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E-Book, Deutsch, Band 10, 293 Seiten

Reihe: Eigene und Fremde Welten

Baberowski / Feest / Lehmann Dem Anderen begegnen

Eigene und fremde Repräsentationen in sozialen Gemeinschaften

E-Book, Deutsch, Band 10, 293 Seiten

Reihe: Eigene und Fremde Welten

ISBN: 978-3-593-40521-6
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Soziale Gemeinschaften vergegenwärtigen, bestätigen und verändern durch Repräsentationen die Ordnung, in der sie leben. In der Begegnung mit anderen werden diese verteidigt oder mit neuer Bedeutung versehen. An Beispielen aus Europa, Südamerika, Afrika und Asien wird in diesem Band untersucht, wie Repräsentationen als Praktiken der Weltauslegung das Beharren, aber auch den Wandel sozialer Ordnungen beeinflussen und wie Einzelne und Gruppen durch sie klären, wer sie selbst sind und was das Andere ist.
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Weitere Infos & Material


Dem Anderen begegnen: Repräsentationen im Kontext
Jörg Baberowski


Repräsentationen von Institutionen

Einleitung
David Feest

Den Staat in die Gemeinden bringen: Friedensvermittler und die Institutionalisierung von Staatlichkeit auf dem russischen Dorf nach 1861
David Feest

Die Sichtbarkeit von Institutionen: Der Wandel staatlicher Repräsentation in der Bundesrepublik seit 1989
Jens Hacke


Gewaltrepräsentationen

Einleitung
Maike Lehmann

Der koloniale Körper in der Krise: Koloniale Repräsentationen, Ordnung und Gewalt während des Ersten Weltkriegs in Ostafrika,
1914-19
Michael Pesek

In Wort und Tat: Gewaltordnungen in Berg Karabakh
Maike Lehmann


Repräsentationen auf Reisen

Einleitung
Maike Lehmann

Im Dienste der Nation: Hygiene, Biopolitik und Moderne im Japan der MeijiZeit
Daniel Hedinger

Zum Schutz von Körper und Land: Repräsentationen von Hygiene auf der Reise durch chinesische Köpfe und Körper
Barbara Schulte

Von der Kultur zur Zivilisation: Hygienekonzepte auf der Reise durch die Mongolei
Ines Stolpe


Repräsentationen von Inklusion und Exklusion

Einleitung
David Feest

Bildungsmissionen als Begegnung: Modernisierung und Herrschaftskonstruktion im postrevolutionären Mexiko und peronistischen Argentinien
Carlos Martínez Valle, Verónica Oelsner & Eugenia Roldán Vera

Grenzziehungen und Soziale Gemeinschaft im zeitgenössischen Malaysia
Deborah Johnson

Lüge und Wahrheit in der Sowjetunion
Sheila Fitzpatrick

Europa hat Angst: Deutsche Karikaturen als virtueller Begegnungsraum in den 1920er Jahren
Priska Jones

Europa und sein östliches Anderes bei deutschen und englischen Historikern in den 1920er und 1950er Jahren: Religion als Ausgrenzungsstrategie
Susan Rößner

Danksagung

Abbildungsverzeichnis

Autorinnen und Autoren


Reisen heißt nicht allein, physischen Raum zu überwinden oder Menschen, Gegenstände oder Konzepte in einen anderen Kontext zu versetzen. Es schafft vielmehr einen Begegnungsraum, in dem verschiedene soziale Ordnungen aufeinander treffen, in Beziehung gesetzt und in einem fortwährenden Übersetzungsprozess immer wieder neu verhandelt werden. Diesen Zusammenhang hat der Anthropologe James Clifford mit der Metapher von ›Kultur als Reise‹ auf den Punkt gebracht. Denn Reisen prägt als grundlegende menschliche Praxis soziale Ordnung genauso wie das scheinbar organische Lokale. Der Verweis auf dieses Kontinuum erinnert daran, dass die Begegnung im Reisen weder voraussetzungs- oder folgenlos, noch einmalig, einseitig oder abgeschlossen ist.

Wie sehr dies einerseits durch die Vergegenwärtigung etablierter sozialer Ordnungen geprägt wird, andererseits aber auch Ordnungen repräsentiert werden, zeigen die hier abgedruckten Fallstudien zur Geschichte von modernen Hygienekonzepten in Ostasien. Mit der Untersuchung von Europareisen japanischer Ärzte und deren Auseinandersetzung mit Hygiene in Europa und Japan, dem Programm chinesischer Pädagogen zur "Rettung der Nation" und den mongolischen Hygienekampagnen rücken die Autoren vor allem eines in den Mittelpunkt: die zentrale Rolle von Akteuren und ihrer Übersetzungen - also Repräsentationen - sozialer Ordnung mittels oder in Auseinandersetzung mit europäischen Hygienekonzepten als Repräsentationen der Moderne. Gerade die aktiven Versuche von Vertretern der neuen japanischen und sukzessive der chinesischen Bildungseliten, den kaum noch gebräuchlichen, aber dennoch bedeutsamen Ausdruck ÷ (jap. eisei/ chin. weisheng) aus der chinesischen Philosophie zur Vermittlung europäischer Hygienekonzepte zu nutzen, verweisen auf die bewusste Verbindung von ›Tradition‹ und ›Moderne‹. Während ein alter Begriff mit seinen philosophischen Konnotationen vergegenwärtigt wurde, erhielt er zudem eine neue Aufladung. Gleichzeitig wurde hier gewissermaßen das westliche Interpretationsmonopol aufgehoben, ohne die Notwendigkeit einer Modernisierung durch Hygieneprogramme nach europäischem Vorbild in Frage zu stellen. Die Neuübersetzung von eisei zuerst in Japan (Hedinger) und die Rückübersetzung von weisheng in China (Schulte) verweisen dabei nicht nur auf das "immer schon Übersetzt-Sein " von Begriffen bzw. Repräsentationen. Sie machen auch die "Selbstermächtigung durch Übersetzungshandlungen" zweier Nationen deutlich, die - nach der erzwungenen Öffnung Japans und der Krise der chinesischen Qing-Dynastie nach Niederlagen gegen England und Japan - auch international als Großmächte wieder anerkannt werden wollten. Immerhin erfolgte dies durchaus im Bewusstsein ›moderner‹ Traditionen, die auch gegen europäische Vorurteile verteidigt wurden wie etwa der hygienisch vorteilhafte japanische Hausbau (Hedinger). Das Anliegen der nationalen Hygienekampagnen konnte aber erst allmählich mit den Ordnungsvorstellungen der jeweiligen Bevölkerung in Einklang gebracht werden. Dies verweist wiederum auf die wechselseitige Abhängigkeit und Prägung von Repräsentationen und sozialer Ordnung und die Rolle verschiedener Akteure und Teilgruppen.

Hier werden sowohl Prozesscharakter wie Widerständigkeit von Repräsentationen deutlich, verstanden als Versuch verschiedener Gruppen, die "eigene Sicht der sozialen Welt, ihre Werte und ihre Herrschaft [. . . ] durchzusetzen". Denn die Reisen ins Landesinnere zur Vermittlung der neuen Hygienekonzepte brachten Konflikte und Widerstände mit sich. Und zwar dort, wo die ›moderne‹ Darstellung von Sauberkeit und Gesundheit nicht mit populären Vorstellungen korrespondierte. Den Zusammenhang zwischen Repräsentation, ihren Grenzen oder gar Kontraproduktivität verdeutlichen gerade die Übersetzungsversuche von Hygienekonzepten in der Mongolischen Volksrepublik. Über Russland eingeführte Konzepte etwa zu Sauberkeit kollidierten mit lokalen Ordnungsvorstellungen von Reinheit; Übersetzungsversuche über Verbindungen von importierten mit mongolischen Begriffen produzierten gar ungewollte Assoziationen mit dem traditionellen, vom sozialistischen Staat abgelehnten Schamanismus. Ines Stolpe kann gerade anhand der Übersetzungsversuche durch die Zusammensetzung russischer und mongolischer Begriffe das - hier unintendierte, aber umso wirkungsmächtigere - Kontinuum zwischen alter, ›traditioneller‹ und neuer, verfügter Ordnung demonstrieren. Hier wird deutlich, dass die Repräsentation durch Übersetzen "kein bloßer Transfer, sondern Überwindung von Widerständen" und, vor allem, eine "fortwährende Verwandlung durch Überlagerung" ist, die von den Kontexten ihrer Aneignung abhängt. Dass sich trotzdem Konzepte zu einer nationalen Hygiene von Funktionseliten auch in die Praktiken und Vorstellungen der Bevölkerung einschrieben, ist nicht zuletzt auf die fortgesetzte Vergegenwärtigung von Hygienekonzepten durch die Institutionalisierung von Begegnungsräumen zurückzuführen: auf die regelmäßigen Hygienekontrollen in der mongolischen Steppe, auf die Etablierung von privaten Institutionen neben den staatlichen Spitälern in Japan und Einführung von Hygieneunterricht in chinesischen Berufsschulen. Damit schrieb sich die neue Hygiene auch als ›sozialer Fakt‹ in die asiatischen Modernen ein.

Die Fallstudien verweisen darüber hinaus auf die ›geteilte Geschichte‹ dieser Modernen, wobei ›geteilt‹ im verbindenden wie trennenden Sinne zu verstehen ist. Zum einen zeigen die hier untersuchten Reisen die Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen Japan, China und der Mongolei - sei dies in der Übersetzung oder regionalen Konkurrenz und Abhängigkeitsverhältnissen. Sie sind zudem in einen globalen Kontext einzuordnen angesichts der asymmetrischen, aber dennoch wechselseitigen Beziehungen zwischen Europa und Asien. Dass Frauen im Sinne der Emanzipierung wie Disziplinierung gezielt zu Akteuren der Hygiene deklariert (Schulte, Stolpe) oder Kolonien wie Taiwan zum Laboratorium (Hedinger) gemacht wurden, zeigt die Parallelen zwischen asiatischen und europäischen Modernen auf. Andererseits markiert die Abhängigkeit des Wandels sozialer Ordnungen und ihrer Repräsentierbarkeit von den spezifischen Kontexten aber gleichzeitig ihre Differenz. Dies gilt nicht nur für die Achse Asien-Europa, sondern auch für die unterschiedlichen Voraussetzungen asiatischer Modernen, die spezifische Einbettung von Hygienekonzepten in lokale ›Traditionen‹ sowie die entschiedene Abstandnahme von den Nachbarländern wie im Fall der Mongolischen Volksrepublik und China deutlich wird.


Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt Universität zu Berlin. Maike Lehmann ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen. David Feest ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Göttingen.


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