Acker | Meine Mutter | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

Acker Meine Mutter

Dämonologie
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-902950-61-1
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Dämonologie

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

ISBN: 978-3-902950-61-1
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ausgehend von der Beziehung zwischen Colette Peignot und Georges Bataille, erzählt Meine Mutter: Dämonologie von den Verstrickungen einer Frau in die widersprüchlichen Impulse von Zuneigung und Einsamkeit: Zu Beginn ihres Lebens als Erwachsene gerät Laure in eine leidenschaftliche und alles verschlingende Affäre mit ihrem Gefährten B. Das lässt sie aber letztlich unbefriedigt, weil ihr die Notwendigkeit einer eigenen Identität - unabhängig von ihrem Geliebten - klar wird. Im Verlangen, zu entdecken, wer sie ist, begibt sie sich auf eine Reise der Selbstfindung: eine Odyssee in das Territorium ihrer Vergangenheit, in Erinnerungen und Phantasien ihrer Kindheit, in Zügellosigkeit und Hexerei. Kathy Acker ist eine Legende, ihre Werke sind Klassiker der postmodernen Literatur. Sie gilt immer noch als die einzig wahre Erbin William S. Burroughs. Ihre Arbeiten waren ebenso vielfältig und umfassten unterschiedlichste Textsorten. Die selbsternannte »Literaturterroristin« war der Inbegriff einer weiblich geprägten Punk-Literatur, die die Themengebiete Sexualität, Philosophie und Technologie produktiv aufnahm und in eigenständige literarische Arbeiten umwandelte. Ackers Werke, die von einer Haltung der Umschrift und der vorsätzlichen Piraterie geprägt sind, genießen zurecht Kultstatus und spiegeln Geschlechter- und Gesellschaftsverhältnisse ebenso kritisch wie unterhaltsam. Acker ist Kult.

Kathy Acker (1947-1997) begann ihr wildes Leben als Tochter aus gutem Hause, dem sie schnell den Rücken kehrte. Nach einem Ausflug in die Welt der US-amerikanischen Universitäten begann sie ihre literarische Karriere im New Yorker Underground der 1970er-Jahre und erlangte in nicht ganz drei Jahrzehnten einzigartigen Schaffens schließlich Weltruhm. Der nun vorliegende Roman »Meine Mutter: Eine Dämonologie« zählt zu ihrem Spätwerk, in dem alle für Acker zentralen Themen nochmals aufgegriffen werden.
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EINS


MEINE MUTTER


Ich bin verliebt in Rot. Ich träume in Rot.

Meine Alpträume gründen sich auf Rot. Rot ist die Farbe der Leidenschaft, der Freude. Rot ist die Farbe aller Reisen, die im Inneren stattfinden, die Farbe des verborgenen Fleisches, der Tiefen und geheimen Winkel des Unbewußten. Vor allem ist Rot die Farbe von Zorn und Gewalt.

Ich war sechs Jahre alt. Jeden Abend nach dem Abendessen, das ich meist mit meinen Eltern einnehmen durfte, sagte ich: »Gute Nacht.« Um in mein Zimmer zu gelangen, mußte ich einen langen, dunklen Flur hinuntergehen, der auf beiden Seiten von Türen gesäumt war. Ich hatte schreckliche Angst. Hinter jeder Tür lauerte unvermutete Gewalt.

Moral und moralische Urteile schützen uns vor der Furcht.

In meinen Träumen war ich es, die mordete und ermordet wurde zur selben Zeit.

Doppelmoral ist die Farbe des Grauens.

Ich wurde am 6. Oktober 1945 in Brooklyn, New York, geboren. Meine Eltern waren reich, gehörten aber nicht der ganz echten Oberschicht an. Ich rede von meinem Vater. Mit sechs Jahren brach ich plötzlich in unbekannte Gefilde auf, die Gefilde der Träume und heimlichen Wünsche. Fast mein ganzes Leben lang war ich lasterhaft. Nach einem Klischee des neunzehnten Jahrhunderts sind Lasterhaftigkeit und Ausschweifung mit Kunst verbunden.

Ich schrieb:

Fast alles, was ich über mein Vorerwachsenenleben weiß und wissen kann, findet sich nicht in Erinnerungen sondern in diesen Schriftstücken.

Meine Mutter war eine große Dame. Wann immer sie den Lebensmittelladen betrat, den die Reichen des Viertels frequentierten, beauftragte sie irgendeinen dort aufgegabelten jungen Burschen, die verschiedenen Artikel, nach denen es sie gerade verlangte, zu holen und zum Taxi zu bringen, das auf sie wartete. Es kam Mutter nicht in den Sinn, dass sie eventuell zu bezahlen hätte.

Wenn es mein Unglück war, sie zu begleiten, kroch ich hinter ihr her und versuchte, unsichtbar zu sein. Kannte sie nicht. Ich, eine Waise. Sobald sie Anstalten machte, den Laden zu verlassen, bezahlte ich so schnell wie möglich beim Mann hinterm Ladentisch. Mein Gesicht glühte, als sei es von einer Sonnenallergie befallen. Ich weiß nicht, was passierte, wenn ich nicht da war und bezahlte: Damals fanden Ereignisse, die ich nicht wahrnahm, nicht statt.

In jenen Zeiten dachte ich: Sollen sie alle zum Teufel gehen.

Es ist gut möglich, daß ich nicht die einzige Person war, die wußte, daß Mutter immer tun konnte, was sie wollte. Die Königin von England trägt nie ihr eigenes Geld bei sich. Irgendjemandes Geld.

Drei- oder viermal versuchte ich, ihr zu entkommen, und rannte weg. Da mein Vater so sanftmütig war, daß er sich Mutter unterordnete, mußte ich auch vor ihm davonlaufen.

Ich kletterte die hintere Feuerleiter hinab zur Straße. Lief Straßen entlang, bis es nirgendwo mehr hinging.

Lief die Straßen hinunter, bis dort Nirgends war.

Ich mußte nach Hause zurückkehren.

Ich wollte meinen Eltern nicht weglaufen, weil ich sie haßte, sondern weil ich wild war. Wilde Kinder sind aufrichtig. Meine Mutter wollte mich bis zu dem Punkt beherrschen, an dem ich nicht mehr existierte. Mein Vater war so sanftmütig, er existierte nicht. Ich blieb unerzogen, oder wild, weil ich eingesperrt war von meiner Mutter und keinen Vater hatte.

Mein Körper war alles, was ich hatte.

Ich blieb selbstsüchtig. Es gab nur meine Mutter und mich.

Selbstsucht und Neugier sind eins. Ich tat alles, um meinen Körper kennenzulernen, erforschte die üblen Gerüche, die aus Furchen und Achselhöhlen aufstiegen, den Geschmack jeden Lochs. Niemand lehrte mich Reue. Ich war wild darauf, die Vorstellungen meines Körpers zu verwirklichen.

Und ich wußte, ich konnte meinen Eltern nicht entfliehen, weil ich weiblich war und noch nicht achtzehn. Selbst wenn es für eine weibliche Minderjährige Arbeit gegeben hätte, meine Erzeuger, meine Erzieher und meine Gesellschaft hatten mich gelehrt, daß ich machtlos war und zum Überleben entweder die Eltern oder einen Mann brauchte. Ich konnte nicht der ganzen Welt die Stirn bieten; ich haßte nur.

Um also meinen Eltern zu entkommen, brauchte ich einen Mann. Nachdem ich entkommen wäre, könnte und würde ich den Mann hassen, der mich dann einsperrte. Und danach wäre ich bedacht, meinen Haß, mein double bind zu vernichten.

Diese persönliche und politische Verfassung war die einzige, die sie mir beigebracht hatten.

Rot war die Farbe der Wildheit und des bislang Unbekannten.

Während mein Körper wuchs, den meine Mutter wahrzunehmen sich weigerte und deshalb nicht kontrollierte, wuchs er in die Sexualität hinein. Als könnte Sexualität sich ohne Berührung ereignen. Masturbierte nicht nur, bevor ich wußte, was das Wort bedeutet, sondern bevor ich kommen konnte. Physische Zeit wurde zu einer Bewegung in Richtung Orgasmus. Ich wurde sexuell wilder. Ich wollte einen Mann, der mir helfen sollte, meinen Eltern zu entkommen, und nicht aus sexuellen Gründen. Ich brauchte kein anderes Sexualobjekt. Meins war die eigene Haut.

Sehnsucht war dasselbe wie Haut. Haut gehörte niemand in meinem Königreich der Unberührbarkeit.

Ich hatte mich noch nicht entschieden, eine Person zu sein. Ich weigerte mich fast, eine Person zu werden, denn wenn ich eine wäre, würde ich einsam sein müssen. Die Vereinigung mit der Gesamtheit des Universums ist eine Möglichkeit, Schmerz zu vermeiden.


Kathy Acker (1947-1997) begann ihr wildes Leben als Tochter aus gutem Hause, dem sie schnell den Rücken kehrte. Nach einem Ausflug in die Welt der US-amerikanischen Universitäten begann sie ihre literarische Karriere im New Yorker Underground der 1970er-Jahre und erlangte in nicht ganz drei Jahrzehnten einzigartigen Schaffens schließlich Weltruhm. Der nun vorliegende Roman »Meine Mutter: Eine Dämonologie« zählt zu ihrem Spätwerk, in dem alle für Acker zentralen Themen nochmals aufgegriffen werden.



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