E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Seiderer-Nack Frauen haben anders Darm
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8338-9711-5
Verlag: GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die besten Strategien für Mikrobiom und Hormonbalance bei Reizdarm, PCOS und Endometriose
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: GU Einzeltitel Gesunde Ernährung
ISBN: 978-3-8338-9711-5
Verlag: GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. med. Julia Seiderer-Nack ist Fachärztin für Innere Medizin und eine gefragte Expertin rund um das Thema Darmgesundheit, Mikrobiom, Nahrungsmittelintoleranzen und Ernährungsmedizin. Sie kombiniert in ihrer Praxis ihre umfangreiche Erfahrung aus Universitätsmedizin und Forschung mit ganzheitlichen und präventiven Therapieansätzen. Aus der langjährigen ärztlichen Erfahrung weiß sie, wie groß die Wissenslücke beim Verständnis von weiblichen Darmerkrankungen ist und wie frustrierend die Standard-Diagnose Reizdarm für viele Frauen sein kann. Ihre Gabe, aktuelle Forschungsthemen und komplexe medizinische Sachverhalte verständlich unterhaltsam zu präsentieren, kommt nicht nur ihren Studierenden in der Vorlesung, sondern auch ihren Patienten zugute. Julia Seiderer-Nack hat bereits mehrere erfolgreiche Gesundheitsratgeber veröffentlicht und ist vielen durch ihre Medizin-Kolumnen in BUNTE Gesundheit und MYLIFE bekannt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in München.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Hinweis zur Optimierung
Impressum
Wichtiger Hinweis
Darm-Care ist Self-Care
Vorwort
Die große Geschichte vom kleinen Unterschied
Reizdarm, weiblich, sucht Verständnis
Hormone – wenn der Darm zur Diva wird
Checkpoint Darmbarriere
PCOS – Darm, Hormone und Stoffwechsel auf Achterbahnfahrt
Das Darmmikrobiom – Steuerzentrale für weibliche Gesundheit
Endometriose – wenn Schmerzen zur Regel werden
Reizdarm in den Wechseljahren
Darm und Ernährung
Auszeit für gereizte Därme – Regeneration für deinen Bauch
Antientzündlich leben – Endometriose und schmerzhafte Bäuche
Luft lass nach – SIBO und andere Blähbäuche
Darmbarriere stabilisieren – PCOS und Bauchbeschwerden
Anhang
ZurAutorin
Dein Darm-Diary
SOS-Hilfe bei gestauter Luft im Darm
WARUM FRAUEN EINE ANDERE MEDIZIN BRAUCHEN
Die Erkenntnis, dass Frauen anders krank sind als Männer, ist in der Medizingeschichte noch relativ jung. Die amerikanische Herzspezialistin Marianne Legato zeigte in den 1980er-Jahren erstmals, wie gefährlich es sein kann, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin zu ignorieren und Frauen und Männer gleich zu behandeln. Sie ist deshalb auch eine der Pionierinnen auf dem Gebiet der sogenannten Gendermedizin, die sich mit diesen Unterschieden und deren Auswirkung auf die Entstehung und Erkennung von Krankheiten bei Frauen und Männern beschäftigt. Legato wunderte sich, warum Frauen deutlich häufiger am Herzinfarkt verstarben als Männer – obwohl sie doch eigentlich eine gesündere Lebensweise zeigten, also weniger rauchten und Übergewicht hatten.
Der Grund lag jedoch nicht in der weiblichen Lebensweise, sondern darin, dass Frauen anders herzkrank sind. Legatos Studien belegten, dass Herzinfarkte bei Männern schneller diagnostiziert wurden, da sie häufiger die vermeintlich typischen Symptome wie Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm zeigten. Frauen dagegen hatten oft nicht diese klassischen Symptome wie aus dem Lehrbuch, sondern eher Übelkeit, Rücken- oder Oberbauchschmerzen. Die Folge: Herzinfarkte bei Frauen wurden erst (zu) spät erkannt, und die Sterblichkeitsrate stieg, da ihre Symptome von den behandelnden Ärzten nicht ernst genommen wurden. Das Risiko, an einem Herzinfarkt zu versterben, war für Frauen zeitweise doppelt so hoch als bei Männern. Denn das damalige medizinische Wissen orientierte sich am männlichen Standardpatienten und verschlechterte damit die Gesundheitsversorgung der anderen 50 Prozent der Menschheit. Heute werden Herzspezialisten gezielt darin geschult, zwischen einem männlichen und weiblichen Herzinfarkt zu unterscheiden. Die Sterblichkeitsrate infolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei Frauen seitdem deutlich gesunken.
Aus dieser Geschichte können wir vier wichtige Dinge lernen:
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Frauen haben anders Herz als Männer.
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Vermutlich ist das nicht nur beim Herz so, sondern auch bei anderen Organen.
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Es lohnt sich, weiblichen Forscherinnen gut zuzuhören.
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Traue nie einem Lehrbuch, das vom männlichen Standardpatienten ausgeht.
Nicht nur beim Blick auf das Herz wird in der Medizin immer deutlicher, wie entscheidend es sein kann, den gesundheitlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
XY ungelöst
Was wir bereits wissen: Männer und Frauen sind rein biologisch anders gebaut. Sie unterscheiden sich nicht nur genetisch über das X- und Y-Chromosom, ihren Körperbau und den Eigenschaften jeder einzelnen Zelle, sondern auch in ihrer Hormonproduktion, ihrem Stoffwechsel, ihrer Immunantwort und selbst in den Bakterien, die ihre Körper besiedeln. Daher herrscht auch in Sachen Männerschnupfen mittlerweile endlich mehr Verständnis für das starke Geschlecht: Männer sind tatsächlich deutlich anfälliger für Virusinfektionen und haben dank Testosteron das schwächere Immunsystem, was gerade während der Coronapandemie deutliche Auswirkungen zeigte. Frauen dagegen sind die besseren Abwehrspieler: Das weibliche Sexualhormon Östrogen stimuliert die Immunzellen und sorgt für andere, effektivere Arten von Botenstoffen und Abwehrreaktionen – manchmal leider aber auch zu Überreaktionen in Form von Autoimmunerkrankungen.
Die Liste der kleinen Unterschiede mit großer medizinischer Wirkung ist mittlerweile lang: Frauen haben mehr und anders Depressionen als Männer, Männer empfinden anders Schmerz als Frauen, Frauen haben mehr Allergien … Bei immer mehr Krankheitsbildern zeigen sich in Studien Unterschiede in der Häufigkeit, den Symptomen und im Therapieansprechen zwischen Männern und Frauen.
Leider berücksichtigen wir diese so bedeutsamen gendermedizinischen Unterschiede im ärztlichen Berufsalltag immer noch viel zu wenig und gehen weiterhin davon aus, dass alle gleich krank sind – übrigens zum Nachteil von Frauen und Männern. Das zeigt sich auch beim Thema Darmerkrankungen. Wir wissen, dass Frauen viel häufiger unter einem Reizdarm leiden, und wir wissen auch, dass Darmbeschwerden bei Erkrankungen wie Endometriose oder PCOS deutlich häufiger sind. In unserem Krankheitsverständnis, unserer Diagnostik und Therapie tun wir aber weiterhin so, als gäbe es keinen Unterschied. Darmprobleme sind nun mal Frauenprobleme. Also was tun?
Möglichkeit 1: Wir akzeptieren das einfach als ein Naturgesetz, so wie die Schwerkraft.
Möglichkeit 2: Wir beschäftigen uns mit dem weiblichen Darm und seinen Bakterienbewohnern und versuchen zu verstehen, welche Rolle Östrogene und Co., die Darmbarriere und die Kommunikation mit dem Gehirn spielen.
Falls du für Möglichkeit zwei stimmst, lade ich dich ein weiterzulesen – denn genau das werden wir jetzt tun.
Die Situation: Studien zeigen, dass männliche Ärzte den Schweregrad einer Erkrankung bei Frauen möglicherweise unterschätzen. Das zeigt sich insbesondere beim Thema Schmerz, den Frauen ja angeblich aufgrund ihrer Bauweise viel besser aushalten können. Viele Patientinnen erfahren diese überholten Klischees zum Thema Schmerz im Alltag. Alles völlig natürlich, diese Regelschmerzen, diese Kopfschmerzen – ist halt hormonell oder stressbedingt. Forscher sprechen daher von einer »Gender Pain Gap«. Gemeint ist damit das Phänomen, dass Schmerzen bei Frauen im Vergleich zu Männern aufgrund von Wissenslücken und Vorurteilen weniger ernst genommen und behandelt werden.
Die Studienlage: Eine aktuelle Auswertung (2024) von über 22 000 Patientendaten aus Krankenhäusern in den USA und Israel zeigte beispielsweise, dass 47 Prozent der Männer bei akuten Beschwerden in der Notaufnahme ein Schmerzmittel erhielten, bei den Frauen waren es nur 38 Prozent. Zudem mussten Patientinnen 30 Minuten länger auf ein Schmerzmedikament warten.
Das Fazit: Männlichen Schmerzen wird die nötige Ernsthaftigkeit zugeschrieben, weibliche gehören eben dazu oder sind eine Überreaktion. Und genau dieses stereotype Bild führt im Alltag der Frauen dazu, dass chronische Erkrankungen wie Endometriose oder Migräne, aber eben auch die Bauchschmerzen beim Reizdarm oft nicht so ernst genommen und als therapiebedürftig angesehen werden.
Der weibliche Darm – komplex und einzigartig anders
Zeit also, genauer hinzusehen. Auch wenn auf den ersten Blick Männer- und Frauendärme gleich aussehen – hinter der rosa Fassade läuft so einiges anders. Bevor wir uns einige dieser Unterschiede im Detail ansehen werden, hier der erste Überblick:
1. Aufbau und Funktionsweise des weiblichen Darms
Grundsätzlich ist der Magen-Darm-Trakt bei Frauen rein anatomisch natürlich erst mal gleich aufgebaut wie bei Männern (siehe Grafik 1). Auf den zweiten Blick gibt es aber ein paar bedeutsame Unterschiede. Zunächst einmal müssen sich Frauendärme das Becken mit den Fortpflanzungsorganen teilen, sind also räumlich durch ihre Nachbarinnen Gebärmutter und Eierstöcke etwas eingeschränkter in ihrer Beweglichkeit. Und: Studien haben gezeigt, dass der Darm bei Frauen meist etwas länger ist als bei Männern (ca. 10–20 cm). Das kann in Sachen Transportgeschwindigkeit durchaus Auswirkungen haben. Die Zeit, bis die gefutterte Nahrung den gesamten Magen-Darm-Trakt durchlaufen hat und als wohlgeformtes Würstchen unseren Körper wieder verlässt, beträgt im Durchschnitt etwa zwölf bis 30 Stunden, abhängig auch von der Art der Ernährung. Nach einem ersten Zwischenstopp im Magen von ca. sechs bis acht Stunden geht es für den Nahrungsbrei auf die lange Fahrt durch die Schlingen von Dünn- und Dickdarm (siehe Grafik 1). Der Transport der Nahrung wird durch die wellenförmigen Bewegungen der Darmmuskulatur (Peristaltik) ermöglicht, die durch das darmeigene Nervensystem angeregt werden.
Im weiblichen Darm geht es dabei gechillter zu: Die längeren Frauendärme bewegen die Nahrung langsamer durch den Verdauungstrakt. Diese reduzierte Transportgeschwindigkeit ist einerseits aus Sicht der Evolution gut für die maximale Nährstoffaufnahme (denn der Darm hat mehr Zeit für seine Arbeit) – gerade in Phasen von Schwangerschaft und Stillzeit, in denen viel Energie benötigt wird. Andererseits liegt der Nahrungsbrei auch einfach länger in den Darmschlingen, es finden mehr Gärungsprozesse statt. Das kann Ursache für mehr Verdauungsbeschwerden wie Verstopfung oder Blähungen sein, von denen Frauen deutlich häufiger betroffen sind.
Neben der Anatomie sind es vor allem hormonelle Einflüsse, Darmbakterien und die Reizverarbeitung durch das Nervensystem, die die Darmbewegungen bei Frauen zusätzlich beeinflussen. Sie haben zudem eine andere Anatomie des Beckenbodens und infolge von Schwangerschaften und Geburten häufiger eine Beckenbodenschwäche. Da der Beckenboden nicht nur eine Haltefunktion für die Harnblase, sondern auch für den Enddarm hat, kann eine Schwäche dieser wichtigen Stützfunktion auch zu Darmproblemen führen.
2. Frauendärme verdauen anders
Für eine effektive und geräuschfreie Verdauung ist ein exakt abgestimmtes Zusammenspiel von Enzymen, Hormonen und Verdauungssäften wichtig – und auch hier gibt es Unterschiede. Frauen lassen es bereits im Magen etwas ruhiger angehen: Sie bilden weniger Magensäure als Männer, und der Magen entleert sich langsamer. Das kann ebenfalls zu mehr Völlegefühl, Magendruck und Blähungen führen, die bei Frauen vermehrt auftreten. Kein Wunder, dass sie auch häufiger die Diagnose »Reizmagen« erhalten. Auch entleert sich eine weibliche...