Stiglitz | Der Preis des Profits | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Stiglitz Der Preis des Profits

Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten! -

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-641-26555-7
Verlag: Siedler
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Buch der Stunde: Wie kämpfen wir gegen die Auswüchse des Kapitalismus?
Seit dem Crash von 2008 ist es nicht gelungen, den Kapitalismus wirksam zu reformieren. Ganz im Gegenteil, er droht vollends aus dem Ruder zu laufen: Die Finanzindustrie schreibt sich ihre eigenen Regeln; die großen Tech-Firmen beuten unsere persönlichen Daten aus; die Machtballung in der Industrie nimmt zu und der Staat hat seine Kontrollfunktion praktisch aufgegeben. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zeigt, wie es dazu kommen konnte und warum es, was nicht zuletzt das Beispiel Donald Trump zeigt, dringend nötig ist, den Kapitalismus vor sich selbst zu schützen.
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Vorwort
Ich wuchs im goldenen Zeitalter des Kapitalismus auf, in Gary, Indiana, am Südufer des Lake Michigan. Damals machte es allerdings keinen so goldenen Eindruck, ich erlebte massive Rassendiskriminierung und Segregation, große Ungleichheit, Arbeitskämpfe und immer wieder Rezessionen. Nicht nur meine Schulkameraden waren davon betroffen, auch das äußere Erscheinungsbild von Gary. Die Stadt verkörpert wie kaum eine andere die Geschichte der Industrialisierung und Deindustrialisierung in Amerika; sie war 1906 als Standort des größten integrierten Stahlwerks der Welt gegründet und nach dem Gründer und Chairman des Stahlkonzerns US Steel, Elbert H. Gary, benannt worden. Gary war eine typische Firmenstadt. Als ich im Jahr 2015 – noch bevor Trump zur beherrschenden öffentlichen Figur wurde – für das 55-jährige Highschool-Klassentreffen dorthin zurückkehrte, waren die Spannungen spürbar, und dies aus gutem Grund. Die Deindustrialisierung, von der das gesamte Land betroffen war, hatte auch Gary erfasst. Die Stadt zählte jetzt nur noch halb so viele Einwohner wie zu meiner Kindheit. Die Stadt war ausgebrannt. Man drehte hier Hollywoodfilme, die in Kriegszonen oder nach der Apokalypse spielten. Manche Klassenkameraden waren Lehrer geworden, einige wenige auch Ärzte und Juristen und viele von ihnen Sekretärinnen. Doch die bewegendsten Geschichten bei dem Treffen erzählten jene, die nach ihrem Abschluss gehofft hatten, Arbeit in den Stahlwerken zu finden. Aber das Land steckte mal wieder in einer Rezession, und so gingen sie zum Militär, mit der Aussicht auf eine Laufbahn im Polizeidienst. Als ich die Liste derjenigen las, die bereits verstorben waren, und die körperliche Verfassung der anderen sah, zeigte mir dies erneut, wie ungleich Gesundheit und Lebenserwartung in diesem Land verteilt sind. Es kam zu einem Streit zwischen zwei Klassenkameraden, einem ehemaligen Polizisten, der die US-Regierung scharf kritisierte, und einem pensionierten Lehrer, der darauf hinwies, dass die Leistungen aus der Sozialversicherung, etwa auch bei Erwerbsunfähigkeit, auf die der Ex-Polizist angewiesen sei, von ebendieser Regierung kämen. Wer hätte, als ich 1960 Gary verließ, um am Amherst College in Massachusetts zu studieren, vorhersagen können, welchen Lauf die Geschichte nehmen würde und wie sehr meine Geburtsstadt und die Klassenkameraden davon betroffen sein würden? Die Stadt hatte mich geprägt: Die quälenden Erinnerungen an Ungleichheit und menschliches Leid brachten mich dazu, von der theoretischen Physik, für die ich mich begeistert hatte, auf Volkswirtschaftslehre umzusatteln. Ich wollte verstehen, warum unser Wirtschaftssystem bei so vielen Menschen versagte und was man dagegen tun könne. Aber noch während meines Studiums, das mich besser verstehen ließ, warum Märkte oft nicht gut funktionieren, wurden die Probleme schlimmer. Die Ungleichheit nahm so sehr zu, wie man es sich in meiner Jugend niemals hätte vorstellen können. Jahre später, genauer gesagt 1993, als ich in die Regierung von Präsident Clinton eintrat, zuerst als Mitglied und später als Vorsitzender des Wirtschaftswissenschaftlichen Beirats des Präsidenten (Council of Economic Advisers, CEA), rückten diese Probleme gerade erst neu ins Blickfeld; irgendwann Mitte der 1970er- oder Anfang der 1980er-Jahre begann sich die Ungleichheit so übel zu beschleunigen, dass sie 1993 viel höher war als je zuvor in meinem Leben. Das Studium der Volkswirtschaftslehre hat mich gelehrt, dass die ideologischen Überzeugungen vieler Konservativer falsch sind; ihr beinahe religiöser Glaube an die Macht der Märkte – sie glauben fest daran, dass wir die Steuerung der Wirtschaft weitgehend ungezügelten Märkten überlassen können – entbehrt jeglicher theoretischer und empirischer Grundlage. Die Herausforderung bestand nicht nur darin, andere von dieser Erkenntnis zu überzeugen, sondern auch, Programme und Strategien zu entwickeln, die die gefährliche Zunahme der Ungleichheit und der Destabilisierungsrisiken infolge der Liberalisierung der Finanzmärkte, die in den 1980er-Jahren unter Reagan begonnen hatte, zurückdrehen würden. Beunruhigenderweise hatte sich der Glaube an die Macht der Märkte in den 1990er-Jahren so weit verbreitet, dass sogar einige meiner Kollegen in der Regierung und schließlich Clinton selbst sich für die Deregulierung der Finanzmärkte einsetzten.1 Schon während meiner Tätigkeit als Berater von Präsident Clinton hatte mich die wachsende Ungleichheit zunehmend beunruhigt, aber erst ab dem Jahr 2000 nahm das Problem wahrhaft erschreckende Ausmaße an. Seit der Zeit vor der Großen Depression haben die reichsten Bürger der USA keinen so hohen Anteil am Volkseinkommen mehr für sich abgeschöpft.2 25 Jahre nach meinem Eintritt in die Regierung Clinton stelle ich mir folgende Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wie geht es weiter? Und was können wir tun, um das Ruder herumzureißen? Ich nähere mich diesen Fragen als Wirtschaftswissenschaftler, und so verwundert es nicht, dass für mich zumindest ein Teil der Antwort darin besteht, dass unsere Wirtschaft mehrfach versagt hat: Wir haben den Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft nicht gut gemeistert, wir haben es nicht geschafft, den Finanzsektor zu bändigen, wir haben die Globalisierung und ihre Folgen nicht aktiv gestaltet und, was am wichtigsten ist, wir haben nicht angemessen auf die wachsende Ungleichheit reagiert und uns stattdessen zu einer Wirtschaft und Demokratie des einen Prozents für das eine Prozent der Bevölkerung entwickelt.3 Meine persönlichen Erfahrungen wie auch meine Forschungen haben mir klargemacht, dass Wirtschaftswissenschaft und Politik sich nicht voneinander trennen lassen, vor allem nicht in den USA, wo Geld eine so entscheidende Rolle im Politikbetrieb spielt. Während also das Buch unsere gegenwärtige Lage hauptsächlich aus der Sicht des Ökonomen analysiert, komme ich nicht umhin, mich auch mit der amerikanischen Politik zu beschäftigen. Viele Aspekte dieser Diagnose sind mittlerweile allgemein bekannt, etwa die massive Expansion des Finanzsektors, die fehlgesteuerte Globalisierung und die immer größere Macht der Märkte. Ich zeige, wie sie miteinander verzahnt sind, wie dies, im Kontext betrachtet, erklärt, warum das Wachstum so mager ausgefallen ist, und warum selbst die Erträge eines noch so geringen Wachstums so ungleich verteilt sind. Allerdings begnügt sich dieses Buch nicht mit einer Diagnose, es empfiehlt auch eine Therapie: Maßnahmen, die wir in Zukunft ergreifen können. Dafür muss ich die eigentliche Quelle des Wohlstands der Nationen erklären, wobei ich zwischen der Schaffung von Wohlstand und dem Abschöpfen von Wohlstandsgewinnen unterscheide. Letzteres geschieht immer dann, wenn eine Person anderen durch unterschiedliche Formen von Ausbeutung Wohlstandsgewinne raubt. Die eigentliche Quelle des »Wohlstands einer Nation« liegt in Ersterem, in der Kreativität und Produktivität der Menschen dieser Nation und ihrem fruchtbaren Austausch miteinander. Er basiert auf Fortschritten der Wissenschaften, die uns lehren, wie wir die verborgenen Wahrheiten der Natur ergründen und sie für technologische Innovationen nutzen können. Außerdem beruht er darauf, dass wir durch vernunftgeleiteten Diskurs bessere Formen der sozialen Organisation entwickeln, was wiederum zu Prinzipien wie jenen führt, die uns als »Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und ordnungsgemäße Verfahren« bekannt sind. Ich präsentiere die Eckpunkte einer progressiven Agenda, die das genaue Gegenteil der Agenda Donald Trumps und seiner Unterstützer darstellt. Sie kombiniert in gewisser Weise die Programme von Theodore Roosevelt und Franklin Delano Roosevelt und aktualisiert sie für das 21. Jahrhundert. Mein zentrales Argument lautet, dass die Umsetzung dieser Reformen das Wirtschaftswachstum beschleunigen und breiten Wohlstand für alle bringen wird, sodass der Lebensstandard, nach dem die meisten Amerikaner streben, kein Luftschloss bleibt, sondern ein erreichbares Ziel wird. Kurzum, wenn wir die Quellen des Wohlstands einer Nation wirklich verstehen, können wir eine größere wirtschaftliche Dynamik und zugleich mehr Wohlstand für alle schaffen. Hierzu muss der Staat eine andere, vermutlich größere Rolle spielen als heute: Wir dürfen in unserer komplexen Welt des 21. Jahrhunderts nicht vor notwendigen staatlichen Eingriffen zurückschrecken. Ich zeige auch, dass es eine ganze Reihe erstaunlich kostengünstiger politischer Maßnahmen gibt, die den Aufstieg in die Mittelschicht – was zur Mitte des letzten Jahrhunderts den meisten Amerikanern zum Greifen nahe erschien, jetzt aber zusehends unerreichbar ist – wieder zur Norm statt zur Ausnahme machen können. Reagonomics, Trumponomics und der Angriff auf die Demokratie
Unsere heutige Situation erinnert unwillkürlich an jene Zeit vor 40 Jahren, als die Rechte schon einmal einen Triumph feierte. Auch damals schien es sich um eine weltweite Bewegung zu handeln: Ronald Reagan in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien. Die keynesianische Wirtschaftspolitik, die auf der Annahme beruht, der Staat könne Vollbeschäftigung aufrechterhalten, indem er die Nachfrage steuert (über die Geld- und Fiskalpolitik), wurde von einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik abgelöst, die ihrerseits voraussetzt, Deregulierung und Steuersenkungen würden die wirtschaftlichen Produktivkräfte entfesseln und geeignete Anreize schaffen, um so das Angebot an Gütern und Dienstleistungen und in der Folge auch das Einkommen der Privatpersonen zu steigern. Déjà-vu: Voodoo...


Schmidt, Thorsten
Thorsten Schmidt, geboren 1960 in Saarbrücken, lebt z. Zt. in Regensburg und übersetzt Sachbücher aus dem Englischen und Französischen. Er hat u.a. Werke von E. O. Wilson, Joseph E. Stiglitz, Paul Collier, Daniel Kahnemann und Lewis Dartnell ins Deutsche übertragen.

Stiglitz, Joseph
Joseph Stiglitz, geboren 1943, war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, bevor er 1993 zu einem Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung wurde. Anschließend ging er als Chefvolkswirt zur Weltbank und wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Heute lehrt Stiglitz an der Columbia University in New York und ist ein weltweit geschätzter Experte zu Fragen von Ökonomie, Politik und Gesellschaft. Bei Siedler erschienen unter anderem seine Bestseller „Die Schatten der Globalisierung“ (2002), „Die Chancen der Globalisierung“ (2006), „Im freien Fall“ (2010), „Der Preis der Ungleichheit“ (2012) und zuletzt „Reich und Arm“ (2015).


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