Skidelsky / Engelmann | Automatisierung der Arbeit: Segen oder Fluch? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 136 Seiten

Reihe: Passagen Thema

Skidelsky / Engelmann Automatisierung der Arbeit: Segen oder Fluch?

E-Book, Deutsch, 136 Seiten

Reihe: Passagen Thema

ISBN: 978-3-7092-5027-3
Verlag: Passagen
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Zwar trägt die Reduktion von Arbeitszeit wesentlich zu materiellem und spirituellem Wohlergehen bei, aber die von Keynes vorausgesagte 15-Stunden-Arbeitswoche ist auch in den führenden Industrieländern nie verwirklicht worden. Worin bestehen heute die notwendigen Voraussetzungen für eine Reduktion der Arbeitszeit und welche Möglichkeiten birgt sie? Robert Skidelsky plädiert für die Entwicklung einer Ethik, die auf die Ziele der Technologie fokussiert. Ein Leben, das zugleich menschlich und menschenwürdig ist, ist nur durch die Förderung der Freizeitausbildung anstelle eines sinnlosen Wettlaufs des Menschen mit Maschinen und durch die Würdigung der Unvollkommenheit als Voraussetzung aller menschlichen Bemühungen möglich.
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Werden die Menschen ihre Beschäftigung verlieren?
Ich habe das Privileg, drei Monate als Krzysztof Michalski Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen zu verbringen und fühle mich geehrt, die diesjährige Jan Patocka Memorial Lecture halten zu dürfen. In diesen drei Wochen, die ich bis jetzt in Wien verbracht habe, hatte ich Gelegenheit, mehr über diese beiden bemerkenswerten Männer, Krzysztof Michalski und Jan Patocka, zu erfahren. Ihre Schriften hatten Einfluss auf das, was ich heute Abend vortragen werde. Sie beide haben das menschliche Bedürfnis hervorgehoben, sich in der Welt „zu Hause“ zu fühlen. Eine Gesellschaft, schrieb Patocka, ist zum Verfall bestimmt, führt sie durch ihre Funktionsweise „zu einem Leben im Verfallensein an etwas, das seinem Seinscharakter nach nicht menschlich ist“.1 In diesem Geist möchte ich die Auswirkungen der Technologie auf die menschliche Existenz und insbesondere auf Arbeit erörtern. Macht die Technologie den Menschen als Produzenten von Wohlstand und Bedeutung materiell und spirituell überflüssig? Für eine optimistische Beantwortung dieser Frage wende ich mich John Maynard Keynes zu. In seinem Essay aus dem Jahr 1930, „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“, führt Keynes aus, dass der technologische Fortschritt so viel zusätzlichen Wohlstand erzeugen würde, dass wir in 100 Jahren oder sogar in noch kürzerer Zeit die Arbeitszeit auf 15 Wochenstunden beziehungseise auf drei Stunden pro Tag würden reduzieren können. Dieser Prozess, warnte er, würde wahrscheinlich nicht reibungslos verlaufen: „Wir sind von einer neuen Krankheit befallen, … nämlich technologische Arbeitslosigkeit. Hiermit ist die Arbeitslosigkeit gemeint, die entsteht, weil unsere Entdeckung von Mitteln zur Einsparung von Arbeit schneller voranschreitet als unsere Fähigkeit, neue Verwendungen für Arbeit zu finden. Dies ist aber nur eine vorübergehende Phase einer mangelhaften Anpassung. Auf lange Sicht bedeutet all dieses, dass die Menschheit dabei ist, ihr wirtschaftliches Problem zu lösen.“2 Seit Maschinen im 19. Jahrhundert zu einem aktiven Teil der Produktion wurden, galt die Freisetzung von Arbeitskräften entweder als Bedrohung oder als Verheißung. Letzteres bildete den dominanten Diskurs in den Wirtschaftswissenschaften. Freisetzung von Arbeit wurde als Problem einer Übergangsphase gesehen, das sich auf bestimmte Gruppen von Arbeitern, wie die Handweber des frühen 19. Jahrhunderts in Großbritannien, beschränken würde. Mit der Zeit würde die verdrängte Arbeitskraft zum Teil in neue Arbeitsplätze und zum Teil in mehr Freizeit absorbiert werden, die durch erhöhte Produktivität ermöglicht wird. Allerdings war die Angst vor einer permanenten Freisetzung eines großen Teils der Arbeiterschaft – das heißt ihre Zwangsausgliederung aus dem Erwerbsleben – stets präsent. Begründet liegt dies darin, dass der Verlust von Arbeitsplätzen an Maschinen greifbar und unmittelbar ist, wohingegen der Nutzen indirekt ist und sich erst nach längerer Zeit offenbart. Kurz: eine unmittelbare Bedrohung versus eine Verheißung auf lange Frist. Die Angst vor der Freisetzung von Arbeitskräften hat zwei Wurzeln. Die erste ist, dass Menschen fürchten, Maschinen könnten sie ihrer Lebensgrundlage berauben; die zweite, dass sie fürchten, sie könnten sie ihres Lebenssinns berauben. Während Soziologen die sinnstiftende Funktion von Arbeit hervorheben, haben Ökonomen ein rein instrumentelles Verständnis von Arbeit. Für sie ist sie ein Mittel zum Erwerb jener Dinge, die Menschen besitzen wollen. Wenn Arbeit also gleich von Geräten verrichtet werden kann, umso besser. Dadurch könnten sich Menschen wertvolleren Beschäftigungen widmen. Ich verwende den Begriff „Arbeit“ hier sehr frei, im Sinne der „Arbeit, der man nachgehen muss“. Es ist nicht überraschend, dass die Furcht vor Freisetzung von Arbeitskräften immer vor dem Hintergrund eines technologischen Innovationsschubs aufkommt. Wir erleben eine solche Zeit heute mit der Verbreitung der Automatisierung. In den Schlagzeilen lesen wir, dass Roboter in ungekannter Geschwindigkeit Arbeitsplätze verschlingen – dass in ungefähr 20 Jahren bis zu 30 Prozent der heutigen Arbeitsplätze automatisiert sein werden. Zudem werden die Arbeitsplätze selbst stetig prekärer. Dementsprechend wird heute eine alte Frage mit immer größerer Dringlichkeit gestellt: Sind Maschinen eine Bedrohung oder eine Verheißung? Lassen Sie mich den Hintergrund dieser Diskussionen skizzieren. Dieses Thema ist kompliziert, denn es beinhaltet stets Fragen über das Verhältnis von Arbeit und dem guten Leben. Die folgenden Ausführungen werden in vier Teile untergliedert: Die Arbeitswelt vor der industriellen Revolution; die Sichtweise der Ökonomen zum Einfluss der Maschinen auf die Arbeit; Erfahrungen aus der Geschichte; und Herausforderungen der Gegenwart. Arbeit vor der industriellen Revolution
Das westliche Konzept von Arbeit beginnt mit der Verachtung der Arbeit in der antiken Welt. Zu arbeiten, um einen Lebensunterhalt zu verdienen, wurde verschmäht. In der griechischen Konzeption des guten Lebens war dieses der Politik gewidmet; in der römischen der Kultivierung des Selbst. Die Realisierung dieser Ideale hing davon ab, dass Sklaven das verrichteten, was wir Arbeit nennen. Sklaven, so Aristoteles, waren Werkzeuge und sie waren von Natur aus nichts anderes als Werkzeuge. Vorausschauend jedoch spekulierte er, dass eines Tages mechanische Werkzeuge menschliche ersetzen könnten. Die antike Verachtung der Arbeit hat den Niedergang der Sklaverei nicht überdauert, obwohl Spuren davon in allen aristokratischen Gesellschaften fortbestanden. Dies erklärt nicht nur die weit verbreitete Billigung der Muße unter den Eliten zu Keynes’ Zeit, die allesamt eine klassische Ausbildung genossen hatten, sondern auch die Feindseligkeit der Mehrheit gegenüber dem Ideal der Muße, zumal letztere dieses nicht nur mit der Faulheit der Reichen, sondern auch mit Arbeitslosigkeit in Verbindung brachte. Die Vorstellung der Chicagoer Schule, dass keine Arbeit zu haben eine „Entscheidung für Müßiggang“ darstelle, ist Ausdruck der Selbstgefälligkeit von Ökonomen, die selbst nie auch nur einen Tag arbeitslos waren. Mit dem Aufkommen des jüdisch-christlichen Denkens wurde das Ganze weiter verkompliziert. Arbeit ist hier der Urfluch, die Bestrafung Gottes für Adams Sünde, die verbotene Frucht der Erkenntnis gegessen zu haben. Gleichzeitig lautet die göttliche Aufforderung aber auch, dass Menschen die gottgegebenen Früchte der Erde kultivieren sollen. Richtig verstanden bestand die Bestrafung Gottes nicht darin, Menschen zum Arbeiten zu bringen, sondern darin, Arbeit mühsamer zu machen. Die Anthropologie reflektiert die biblische Geschichte in der Vorstellung eines „ursprünglichen Überflusses“. Jäger und Sammler konnten alles gebrauchen, was sie umgab, aber im Gegenzug hatten sie auch alles, was sie brauchten.3 Jagen war keine Arbeit. Die Arbeit tritt erst mit der Landwirtschaft in die Menschheitsgeschichte ein: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ (Gen 3:19). Die Klosterwirtschaft fußte auf dem Grundsatz ora et labora: bete und arbeite. Die produktive Einheit der vormodernen Ökonomie war der Haushalt und nicht die Fabrik. Arbeiten und Leben waren noch nicht voneinander getrennt. Die Arbeitsteilung erfolgte innerhalb des Haushaltes. Anders als die Menschen der Antike maßen jene des Mittelalters dem Handwerk oder dem Erzeugen von Dingen große Bedeutung zu. Die mittelalterliche Ökonomie fasste Bauernhöfe und Manufakturen in kleinen Städten zusammen, die kaum größer waren als Dörfer. Die Berufsstände hatten ihren Ursprung in den städtischen Zünften gelernter Handwerker. Ihre Arbeit beinhaltete Kenntnis von sämtlichen Produktionsschritten, nicht nur von winzigen Teilen der Produktion, wie dies in Adam Smiths Stecknadelfabrik der Fall ist. Die Natur der Arbeit zwang sie zur Vielseitigkeit, was ihnen auch mehrere Einkommensquellen eröffnete. So verschaffte das Verlagssystem den Bauern in der Brachezeit ein zusätzliches Einkommen. Die soziale und politische Struktur war hierarchisch. Jeder hatte seinen Platz und seine gerechte Entlohnung in dieser Welt. Die Religion bot Trost für weltliches Leid. Die universelle Unersättlichkeit, die Ökonomen als fundamental für die menschliche Natur erachten, lag noch in weiter Ferne. In der spätmittelalterlichen Welt blieb der Handel, ungeachtet seiner Verbreitung innerhalb Europas und auf andere Länder, immer noch am Rande der Ökonomie. Zweifelsohne wurden Teile der Bevölkerung temporär oder dauerhaft aus der Produktion ausgegliedert – doch dies wurde von Ernteausfällen, Kriegen oder Plagen, und nicht durch die Konkurrenz von Maschinen hervorgerufen. Seit der Aufklärung wurde Arbeit nicht mehr mit dem Umgang mit der Natur assoziiert, sondern mit...


Engelmann, Peter
Peter Engelmann ist Philosoph, Herausgeber der französischen Philosophen der Postmoderne und der Dekonstruktion und Leiter des Passagen Verlages.

Skidelsky, Robert
Robert Skidelsky ist ein britischer Wirtschaftshistoriker und öffentlicher Intellektueller. Er ist Autor einer dreibändigen, mehrfach prämierten Biografie über John Maynard Keynes.

Robert Skidelsky ist ein britischer Wirtschaftshistoriker und öffentlicher Intellektueller. Er ist Autor einer dreibändigen, mehrfach prämierten Biografie über John Maynard Keynes.


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