E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Glück
Bach Glück und wieder!
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7336-5146-6
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lina und die Sache mit den Wünschen
E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Glück
ISBN: 978-3-7336-5146-6
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dagmar Bach liebt Harmonie und Tee und hat schon als Innenarchitektin dafür gesorgt, dass sich die Menschen rundherum wohlfühlen. Ihr eigener Happy Place sind ihre Geschichten, die sie seit einigen Jahren aufs Papier bringt. Ihr Debüt »Zimt & weg« wurde auf Anhieb ein »Dein-SPIEGEL«-Bestsellererfolg. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in München.
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1
An diesem Sonntag war ich sehr früh wach, schon seit sechs Uhr morgens. Dabei hatte ich nur drei Stunden Schlaf bekommen, aber ich war so fit, als ob ich komplett durchgeschlafen hätte. Vielleicht lag das aber auch am Adrenalin, das wegen der Vorfälle am vergangenen Abend noch immer durch meine Adern pumpte und meinen Körper entsprechend einsatzbereit machte.
Bereit – und hungrig. Gestern hatte ich vor Aufregung kaum einen Bissen heruntergebracht, aber jetzt knurrte mein Magen über drei Oktaven. In unserer Küche war nur leider nichts zu holen, weil alles für die Party drüben gebraucht wurde, also tapste ich nach einer schnellen Dusche in Richtung Mauerdurchbruch. Der war vor ein paar Wochen gemacht worden, nachdem mein Papa und seine Freundin Bea von Bergen gemerkt hatten, dass sie gar nicht über eine gemeinsame Wohnung nachdenken mussten – weil sie nämlich schon direkt nebeneinander wohnten. Zwar nicht im selben Haus, dafür im gleichen Stockwerk. Mit großem Getöse wurde ein Loch in die Wand geschnitten und eine schwere Brandschutztür eingesetzt. Die stand aber fast immer offen, und so schlüpfte ich durch den Durchgang und schlich auf Socken den Flur entlang, um niemanden zu wecken.
Die Wohnung von Bea und ihren beiden Söhnen war riesig, aber ich hatte mich hier vom ersten Moment an wie zu Hause gefühlt. Doch als ich am Ende des Flurs um die Ecke bog und die große Wohnküche betrat, blieb ich wie angewurzelt stehen.
Denn da war schon jemand in der Küche.
Ich stutzte, aber nur einen Sekundenbruchteil. Denn mittlerweile konnte ich die beiden von-Bergen-Zwillinge Vincent und Arthur im Schlaf auseinanderhalten.
Und das hier war eindeutig Arthur, der an der Kaffeemaschine stand. Denn während ich nach ein paar Anlaufschwierigkeiten Vincent als neuen Bruder in mein Herz geschlossen hatte, löste Arthur ganz andere Gefühle in mir aus.
War das gestern Abend alles wirklich geschehen? Hatte Arthur mich in unserer Küche abgefangen, um mir zu sagen, dass er mich … ? Und war ich ihm hinterher tatsächlich nachgelaufen und hatte ihm wiederum gestanden, dass ich ebenfalls in ihn verliebt war? Oder war das alles ein viel zu schöner Traum gewesen?
Ein dümmliches Grinsen schlich über meine Lippen.
Nein, das war kein Traum.
Das war mir, Lina Hansson, fünfzehn Jahre alt, halbe Schwedin, Quasselstrippe und designierte Glücksfee, tatsächlich passiert.
Unglaublich.
Wie auf Befehl machten meine Eingeweide bei seinem Anblick vor Freude Purzelbäume.
»Guten Morgen«, krächzte ich, und Arthur drehte sich erstaunt um.
»Guten Morgen. Was machst du denn schon hier?« Er lächelte ganz leicht, was mir eine Gänsehaut bescherte.
»Konnte nicht mehr schlafen. Und du?«
»Ich auch nicht.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Außerdem haben wir heute ein Eishockeyspiel. Auswärts. Ich werde um zehn von Luca und seinem Dad abgeholt. Vincent kann ja wegen seines Bänderrisses nicht mit.«
Ich versuchte, nicht allzu enttäuscht zu gucken. Die letzten Tage ging es hier so hektisch zu, und gestern hatten geschätzt hundert Leute diese Küche belagert. Es sah auch immer noch ganz schön chaotisch aus: In einer Ecke stapelten sich leere Getränkekisten, kaum ein Möbelstück stand noch an seinem Platz, und auf der Küchenzeile türmte sich benutztes Geschirr und Gläser, weil längst nicht alles in die Spülmaschine gepasst hatte. Umso mehr hatte ich mich auf einen entspannten Sonntag im Kreise aller Familienmitglieder gefreut. Ganz besonders mit Doch das war dann wohl hinfällig.
Arthur sah auf die Uhr, als ob er meine Gedanken lesen konnte. »Aber es ist ja erst halb acht. Und ich glaube, so schnell lässt sich hier niemand blicken. Mama und Christoph sind nämlich vorhin erst ins Bett gegangen, hab sie eben noch getroffen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass die so eine Ausdauer beim Feiern haben.«
Ich grinste. »Und Mats schläft am Wochenende immer mindestens bis zehn.«
»Vincent auch.« Arthur deutete auf die Maschine. »Magst du auch Kaffee?«
»Nur Milchschaum, bitte. Für Kakao.«
Ich schob mich auf einen der Barhocker, die rund um den Küchentresen standen, während Arthur an der Kaffeemaschine hantierte. Bei seinem Anblick hatte ich plötzlich ganz zittrige Knie. Fast war ich froh, dass wir uns bei unserem ersten Kennenlernen nicht so gut verstanden hatten – gelinde gesagt. Deswegen hatte ich nicht so genau darauf geachtet, wie gut er aussah. Hätte ich das getan und wäre er vor allem da schon so nett zu mir gewesen wie in den letzten Wochen, wäre ich ihm vermutlich von der ersten Minute an verfallen gewesen.
Dabei gab er sich noch nicht mal viel Mühe mit seinem Äußeren. Zum Beispiel trug er heute Morgen nur eine schwarze Jogginghose mit dem Eisbär-Logo seiner Mannschaft auf der Tasche und dazu ein graues Langarmshirt. Und seine dunkelbraunen Haare hatte er maximal mit den Händen durchgekämmt. Trotzdem …
Er setzte sich über Eck zu mir an den Tresen, zusammen mit einem riesigen Becher Kaffee. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell Zeit alleine haben werden«, murmelte er und schob mir eine Tasse mit Milchschaum und die Kakaopackung hin.
»Ich auch nicht.« Ich schluckte. »Aber ich hab mich heute Morgen sowieso gefragt, ob das wirklich alles passiert ist.«
»Ist es.« Er verzog den Mund zu einem halben Lächeln. »Aber war das echt erst gestern Abend? Mir kommt es vor, als ob mindestens ein Jahr vergangen ist.«
»Geht mir genauso.«
Normalerweise war Arthur superbeherrscht und souverän. Ein Fels in der Brandung. Sogar gestern Abend, bei unserem Gespräch, war er cool, obwohl ich wusste, dass er nervös war. Angemerkt hat man ihm das aber nicht. Doch heute Morgen schien das zur Abwechslung ein bisschen anders zu sein. Er spielte die ganze Zeit mit seinem Löffel und wippte dazu mit dem Knie, weswegen ich ihn noch süßer fand als sonst schon.
Schließlich sagte er: »Okay, dann nutzen wir mal die Gelegenheit, würde ich sagen. Ich weiß nämlich wirklich viel zu wenig über dich. Und wie hast du neulich so schön bei Therese gesagt? «
»Da hat aber jemand gut aufgepasst. Na schön. Okay.« Ich trank einen Schluck und leckte mir den Milchbart ab. »Dann frag mich was, bevor ich wieder nervös werde und unkontrolliert losquatsche.«
Er sah mich kurz an, ehe er leise sagte: »Mit deinem Gequatsche hattest du mich schon damals am Flughafen.«
Wohlige Wärme breitete sich in meinem Bauch aus. Arthur hatte sich tatsächlich auf den ersten Blick in mich verliebt. Vor gefühlt tausend Wochen, als wir ihn und Vincent nach seinem Kanada-Austauschjahr abgeholt hatten und ich die beiden vor Aufregung erst mal zugetextet hatte.
Allerdings hatte ich davon erst gestern erfahren. Genau während Bea eine große Party geschmissen hatte. Bei dem Fest hatten wir uns irgendwann verdrückt – um uns letztendlich zu gestehen, dass wir ineinander verliebt waren.
Natürlich mussten wir danach noch irgendwie die Party hinter uns bringen. Kurz vor drei Uhr war ich völlig erledigt ins Bett gefallen, obwohl ich eigentlich so aufgedreht war. Arthur wurde nach unserem Gespräch sofort von unserem Nachbarn Ralf belagert, der nach ein paar Gläsern Bowle endlich aufgetaut war und ihn ab da über die Eishockeymannschaft ausgequetscht hatte. Und nachdem Arthur ihm auch noch einen Fanschal von den geschenkt hatte, war er ihm überhaupt nicht mehr von der Seite gewichen. Sehr zu meinem Leidwesen, denn so konnten wir uns nur ab und zu heimlich zulächeln, wenn sonst keiner hinguckte.
Erzählen wollten wir nämlich noch niemandem von uns. Denn erstens war die Sache einfach so schräg, dass wir sie selbst kaum glauben konnten – ich meine, wie klischeehaft ist es, sich ausgerechnet in den Stiefbruder zu verlieben? Und zweitens waren wir ja nicht zusammen. Glaubte ich jedenfalls. Wir wollten uns ja erst mal kennenlernen. Und für den Fall, dass wir uns danach leiden konnten, würde es erst recht kompliziert werden, schließlich mussten wir auch weiterhin als Familie gut funktionieren, das wollten wir auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen. Wo es doch gerade anfing, so richtig gut zu werden mit dieser Patchworksache.
Arthur räusperte sich. »Okay, also – warum hast du gestern Abend plötzlich doch erraten, dass ich in dich verliebt bin? Ich dachte nämlich, dass es wahrscheinlich eher die ganze Schule bemerkt als du. Oder unsere Eltern.«
Ich fühlte mich ertappt. »Oh. Hm.« Das war nicht so einfach. Denn vermutlich hätte ich es von mir aus tatsächlich niemals erraten, weil ich wie ein blindes Huhn durch die Gegend gestolpert bin.
Aber die Sache war die: In den letzten Wochen war außer unserem neuen Leben mit den von Bergens noch etwas passiert, das ich immer noch nicht recht glauben konnte, so abgefahren ist es. Meine Patin Therese ist die Einzige, die darüber Bescheid weiß, und es ist schwer zu erklären. Nur so viel: Ich kann hin und wieder die Herzenswünsche anderer Menschen sehen. Und das hat … na ja, sagen wir mal: Konsequenzen.
Manchmal jedenfalls.
Gestern war es wieder passiert. Und zwar hatte ich eher zufällig den von Arthur gesehen – der mich komplett umgehauen hatte, weil er offenbar so verliebt in mich war, dass ich selbst sein einziger, großer Wunsch war. Ich hatte also nicht erraten, dass er mich mochte – ich hatte es , in diesem merkwürdigen Flimmern um seinen Kopf. Das konnte ich ihm natürlich...