Baldacci Escape
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-16405-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 3, 624 Seiten
Reihe: John Puller
ISBN: 978-3-641-16405-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Verbrecher Amerikas - seinen eigenen Bruder
Noch nie ist es einem Gefangenen gelungen, aus Amerikas bestgesichertem Militärgefängnis auszubrechen. Bis jetzt. Der Flüchtling: Robert Puller, Hochverräter und nun meistgesuchter Verbrecher Amerikas. Sein Bruder John ist der beste Spezialagent der Militärpolizei - und wird auf den Fall angesetzt. Widerstrebend nimmt er die Fährte auf, noch immer kann er nicht an die Schuld seines Bruders glauben. Aber bald merkt er, dass er Robert finden muss - damit ihn nicht viel gefährlichere Gegner finden. Es macht die Sache nicht gerade leichter, dass ihm eine attraktive Agentin zugeteilt wird, die ihm helfen soll, aber o ensichtlich ganz eigene Pläne verfolgt. Als sich immer dubiosere Gruppen an der landesweiten Suche nach Robert beteiligen, weiß Puller, dass nicht nur Roberts, sondern auch sein eigenes Leben auf dem Spiel steht.
David Baldacci, geboren 1960 in Virginia, arbeitete lange Jahre als Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist in Washington, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Sämtliche Thriller von ihm landeten auf der New York Times-Bestsellerliste. Mit über 150 Millionen verkauften Büchern in 80 Ländern zählt er zu den beliebtesten Autoren weltweit.
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Das Gefängnis sah aus wie der Campus eines Kleinstadt-Colleges, nicht wie ein Ort, an dem Männer zehn und mehr Jahre wegen Verbrechen einsaßen, die sie in der Uniform der Armee der Vereinigten Staaten begangen hatten. Es gab keine Wachtürme, dafür zwei versetzt stehende, vier Meter hohe Sicherheitstürme, bewaffnete Patrouillen und genug Überwachungskameras, um jeden Millimeter des Geländes im elektronischen Blick zu behalten.
Die United States Disciplinary Barracks befanden sich am nördlichen Ende von Fort Leavenworth, direkt am Ufer des Missouri, auf vierzig bewaldeten Morgen im Hügelland von Kansas – eine Erhebung aus Ziegeln und Stacheldraht, die ein grüner Daumen errichtet hatte. Es war das einzige militärische Hochsicherheitsgefängnis für Männer in den Vereinigten Staaten, bekannt unter der Abkürzung USDB oder kurz »DB«.
Sechs Kilometer südlich des DB befand sich eine Haftanstalt für Zivilisten, eines von drei Gefängnissen auf dem Gelände von Fort Leavenworth. Zusammen mit der Regionalen Justizvollzugsanstalt der Streitkräfte, ebenfalls ein Militärgefängnis, befand sich eine vierte, privat geführte Anstalt in Leavenworth, womit die Gesamtzahl der Insassen aller vier Gefängnisse auf etwa fünftausend Personen stieg. Das Fremdenverkehrsamt von Leavenworth, das offensichtlich jede bekannte Einrichtung in der Gegend touristisch ausschlachten wollte, um Besucher anzulocken, hatte diese außergewöhnliche Ansammlung von Knästen mit dem Slogan »Lebenslang in Leavenworth« in die Werbebroschüren eingeflochten.
Regierungsgelder flossen durch diesen Teil von Kansas, schwappten wie eine Flut aus grünen Papierheuschrecken über die Grenze nach Missouri, kurbelten die lokale Wirtschaft an und füllten die Kassen von Läden, Schnellrestaurants und anderen Etablissements, in denen die Soldaten mit geräucherten Rippchen, kaltem Bier, schnellen Autos und billigen Nutten versorgt wurden.
Im DB saßen ungefähr 450 Häftlinge ein. Die Gefangenen waren in ausbruchsicheren Zellen untergebracht, darunter eine Special Housing Unit oder SHU, eine Isolationshaftzelle. Die Mehrzahl der Insassen war wegen Notzuchtvergehen hier. Sie waren größtenteils jung, ihre Haftstrafen lang.
Im Schnitt befanden sich an jedem beliebigen Tag etwa zehn Häftlinge in Einzelhaft, während die anderen im normalen Trakt untergebracht waren. Es gab keine Gitter an den Türen; sie bestanden aus festem Metall, und am Boden war ein Schlitz eingelassen, durch den die Tabletts mit dem Essen geschoben wurden. Diese Öffnung ermöglichte es obendrein, dem Gefangenen eiserne Fußfesseln anzulegen, wenn er transportiert werden musste.
Im Gegensatz zu anderen Staats- und Bundesgefängnissen wurde im DB Wert auf Disziplin und Respekt gelegt. Es gab keine Machtkämpfe zwischen den Häftlingen und dem Aufsichtspersonal. Hier herrschte das Militärgesetz, und die häufigste Antwort der Gefangenen lautete »Yes, Sir!«, dicht gefolgt von »No, Sir!«, wie auf dem Apellplatz.
Das DB verfügte über einen Trakt mit Todeszellen, in dem zurzeit ein halbes Dutzend verurteilte Mörder saßen, darunter der Fort-Hood-Killer. Außerdem gab es eine Hinrichtungskammer. Nur die Anwälte und Richter konnten entscheiden, ob einer der Bewohner der Todeszellen jemals in Kontakt mit der tödlichen Injektionsnadel kam – und das wahrscheinlich erst nach Jahren und Millionen von Dollar an Anwaltshonoraren.
Der Tag war schon lange in die Nacht übergegangen. Die Lichter einer zivilen Piper Cherokee, die vom nahen Sherman Airfield abhob, waren die einzigen Anzeichen von Aktivität. Es war jetzt still, doch eine düstere Unwetterfront, die sich bereits seit geraumer Zeit zusammenbraute, rückte aus dem Norden heran. Ein weiteres Tiefdrucksystem, das sich in Texas gebildet hatte, donnerte wie ein Güterzug mit defekten Bremsen auf den Mittelwesten zu und würde bald auf seinen nördlichen Gegenpart stoßen, was eine meteorologische Schlacht epischen Ausmaßes zur Folge haben würde.
Die gesamte Region duckte sich bereits in angespannter Erwartung.
Als die beiden zornigen Wetterfronten drei Stunden später aufeinanderstießen, war das Ergebnis ein Sturm von verheerender Wucht, mit schartigen Blitzen, die kreuz und quer den Himmel durchzuckten, Regen wie aus Kübeln und Sturmböen, deren Kraft keine Grenzen zu haben schien.
Die Stromleitungen verabschiedeten sich zuerst; sie wurden von umstürzenden Bäumen wie Bindfäden zerrissen. Dann gaben die Telefonleitungen den Geist auf, ehe weitere Bäume entwurzelt wurden und Straßen blockierten. Der benachbarte Kansas City International Airport war frühzeitig geschlossen worden. Keine Maschine startete oder landete, und der Terminal quoll vor Reisenden über, die das Unwetter aussaßen und Gott im Stillen dankten, dass sie auf festem Boden und nicht hoch oben in diesem Mahlstrom waren.
Im DB machten die Wärter ihre Runden, nippten im Pausenraum an ihrem Kaffee oder unterhielten sich leise und machten belanglosen Small Talk, damit ihre Schicht schneller vorüberging. Niemand dachte an den heftigen Sturm, der draußen tobte; sie wähnten sich in dieser Festung aus Stein und Stahl sicher. Das DB war wie ein gigantischer Flugzeugträger, dem eine steife Brise und schwere See zusetzte, ohne ihm etwas anhaben zu können. Nicht gerade angenehm, aber sie würden es problemlos überstehen.
Selbst als die reguläre Stromversorgung ausfiel, nachdem beide Transformatoren des benachbarten Umspannwerks in die Luft geflogen waren und das Gefängnis in vorübergehende Dunkelheit getaucht hatten, war niemand übermäßig besorgt. Der riesige Notfallgenerator sprang automatisch an; er war in einer bombensicheren Anlage mit eigener unterirdischer Energiequelle aus Naturgas untergebracht, die sich wohl niemals erschöpfen würde. Dieses sekundäre System setzte so schnell ein, dass der kurze Stromausfall nur ein paar flackernde Lampen und blinde Flecken bei den Überwachungskameras und Computermonitoren zur Folge hatte.
Einige Wärter tranken ihren Kaffee aus und tratschten weiter, während andere durch die Gänge stapften und in den Zellentrakten verschwanden, um sich zu vergewissern, dass die Welt des DB in Ordnung war.
Und das war sie – jedenfalls so lange, bis auf einmal Totenstille einsetzte, nachdem der angeblich narrensichere Generator mit dem angeblich endlosen Energievorrat in der angeblich bombensicheren Einrichtung ein Geräusch machte wie ein Riese mit Keuchhusten und den Geist aufgab.
Sämtliche Lampen, Kameras und Computerterminals erloschen gleichzeitig. Lediglich ein paar Überwachungskameras waren mit Sicherungsbatterien ausgestattet und arbeiteten deshalb weiter.
Dann wurde die Stille von rauen Schreien und den Geräuschen schneller Schritte vertrieben. Funkgeräte knisterten und knackten. Taschenlampen wurden von ihren Halterungen an Ledergürteln gerissen und eingeschaltet, boten aber nur spärliches Licht.
Und dann geschah das Undenkbare: Sämtliche automatischen Zellentüren öffneten sich.
Das sollte nun gar nicht passieren. Das System war so ausgelegt, dass die Türen sich automatisch von selbst verriegelten, wenn die Stromversorgung ausfiel, was zwar wenig erfreulich war für die Häftlinge, wenn ein Feuer ausbrach, aber so war es nun mal. Genauer gesagt, so sollte es sein. Doch nun hörten die Wärter im gesamten Gefängnisbau das Klicken von Zellentüren, die sich öffneten. Und dann strömten auch schon Hunderte von Häftlingen auf die Gänge.
Im DB waren keine Schusswaffen erlaubt. Den Wärtern standen lediglich ihre Autorität und Ausbildung zur Verfügung, dazu ihr Verstand und die Fähigkeit, die Stimmung der Insassen zu deuten. Ihre einzige Bewaffnung waren Schlagstöcke, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Nun packten sie diese Schlagstöcke mit Händen, die nass waren vor Schweiß.
Da es beim Militär Regeln für jeden erdenklichen Notfall gab, galt auch für solch einen Fall eine sogenannte SOPS, eine Standardvorgehensweise. Die Army hatte normalerweise zwei Absicherungen für alle kritischen Belange. Im DB galt die Absicherung durch den Generator mit dem natürlichen Gasvorkommen als narrensicher.
Aber die hatte jetzt versagt. Nun fiel es den Wärtern zu, die Ordnung wiederherzustellen. Sie waren die letzte Verteidigungslinie. Das primäre Ziel bestand darin, alle Häftlinge wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen. Das sekundäre Ziel war, die Knackis wieder sicher zu verschließen. Alles andere würde nach jedem militärischen Standard als inakzeptables Scheitern gelten. Karrieren – und mit ihnen Sterne und Streifen auf Uniformen – würden wie vertrocknete Nadeln von einem Weihnachtsbaum fallen, der Ende Januar noch nicht entsorgt war.
Da es weit mehr Gefangene als Wärter gab, waren einige taktische Überlegungen nötig, wollte man die Knackis wieder sicher wegsperren. Die wichtigste dieser Überlegungen sah vor, dass man sie im großen offenen Zentralbereich zusammentrieb, wo sie sich dann bäuchlings auf den Boden legen mussten. Das schien etwa fünf Minuten lang ganz gut zu klappen. Dann geschah etwas, das die Wachen noch tiefer in die Army-Handbücher blicken ließ und dafür sorgte, dass sich mehr als ein Afterschließmuskel – ob nun der eines Wärters oder eines Häftlings – fest zusammenzog.
»Schüsse!«, brüllte ein Wärter in sein Funkgerät. »Hier wird geschossen!«
Die Nachricht wurde weitergegeben, bis sie in den Ohren eines jeden Wärters klingelte. Schüsse fielen, und niemand wusste, woher...