam sie schon nichts mehr mit, weil es Nacht geworden war und sie erschöpft, aber hellwach auf ihrem Bett lag. Sie war so überdreht von dem langen Tag, dass sie nicht einschlafen konnte. Mehrere Male während der Zugfahrt nach Rotterdam hatte sie sich eingeredet, sie könne bei einem dieser deutschen Bahnhöfe aussteigen und den Zug zurück nehmen. Wenn ein Schaffner durch den Wagen ging und sie fragend anschaute, fehlte nicht viel. Er könnte einen besonderen Blick haben für Menschen wie sie, die lange mit einer Entscheidung gerungen hatten. Die Wahrheit war, dass es zwei Wahrheiten gab. Julian wollte die einjährige Ausbildung zum Anästhesisten am renommierten New York Hospital absolvieren. Wenn sie Julian nicht verlieren wollte, musste Lisa ihrem Mann nach New York folgen und Kathi über Monate hinweg bei den Großeltern zurücklassen. Nur einen Stock tiefer. In bester Obhut. In dieser ersten Nacht tauchten Bilder von torpedierten Kriegsschiffen auf, eine Holzkiste krachte auf das Deck, Koffer rumpelten vorbei, Sturm und Gewitter, hoher Wellengang, Lärm, Schreie, dann wieder Stille und der nicht aufhörende Zugriff in ihrem Magen. Tee. Julian hatte nichts von seiner Überfahrt berichtet. Am nächsten Morgen saß sie mit der Familie aus Wien beim Frühstück, alle hatten bleiche Gesichter. Lisa ließ sich von dem Kampfgeist der Frau anstecken. Am Nebentisch unterhielten sich die Engländer, die in Southampton an Bord gegangen waren. Zum Glück erholte sich ihr Magen und sie wanderte auf dem Schiff herum, sog die salzige Luft ein, lehnte sich an Türen, wenn der Horizont kippte, und fragte sich, wo der nette Holländer geblieben war. Es gab ein Lese- und Schreibzimmer mit einer Bibliothek. Viele Namen, die ihr nichts sagten, aber von Pearl S. Buck ein neuer Roman, Letter from Peking. Sie hatte Ostwind-Westwind und Die gute Erde gelesen. Ein Kinderbuch, in wilden Strichen gezeichnet, fiel ihr auf. New York im Regen, tiefe schwarze und graue Wolken, durch die Möwen wie hineingeworfen taumelten. Auf dem Fluss schäumten die herumschlagenden Wellen mit weißen Kronen, Eltern hielten ihre Kinder mit beiden Händen fest. Obwohl es vom Regen handelte, wurde Lisa immer besser gelaunt. Sie versuchte, sich Mr. Stanton und seine Frau Betsy vorzustellen, ihre Arbeitgeber. Mr. Stanton arbeitete nicht weit vom New York Hospital in einem Anwaltsbüro, war mit einigen Ärzten befreundet – so war es zur Vermittlung der Nannystelle für Lisa gekommen. Sie hatte lange nicht gewusst, was sie ihrem zukünftigen Schützling mitbringen sollte. Welche Ansprüche würde dieses Kind haben? Sie hatte den Gedanken an das Mädchen weggeschoben, von dem sie nicht einmal ein Foto besaß. Ein Halstuch mit Märchenfiguren hatte sie vor Kathi versteckt, in dem Papier eingeschlagen in der obersten Lade des Schranks, bei der Unterwäsche, die sie nie trug. Lisa wollte ihrer Familie auf dem Briefpapier der Holland-Amerika-Linie schreiben. Das Firmenzeichen war ein sich aufschwingender Bug, nicht so imposant wie auf den Plakaten, die in Rotterdam im Hauptgebäude hingen. Dort warteten die Wolkenkratzer der Skyline von New York im Hintergrund, und im Schlund des Schiffs segelte ein altmodisches Boot mit sechs weißen Segeln mit, über einem dunkelgrünen Wellenmeer. An Julian brauchte sie nicht mehr zu schreiben. Sie kam selbst, wenn auch nicht per Luftpost. In neun Tagen würden sie in Halifax sein, das war schon fast New York. Er hatte zwei Fotos geschickt, auf denen er mit seinem Chef und dessen Frau in einem Restaurant zu sehen war. Alle hoben die Gläser, wen ließen sie da hochleben, einen fotografierenden Gast? Eine wohlwollende und gutgelaunte Gesellschaft, die Lisa auch aufnehmen würde. Wenn sie Julian in ihren Briefen nach New York gefragt hatte, wie er seine Abende verbringe, waren bloß knappe Antworten gekommen. Nachtdienste, Lesen in der Bibliothek. Sie dachte an die langen Briefe aus seinen Studienjahren in Wien. Ab 1946, fünf Jahre lang jeden Tag mindestens ein Brief, zwei volle DIN-A4-Seiten lang in seiner modernen Schrift, die ihr so imponiert hatte. Keine Spur des strengen Kurrent, das sie verwendete. Er machte Gedankenstriche statt Kommas zwischen den Sätzen, so flogen die Wörter geraden Wegs zu ihr und rissen sie mit. Und wie er Abkürzungen schrieb mit Punkten in halber Buchstabenhöhe. u·s·w., als sollten diese Punkte ebensowenig den Boden berühren. Sie war dieser Schrift verfallen gewesen. Fünf endlose Jahre, Abend für Abend, wenn er von den Vorlesungen und Übungen in sein kleines Zimmer heimkam, erklärte er ihr seine Liebe und entwarf das gemeinsame Leben für sie. Eine Praxis daheim als Landarzt, der Menschheit dienen, und sie sollte sich pharmazeutische Grundkenntnisse aneignen, um ihm in der Ordination zu helfen. Er lud sie ein, ihn einmal in den Seziersaal zu begleiten, es würde ihr sicher gefallen. Dein Warten ist ein großes Opfer, hatte er aus Wien geschrieben. Nie mehr getrennt sein! Meine Lieben zuhause, Papa, Mama, Kathilein! Ich bin auf dem riesigen Schiff und ihr fehlt mir alle fürchterlich. Das Meer ist wild, aber wir haben es gemütlich in unseren Kabinen. Die Mitreisenden sind sehr nett. Jetzt fällt mir ein, dass dieser Brief erst in Kanada aufgegeben werden wird. Die letzte Möglichkeit wäre Southampton in England gewesen. Hast du wieder Eierspeise gegessen, Kathilein, oder einen Kaiserschmarren? Hier gibt es eine lange Speisekarte. Die Vanillecreme würde dir schmecken. Ich sitze mit einer Frau aus Wien und ihren zwei Kindern im Speisesaal. Sie wandern nach Kanada aus, in den Westen (Vancouver). Ein sehr freundlicher Holländer sitzt auch bei uns. Es geht mir gut, macht euch keine Sorgen. Viele Bussi Die Überfahrt blieb rauh. Lisa flüchtete vom Panoramadeck in die Bibliothek und weiter in ihre Kabine und in den Speiseaal, wenn es Zeit zu essen war, und starrte zu den Rettungsbooten, die am Oberdeck aufgereiht auf ihren Einsatz warteten. Manchmal saß der Holländer in der Bibliothek, schrieb, neben ihm lag ein aufgeschlagenes Buch. Einmal hob er den Deckel hoch, eine Biografie von Arturo Toscanini. Er war diesen Januar in New York gestorben. Ein mutiger Mann, sagte der Holländer. Er weigerte sich, Mussolinis Faschistenhymne vor den Konzerten zu spielen. Einmal wurde er niedergeschlagen. 1937 emigrierte er nach New York. Lisa wusste nicht, was sie sagen sollte. Geht es Ihnen besser mit der Seekrankheit? Sie verneinte. Als sie Julian in der Menge der Wartenden erblickte,...


Evelyn Schlag studierte Germanistik und Anglistik und ist seit 2002 freie Schriftstellerin. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Anton-Wildgans-Preis und den Österreichischen Kunstpreis. Zuletzt erschienen die Romane "Die große Freiheit des Ferenc Puskás" (2011), "Yemen Café" (2016) und "In den Kriegen" (2022).



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