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E-Book

E-Book, Deutsch, 203 Seiten

Schönberger Die Reichsbürger

Verfassungsfeinde zwischen Staatsverweigerung und Verschwörungstheorie

E-Book, Deutsch, 203 Seiten

ISBN: 978-3-593-44421-5
Verlag: Campus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die »Reichsbürgerbewegung« galt lange als bloße Kuriosität. Seit dem Polizistenmord von Georgensgmünd ist jedoch einer breiteren Öffentlichkeit bewusst geworden, dass die »Reichsbürger« Staat und Gesellschaft in grundlegender Weise herausfordern. Dieses Buch vereint die praktische Erfahrung der Verfassungsschutzbehörden mit rechtswissenschaftlichen, historischen, psychologischen und soziologischen Überlegungen. Die Reichsbürgerbewegung zeigt sich hier als heterogene Szene, die sich mit dem Bezug auf das Deutsche Reich eine alternative Realität konstruiert und die Rechtsordnung der Bundesrepublik delegitimiert.
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Reichsbürger und Selbstverwalter: Ein Fall für den Verfassungsschutz?
Lars Legath 1.Einleitung??26
Das Jahr 2016 hat vieles verändert. Zuerst wurde am 25. August bei einer Zwangsräumung in Reuden (Sachsen-Anhalt) ein Polizeibeamter und ein Angehöriger des Reichsbürgermilieus bei einem Schusswechsel verletzt.27 Nur wenige Monate später kam es dann sogar zum ersten Mordopfer eines Reichsbürgers, als ein Polizeibeamter am 19. Oktober in Georgensgmünd (Bayern) bei der Vollstreckung mehrerer Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse erschossen wurde.28 Der Mord in Georgensgmünd ist der traurige Höhepunkt einer zunehmenden Radikalisierung von Teilen des Reichsbürger- und Selbstverwaltermilieus, die spätestens in den frühen 2010er Jahren begann.29 Die Ereignisse in Sachsen-Anhalt und Bayern führten sowohl auf gesellschaftlicher, politischer, aber auch behördlicher Ebene zu einer Neubewertung des Phänomens der Reichsbürger und Selbstverwalter. Hatten die Verfassungsschutzbehörden vor diesen Ereignissen lediglich solche Gruppierungen im Blick, die inhaltliche oder personelle Überschneidungen zum Rechtsextremismus aufwiesen, wurde im November 2016 das gesamte Reichsbürger- und Selbstverwaltermilieu zum Beobachtungsobjekt erhoben.30 Doch sind die Verfassungsschutzbehörden für ein Phänomen zuständig, das bis zum Jahr 2016 häufig noch – auch von den Behörden selbst – überwiegend als Ansammlung von Spinnern, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern betrachtet wurde? Zur Klärung dieser Frage wird im Folgenden nach der Darstellung des gesetzlichen Auftrags der Verfassungsschutzbehörden (2.) das Phänomen Reichsbürger und Selbstverwalter näher untersucht. Neben der historischen Genese des Milieus und seiner ideologischen Grundannahmen (3.) werden auch erste soziostrukturelle Erkenntnisse über das Milieu (4.) sowie über seine Struktur (5.) dargestellt. 2.Gesetzlicher Auftrag
Zu Beginn soll kurz auf den gesetzlichen Auftrag der Verfassungsschutzbehörden eingegangen werden. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) sammeln die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Informationen unter anderem über »Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben«. Als Bestrebung gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind nach § 4 Abs. 1 a BVerfSchG »solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss zu verstehen, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen«. Aufgrund der fundamentalen Ablehnung der Bundesrepublik und ihrer gesamten Rechtsordnung sowie der Proklamation eigener Fantasiestaaten auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland können die Ziele und Handlungen von Milieuangehörigen als Bestrebungen i.?S.?d. BVerfSchG angesehen werden, womit eine Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden zu bejahen ist. Neben der Ablehnung des Grundgesetzes und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) zählen außerdem gebiets- und geschichtsrevisionistisches Gedankengut sowie antisemitische Einstellungen zum ideologischen Mindset von Teilen des Milieus. Das Eintreten für diese Positionen kann somit auch als Bestrebungen gegen die fdGO angesehen werden, da hierdurch zentrale Verfassungsgrundsätze beseitigt oder außer Geltung gesetzt werden sollen (§ 4 Abs. 1 c BVerfSchG). Angesichts ihrer Ideologie, insbesondere wegen der Ablehnung der bestehenden Rechtsordnung, stellen Reichsbürger und Selbstverwalter mit waffenrechtlichen Erlaubnissen eine besondere Gefahr dar. Aktuell verfügen nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden noch 940 Reichsbürger und Selbstverwalter über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse.31 Neben dem legalen Waffenbesitz wurden außerdem bei Durchsuchungen immer wieder auch illegale Waffen bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern gefunden. Daneben kam es in der Vergangenheit auch zu schweren Gewaltdelikten, bei denen besonders Polizeibeamte und Behördenvertreter Ziel der Aggression waren. Sowohl die große Waffenaffinität als auch das Gewaltpotenzial gefährden die öffentliche Sicherheit, weshalb besonders durch den Entzug von waffenrechtlichen Erlaubnissen versucht wird, das entsprechende Eskalationspotenzial zu minimieren. 3.Reichsbürger und Selbstverwalter
Der Definition der Verfassungsschutzbehörden folgend handelt es sich bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern um »Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.«32 Reichsbürger
Die Unterscheidung zwischen Reichsbürgern und Selbstverwaltern ist dabei als idealtypische Beschreibung zu verstehen, die in der Realität häufig von Überschneidungen und Mischformen überlagert wird. Dem Verständnis der Verfassungsschutzbehörden nach unterscheiden sich beide Strömungen vor allem durch den Bezug auf ein historisches »Deutsches Reich«. Während dieser Bezug bei Reichsbürgern – nomen est omen – als zentraler ideologischer Bezugspunkt angesehen werden kann, ist dies bei Selbstverwaltern, falls überhaupt, nur am Rande der Fall. Diese beziehen sich hingegen häufiger auf universell gültige Menschenrechte. Diese unterschiedlichen ideologischen Grundpositionen lassen sich vielleicht auch mit den unterschiedlichen historischen Genesen beider Strömungen erklären. So finden sich die Ursprünge der Reichsbürger in Deutschland bzw. dem deutschsprachigen Raum (auf den sich ihre Verbreitung auch bis heute hauptsächlich beschränkt).33 Die ideologischen Wurzeln des Phänomens reichen zurück bis in die direkte Nachkriegszeit. Die Vorstellungen vom Fortbestand des Deutschen Reiches und der Illegitimität der noch jungen Bundesrepublik waren zentrale Positionen der 1949 gegründeten »Sozialistischen Reichspartei« (SRP).34 Auch in den folgenden Jahrzehnten entstanden Gruppierungen innerhalb des bundesrepublikanischen Rechtsextremismus, die aufgrund eines vermeintlich erforderlichen Friedensvertrags auf der fehlenden Legitimation der Bundesrepublik und gebietsrevisionistischen Forderungen beharrten. Im Jahr 1985 entstand schließlich unter dem Namen »Kommissarische Reichsregierung« (KRR) die erste »Reichsregierung«, der noch viele weitere folgen sollten. Gegründet wurde diese von Wolfgang Ebel (1939–2014), einem ehemaligen Reichsbahnbeamten.35 Von der KRR spaltete sich unter anderem im Jahr 2004 die »Exilregierung Deutsches Reich« um den selbsternannten »Reichskanzler« Norbert Schittke (*1942) ab. Auch wenn also bereits seit einigen Jahrzehnten entsprechende Reichsbürgergruppierungen bestanden, nahm der Zulauf solcher »Reichsregierungen« besonders in den Jahren nach 2004 an Fahrt auf.36 Selbstverwalter
Dagegen reichen die Wurzeln der deutschen Selbstverwalter bis über die...


Christoph Schönberger ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Konstanz. Sophie Schönberger ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Düsseldorf.


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