Die ersten modernen Reportagen aus Berlin
Buch, Deutsch, 269 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 205 mm, Gewicht: 449 g
ISBN: 978-3-940357-74-8
Verlag: Lilienfeld Verlag
Hugo von Kupffers Berichte, die ab 1886 im "Berliner Lokal-Anzeiger" erschienen sind, waren völlig neuen Typs: persönlich recherchiert, faktenbasiert, vorurteilslos und nah am Wunsch der Lesenden nach Hintergrundwissen über ihre unmittelbare Umgebung. Nach dem Vorbild der amerikanischen Presse, die er aus eigener Erfahrung sehr gut kannte, machte von Kupffer sich auf den Weg durch die Stadt, beobachtete, führte Interviews und schrieb ohne Sensationslust, sondern vielmehr mit menschlichem Verständnis über die gefundenen Tatsachen: die Arbeitswelt der Kellner, vor Gericht gebrachte Prostituierte, Besuche beim Scharfrichter, die letzten Minuten eines zum Tode Verurteilten oder auch die humoristische Seltsamkeit mancher Berliner Schilder – die Themen sind vielfältig, und was Hugo von Kupffer berichtet, das berührt, trifft oder amüsiert immer noch und führt mit einem großen Reichtum an Informationen ganz dicht an eine scheinbar ferne Zeit heran.
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Feuilletonisten sind schon viele in die sogenannten Verbrecherkeller – die, nebenbei bemerkt, eine an Langweiligkeit grenzende äußerliche Harmlosigkeit atmen – hinabgestiegen, sie haben die obligate Gänsehaut bekommen, ihre Glacé-Handschuhe nachher weggeworfen und ein Meer von Tinte all den schönen Phrasen und Phantasien über das Berliner Verbrechertum geopfert. Da bekanntlich in dem anspruchslosen Rahmen dieser Schrift nicht "feuilletonisiert", sondern nur schlicht und wahr an der Quelle Gehörtes und Gesehenes erzählt werden soll, so muß ich mich eigentlich entschuldigen, daß ich überhaupt auf diesen vielbetretenen Pfad mich wage. Nun, meine Entschuldigung lautet: ich bringe Ihnen keine allgemeine Gauner-Charakteristik, sondern ich will Ihnen nur erzählen, wie ein augenblicklich außer Dienst befindlicher und, wie er sagt, "vom Geschäft zurückgetretener" Verbrecher denkt und spricht.
Der Mann wurde mir von einem Kriminalisten freundlichst als ebenso "schwerer" wie gewitzigter Junge hingestellt, und da ich hörte, daß er, wie er sich selbst ausdrückt, gegenwärtig "seine Memorien" (nicht Memoiren) schreibt, so schien er mir für meine Ausfragungsgelüste ein recht günstiges Objekt. Und darin hatte ich mich nicht geirrt. Soldaten-Ede ist ein entschieden intelligenter Mensch, dessen Gesicht sogar dies verrät und noch mehr verraten würde, wären nicht die Wahrzeichen der dem Dienst des Zuhältertums geopferten Nächte und die Merkmale des Zuchthauslebens tief in das blasse, etwas verwilderte Antlitz gegraben.




