E-Book, Deutsch, 265 Seiten
Baukowski / Rises / Hell 13 Flames from Hell
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7487-9735-7
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 265 Seiten
ISBN: 978-3-7487-9735-7
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dreizehn unheilige Schreiberlinge, verewigt in einer okkulten Anthologie - was kann man da erwarten? Findet es selbst heraus! INHALT Thomas Williams Symphonie des Blutes Oder: Fear and Loathing in Salem Ethan Kink Abaddon J. Mertens Cthulhus Scherge Doris E. M. Bulenda Führe uns in Versuchung Faye Hell Ein Kätzchen namens Satan Markus Kastenholz Mala'ak BK Baukowski Unktomi Nici Hope Sanitas per aquam Ralf Kor Night of the bloodthursty Rugrats Dennis Mombauer Die unirdische Kathedrale Nicole Renner Der Untergang der Hölle oder: wie der Teufel Amnesie bekam Azrael ap Cwanderay Meister Hämmerleins Heim für herrenlose Hurenkinder Jean Rises Abbaye de Théléme
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
SYMPHONIE DES BLUTES oder: FEAR AND LOATHING IN SALEM - Thomas Williams
Im Fernsehen lief eine Mischung aus Mickey Maus und Snuff Film. Es waren keine echten Mickey-Mäuse, die auf OP-Tischen gefesselte Menschen mit Werkzeugen und Operationsbesteck folterten, aber wegen ihrer großen, kreisrunden Ohren und den spitz zulaufenden, mit Reißzähnen besetzten Schnauzen erinnerten sie mich an Walt Disneys Kreation. Wir hatten den Ton ausgeschaltet, weswegen wir die Schreie ihrer Opfer nicht hören konnten. Ich weiß noch, dass ich sagte: »So etwas findet man aber nicht bei den Familienfilmen, oder?« Mein Kumpel Bob lag schläfrig in seinem Massagesessel, hielt die Augen geschlossen und lauschte dem Album »Dopethrone« von Electric Wizard. Ich hatte das Gefühl, es würde zum fünften Mal laufen, was bedeutete, dass wir seit Stunden in Bobs Wohnzimmer saßen. Und dass diese armen Schweine genauso lange von Mickey-Mutanten zerstückelt wurden. »Wusstest du, dass der Sänger den Titelsong geschrieben hat, nachdem er von einem Sofa aus Hanf hörte? Deswegen Dopethrone.« Ich deutete auf die Stereoanlage, die trotz ihres Alters einen unglaublichen Sound hatte. »Das ist ihr bestes Album, Mann.« Bob hustete und erwiderte, ohne die Augen zu öffnen: »Diese Musik ist, als ob du der Finsternis ein Fenster zu deiner Seele öffnen würdest.« »Gefällt sie dir?«, fragte ich. Bob nickte stumm. Und ich fluchte: »Dann sag das doch einfach.« Ich zupfte an meinem Church-of-Misery-T-Shirt. Draußen schneite es, aber hier drin mussten dreißig Grad sein. Ich sah zur Heizung, die Bob und sein Massagesessel versperrten, überlegte, mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, aber auch das würde nicht viel nützen. Wir hatten so ein neues Zeug eingeworfen, das Satans Nightmare hieß. Angeblich verursachte es Trips, vor denen sich sogar der Teufel fürchtete. Bisher konnte ich nur sagen, dass ich schon besseres Zeug genommen hatte. Denn die Wirkung ließ auf sich warten. »Wann fängt das Konzert noch mal an?«, fragte ich Bob, der uns zu einem Gig einer namenlosen Band bringen wollte, von dem nur ein paar Auserwählte wussten. Ich ging davon aus, dass es Freunde von ihm sein mussten. Irgendeine Gruppe mindertalentierter Möchtegerns, die beim Topfschlagen mehr Noten trafen, als an ihren Instrumenten. Warum sollten sie sonst kein Album haben? Die Labels lehnten sie der Reihe nach ab. »Um Mitternacht« murmelte Bob schließlich müde, seinen etwas zu dicken Bauch unter dem Saint-Vitus-Shirt kratzend. »Aber wir sollten früh genug da sein, denn sonst …« Sein Kopf sackte zur Seite, und er begann zu schnarchen. Ich bemerkte es zwar, sagte aber trotzdem: »Sonst was?« Bob sägte weiter Wälder. Auf dem Bildschirm jonglierte ein Mickey-Mutant mit Augäpfeln, während ihm die anderen applaudierten. Ich konnte mir den Scheiß nicht länger ansehen und ließ meinen Blick durch die Wohnung wandern. Ein Deckenfluter verteilte sein weißes Licht im Zimmer mit den schwarzen Möbeln und grün gestrichenen Wänden. Was hätte ich in diesem Moment für einen anständigen Trip gegeben? Satans Nightmare sollte in Satans Schlaftabletten umbenannt werden. Ich lehnte mich zurück, sah zur Zimmerdecke und hörte Electric Wizard zu. Bob und ich hatten schon viele Drogen ausprobiert. Meistens rauchten wir aber Gras. Ich mochte Tabletten oder Blättchen nicht besonders, hatte dieses neue Zeug aber genommen, weil Bob davon so schwärmte. Ich glaubte, in der Ferne Menschen schreien zu hören. Es konnte nicht aus dem Fernseher kommen, da der Ton ausgeschaltet war. Vermutlich wurde in der Wohnung unter uns gerade eine Familie abgeschlachtet. So oder so hatten sie mehr Spaß als ich. »Laaaangweilig!«, beschwerte ich mich, immer noch auf den Trip wartend. Dabei fiel mir ein großer, gelber Fleck an der Zimmerdecke auf. Bob wohnte in einem kleinen, heruntergekommenen Apartment in einem Gebäude, das mir vorkam, als dürfte man aus Angst vor Einsturzgefahr die Türen nicht zu fest zuschlagen. Auf dem Weg durchs Treppenhaus hatte ich verdreckte, zugemüllte Flure, offenstehende Türen und Ratten gesehen. Im dritten oder vierten Stock stand ein Mann, der mich stumm anstarrte. Ohne ihm Beachtung zu schenken, brachte ich den Rest des Weges hinter mich. Seitdem saß ich auf Bobs Sofa. Sollte das Album wirklich zum fünften Mal laufen, musste es weit nach Mitternacht sein. »Verpassen wir gerade das Konzert?«, fragte ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Normalerweise ließen mich die Drogen meine Sorgen vergessen. Wenigstens für eine Weile. Sorgen um Geld, meinen beschissenen Job in einer Wäscherei und den an einer Tankstelle. Mit zwei mickrigen Monatsgehältern kam ich geradeso soweit über die Runden. Fragte sich nur, wie lange noch. Im Moment reichten sie, um Rechnungen und Lebensmittel zu bezahlen. Jetzt, am Ende des Monats, war mein Konto nahezu leer. Konzerte, neue Kleidung oder irgendeine andere Anschaffung konnte ich mir im Moment abschminken. Bobs unrasiertes Gesicht schob sich in mein Blickfeld. »Wir müssen los«, sagte er und ging zur Zimmertür hinaus. »Endlich«, erwiderte ich, hörte ihn mit seinem Schlüsselbund klimpern und bemerkte, dass der Fernseher und die Musik ausgeschaltet waren. Verwirrt sah ich zur Tür. »Wo findet das Konzert nochmal statt?« »Im Erdgeschoss«, antwortete Bob. Dann hörte ich ihn in die Toilette pinkeln und wartete damit, ihm in den Flur zu folgen, um ihn nicht durchs offenstehende Badezimmer in flagranti zu erwischen. »Von dem Laden habe ich noch nie gehört«, sagte ich, die Zeitschriften auf seinem Wohnzimmertisch begutachtend: Musikmagazine, von denen bestimmt kein einziges bezahlt worden war; Bob hätte ein Seminar in Ladendiebstahl geben können. Aber auch solche, die gratis zum Mitnehmen irgendwo auslagen. Um mir während Bobs Pinkelpause die Zeit zu vertreiben und weil die Magazine mich neugierig machten, nahm ich eines in die Hand. Es handelte von Graffitis und lokalen Hip-Hopern. Dass Bob sich für so etwas interessierte, war mir völlig neu. »Fankyzine«, las ich mir den Titel selber vor. Dann rief ich: »Seit wann stehst du auf Hip-Hop?« Und Bob antwortete: »Diese Musik ist, als ob du mit den Füßen in feuchtem Zement steckst, der sich langsam um deine Knöchel verhärtet und dich am Weitergehen hindert.« »Gefällt sie dir?« »Nein.« »Dann sag das doch einfach!« Schließlich spülte Bob, wusch sich sogar die Hände und rief: »Kommst du jetzt, oder was?« »Ja, ja, ja«, antwortete ich genervt, das Magazin wieder auf den Stapel legend. Im Flur vor der Wohnungstür war kein Mensch. Die Beleuchtung ging von alleine an, flackerte aber nur. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass die Wände auch hier grün und die Türen schwarz gestrichen waren. Genau wie in Bobs Wohnung. Aber mich interessierte etwas anderes: »Und die spielen wirklich nur einmal im Jahr?«, fragte ich auf dem Weg zur Treppe. »Sagte ich ja bereits.« »Und es gibt kein Album von ihnen? Auch nichts im Internet?« »Nein. Die einzige Möglichkeit, sie zu sehen oder zu hören, ist bei ihrem einzigen, jährlichen Konzert. Du kannst dich glücklich schätzen, dabei sein zu dürfen.« »Na, das werden wir ja noch sehen«, murmelte ich, Bob die Stufen in den vierten Stock hinab folgend. Dort angekommen, blieb er stehen und sah mich an. »Ihre Musik ist, als ob gefallene Engel spielen würden. Es ist himmlisch, aber gleichzeitig verkehrt. So etwas wie sie sollte nicht existieren.« »Gefällt dir die Musik?«, fragte ich. Bob nickte. »Ja.« »Dann sag das doch einfach!« Allmählich machten mich seine Metaphern wahnsinnig. Im dritten Stock liefen ein paar Ratten vor uns weg, die im Müll nach Fressen suchten. Wie man hier leben konnte, war mir ein Rätsel. Und da stand immer noch dieser Typ am Ende des Flurs, als hätte er sich in all der Zeit, während ich bei Bob auf dem Sofa gesessen hatte, nicht vom Fleck gerührt. Er trug ein weißes Hemd, und was ich beim ersten Mal für einen Mantel gehalten hatte, entpuppte sich nun als Cape. Irgendetwas stimmte mit seiner Hautfarbe nicht. Sie wirkte schrecklich blass, aber auch ein wenig grau. Wie ein Schwarzweißton aus alten Filmen. »Ist das Bela Lugosi?«, fragte ich scherzhaft. »Was?« Bob hatte schon die nächste Treppe hinuntergehen wollen, blieb nun aber stehen und sah mich schief an. »Dieser Typ da!« Kurz glaubte ich, die Droge würde endlich zu wirken beginnen, aber ich hatte den Kerl ja schon gesehen, bevor wir Satans Nightmare eingeworfen hatten. Bob blickte den Fremden an, zögerte und erwiderte: »Das ist Christopher Lee, du Idiot.« Damit ging er die Treppe hinunter, und ich versuchte noch einmal, den anderen zu erkennen. Entweder grinste er mich an, oder er bleckte die Zähne. So oder so, das war nicht Christopher Lee. Der hatte Dracula 1958 zum...




