E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Piper Taschenbuch
Thieß Dicke Eier
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-492-97500-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Piper Taschenbuch
ISBN: 978-3-492-97500-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heiko Thieß, geboren 1979, lebt als Single und Werbetexter in Hamburg. Nach unzähligen Songtexten, einigen Kurzgeschichten und einem frühen Roman - den man nach eigener Aussage niemandem guten Gewissens zumuten kann - hat er mit »Arschkarte« und »Dicke Eier« bereits zwei Romane um seinen hormonumnebelten Helden Timo Feuer veröffentlicht.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Angetreten!
»Hast du deine Verweigerung schon abgeschickt?«, will Markus, einer meiner besten Freunde, drei Tage später wissen. Wie so oft haben wir uns an der Tanke ein Sixpack und dieses geile englische Weingummi geholt, das auch Stunden später noch die Zahnzwischenräume abdichtet. Unwahrscheinlich, dass es was Besseres gibt, als damit auf einer Parkbank mit Seeblick den lauen Sommerabend zu verbringen.
»Jep, Verweigerung ist unterwegs. Hab ich bestimmt zehnmal überarbeitet, bevor die zur Post ging. Hoffe, es ist deutlich genug rübergekommen, dass ich dem Schützenverein nicht beitreten will.«
»Dann kümmer dich bloß rechtzeitig um ’ne gute Zivi-Stelle. Sonst landest du am Ende noch im Altersheim. Dann biste trotzdem am Arsch.«
»Im wahrsten Sinne des Wortes, ich weiß. Nee, Hinternabwischen mach ich nicht. Hab vom Bundesamt für Zivildienst eine Liste mit offenen Zivi-Stellen bekommen.«
»Und?«
»Fünfundneunzig Prozent Jobs in Altersheimen. Zwei bei Essen auf Rädern, aber das ist mir auf Dauer zu öde. Und eine Hausmeisterstelle in einem christlichen Freizeitheim.«
»Hausmeister? Na, Mensch, davon hast du ja schon immer geträumt.«
»Richtig, und morgen kann der Traum wahr werden. Hab um zehn ein Vorstellungsgespräch.«
»Morgen schon?«
»Pure Pflegeheim-Panik. Der frühe Wurm hat Gold im Mund und so.«
Vier Bänke weiter lärmt ein Haufen minderjähriger und offensichtlich geistig minderbemittelter Halbstarker mit ihren körperlich erstaunlich weit entwickelten Verehrerinnen herum.
»Kaum Haare am Sack, aber saufen und bumsen, daskönnen sie«, bemerke ich gesellschaftskritisch vorm nächsten Schluck Bier, während ich einer vermutlich Siebzehnjährigen in ihr tief dekolletiertes Tanktop linse.
»Aber echt! Kein Benehmen mehr. So was hätte es zu unserer Zeit nicht gegeben«, pflichtet mir Markus bei und rülpst betont vornehm nur in Zimmerlautstärke.
»Kannste halt nicht vergleichen. Ist bei uns ja schon über fünf Jahre her. Das ist einfach ’ne andere Generation.«
»Hoffentlich kommt gleich die Polizei und bringt die Bengel zu Mama und Papa.«
»Richtig. Die mit dem Tanktop können sie aber gern unter unserer Aufsicht lassen. Die bring ich nach Hause. Also zu mir.«
»Auf die guten Tugenden!«, sagt Markus.
Zufrieden stoßen wir an. Es geht doch nichts über ein klares Weltbild.
Genauso klar ist leider, dass ich allein nach Hause gehe. Nüchtern bin ich schüchtern, angetrunken wird’s nicht viel besser. In der Brunftzeit bin ich eher Bambi als der Platzhirsch. Wie immer tröste ich mich mit dem Gedanken, dass die Mädels sicher bald erkennen werden, dass derartige Arschlochtypen wie die Jungs von der Nebenbank nichts fürs Leben sind. Höchstens was für eine Nacht. Irgendwann werden sie meinen Humor, meine Zuverlässigkeit und meinen respektvollen Umgang mit ihnen zu schätzen wissen. Das Blöde ist nur, dass ich bis dahin weiter ein Leben als konfessionsloser Mönch fristen muss. Mein Liebesleben ist so tot und vertrocknet wie der Ötzi. Eiszeit statt glühender Leidenschaft. Im Grunde könnte man mein Herz direkt für eine Organspende vorbereiten. Brauch ich eh nicht mehr.
So richtig verliebt war ich nur zwei Mal. Einmal in der Grundschule und einmal in der Abschlussklasse. Unnötig zu erwähnen, dass ich in beiden Fällen weiter allein den Schulweg antreten musste. Dazwischen gab es noch einige andere, in die ich zwar nicht verliebt war, die ich aber ziemlich toll fand. Mit einer dieser Angehimmelten kam es sogar zum Austausch von Zärtlichkeiten. Später konnte ich noch eine mehrwöchige Affäre vorweisen. Aber das war’s dann im Grunde.
Am nächsten Vormittag muss ich zum Vorstellungsgespräch antreten. Nervös fahre ich in den westlichen Stadtteil meiner Heimatstadt Eutin, nach Neudorf. Selbstverständlich mit dem Fahrrad, schließlich will ich in einem christlichen Haus einen guten Eindruck erwecken. Gottes schöne Erde sollte man ja nicht unnötig mit Abgasen verpesten. Wir müssen die Schöpfung bewahren. Für dienachfolgenden Generationen, von denen wir die Erde nur geliehen haben. Wie man etwas von jemandem ausleihen kann, der noch nicht geboren ist, habe ich zwar nie ganz verstanden, aber was tut man nicht alles für einen Job.
Punkt zehn stelle ich mein Fahrrad auf dem Parkplatz des St.-Stephanus-Hauses ab und betrete die kleine Eingangshalle. Die Stille verheißt paradiesische Arbeitsbedingungen. Wenn der Job ähnlich ruhig ist, zieh ich das durch bis zur Rente.
Das Büro des Heimleiters liegt direkt neben der Eingangshalle. Zaghaft klopfe ich an den Holzrahmen der offen stehenden Tür.
»Hallo, ich bin hier wegen der Zivi-Stelle. Timo Feuer, wir hatten telefoniert.«
Der Heimleiter schaut von seiner Akte hoch. Müsste so um die sechzig sein, der gute Mann. Seine Fettreserven dürften für eine ähnliche Zeitspanne ausreichen.
»Ah, richtig, Herr Feuer. Kommen Sie rein.« Freudestrahlend reicht er mir die Hand. »Schmittke. Bitte, setzen Sie sich.«
Genauso habe ich mir den Leiter einer Herberge für christliche Gruppen vorgestellt. Optisch irgendwo zwischen 1975 und 1982 hängen geblieben. Wer trägt im Jahr 2004 bitte schön noch Koteletten und Rollkragenpullover mit kariertem Sakko? Aber insgesamt sehr stimmig.
»Sie wollen also gerne bei uns anfangen«, eröffnet er unser Gespräch.
»Ja. Nachdem ich mit T1 gemustert worden bin, hab ich meine Verweigerung rausgeschickt.«
»Oh, T1. Dann sind Sie schön fit für die Gartenarbeit auf unserem Zehntausend-Quadratmeter-Grundstück«, lacht er.
»Sie haben einen zehntausend Quadratmeter großen Garten?«, frage ich entsetzt.
»Nee, war ’n Scherz. Sind fast fünfzigtausend. Aber viel davon ist bewaldet«, grinst er.
»Toll.«
»Ist Ihre Verweigerung denn schon bewilligt?«
»Nee, noch nicht. Überlege auch gerade, die zu widerrufen. Wobei die Bewilligung eigentlich reine Formsache sein sollte.«
»Na, das hängt von der Tagesform ihres Sachbearbeiters ab. Und davon, wie gut sie geschrieben ist.«
»Brillant, natürlich. Bringt selbst Generäle zum Weinen – und lässt mich als lupenreinen Pazifisten dastehen.«
Vergnügt lehnt er sich zurück. Die Chemie zwischen uns scheint zu stimmen. Damit habe ich die Formel für entspannte neun Monate bereits gefunden: den Chef bei Laune halten, ohne mit meinem Kopf in seinem Verdauungstrakt zu verschwinden.
»Wann würden Sie denn gerne bei uns anfangen?«, fragt er.
»Nächstes Jahr im Juli.«
»Nächstes Jahr? Sie kommen aber früh.«
»Das höre ich öfter. Der frühe Vogel kann sich halt den besten Nistplatz aussuchen.«
»Richtig«, lacht er. »Moment, ich muss eben in mein schlaues Zivi-Büchlein schauen. Darin hab ich eingetragen, wer von wann bis wann bei uns ist.«
Er holt ein kleines Notizbuch aus einer der zahlreichen Schubladen und blättert derart viele Seiten um, dass auf einigen die Namen von Zivis aus der Zeit des Warschauer Pakts stehen dürften.
»Hier haben wir’s«, ruft er nach einer gefühlten Ewigkeit. »Johannes ist bis April nächsten Jahres hier, und Malte verlässt uns einen Monat früher. Heißt, im Juli könnten wir Sie sehr gut gebrauchen.«
»Wunderbar.«
»Schön, dann sind wir uns einig.«
»Okay«, stimme ich zögernd bis erstaunt zu. »Wollen Sie gar nicht wissen, welche Qualifikationen ich mitbringe?«
»Weiß ich doch. Sie haben verweigert, oder so gut wie, verfügen über zwei gesunde Arme und Beine auf T1-Niveau und wollen hier anfangen. Das reicht. Wir brauchen einen Hilfshausmeister. Das kann jeder.«
»Auch wieder wahr.«
»Bis übernächstes Jahr ist unsere Finanzierung zudem gesichert, das heißt, Sie werden Ihren Dienst auf jeden Fall antreten können.«
»Wieso, gibt’s Probleme? Dachte, das Haus wird von der Kirche finanziert.«
»Wird es auch. Aber die Kirchensteuereinnahmen sind im Sinkflug, wie Sie wahrscheinlich wissen. Von ehemals zehn Heimen im Norden sind heute nur noch sechs übrig. Mindestens eins soll noch geschlossen werden. Überkapazitäten abbauen, wie es im schönsten BWLer-Deutsch heißt. Wir haben Platz für hundert Übernachtungsgäste plus fünfzig Tagesgäste. In der heutigen Zeit ist es schwer, die Auslastung über fünfzig Prozent zu halten. Zumal von Jahr zu Jahr mehr Vorstadtkirchen geschlossen werden und in den übrig gebliebenen die Gemeindearbeit immer weiter runtergedampft wird. Viele Chöre und Gruppen, die uns früher besucht haben, gibt es heute einfach nicht mehr. Wenn es nach dem Vorsitzenden der Synode geht, stehen wir ganz oben auf der Streichliste.«
»Der was? Der Synagoge?« Der Schluss ging im Rasenmähergetöse von draußen irgendwie unter. Schmittke lacht laut auf.
»Der Synode! Das ist ein Verwaltungsgremium der evangelischen Kirche. Das andere ist ein jüdisches Gotteshaus. Jesus war zwar Jude, aber spätestens nach der Kreuzigung trennten sich bekanntlich die konfessionellen Wege.«
»Klar, hatte ich akustisch nicht verstanden.«
»Aber getauft und konfirmiert sind Sie, oder?«, fragt er nun doch eine weitere, aber wohl entscheidende Qualifikation ab.
»Selbstverständlich. Wer verzichtet als Vierzehnjähriger freiwillig auf über tausend Mark?«
»Sie meinen, auf Gottes Segen sowie die Einführung in die Gemeinschaft der Erwachsenen.«
»Sie sagen es. Und das Erste, was man unter Erwachsenen lernt, ist: Geld regiert die Welt.«
»Punkt für Sie«, seufzt er. »Wenn wir die Auslastung unseres Hauses in den nächsten zwei Jahren nicht dramatisch steigern, macht...