E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Treiber Vergewaltigt
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7074-1733-3
Verlag: G&G Verlag, Kinder- und Jugendbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
ISBN: 978-3-7074-1733-3
Verlag: G&G Verlag, Kinder- und Jugendbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Franka ist mutig. Franka geht mit energischen, federnden Schritten. Bis Franka, 17, eines Nachts auf dem Nachhauseweg von einem Unbekannten vergewaltigt wird und nichts mehr so ist wie vorher ...
Autoren/Hrsg.
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1. Kapitel
Franka ist mutig. Franka hat keine Scheu, zu widersprechen. Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Gerechte Handlungsweisen einzufordern. Franka geht mit energischen, federnden Schritten. Ihre Freundinnen trauen sich nachts nicht allein nach Hause. Franka schüttelt den Kopf über so viel Ängstlichkeit. Franka hat ein strahlend schönes Lächeln. Franka wirkt beinahe unverletzlich. Franka ist manchen unheimlich, weil sie so ist, wie sie ist. Franka, das war nicht immer ihr Name. Eigentlich heißt sie Franziska. Und bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr sagten alle »Franzi« zu ihr. Aber Franzi, das ist kein Name für ein dreizehnjähriges Mädchen. Und Franziska auch nicht. Franka, das passt. Das ist kurz, das hat Pfiff, das klingt nach Freiheit. Am Anfang war der Name fremd, aber je länger Franzi ihn sich überstülpte, umso mehr wurde er zu einer passenden Haut. Mit vierzehn war Franzi Franka. Und nur Franka. Franzi war eine Erinnerung. Eine schöne Erinnerung. An eine glückliche Kindheit. Eine Kindheit mit vielen Freundinnen, mit Barbiepuppen auf Barbiepferden, mit Verkleidungen und Rollenspielen, mit Schwimmen und Radfahren, mit Singen, Tanzen, Klavier- und Gitarrespielen und mit Eltern, die meistens verständnisvoll waren. Eltern, die zwar den Nachteil hatten, dass sie sich lautstark beschimpften, wenn sie gegensätzlicher Meinung waren, und einander manchmal – wie in alten Slapstickfilmen – Tortenstücke an den Kopf warfen, sich aber ziemlich rasch beruhigten und nach dem Gewitter wieder unter blauem Himmel und einer warmen Ehesonne weiterlebten. Die elterlichen Streitereien waren für Franka zwar schwer auszuhalten, aber sie waren offenbar der Preis für die Harmonie danach. Verstärkt wurden sie durch die Tatsache, dass die Eltern auch beruflich zusammenarbeiteten. Sie betrieben gemeinsam ein Fotogeschäft, ein eigenes, das zu keiner großen Handelskette gehörte. Hinter dem Geschäft befand sich ein Fotostudio, in dem die beiden Porträtaufnahmen oder Passbilder machten. Franka hielt ihre Eltern für sehr gute Fotografen. Ihre Porträtfotos waren außergewöhnlich, nicht die ewig gleichen Fotos, die in den Auslagen der durchschnittlichen Fotografen hingen: Kinder, glatt frisiert und im schönsten Sonntagskleid, mit einem Teddybären in der Hand und einem dämlichen Grinsen im Gesicht, oder Hochzeitspaare, mit Weichzeichner aufgenommen, von Rosen umrankt. Solche Fotos machten ihre Eltern nicht. Sie versuchten, das Besondere in jedem Gesicht zu entdecken und diese Charakteristika auf dem Foto herauszubringen. Von Franka selbst hatten sie im Lauf der Jahre Unmengen von Fotos gemacht, die besten hatten sie vergrößert, sie hingen in Frankas Zimmer und mittlerweile in der ganzen Wohnung. Franka stand vor dem Spiegel. Sie legte die Hände auf die Wölbungen an den Oberschenkeln, verjüngte die Silhouette zu einer geraden Linie. Wenn ich diesen Reiterhosenspeck nicht hätte, wäre ich wirklich schlank, dachte sie. Sie trat einen Schritt zurück. Deine Sorgen möchte ich haben, Franka!, sagte sie zu sich selbst. Es gibt Schlimmeres als ein paar Gramm Fett auf den Schenkeln. Sie zog Jeans an und einen hellblauen Pullover, den sie gern trug. Er passte zu ihren hellblauen Augen. Sie tuschte die Wimpern, zeichnete die Augenkonturen mit einem Kajalstift nach, trug einen kräftig roten Lippenstift auf, bürstete ihr glattes hellbraunes Haar, das sie schulterlang trug. Steckte Geldbörse und Handy in die Tasche, zog die schwarze Lederjacke an, und bevor sie ging, schaute sie kurz ins Arbeitszimmer der Mutter. »Ich treff mich mit Stefan!«, sagte Franka. »Wir gehen ins Kino.« Die Mutter nickte. Sie mochte Stefan, wenn auch nicht vorbehaltlos. Aber dann, welchen Freund der eigenen Tochter mochten Eltern schon vorbehaltlos? Franka hatte vor einigen Monaten zum ersten Mal mit Stefan geschlafen. Es war an einem Sonntagnachmittag gewesen, irgendwann im vorigen Herbst. Stefan hatte damals noch bei seinen Eltern gewohnt, die waren fürs Wochenende weggefahren. »Komm, wir gehen zu mir«, hatte Stefan gesagt und Franka hatte genickt, sie war ein wenig beklommen gewesen, hatte gewusst, dass es nun geschehen würde, das sogenannte erste Mal. Stefan war sanft gewesen. Auch umsichtig. Er hatte ein Kondom benutzt, ohne dass Franka ihn dazu hätte auffordern müssen. Sie fühlte sich sicher bei Stefan, sie konnte ihm vertrauen. Es hatte ein bisschen wehgetan, Franka hatte geblutet, ziemlich stark sogar, und war deshalb ein wenig erschrocken. Stefan und sie waren noch eine Weile im Bett gelegen, hielten sich umschlungen, Franka war kurz eingeschlafen, und als sie aufwachte, sagte sie, sie müsse nun nach Hause gehen. Die Mutter hatte auf sie gewartet, Franka hatte sie angesehen und sofort gewusst, dass die Mutter wusste. »Willst du mich nichts fragen?«, hatte Franka gefragt. Und die Mutter hatte gelächelt und gesagt: »Nein, aber ich höre.« Es war gut, ihr alles sagen zu können. Es war gut, dass sie es als selbstverständlich hinnahm. Es war gut, sie wegen des Blutes fragen zu können. Es war gut, dass sie Franka beruhigte. Stefan wartete vor dem Kino auf Franka. Er stand da, in seiner typischen Haltung, an der sie ihn jederzeit und auf große Entfernung erkannt hätte. Den schlanken Körper leicht vorgebeugt, den schmalen Kopf zur Seite geneigt, die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als er sie sah, huschte ein Leuchten über sein Gesicht. Er nahm Franka an beiden Händen, zog sie an sich und küsste sie. Sie standen vor den Schaufenstern, unter einem Vordach, auf dem viele kleine Lichter die Illusion eines Sternenhimmels erzeugten. Stefan hatte schon die Karten gekauft. In einer Retrospektive wurde ein älterer Film gezeigt: Luna Papa. Das Mädchen geht durch den Wald, heiter, voll Vertrauen; der Mann, der nicht sichtbar wird, verführt sie; sie gibt seinen Worten nach, sie liebt ihn; er verlässt sie, gesichtslos, kommt nie wieder. Sie wird schwanger, streitet mit dem Vater, ist für den behinderten Bruder verantwortlich, verliert sich selbst an die anderen. Am Ende jedoch entschwebt das Mädchen, das Dach ihres Hauses trägt sie davon wie ein fliegender Teppich. Nach der Vorstellung gingen Franka und Stefan in das Café gegenüber dem Kino und unterhielten sich über den Film. Stefan war der Meinung, dass hier eine Vergewaltigung stattgefunden hätte, Franka hatte das nicht so interpretiert. »Na, hör mal«, sagte Stefan, »da kommt ein wildfremder Mann im Wald auf sie zu, zwingt sie, mit ihm zu schlafen, schwängert sie und verlässt sie auf Nimmerwiedersehen. Als was würdest du das denn sonst bezeichnen?« »Aber sie hat ihn geliebt. Er hat sie nicht gezwungen, er hat sie verführt.« »Hätte sie sich ihm widersetzen können?« »Trotzdem«, sagte Franka, »ich sehe das nicht so. Sie hat sich in seine Stimme verliebt und hat gedacht, er sei der Mann ihres Lebens. Dass er nachher auf Nimmerwiedersehen verschwindet, ist eine andere Geschichte.« »Apropos Mann fürs Leben«, sagte Stefan und es klang halb ernst und halb ironisch. Er kramte in seiner Jackentasche und zog ein kleines Päckchen hervor. »Für dich«, sagte er. Franka war überrascht, öffnete es, zum Vorschein kam ein Silberring. »Nur so – oder gibt’s irgendeinen Anlass?« »Genau vor einem Jahr haben wir das erste Mal miteinander geschlafen«, sagte Stefan. Franka räusperte sich. »So lang ist das schon her«, murmelte sie. »Tut mir leid, ich hab nicht dran gedacht.« »Das macht nichts«, sagte er. »Doch«, sagte Franka. Das Geschenk, so gut es auch gemeint war, freute sie nicht. Wenn Stefan einfach nur gesagt hätte: Weißt du, was für ein Tag heute ist … Oder so. Dann hätte sie überlegen können, dann wäre ihr vielleicht eingefallen, worauf er anspielte, und wenn nicht, hätte sie immer noch sagen können: Ach ja, klar, natürlich, weißt du noch, wie … Aber so, mit dem Geschenk, hatte sie keine Chance. Es war beschämend, dass er dieses Datum im Kopf behalten hatte und sie nicht. »Danke«, murmelte sie. Und hatte dann eigentlich keine Lust mehr, noch länger in dem Café zu bleiben. Sie schaute ihn an, sein schmales Gesicht mit dem zusammengebundenen Pferdeschwanz. Es wirkte noch schmaler als sonst. Man sah ihm an, dass er enttäuscht war, aber er schwieg. Er ist so höflich!, dachte Franka, so verdammt höflich. Und wusste im selben Moment, dass sie ungerecht war und dass sie sich in Wirklichkeit nur über sich selbst ärgerte. »Plié, relevé und drehen, drehen. Lächeln, meine Damen, lächeln!« Katharina, die Tanzlehrerin, hob den Kopf leicht an und klatschte in die Hände. Franka beneidete sie um ihren durchtrainierten Körper, an dem sich kein einziges Gramm Fett angesetzt hatte. Katharina war wie eine Pflanze, schlank und biegsam und dennoch fest und...