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E-Book, Deutsch, Band 2082, 126 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Behringer Hexen

Glaube, Verfolgung, Vermarktung

E-Book, Deutsch, Band 2082, 126 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-75285-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Glaube an Hexen ist weltweit verbreitet – auch heute noch. In beinahe allen Kulturen gab oder gibt es Menschen, die glauben, dass bestimmte Personen mit Hilfe magischer Kräfte Nutzen oder Schaden stiften und mit Geistern und Dämonen in Kontakt treten können. Wolfgang Behringer, einer der führenden Experten zur Geschichte der Hexenverfolgung, schildert die Traditionen des Hexenglaubens, die Zeit der großen Prozesse und Hinrichtungen in Europa sowie die spätere Rezeption und Vermarktung. Und auch die heutige Situation wird nicht ausgespart.
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II. Hexenglaube
Die sozialistische Regierung des westafrikanischen Landes Benin (bis 1975 Dahomey) ließ nach ihrer Machtübernahme eine Briefmarke mit dem Thema La lutte contre la sorcellerie (Forces du Mal) drucken. Die Antihexereikampagne wollte sie als eine Form des Klassenkampfes verstanden wissen, da Reichtum im traditionellen Afrika gemäß der Vorstellung der Begrenztheit der Güter oft auf Zauberei zurückgeführt wird. Die Bevölkerung fing jedoch an, alte Frauen zu jagen, die für eine Tetanusepidemie mit hoher Kindersterblichkeit verantwortlich gemacht wurden. Anstatt eine Impfaktion zu beginnen, ließ die Regierung Geständnisse der Hexen im Radio verbreiten. Die Frauen gaben an, sich in Waldkäuze verwandelt und kleine Kinder verhext zu haben, um deren Seelen in Tiere verwandeln zu können, die sie dann auffraßen. Diese Zusammenfassung eines rezenten Ereignisses aus einem «Entwicklungsland» mit hoher Kindersterblichkeit, dessen Einwohner mehrheitlich traditionellen «Naturreligionen» anhängen (18 % Katholiken, 15 % Muslime), lässt eine Fülle von Motiven anklingen, die im antiken Strigenglauben, im alteuropäischen Hexenglauben und in der Vorstellungswelt Afrikas, Südostasiens und Amerikas gleichermaßen zu finden sind. Solche kulturübergreifenden Ähnlichkeiten bedürfen einer Erklärung. Die bekannte Alternative Kulturdiffusion oder Strukturgenese kann dabei aus methodischen Gründen nicht entschieden werden. Gemeinsame Ursprünge würden am einfachsten die Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen erklären, sie müssten allerdings weiter zurückreichen als die Besiedelung Amerikas, also viele Jahrtausende. Aussagen über das Alter magischer Vorstellungen, von Tierverwandlung, magischem Flug etc. können ebenfalls kaum getroffen werden. Prähistoriker legen jedoch bei einer Reihe von Artefakten, Felsbildern oder Höhlenmalereien magisch-religiöse Bezüge nahe. Sicherheit bekommen wir mit dem Einsetzen schriftlicher Überlieferung. Hier kann man sehen, dass Beschwörungen und Texte zur Hexenabwehr zu den ältesten überlieferten Texten der Menschheit gehören. Der Nachweis einer gemeinsamen Abstammung aller Hexereivorstellungen ist freilich methodisch unmöglich. Im Zeitalter der Mythenbastelei stieß eine solche Vorstellung auf dezidierte Ablehnung. Malinowski hat darauf verwiesen, dass magische Vorstellungen und Praktiken fast überall die gleiche Funktion erfüllten, und impliziert, dass der Hexenglaube von der Arktis bis Australien in ähnlicher Weise immer wieder neu entstanden sei. Das würde freilich letztlich bedeuten, dass er nicht nur durch äußere Bedingungen hervorgerufen wird, sondern auch in der menschlichen Psyche angelegt ist. Psychologen haben magische Verhaltensweisen im Kindesalter festgestellt, die auf Versuchen einer Selbstdeutung der Umwelt ohne ausreichendes Wissen beruhen. Sicher besteht hier ein Zusammenhang zur Beliebtheit von Zaubermotiven in Märchen. Nach der Psychoanalyse Freuds sind Omnipotenzphantasien ohnehin im menschlichen Unbewussten angelegt. Freilich sind Hexereivorstellungen weder gleichförmig noch gleichmäßig verteilt. Untersuchungen über Hexerei und Antihexerei in Afrika haben gezeigt, dass Hexereivorstellungen in manchen afrikanischen Gesellschaften keine Rolle spielen, weil Unglück Göttern oder Ahnengeistern zugeschrieben wird, während in anderen unter vergleichbaren Bedingungen sozialer Organisation und Ökonomie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung an Hexerei glaubt. Die frühen Feldstudien wie die Evans-Pritchards haben Beispiele von Gesellschaften in Afrika vorgeführt, bei denen der Glaube an Hexerei das soziale Leben in hohem Maße strukturierte. Der Anthropologe Max Marwick versuchte in den 50er Jahren, solche allgemeinen Aussagen auf eine statistische Basis zu stellen, und sammelte bei den Cewa in Ostafrika 200 Fälle von «Unglück», deren Umstände und Interpretation er verglich. Dabei stellte er fest, dass Unglück bei allgemeiner Fragestellung zu 100 % auf Hexerei zurückgeführt wurde, bei den konkreten Fällen immer noch zu 54 %. Nur ein Viertel der Befragten führte das Unglück auf natürliche Ursachen oder Gott zurück, der Rest verteilt sich auf Ahnengeister und Personen, die nicht als Hexen betrachtet wurden. Bei 74 % der Fälle von Hexerei (79 von 107) wurde die Hexe oder der Zauberer namentlich identifiziert (54 Männer, 35 Frauen). In 78 % der Fälle waren vermuteter Täter und Opfer matrilinear verwandt, in 21 % angeheiratet oder entfernt verwandt. Nur in 1 % der Fälle waren sie überhaupt nicht miteinander verwandt. Soziale Nähe war nicht nur bei den Cewa konstitutiv für Verhexungsangst, Kategorien wie Verwandtschaft oder Nachbarschaft spielen in allen Gesellschaften eine herausragende Rolle. Intensiver Hexenglaube ist keineswegs beschränkt auf rurale Gebiete oder die niederen Bildungsschichten. 1968 hielten an der Universität von Ghana 41 % der Studenten die Existenz von Hexerei für wahrscheinlich, weitere 35 % waren sich ganz sicher. Ähnliche Zahlen sind von höheren Schulen in Sambia bekannt, wo die Behauptung «Zauberer machen Leute krank» nur von 9 % der Befragten verneint, von 83 % dagegen bejaht wurde, davon 62 % mit «strongly agree». Intensiver Hexenglaube bedeutet nicht ständige Angst, sondern ein Bewusstsein latenter Gefahr, vergleichbar Verkehrsunfällen in Großstädten. Isaac Schapera wies nach, dass in Botsuana Hexerei vor Ankunft der Europäer der Gerichtsbarkeit der Häuptlinge unterstand und Folter und Tötung Instrumente der vorkolonialen Justiz waren. Zwei Sammelbände von Max Marwick und Mary Douglas über Witchcraft demonstrierten 1970 den hohen Forschungsstand zum komplexen Phänomen der afrikanischen Hexerei und setzten für die internationale Forschung Standards. Auf die Zunahme der Antihexereibewegungen seit der Entkolonialisierung geht exemplarisch der Sammelband Witchcraft in Contemporary Tanzania ein, der Aufschlüsse über Hexenverfolgungen der Moderne gibt. Für Asien und Australien/Ozeanien gehörte Hexerei nicht wie für die afrikanische Ethnologie zu den erstrangigen Gegenständen, obwohl Malinowski bereits 1922 in seiner klassischen Feldstudie Argonauts of the Western Pacific wie in den folgenden Studien auf das Phänomen der bösen Zauberer (bwagau) und der «fliegenden Hexen» (mulukwausi) hingewiesen hatte. Sein Befund, dass alle wichtigen Lebensstationen von Magie begleitet sind und schwere Unglücksfälle und der Tod fast immer auf Hexerei zurückgeführt werden, wurde von anderen Ethnologen wie Reo F. Fortune bestätigt. Philipp Kuhns Untersuchung Soulstealers. The Chinese Sorcery Scare of 1768 präsentiert das Beispiel einer historischen Hexenpanik in einer asiatischen Hochkultur. Ethnien in Ländern mit so unterschiedlichem kulturellen Hintergrund wie das christlich-animistische Papua-Neuguinea, die islamischen Länder Indonesien und Malaysia oder das buddhistische Thailand kennen gleichermaßen Hexereivorstellungen. Der Sammelband Understanding Witchcraft and Sorcery in Southeast Asia verdeutlicht, dass man sich in manchen Ethnien über den Hexenglauben eher lustig macht, während andere ihm einen hohen Stellenwert beimessen. Das Ausmaß moderner Antihexereibewegungen in Asien wird für das hinduistische Indien in Sohaila Kapurs Witchcraft in Western India deutlich. Im modernen Amerika mischen sich Hexereivorstellungen der Einwanderer aus Europa, Afrika und Asien mit denen der Native Americans (Indianer). In der Karibik und in Brasilien besteht trotz christlicher Missionsbemühungen ein starker afrikanischer Einfluss, der in dem Aufstieg der aus Westafrika stammenden Voodoo-Religionen mit ihren ausgeprägten Verhexungsängsten zum Ausdruck kommt. Für die Erforschung des altamerikanischen Hexenglaubens waren die Arbeiten der Kulturanthropologen um Franz Boas (1858–?1942) und ihrer frühen Rezeption der russischen Schamanismusforschung wegweisend. Clyde Kluckhohn hat in seiner klassischen Feldstudie Navaho Witchcraft auf rezente Hexenprozesse in den Reservaten hingewiesen, die zu Tötungen führten. Sonderfälle stellen die alten Hochkulturen Mexiko und Peru dar, über deren Hexereivorstellungen bereits aus dem 16. Jahrhundert Berichte vorliegen. In Mexiko haben Nagualismus (Tierseelenglaube) und Hexenglaube Missionierung, Entkolonialisierung und Revolution überlebt. Die katholische Kirche verzichtet noch heute auf die Evangelistensymbole (Adler, Stier, Löwe), um deren Verehrung zu verhindern. Aus dem 19. Jahrhundert werden Hexenverbrennungen berichtet, die lokale Gerichte gegen den Willen der Regierung durchführten. Morde an vermeintlichen Hexen dauern bis in die Gegenwart an. Nach den drei großen ethnologischen Handbuchserien zu den Indianern Nord-, Mittel- und...


Wolfgang Behringer ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität des Saarlandes.


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