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Baxter Der Orden

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-15015-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

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Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Nach dem Tod seines Vaters findet George Poole in dessen Nachlass Dokumente, die darauf hindeuten, dass er eine Zwillingsschwester hat, die er jedoch nie kennenlernte: Sie wurde in die Obhut eines Marienordens gegeben. George, von Einsamkeit und Verwirrung getrieben, macht sich auf die Suche nach ihr. Die Spur führt nach Rom, wo er einem jungen Mädchen begegnet, das sich aus den Fängen des „Ordens der Heiligen Maria“ befreien will. Gemeinsam mit seinem Freund Peter McLachlan, einem Verschwörungstheoretiker, kommt George einem erschütternden Geheimnis auf die Spur, das tief in die Vergangenheit reicht – und weit in unsere Zukunft!

Stephen Baxter, 1957 in Liverpool geboren, studierte Mathematik und Astronomie, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er zählt zu den international bedeutendsten Autoren wissenschaftlich orientierter Literatur. Etliche seiner Romane wurden mehrfach preisgekrönt und zu internationalen Bestsellern. Stephen Baxter lebt und arbeitet im englischen Buckinghamshire.
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2


Es begann wahrhaftig in einer für jedermann seltsamen Zeit. Die Meldung von der Kuiper-Anomalie, dem sonderbaren neuen Licht am Himmel, war soeben erschienen. Man muss in London sein, wenn so eine Story herauskommt, eine jener bedeutsamen Nachrichten, die das Leben verändern und die man mit seinen Freunden an den Trinkwasserspendern im Büro, in den Pubs und Coffee Bars besprechen und bis ins Kleinste durchkauen will.

Aber ich musste heim, nach Manchester. Familiäre Pflichten. Ich hatte meinen Vater verloren. Ich war fünfundvierzig.

Das Haus meines Vaters – mein Elternhaus – stand in einer kurzen Straße identischer Vororteigenheime: eine nette, kleine Doppelhaushälfte mit einem Fleckchen Rasen vorn und hinten. An einem strahlend hellen Septembermorgen stand ich in der Auffahrt und gab mir Mühe, mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen; ich versuchte, wie ein Fremder zu denken.

Als diese kleinen Häuser in den Fünfzigern gebaut worden waren, nicht lange vor meiner Geburt, mussten sie den Menschen im Vergleich zu den Rücken an Rücken stehenden Reihenhäusern der Innenstadt begehrenswert erschienen sein, und tausendmal besser als die Hochhausblocks, die in ein paar Jahren folgen würden. Aber jetzt, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, wirkte das Mauerwerk schnell hingehauen und billig, die kleinen Rabatten waren eingesunken, und die Außenanlagen, wie zum Beispiel die verputzten Ytongsteine am Rand der Auffahrten, zerbröckelten teilweise. Vom ursprünglichen Charakter der Straße war nicht mehr viel übrig geblieben. Es gab doppelt verglaste Kunststofffenster, neu gedeckte Dächer und wieder aufgemauerte Schornsteine, Zimmer mit Flachdach über den Garagen, und an der Vorderseite des Hauses gegenüber waren sogar zwei kleine Wintergärten angebaut, um die Südsonne einzufangen. Nach beinahe fünfzig Jahren waren die Häuser mutiert und hatten sich auseinander entwickelt.

Auch die Menschen hatten sich verändert. Früher einmal war dies eine Straße voller junger Familien gewesen, wo wir Kinder uns Spiele ausgedacht hatten, die wir nur unterbrachen, wenn hin und wieder einmal ein Auto von der Hauptstraße einbog. Ein Wagen pro Haus damals, Morris Minors, Triumphe und Zephyre, die gut in die kleinen Garagen passten. Jetzt war alles voller Autos; sie verstopften jede Auffahrt und parkten in zwei Reihen am Straßenrand. Mir fiel auf, dass man einige der kleinen Gärten umgegraben und asphaltiert hatte, um noch mehr Platz für die Autos zu schaffen. Nirgends war ein Kind zu sehen, überall nur Autos.

Aber mein Zuhause, mein altes Zuhause, unterschied sich von den anderen.

Unser Haus hatte noch die originalen Ziehharmonika-Garagentüren aus Holz und die kleinen Holzfenster, ja sogar den Erker an der Stirnseite des Hauses, in dem ich immer gesessen und meine Comics gelesen hatte. Aber das Holz war abgesplittert und rissig, vielleicht sogar verrottet. Der alte Efeu, ein extravagantes grünes Gekritzel auf der Vorderseite des Hauses, war längst verschwunden, aber ich sah die verwitterten Narben im Mauerwerk, wo er sich festgeklammert hatte. Wie schon zu Lebzeiten meiner Mutter – sie war vor zehn Jahren gestorben – hatte mein Vater nur die allernotwendigsten Renovierungsarbeiten erledigt. Er war fast sein ganzes Leben für die Baubranche tätig und somit der Ansicht gewesen, er habe die Woche über schon genug mit Bauen und Renovieren zu tun gehabt.

Eine der wenigen Verbeugungen vor den modernen Zeiten, die ich sah, war das silberne Kästchen einer Alarmanlage, das auffällig an der Stirnseite des Hauses klebte. Der letzte Einbruch bei Dad lag schon ein paar Jahre zurück. Er hatte ihn erst einige Tage später bemerkt – das säuberlich aufgebrochene Schloss der Garagentür, das eingeschlagene Fenster des Wagens, den er selten fuhr, und die hübsch gerundete Kackwurst auf dem Fußboden. Kinder, hatte die Polizei gesagt. Panikreaktionen. Mein Vater war kein ängstlicher Mensch gewesen, aber es hatte ihm Kummer bereitet, dass seine Kräfte nachließen und er sich nicht mehr so wie früher gegen die grausame Selbstsucht anderer wehren konnte. Ich hatte die Alarmanlage gekauft und einbauen lassen, muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich sie an diesem Tag zum ersten Mal wahrnahm.

Alarmanlage hin oder her, in der Haustür gähnte eine kaputte und noch nicht reparierte Fensterscheibe.

»George Poole. Du bist George, hab ich Recht?«

Ich drehte mich überrascht um. Vor mir stand ein massiger Mann mit schütterem Haar. Seine Kleidung wirkte irgendwie unpassend, vielleicht zu jugendlich für ihn – leuchtend gelbes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe, ein klobiges Handy in der Brusttasche. Trotz seiner bärengleichen Statur wirkte er schon auf den ersten Blick irgendwie schüchtern; er hatte die Schultern hochgezogen, als wollte er seine Größe kaschieren, und seine vor dem Bauch verschränkten Hände zupften aneinander.

Und trotz der ergrauenden Haare, der hohen Stirn und seiner schwabbelig gewordenen Hals- und Kinnpartie erkannte ich ihn sofort.

»Peter?«

Er hieß Peter McLachlan. Wir waren gleichzeitig eingeschult worden, hatten meist sogar dieselbe Klasse besucht. In der Schule war er immer Peter gewesen, nie Pete oder Petie, und daran hatte sich wohl auch nichts geändert.

Er streckte mir die Hand hin. Sie war kalt und feucht, sein Händedruck zaghaft. »Ich habe dich parken sehen. Du bist bestimmt überrascht, mich hier anzutreffen.«

»Eigentlich nicht. Mein Vater hat öfters von dir gesprochen.«

»Hübscher Dufflecoat«, sagte er.

»Was? … O ja.«

»Erinnert mich an die Schulzeit. Wusste gar nicht, dass man die Dinger noch kriegt.«

»Er stammt aus einem speziellen Kleiderladen für stilistisch Zurückgebliebene.« Das stimmte.

Wir standen einen Moment lang verlegen herum. Ich hatte mich in Peters Gegenwart schon immer unwohl gefühlt, denn er war einer jener Menschen, die sich in Gesellschaft anderer nie entspannen konnten. Und etwas an seinem Gesicht war anders; ich brauchte ein paar Sekunden, um dahinter zu kommen: Die dicke Brille fehlte, die er als Kind in den Siebzigern immer hatte tragen müssen. Ich sah auch keine Vergrößerung der Pupillen, jenes verräterische Kennzeichen von Kontaktlinsen; vielleicht hatte er eine Laseroperation vornehmen lassen.

»Tut mir Leid, dass ich eure Fensterscheibe zerbrochen habe«, sagte er.

»Du warst das?«

»Ja, in der Nacht, als er gestorben ist. Dein Vater kam nicht an die Tür, als ich ihm seine Abendzeitung brachte. Ich dachte, ich schaue lieber mal nach ihm …«

»Du hast ihn gefunden? Das wusste ich nicht.«

»Ich hätte ins Haus gemusst, um das Fenster zu reparieren, und das wollte ich nicht, bevor du … du weißt schon.«

»Ja.« Sein Zartgefühl bewegte mich, und ich fühlte mich auf unbestimmte Weise schuldig, weil keiner von uns daran gedacht hatte, ihn zur Beerdigung einzuladen. Ich klopfte ihm behutsam auf die Schulter und spürte die Muskeln unter seinem Ärmel.

Aber er wich zurück. »Tut mir Leid, das mit deinem Vater«, sagte er.

»Mir tut’s Leid, dass du ihn finden musstest.« Ich wusste, dass er noch mehr erwartete. »Und danke, dass du nach ihm gesehen hast.«

»Hat ihm leider nicht viel genützt.«

»Aber du hast es versucht. Er hat mir erzählt, dass du dich immer um ihn gekümmert hast – Rasenmähen …«

»War nicht der Rede wert. Immerhin kannte ich ihn von klein auf.«

»Ja.«

»Du warst noch nicht drin, oder?«

»Das weißt du doch, wenn du mich parken gesehen hast«, sagte ich ein bisschen spitz.

»Soll ich mit reinkommen?«

»Ich will dir nicht noch mehr Umstände machen. Überlass das nur mir.«

»Es macht mir keine Umstände. Aber ich will mich nicht aufdrängen …«

Immer noch verlegen, drehten wir uns im Kreis. Am Ende nahm ich sein Angebot natürlich an.

Wir gingen die Auffahrt hinauf. Sogar der Asphalt war verwittert, bemerkte ich beiläufig; er knackte leise unter meinem Gewicht. Ich brachte einen Schlüssel zum Vorschein, den mir das Krankenhaus zusammen mit der Todesnachricht geschickt hatte, steckte ihn in das Yale-Schloss und stieß die Tür auf.

Ein lautes Piepsen ertönte. Peter langte an mir vorbei und gab einen Code in ein Steuerkästchen ein, das sich in einem offenen Schrank auf der Veranda befand. »Er hat mir den Code gegeben«, sagte er. »Für die Alarmanlage. Falls es mal einen Fehlalarm gab, weißt du. Deshalb konnte ich sie abschalten, als ich das Fenster eingeschlagen hatte, um reinzukommen. Nur falls du dich fragst, wieso … Ich hatte auch einen Schlüssel. Aber an der Tür gibt’s ein Zusatzschloss mit Sicherheitskette, und deshalb musste ich das Fenster einschlagen …«

»Ist schon gut, Peter«, sagte ich ein wenig ungeduldig. Halt den Mund. Er hatte nie gewusst, wann es an der Zeit dazu war.

Er verstummte.

Ich holte tief Luft und ging hinein.

In diesem Haus hatte ich meine Kindheit verbracht, und es war alles noch genauso wie damals.

In der Diele ein Garderobenständer mit muffigen Mänteln, ein Telefontisch mit einem Handapparat aus den Siebzigerjahren und einem Haufen hingekritzelter Namen, Nummern und Notizen, die sich in einer Pappschachtel stapelten, Notizen in Dads Handschrift. In einer von Dad selbst gefertigten Wandnische eine kleine, grazile Statue der Jungfrau Maria. Im Erdgeschoss das Esszimmer mit dem narbigen alten Tisch, die kleine Küche mit dem schmuddeligen Herd und dem Resopaltisch, das Wohnzimmer mit den Bücherregalen, der abgenutzten Polstergarnitur und einem verblüffend neuen Fernseher samt...


Baxter, Stephen
Stephen Baxter, 1957 in Liverpool geboren, studierte Mathematik und Astronomie, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er zählt zu den international bedeutendsten Autoren wissenschaftlich orientierter Literatur. Etliche seiner Romane wurden mehrfach preisgekrönt und zu internationalen Bestsellern. Stephen Baxter lebt und arbeitet im englischen Buckinghamshire.



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