Šuber / Suber | Émile Durkheim | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 12, 150 Seiten

Reihe: Klassiker der Wissenssoziologie

Šuber / Suber Émile Durkheim


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-1672-3
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 12, 150 Seiten

Reihe: Klassiker der Wissenssoziologie

ISBN: 978-3-7445-1672-3
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Émile Durkheim (1858-1917) gilt - neben Max Weber - als einer der beiden Gründerväter der modernen Soziologie. Er hat durch seine materialen Arbeiten nicht nur so zentrale soziologische Teildisziplinen wie die Religions-, Wissens-, Familien- und Rechtssoziologie begründet, sondern insbesondere durch sein theoretisches Werk der Soziologie als eigenständiger Wissenschaft den Weg geebnet. Hierzu trug er nicht zuletzt auch durch die Begründung einer soziologischen Zeitschrift und Formierung einer eigenen Denkschule bei. Trotz seines internationalen Renommees blieb sein Werk in der deutschen Theoriediskussion stets eigentümlich vernachlässigt. Der erste Einführungsband über das Werk Durkheims in deutscher Sprache beschreibt die zeitgeschichtlichen und biografischen Hintergründe seines Lebens und erläutert die Ausgangsprobleme, die die Soziologie in den Augen ihres Begründers lösen sollte. Die Quintessenz seines soziologischen Werks wird in der Begründung einer rationalen Moral resümiert. Nach der Ausleuchtung der konkreten Gestalt, die Durkheim dem soziologischen Denken übertrug, widmet sich Daniel ?uber eingängig der wissenssoziologischen Relevanz des Durkheim'schen Werks. Gilt er gemeinhin nicht als deren Begründer, wird hier gezeigt, wie tief sein Denkansatz von der wissenssoziologischen Grundidee der 'Seinsbedingtheit allen Denkens' (Mannheim) von Beginn an geprägt war. Die rekonstruierten Fallbeispiele werden dem religionssoziologischen Spätwerk, aber auch seinen früheren Arbeiten zur Familien-, Erziehungs- und Moralsoziologie entnommen. Abschließend wird die über ethnologische Autoren (E.E. Evans-Pritchard, C. Lévi-Strauss, M. Douglas) vermittelte Wirkungsgeschichte des Durkheim'schen Werks in der Nachkriegssoziologie skizziert.

Daniel ?uber ist Oberassistent an der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern und Kollegiat am Kulturwissenschaftlichen Kolleg des Exzellenzclusters 16 'Die Kulturellen Grundlagen der Integration' der Universität Konstanz.
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I Émile Durkheim: Stationen einer intellektuellen Biographie


In der soziologischen Literatur zu Durkheim dominierte lange Zeit die Auffassung, Durkheims Biographie sei »fast ereignislos« (König 1976: 314) und die Persönlichkeit Durkheims gehe praktisch vollständig in seiner Arbeit auf (ebd., 317). Seit einigen Jahren wird dieses Bild jedoch von Forschungen konterkariert, die neues Licht auf bislang weitgehend unbeachtet gebliebene Facetten geworfen und einen »neuen Durkheim« (Strenski 2006) entdeckt haben. Zu den neuen Erkenntnissen zählten insbesondere das Rätsel um Durkheims politische Anschauung, der Einfluss des Judaismus auf sein Denken, die Familienverhältnisse im Hause Durkheim, das Verhältnis zu seinen Mitarbeitern und sogar die Frage seiner psychischen Konstitution. Diese Unbekannten, über die in der Zunft seit jeher divergente Anekdoten kursieren, bewogen den kanadischen Soziologen Marcel Fournier vor einigen Jahren dazu, das Projekt einer intellektuellen Biographie zu Durkheim in Angriff zu nehmen. Das nunmehr (auf Französisch) vorliegende, neue Standards setzende und beinahe 1000 eng bedruckte Seiten ausfüllende Opus magnum instruiert das nachfolgende Porträt von Durkheims Leben.

Durkheims Herkunft


Émile David Durkheim kommt am 15. April 1858 in dem lothringischen Städtchen Épinal als Sohn des Rabbi Moses Durkheim zur Welt. Diese Berufstradition, die nach dem Zeugnis Henri Durkheims, einem der beiden Neffen Émils, auf acht Generationen zurückreicht (Filloux 1976: 259), wird erst von Émile unterbrochen werden.

Die ökonomische Situation der Familie ist bescheiden. Mehr als einmal moniert Moses Durkheim gegenüber den Behörden die Unwürdigkeit seines Salaires. Seine Frau muss sogar mit Stickarbeiten für Zuverdienst sorgen. Erbschaften sind es schließlich, welche die Familie in den Stand setzen, im Jahre 1876 ein stattliches Domizil im Stadtzentrum zu erwerben. Rabbi Moses Durkheim erntet durch sein vorbildliches öffentliches Auftreten und sein profundes Wissen allgemein einen sehr guten Ruf innerhalb der jüdischen wie auch der städtischen Gemeinde. Das Ehepaar zeugt insgesamt fünf Kinder, von denen Émile mit weitem Abstand das Jüngste ist. Die späteren Spekulationen um den Gemütszustand Émile Durkheims werden sich um dieses Detail ranken, das manchen Interpreten ein Beleg dafür abgibt, dass er kein Wunschkind war und darunter zeitlebens litt (vgl. Charle 1984: 46). Die Kinder wachsen in einem traditionell jüdischen Klima auf und folgen vorschriftsmäßig den religiösen Anforderungen. Sie werden im Geiste von Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein erzogen. Von seinem Vater erbt Émile wohl auch den moralischen Rigorismus, der ihn noch später als Universitätsprofessor intellektuelle Oberflächlichkeit und akademischen Manierismus verurteilen lassen wird. Viele Schilderungen seitens Mitschüler und Kollegen zeichnen von Émile das Bild eines Kopfmenschen, der vergnüglichen Ausschweifungen kaum fähig scheint.

Moses Durkheim gehört innerhalb des französischen Judentums einer modernistischen Richtung an, die sich während der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts herausbildete. Das französische Judentum hatte als erste jüdische Gemeinde Europas im Zuge der Französischen Revolution am 27.09.1791 per Gesetz die volle bürgerliche Gleichstellung gegenüber dem staatstragenden Volk garantiert bekommen.4 Traditioneller Antisemitismus brodelte gleichwohl auch in den Dekaden nach der Revolution5 insbesondere im Elsass immer wieder auf. Diesem begegneten die sog. mit einer ideologischen Neuausrichtung des Judaismus, um eine Integration der jüdischen Gemeinde in die französische Gesellschaft voranzutreiben. Die anvisierte »Symbiose zwischen Judentum und Franzosentum« (Berkovitz 1989: 245) sollte über die Modernisierung der Erziehung, eine Neuausrichtung des wirtschaftlichen Handelns, die Zentralisierung der jüdischen Gemeinde Frankreichs sowie die Eliminierung unzeitgemäßer liturgischer Praktiken erzielt werden. Aufgrund starker traditionalistischer Kräfte und Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft stellten sich manifeste Erfolge jedoch nur sehr allmählich ein (Girard 1976: 134). Neben einem spürbaren Aufstieg in neuen industriellen und handwerklichen Berufszweigen (Hyman 1991: 131ff.) – die Familien Dreyfus und Mauss, in die Émile und seine Schwester Rosine einheiraten, geben dafür Beispiele ab – äußern sich diese insbesondere in einem erstaunlichen kulturellen Wandel (vgl. für den Elsass Hyman 1991: 64ff.). Erachtete die Mehrzahl der jüdischen Bewohner bis dato im Christentum die Wurzel allen Übels (Girard 1976: 157), begann sie nunmehr in einem ungekannten Ausmaß am öffentlichen Leben Frankreichs zu partizipieren und sich sogar offen und enthusiastisch mit der französischen Nation zu identifizieren. Die angedeuteten Sachverhalte erklären, weshalb es sich Moses Durkheim trotz seiner religiösen Funktion leisten konnte, auf den traditionellen Bart zu verzichten, seine Kinder ausschließlich bei ihren französischen Namen zu rufen und selbst im Privaten das Jiddische zugunsten der französischen Sprache aufzugeben. Vor diesem Hintergrund wird auch die Reaktion des Judentums nach der Niederlage Frankreichs im Preußisch-Französischen Krieg von 1870/71 nachvollziehbar, die sich – trotz der kulturellen Nähe der jüdischen Bevölkerung zu Deutschland – kaum von derjenigen der Franzosen unterscheidet. Wie sehr das soziologische Werk des zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alten Émile Durkheims von der Erfahrung der Niederlage und ihren Konsequenzen geprägt wird, lässt sich kaum unterschätzen. Rückblickend auf diese Kriegsprägung erörtert er in einer seiner letzten Arbeiten die Aufgabe seiner Generation: »Alle guten Bürger waren nur von einem Gedanken beseelt: das Land neu zu errichten« (Durkheim 1975a: 465). Zu diesem Zweck bedarf es nach Durkheim zunächst der »Ausbildung« der Nation durch die »Aufgeklärten« (ebd.), denn: »Eine Demokratie verrät ihre eigenen Prinzipien, wenn sie nicht an die Wissenschaft glaubt« (ebd.). Man hat gelegentlich von einem »übertriebenen Patriotismus« (Strenski 1997: 30) seitens der jüdischen und ganz besonders der Elsass-stämmigen Population gesprochen. Die folgenden Ausführungen werden jedoch erhellen, dass Durkheim und seine jüdischen Generationsgenossen ganz im Strom der allgemeinen politischen Entwicklungen mitschwimmen und dabei die diskursbeherrschenden Themen der Zeit aufgreifen, sodass die Behauptung, die Juden seien ununterscheidbar von anderen Franzosen (Hyman 1979: 4), tendenziell zutreffend scheint.

Es ranken sich diverse Legenden um die Umstände und Gründe, die den juvenilen Émile zu dem Entschluss veranlassen, mit der Familientradition zu brechen und, anstelle der vorgesehenen Rabbinerausbildung, eine wissenschaftliche Karriere anzustrengen. Sicher übermittelt ist jedoch, dass der Schüler seinem Vater seine Entscheidung mit einer Selbstüberzeugung vermittelt, die selbst Letzteren beeindruckt, sodass dieser sich dem Wunsch seines Sohnes, sich in Paris für die Aufnahmeprüfung der intellektuellen Kaderschmiede () vorbereiten zu dürfen, schließlich nicht entgegenstellt. Immerhin ließ der schulische Erfolg Émiles für seine zukünftige Entwicklung auch Bedeutendes erwarten. Sein Abitur besteht er ohne Mühen, obwohl er zwei Klassen übersprang. Doch der nächste Schritt wird sich als ungleich schwieriger erweisen. Er verbringt das erste Pariser Jahr an der . Er leidet hier permanent unter der Trennung von seiner Familie, dem Gefühl der Einsamkeit und dem strengen Formalismus des Unterrichts. Man quält den schon damals eher (natur)wissenschaftlich als humanistisch interessierten Studenten mit Latein und Rhetorik. Selbst der Philosophieunterricht kann ihn nicht begeistern. Er scheitert zunächst an der Aufnahmeprüfung zur ENS und wechselt deshalb im Herbst 1876 an das Elitegymnasium , um sich von nun ab hier für den 6 vorzubereiten. Es gelingt ihm jedoch auch hier erst im dritten Anlauf, die Aufnahmeprüfung an die erfolgreich zu bestehen – als Elftbester. Mit diesem steht Durkheim nach aller Berechenbarkeit, die das starr hierarchische und streng reglementierte französische Ausbildungssystem zulässt, die Tür zur Professorenlaufbahn weit offen. Die 1794 von den Jakobinern gegründete Institution etablierte sich trotz diverser politischer Usurpationsversuche als Frankreichs zentrale Ausbildungsstätte von Lehrern und Hochschullehrern (vgl. Schalenberg 2002: 85).7

Durkheims Studium


Durkheim trifft an der auf eine , aus der hier nur die Namen des Philosophen und späteren Nobelpreisträgers für Literatur Henri Bergson (1859–1941), des...


Daniel Šuber ist Oberassistent an der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern und Kollegiat am Kulturwissenschaftlichen Kolleg des Exzellenzclusters 16 'Die Kulturellen Grundlagen der Integration' der Universität Konstanz.



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